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Monkey Business Ben Stiller wird seriös – wird er? Anmerkungen zur Politik eines unterschätzten Akteurs

Von Bert Rebhandl

Greenberg (2010)

© Focus Features

 

Mark Ruffalo hatte erst kürzlich eine der diskreteren Nebenrollen der Filmgeschichte. In Spike Jonzes Where the Wild Things Are taucht er am Abend bei der Mutter des Jungen Max auf, die Figur hat nicht einmal einen Namen, sie heißt schlicht «The Boyfriend». Ein paar gemurmelte Sätze beim Rotwein, darauf beschränkt sich dieser Auftritt. Ruffalo war in der Folge für die Hauptrolle in Noah Baumbachs Greenberg vorgesehen, musste aber kurzfristig aus dem Projekt aussteigen, sodass nun Ben Stiller diesen Roger Greenberg spielt: einen verschrobenen, labilen Mann um die 40, ein ehemaliger Frontmann einer Band, der sich nach einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik als Tischler beschäftigt. Zu Beginn des Films kommt Roger Greenberg aus New York nach Los Angeles, um in dem Haus seines Bruders ein paar Wochen zu verbringen. Der Bruder, ein tatkräftiger Typ, fliegt mit Frau und Kindern für eine Weile nach Vietnam, um dort ein Hotel zu eröffnen. Roger Greenberg dagegen möchte nach Möglichkeit einfach «nichts tun». Nichts könnte schwieriger sein für einen unruhigen Mann wie ihn.

Wir können nicht wissen, wie Greenberg aussehen würde, wenn Mark Ruffalo diese Figur gespielt hätte. Was wir hingegen sehen, ist ein Komödienstar, der sich auf einen «ernsthaften» Film eingelassen hat. In den Begriffen der Hollywood-Branchenpresse, aus deren Nachrichten sich die Klatschmagazine bedienen, ist von einem «casting shakeup» die Rede, in den Blogs, in denen sich Fans über den Karriereverlauf ihrer Stars äußern, geht die Sorge um, Stiller könnte in dieser «dramatischen» Rolle fehlbesetzt sein.

Irrwisch mit flüchtiger Identität

Die Sache mit Mark Ruffalo verdient Erwähnung vor allem deswegen, weil sie verdeutlicht, wie zufällig viele Entscheidungen zustande kommen, aus denen sich dann ein Werk zusammensetzt. In dem konkreten Fall, der mich schon lange interessiert, das Werk von Ben Stiller – Schauspieler, Regisseur, Produzent, bestens vernetzte Figur in Hollywood, Sohn des großen Komödianten Jerry Stiller, der als Frank Costanza in der Sitcom Seinfeld dem Typus des cholerischen Italoamerikaners neue Facetten der Hemmungslosigkeit gab.

Ben Stiller kommt, wie so viele seiner Generation, aus dem Fernsehen, und vielleicht kann man aus den vielfachen Verkleidungen, wie sie in der Show Saturday Night Live gepflogen werden, ein Grundmotiv für diese Karriere entlehnen: Eine rapide Folge von Auftritten in zum Teil lächerlicher Entstellung (groteske Perücken, übertriebene Akzente, grelle Kostüme, …). Auf Pointe getrimmte Vignetten, aus denen kein Zusammenhang, ja nicht einmal eine verlässlich unterscheidbare «star persona» entsteht, sondern ein Irrwisch mit flüchtiger Identität. Ein paar Momente dieser Bewegung ragen als besonders markant heraus: der junge Fernseh-Executive und Anti-Slacker-Yuppie Michael Grates in Stillers Regiedebüt Reality Bites (1994), das Model mit dem Magnum-Trademark-Blick Derek Zoolander (in zwei Clips der VH1 Fashion Awards und dem daraus hervorgehenden Kinofilm Zoolander, 2001), der Ejakulat als Haarcreme tragende Chaot Ted in der Komödie, mit der die Farrelly-Brüder ihren Durchbruch schafften (There’s Something About Mary, 1998); der Angstneurotiker in Adidas-Trainingsanzügen Chas Tenenbaum, der am Ende von The Royal Tenenbaums (Wes Anderson, 2002) neben Owen Wilson auf dem Boden liegt und seinen Kontrollzwang hinter sich lässt («I think I need help»); der verklemmte Schwiegersohn Gaylord «Greg» Focker in der Komödie Meet the Fockers, die inzwischen zu einem Franchise geworden ist; der «Fitnessfaschist» (so ein dazugehöriger Faneintrag in der IMDB) White Goodman in der Komödie Dodgeball. A True Underdog Story (2004); Larry Daley, Nachtwächter in einem Naturhistorischen Museum in dem Kinderfilm-Franchise Night at the Museum (2006 und 2009); der steroide Actionstar Tugg Speedman in Tropic Thunder (2008), einer Parodie auf Francis Ford Coppolas Apocalypse Now! und die Konventionen des Kriegs- und Berserkerfilms; und nun noch Roger Greenberg, zu dem eine ganze Menge der Wege führen, die Ben Stiller bisher begangen hat, und der doch auch wieder eine Abzweigung darstellt, eine Wende ins ausdrücklich und übertrieben Selbstreflexive, die sich durchaus auf die deutlicher sichtbaren Anteile von Stillers Starpersönlichkeit beziehen lassen.

