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Amerikanisches Abenteuer Um fantastisch zu sein, muss man Stil haben: Über das Werk von Wes Anderson

Von Ryland Walker Knight

The Life Aquatic with Steve Zissou (2004)

© American Empirical Pictures

 

Es gibt viele Definitionen der Philosophie, und jedes philosophische Werk ist selbst wieder seine eigene solche Definition. Für manche ist Philosophie das Schaffen von Begriffen. Für andere das Ausrichten von Denkhorizonten. Für die meisten eine durch und durch ernste Angelegenheit. Für Nietzsche eine fröhliche Wissenschaft. Und für jedermann sollte gelten: es muss ums Leben gehen dabei. Denn Leben, dafür sind wir hier. Wes Anderson findet Philosophie in der Komödie, so sieht er das Leben: körnchengroß und kosmisch zugleich, in jedem Fall etwas zum Lachen – und ein Abenteuer. Der Gipfelpunkt dieser (ja) Philosophie findet sich gegen Ende von The Life Aquatic with Steve Zissou, wenn an einem Ende (von mindestens drei Enden) unser Held Steve da sitzt und resümiert: «Dies ist ein Abenteuer.» Jeder Anderson-Film bekräftigt das: Bottle Rocket ist ein (kein) Road Movie, ein buchstäblicher Pfad ins Erwachsenenleben, der kein Ende finden wird oder kann, es gibt einzig Abzweigungen, Gabelungen; Rushmore zeigt das Abenteuer der Adoleszenz als ständiges Kostümieren, zeigt die Kriegsbemalung unserer Seele in diesem bitteren Lebensabschnitt; das Kostümieren setzt sich fort und Kostüme machen Leute in The Royal Tenenbaums, aber dieser Film ist, letzten Endes, eine häusliche Abenteuerreise zurück ins Leben, bei der es darum geht, dass der Tod wieder zählt. The Life Aquatic führt uns eine clowneske Truppe mit Liebe zum Detail vor, spielt auf einem Boot, und mit Grund; The Darjeeling Limited ist, wie Bottle Rocket, eine Eskapade ohne Endpunkt, ein Eisenbahnfilm ohne feste Schienen; und Fantastic Mr. Fox ist buchstäblich ein Tunnelblick, aufs Überleben fixiert. Jede dieser Geschichten transportiert Frachten, ist voller Dramen ebenso wie Gelächter, aber so gehen eben Geschichten. Es gibt keine Geschichte ohne Hürden. Aber Wes Andersons Abenteuer sind Komödien. Er ist ein Freund der Verrücktheit. Denn jede falsche Entscheidung trägt ihr Gegenteil in sich, und Dialektik ergibt einen prima Witz: Sinn, der durch Unsinn entsteht. Jacques Tati, selbst ein Gipfel der Komödie, sagt: die Komödie ist der Gipfel der Logik.

Immer nur ausatmend

Bei Tati freilich war, seinen Winkeln zum Trotz, nichts im Lot. Wes Anderson ist bekannt (berühmt sogar) für seine geometrischen denkgerahmten Bilder, und zwar von Anfang an. Bottle Rocket, obgleich wohl wirklich lockerer gestrickt als jeder der folgenden fünf Filme, erweist sich doch als komponiert, ein Muster der Planung, in dem jedes Detail seine eigene Welt organisiert. Eine Einstellung früh im Film zeigt uns den angstgeschüttelten Protagonisten Anthony (Luke Wilson, immer nur ausatmend), der sich bei einem Überfall die Zeit nimmt, eine Soldatenfigur akkurat mit der Truppe, zu der sie gehört, auszurichten. Und natürlich stümpern diese Möchtegernkriminellen ihren Weg aus der Geschichte, in die sie geraten sind, wieder heraus. Der selbsterklärte Mastermind Dignan (Owen Wilson grient und blinzelt besser als irgendeiner seit den 40er Jahren) denkt, dass Atemhilfsklammern auf dem Nasenrücken eine prima Verkleidung sind; Dignan ist ein Junge, kein Dieb; er sucht nur den Kick, ein bisschen Feuerwerk. Wo aber Bottle Rocket anspringt und wieder abgewürgt wird, eine passende Um- und Abwegstruktur für einen ersten Film über Ziellosigkeit, da wird Andersons eigener Stil mit jedem weiteren Film geschlossener, dichter, wenngleich nicht bis zur Nahtlosigkeit. Ja, eines der Vergnügen, das diese Filme bereiten, liegt darin, sie immer wieder aufreißen und ausfransen zu sehen.

