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Demolierte Pathosformeln Die besten Momente von The Fighter sind die besten Momente in David O. Russells bisherigem Werk

Von Ryland Walker Knight

© Paramount Pictures | Weinstein Company

 

David O. Russell ist ein Entertainer. Mag sein, er denkt große Gedanken, oder stochert nach ihnen in seinen Filmen, im Herzen jedoch richtet sich seine Arbeit an ein Publikum, das eine gute Zeit und seinen Spaß haben soll. Das ist bewundernswert, einerseits, da der Ernst ja doch überschätzt wird. Andererseits macht es sich Russell mit seinem gekonnten Timing oft allzu leicht. Es ist eine Frage des Tons. Was eine ergreifende Szene sein könnte, wird als Komödie gespielt, oder ihre Bedeutung wird mit Pauken, Trompeten und anderen Effekten eingehämmert; so oder so wird Pathos eilfertig lächerlich. Er ist ein effektiver Filmemacher, hat immer einen cleveren Stil-Gimmick zur Hand, aber ein Effekt bleibt immer nur das – ein Effekt. Wenn Russell einen Boxkampf aus den 90ern mit Kameras und HBO-Filmemachern der 90er dreht, ist das weniger «originalgetreu» als einfach eine andere Form von Choreografie, das heißt: ein Trick – nicht «Realismus» oder «Wirklichkeitsnähe» – , der sich einer ästhetischen, keiner repräsentationalen Entscheidung verdankt. Soll heißen: Die schlimmsten Momente in The Fighter fühlen sich, so nahe sie den Fakten auch sein mögen, falsch an.

Die besten Momente von The Fighter sind die besten Momente in David O. Russells gesamtem bisherigen Œuvre: da passen das Timing der Schauspieler und das der Komik, perfekt getroffen wirken das Milieu und das Gefühl für den Ort. Die Geschichte spielt in Lowell, Massachusetts, einer weitgehend tristen und verlassenen Textilindustrie-Stadt rund eine Stunde von Boston, deren Bewohner Straßen pflastern und Hausdächer teeren, bevor sie ins Kino gehen oder Boxer werden. Alle trinken sie Budweiser (alle trinken sie). Alle sprechen sie mit Akzent. Diese Geschichte spielt im Jahr 1993, alle tragen sie große dumme Kleidung, die aber fast großartig aussieht, weil die meisten der Hauptrollen nicht von richtigen Menschen, sondern von Filmstars gespielt werden (Mickey O’Keefe, Polizist und Trainer, ist die seltene Ausnahme), was jederzeit daran erinnert, dass dies hier Fiktion ist. Jedoch, bei dem ganzen Betrieb im Bildrahmen – nicht ganz ein kakophoner Altman-Chor – werden wir doch bekannt gemacht mit einer Welt. Das Problem ist nicht, dass es eine Welt nervtötender Menschen ist – das ist in Wahrheit viel eher der Spaß daran –, das Problem ist vielmehr, dass der Film so akkurat nach einer unmöglichen Treue zur wahren Geschichte der Brüder Micky Ward und Dicky Eklund strebt.

Es beginnt mit einer einfachen Szene. Wir sehen Dicky als Protagonisten einer Dokumentation, die auf dem miesen Videomaterial von 1993, aber trotzdem in anamorphischem Widescreen gedreht ist: Er sitzt auf einer Couch, bereitet sich auf den Close-Up vor. Dicky plappert und plappert, von Christian Bale mit einem Sortiment von Ticks und nervösem Gerutsche gespielt, das jeder kennt, der mal einen Süchtigen persönlich erlebt hat. Er quatscht seinen Bruder zu, Micky, gespielt von Mark Wahlberg, der diese wie viele seiner Rollen spielt – wortkarg, bis man ihn provoziert –, der ins Bild kommt und Dicky nach einer kurzen Unterbrechung durch etwas, das wie 8mm-Home-Video aussieht, umarmt. Dicky ist unwillig: Dies ist seine (Bales) Show. Der Monolog dreht sich vor allem um ihn, mit einem Spezial-Zusammenschnitt von Dickys größtem Erfolg (er schlägt Sugar Ray Robinson k.o.), bis zu dem Punkt, an dem er ihre entgegengesetzten Kampfstile erläutert: «Er bevorzugt den Infight, ich bleib lieber draußen.» Das ist dann auch gleich die Zusammenfassung der Filmstrategie. Micky, heißt das, ist als Introvertierter nahe am Leben, während Dicky, dem Extravertierten, das Leben entgleitet. Bis, natürlich, zum dritten Akt.