Kindischer Narzissmus, unterdrückte Sexualität, latente Queerness ziehen sich motivisch durch viele Filme, diesem Typus unintegrierbarer Lebensfremdheit steht auf einer systemischen Ebene gegenüber, dass Stiller sich allem Anschein nach sehr bewusst (und so uneitel, dass er sich bei «casting shakeups» auch als Zweitbesetzung auf Rollen einlässt, wie bei Greenberg) in einem sehr differenzierten Feld bewegt: Es gibt wohl keinen anderen Schauspieler, der mit den Farrellys, Wes Anderson, David O. Russell, Edward Norton (als Rabbi Jake Schramm in der Konfessionskomödie Keeping the Faith), Adam McKay und Jay Roach gearbeitet hat, und – in der Fernsehserie Undeclared – auch mit Judd Apatow, der in diesem Feld die Rolle des Auteurs besetzt hält.

Stiller hatte seinen eigenen Auteursmoment früh, und er brachte es mit sich, dass er kein Auteur im geläufigen Sinn wurde, also kein Regisseur, der sich mit einer individuellen Handschrift in eine industriell geprägte Filmproduktion einschreibt. The Cable Guy (1996) ist die Geschichte eines Kabelmonteurs namens Chip Douglas, der aufgrund seines Berufes nicht nur Zugang zu Wohnungen bekommt (wo er die Empfangsgeräte für Fernsehsender repariert), sondern damit auch Zugang zu einem kulturindustriell überformten Imaginären, das sich der «cable guy», der zuerst nur ein aufdringlicher Kerl ist, allmählich zu eigen macht. Er lebt in und mit Sendungen und Filmen, er steht für Technologie, die auf wahnhafte Weise «content» schafft, ohne dass noch eine gestaltende Instanz dazwischen wäre. The Cable Guy zeigt, wo die mediale Verwertungskette endet: in einem Gehirn, das auf Feedback geschaltet ist.

Infantilwesen

Wie sehr dieser Film damals die Fans und die Industrie verstört haben muss, erhellt sich nebenbei aus dem Detail, dass von dem Drehbuchautor Lou Holtz jr. danach kein weiterer Credit überliefert ist (Judd Apatow, der damals schon im Spiel war und das Drehbuch maßgeblich überarbeitete, klagte auf einen Autorencredit und verlor). Für Stiller und für den Hauptdarsteller Jim Carrey aber resultierten aus den Erfahrungen mit The Cable Guy zwei nicht unähnliche Karriereprofile: der deutlich exponierter arbeitende Körperkomiker Carrey (der nie besser war als in Me, Myself & Irene von den Brüdern Farrelly, 2000) fand zumindest einmal in Eternal Sunshine of the Spotless Mind (2004, von Michel Gondry und Charlie Kaufman) eine reflexive Rolle, kommt aber von seinem Image als feixendes Infantilwesen nicht los. Bei Stiller wirken die Konzessionen an den Mainstream besser integriert, zunehmend tauchen nun auch Projekte auf seiner Agenda auf, die wie durch einen Tauschhandel mit dem Studiosystem erkauft wirken – so firmiert sein Name zuletzt gelegentlich im Zusammenhang mit The Trial ofthe Chicago 7, in dem es um das Gerichtsverfahren gegen sieben linke Oppositionelle nach den Unruhen am Rande des Wahlkonvents der Demokratischen Partei in Chicago 1968 gehen soll. Das Drehbuch stammt von Aaron Sorkin (The West Wing), als ein Hauptdarsteller wird Sacha Baron Cohen (!) genannt, und Stiller könnte Regie führen, nachdem Steven Spielberg lange Zeit für diese Position vorgesehen gewesen war. Das alles sind Indizien für eine gezielte und gelungene Erweiterung der kreativen Möglichkeiten, die jedoch von einer anderen interessanten Frage wegführen: Wer ist Ben Stiller als Schauspieler wirklich?