Ein großer Teil eines Wes-Anderson-Films besteht darin, Pläne scheitern zu sehen – Pläne, die die Figuren schmieden, Pläne des Plots und des Erzählens, Pläne, die für die Zuschauer explizit auf der Leinwand ausgebreitet werden, schriftlich oder im Dialog oder beides. Aber dieses Scheitern ist eigentlich nie wirklich furchtbar. Sogar da, wo jemand stirbt, kommt ein Scherz dazwischen, gibt es in der Situation einen weiteren Dreh. Nichts steht fest, die Dinge passieren einfach. Man muss auf dem Absprung bleiben, in der Erwartung, dass etwas, dass irgendetwas geschieht. Am deutlichsten wird das wieder in The Life Aquatic, einem aus jeder Verankerung gerissenen, dem freiesten Anderson-Film: auch hier gibt es Versteifungen, rechte Winkel und Querschnitte, aber er besitzt auch eine Mischung von Formaten (Realfilm vs. Stop Motion, Breitleinwand vs. Quadrat, Land vs. See) und eine beweglichere Kamera, ganz zu schweigen von Bill Murrays zentraler Jetzt-ist-alles-egal-Strategie (oder -Performance). Nichts hält in diesem Film dicht. Steve Zissou hat sein Publikum verloren, auch seine Antriebskraft, denkt man, obwohl er noch am Bild seiner selbst in der Welt festhält. Zissou will, wie jeder Anderson-Protagonist, seine Geschichte auf seine Art erzählen, seinen eigenen Song über sich singen, aber bei all seinen Bemühungen verhakt sich was.

Eine Fluoreszenzversion Moby Dicks

Er verliert seinen besten Freund, seinen Sohn, der nicht sein Sohn ist, seine Frau (wenngleich nicht für immer), seinen Hubschrauber, seinen Hund, der kein Hund ist, er fällt die Treppe runter und kann niemanden erschießen, es sei denn aus Zufall. Steve sagt, dass er Väter hasst und nie einer sein wollte, bis ein junger Mann auftaucht, der behauptet, sein Sohn zu sein – aber dann erfahren wir, dass dieser sogenannte Sohn nicht von Steve sein kann, weil Steve nur «mit Platzpatronen schießt» als tauchbeschädigter Mann. Steve sagt am Anfang des Films, er suche Rache, Wiedergutmachung für diesen besten Freund Esteban (Seymour Cassel, dessen Anblick immerdar das Bild seines Freunds Cassavetes heraufbeschwören wird), aber statt seinen Jaguarhai (eine Fluoreszenzversion von Moby Dick) zu erlegen, oder von diesem getötet zu werden, sieht er ihn einfach nur an. Steve nennt Alistair Hennessey seine Nemesis, beschimpft ihn als vollendeten Blödmann, dann rettet er ihm mit einem Schulterzucken das Leben. Auch sehr lustig: Steve inszeniert seine Dokumentarfilme. Alles eine Erzählung, oder doch eher nicht. Das Reale ist falsch, gefälscht.

 

Fantastic Mr. Fox (2009)

© Fox / American Empirical Pictures

 

Wenn etwas unbefriedigend bleibt an Fantastic Mr. Fox, dann, dass er in einer Weise narrativ ist wie kein Film von Anderson davor: die Rollen vergeben, die Ziele erreicht. Obwohl der Held seine Fehler hat und ein bisschen ein Depp ist (wie eigentlich alle von Andersons Vaterfiguren), ist er doch von Anfang bis Ende der Held, mit dem Auftrag, den Kleinen zu retten; die bösen Jungs dagegen sind die bösen Jungs, mit der Absicht, den Kleinen zu töten. Und das heißt, dass wir hier zum ersten Mal wirklich das Böse erleben, nicht nur Bosheit, in einem Anderson-Film – und das jetzt in seinem «Kinderfilm», was ich amüsant finde und lehrreich, aber auch etwas irritierend. Ein Teil dieser säuberlichen Bösartigkeit stammt aus der Vorlage und von ihrem Autor, Roald Dahl, der niemals eine Welt frei von monströsen Taten entwarf. (Dahl verachtet an erster Stelle Tyrannen, all jene, die es auf die Vernichtung des Individuums absehen, was vielleicht erklärt, warum Anderson ausgerechnet ihn nun verfilmt hat.) Und doch stammt ein Teil dieses allzu einfachen Gifts von Andersons Wunsch, nichts zu verkomplizieren, und also den Versen zu folgen, mit denen der Film (der mit dem Bild des Buches beginnt) und das Buch selbst beginnen:

Boggis and Bunce and Bean

One fat, one short, one lean,

These horrible crooks,

So different in looks,

Were none the less equally mean.

Zu einem Cartoon passt es, irgendwie, dass die Bösen absonderlich sind, und ganz schön dumm, oder jedenfalls nicht so schnell und schlau wie Fox; und das macht den Gegensatz für Kinder genießbarer, die, wie das Marketing zeigt, die Zielgruppe des Films darstellen. Keiner mag einen Tyrannen, am allerwenigsten Kinder. Aber diese Schurken sind halt auch leichte Ziele – für Fox und für Anderson –, ihre Sonderbarkeiten machen sie zur Zielscheibe fast allen Spotts, was zur Eselrolle passt, die ihnen zugedacht ist. Im Gegenzug zur Vereinfachung auf der Seite der Menschenfiguren sind die Tiere jedes für sich einzigartig, jedes hat einen Beruf und eine Befähigung – aufgezählt in der zweiten Rede des Mr. Fox (sein Alles-oder-nichts-Plan), lateinische Bezeichnungen inklusive. Es ist eine einfache Methode, die Bedeutung von Unterschieden in der Welt vorzuführen, und zu zeigen, wie jede dieser natürlichen Rollen (anders als die Menschen in ihren entschieden unnatürlichen Rollen als Bauern, jeder in diesem Schurkentrio ein Ausbeuter von Feld und Natur) dem, der sie spielt, die Freiheit gibt, seinen eigenen singulären Abdruck zu hinterlassen. Und doch ist ausgerechnet The Fantastic Mr. Fox, ein so ausdrücklich an Freiheit interessiertes Werk, der geometrischste, das heißt auch der starrste aller bisherigen Anderson-Filme.