Ich will des realen Dicky Eklunds Triumph über sein Schicksal nicht schmälern, aber es gibt nicht viel in The Fighter, das mehr als ein Klischee wäre. Das wiederum ist nur deshalb ein Problem, weil die Macher des Films (Schauspieler eingeschlossen) so viel ins Spezifische investieren, dass ein eher spielerischer Umgang mit Tropen und Mythen – die man im von Anfang an mythischen Box-Genre immer findet – fast unmöglich wird. Teilweise liegt es daran, dass der Film am stärksten in den Momenten ist, in denen er sich um die Familiendynamik dreht, nicht ums Boxen. So unfair der Vergleich auch ist, so instruktiv ist er auch: The Fighter ist nicht Raging Bull (siehe S. 38), weil er keine Balance findet zwischen den Kämpfen zuhause und den Kämpfen im Ring. Es steckt viel mehr Sorgfalt und Absicht in der klassischen Eigenverantwortungs-Geschichte von Dickys «Jetzt reicht es» gegenüber seiner Familie als in den HBO-unterstützten «Rekreationen» des Boxring-Kampfs. Man könnte großzügig sagen: Nun, das liegt daran, dass das Boxen eine Metapher ist für das Leben, dafür, wie man es leben soll: du musst für dich selbst kämpfen! So großzügig bin ich aber nicht. Jedenfalls hier. Weil die Kämpfe keine Metaphern sind, auch keine Metonymien; sie sind, und zwar vom Genre, dazu verdammt, partikulare Minidramen zu sein; und als solche hängen sie an Details, die im Allegorischen niemals aufgehen. Ein Bonus: da die Ästhetik des Rings sich so gewaltig von der Ästhetik des Draußen unterscheidet, spricht das eine nicht mit dem anderen, außer durch die Darsteller, die in unterschiedlichen Arenen unterschiedliche Masken tragen. (Mit Ausnahme allerdings von Melissa Leo als Alice, einer Rudelmutter direkt aus der Hölle, die die Schulterpolster und Beehive-Frisur ohne Unterlass in ihrem finsteren Blick und aus dem Handgelenk spüren lässt, eine Endlosparade des Over-Acting, die die Stützung durch Kleidung gar nicht mehr nötig hat.)

Und doch, all diesen Inkonsequenzen (Kollisionen) von Form und Stil und Darstellungsweisen zum Trotz, macht der Film Spaß. Er ist lustig, zum Beispiel, weil Bale und sein Grimassen-Repertoire an «was zum Teufel»-Momenten entzücken. Und, wenn ich es so unverblümt sagen darf: Wir Amerikaner lieben nun mal den Underdog – ganz besonders einen, der sich «an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zieht» und etwas aus sich macht.

Blickt man auf David O. Russells Werk, erkennt man den für ihn spezifischen Riss zwischen Entertainment und Tiefgang Film für Film wieder. Manchmal passt das eine zum anderen. Was seine Filme aber so sehenswert macht, ist gerade der Umstand, dass sie nicht säuberlich sind. Auch in seinem anderen mehr oder weniger straighten Film Three Kings (1999) über den ersten Irakkrieg und einen schief gegangenen Goldraub findet sich diese Spaltung. In seinen besten Momente ist er eine Satire, macht Späße darüber, wie die Welt Amerika wahrnimmt (und darüber, wie die Amerikaner die Welt wahrnehmen); die schlimmsten Momente sind jene, in denen einen der Soundtrack sehr unelegant darauf hinweist, dass jetzt Drama und/oder ernsthafter Schmerz gespielt werden soll. Gewiss, manchmal braucht man das Drama, damit die Komödie gelingt – oder andersrum –, aber dieser Film endet als Scherz, nicht als Parabel, mit allzu billigen «Was aus ihnen geworden ist»-Texttafeln. Vielleicht verstehe ich einfach keinen Spaß, aber Three Kings ist kein Catch-22 (wieder unfair, aber doch fairer als mein Vergleich von The Fighter mit Raging Bull) und wieder hat es mit der Balance viel zu tun.

I Heart Huckabees (2004) mag ein auseinanderpurzelndes Puzzle sein, aber der Film zieht durch, was er anfängt und attackiert seine großen Ideen mit Karacho und ohne Kompromisse und Boxenstops auf seiner tiefempfundenen, wenngleich etwas beliebigen Fahrt in Richtung eines Nirgendwo-Nihilismus, der sich als Existenzialismus ausgibt (oder jedenfalls damit flirtet). Der Film ist ein Spaß, wenn auch ein durchgeknallter, und Wahlberg bereitet besonderes Vergnügen als Screwball-Figur in vollendeter Entsprechung zur durcheinanderklirrenden Konstruktion.

Das eigentliche Glanzstück in Russells Filmografie ist allerdings Flirting With Disaster (1996), ein Tribut an Bringing Up Baby (Hawks, 1938), wie ihn kein Kritiker – außer Stanley Cavell – schreiben könnte. Obwohl natürlich nirgendwo sonst die Schrauben ganz so locker sind wie in Hawks’ Tollhaus, spielt Russell hier doch mit Amerika, Familie, Heirat, Selbsterkenntnis (Synonym für Philosophie) und Sex (eine Alternative) auf weit weniger episodische Weise als in irgendeinem seiner anderen Filme und mutet seinem Helden (Ben Stiller, bevor er Ben Stiller wurde) allerlei zu, wie er umgekehrt so manchem seinen Helden zumutet. Dies ist ein Film, der mit dem Scherz und dem Gag lebt und stirbt, aber niemals auf Kosten der Gedanken oder mit dem Risiko, sich lächerlich zu machen. Pathos, das der Witz demoliert, ist nämlich kein Witz, sondern nur reicheres Pathos.

Übersetzung: ek