In Greenberg hat er die Muskeln, die er als Tugg Speedman gebraucht hatte, wieder heruntertrainiert, es gibt zum ersten Mal ein Bewusstsein für den Alterungsprozess, die introvertierte Körperhaltung (Schultern gebeugt, Füsse nach innen gerichtet, Frisur wächst fast schon über das Gesicht) führt ihn dabei eher zurück in der Evolution der Gattungen als nach vorn in Richtung Übermensch. Luc Moullet hat in seiner Studie über eine Politique des Acteurs versucht, die Autorenpolitik der französischen Kritik auf Schauspieler zu übertragen: Gary Cooper, John Wayne, Cary Grant und James Stewart. In dem Kapitel über Grant gibt es einen kurzen Passus über «Zoomorphisme», über Momente der Tierförmigkeit, genauer müsste man wohl sagen: der Tiermorphisierung. Die Idee kommt von den berühmtem Hawks-Komödien wie Bringing Up Baby oder Monkey Business her, sie läuft darauf hinaus, dass Cary Grant sich zum Affen macht (oder, das geht bei Moullet an dieser Stelle ineinander über, zum Indianer). Bei dem «Zoolander» Ben Stiller gibt es diesen Zoomorphismus einerseits manifest dort, wo für ihn nachts im Museum die ausgestopften Wesen lebendig werden, auf einer versteckteren Ebene zum Beispiel dort, wo er versucht, sich auf die kalkulierte Verwilderung der Fockers einzulassen, und schließlich auch in Greenberg, wo die Hauptfigur unter zuviel Bewusstsein leidet und sich nach einem Nichtstun sehnt, wie es in der modernen Welt nur noch Haustieren vorbehalten ist. Die Hundehütte, die er baut, ist im Grunde für ihn selber. Bezeichnenderweise wird in demselben Film der Hund krank, und es gibt eine Menge für ihn zu tun – die Autoimmunerkrankung des Tieres, das für die Familie seines Bruders viel wichtiger ist als Greenberg selbst, spiegelt die Neurose der männlichen Hauptfigur, die eine Nebenfigur im eigenen Leben sein möchte.

In der zeitgenössischen amerikanischen Komödie ist das Zoomorphe zu einem wichtigen Motiv geworden (von Jim Carreys Rolle als Tierdetektiv Ace Ventura bis zu Charlie Kaufmans Versuchen über die menschliche Natur, nicht zu vergessen die vielen Animationsfilme, in denen Stars Tieren eine Stimme geben). Ben Stillers Karriere verläuft – wie auch der Film Greenberg – in die Gegenrichtung: heraus aus einem Stadium permanenter Regression, heraus aus den transgressiven Naturalisierungen, auf denen die Komik vieler Filme beruht, in denen er mitgemacht hat, ohnehin sehr oft eher als Spielball und nicht so sehr als Alphatier. Wenn er sich gelegentlich zum Affen gemacht hat, war das eher eine Überlebensstrategie, Mimikry in einem Bestiarium: Eigentlich aber ist Ben Stiller der Schauspieler des einsamen, melancholischen Bewusstseins in einer nachanthropozentrischen Welt. Wenn Mark Ruffalo nicht für Greenberg abgesagt hätte, wäre das noch ein wenig länger sein Geheimnis geblieben. Irgendwann aber musste es doch heraus. Ohne Urschreitherapie.