Man sieht wirkliche Dinge

Die Starrheit beginnt mit der Stop-Motion-Animation. Zwar bewegt sich Fox mit Eleganz durch seine Tableaus, das Ruckartige der Stop-Motion bleibt dennoch unvermeidlich. Es sind aber die Erschütterungen, die man im Bild sieht, die Erinnerung an die menschlichen Hände, die den Film geformt haben, und man erkennt ihre Fingerabdrücke im Pelz (oder auf der Haut) einer jeden Figur; wenn es Schmierflecke gibt, sind sie frisch. Soll heißen: Stop-Motion besitzt Materialität in drei Hinsichten, die gezeichnete Animation (und ihre digitale Verwandschaft) tut dies schlicht nicht. Es handelt sich um reale Figuren, die von einem Kader zum nächsten modelliert und von Hand bewegt werden. Man sieht die Spur der Produktion in jedem einzelnen Bild – etwa wenn ein Schnurrbart aus keinem anderen Grund zittert, als dem der Unvollkommenheit dieser Technik. Anders gesagt, man sieht wirkliche Dinge, nicht nur Farben mit Umrisslinien oder computergeschaffene Formen, die dann animiert werden. Animation heißt schließlich nichts anderes, als das Beleben der Bilder. (Ja, man kann natürlich sagen, das ist ohnehin die ewige Aufgabe des Kinos.) Und doch bleibt es alles ein Kunstgriff: Stil, manifestiert. (Andersons Stil ist natürlich untrennbar verbunden mit einer Reihe von Dingen: dem Rahmen, das heißt der Komposition der Breitleinwand und was immer er da hineingestopft kriegt; Reißschwenks und abrupten Schnitten; kräftigen Farben, im Bild koordiniert; Einstellungen mit frontalen Inserts, oft ein Diagramm oder ein hingeworfenes Stück Information; Text auf der Leinwand; und, obwohl nicht in Fox, überlegte, genüssliche Zeitlupen.) Manch einer sagt, das sei es dann schon mit Anderson: leerer Stil. Aber das ist eine zu einfache Reaktion, und sie ignoriert auch sträflich, oder unterschätzt jedenfalls nicht nur den Inhalt, der durch diesen Stil geformt wird, sondern auch die Rolle des Stils überhaupt. Wenn man sagt, dass Stil eine Form des Arrangements ist, kann man vielleicht weiter sagen, dass er auch eine Form des Lebens ist und, genau deshalb, eine Form von Philosophie, mithin noch einmal eine Lebensform eigenen Rechts. Und wenn wir den Hinweisen von Mr. Fox folgen, muss man, um fantastisch zu sein, Stil haben. Sein Elan, nicht seine Schwächen, geben den Seinen Leben und Kraft – seiner Frau, seinem Sohn, seinen Freunden, uns.

Womit wir bei den Sprechern wären. Georg Clooney ist die Stimme von Fox und ein großer Teil dieses Elans (mit den Marotten, mit den Wunden) verdankt sich seiner Leistung. Es ist ganz unverkennbar die Stimme von Clooney, so wie Fox’ Sohn Ash unverkennbar die Stimme von Jason Schwartzman und Fox’ Anwalt unverkennbar die von Bill Murray hat. Meryl Streep, als Mrs. Fox, klingt wie Meryl Strep, aber Meryl Streep klingt nie nur nach etwas Singulärem; sie ist die Vielfalt selbst. Das heißt, es handelt sich um Filmstars – amerikanische Filmstars. Tatsächlich werden alle Tiere von Amerikanern gesprochen. Der Film spielt jedoch in Großbritannien und alle Menschen werden von britischen Darstellern synchronisiert (der berühmteste darunter ist Michael Gambon als Bean). Diese strenge Segregation, dazu die Loyalität mit den sogenannten wilden Tieren, setzt ein altes philosophisches Thema fort, das Anderson immer schon interessiert: Der Abenteurer bei Anderson hat etwas sehr spezifisch Amerikanisches. Schließlich, oder zuerst, trägt seine Produktionsgesellschaft den Namen American Empirical. Allerdings ist das Amerika Andersons mehr ein Konzept als ein wirklicher Ort. Was den Status von Fox als Amerikaner, gesprochen von Clooney und im Eröffnungssong gefeiert als Nachkomme von Davy Crockett (oder mindestens gibt es eine Verbindung im Geiste mittels eines, so heißt das im Film, «walk sonic»-Radios), jenes prototypischen amerikanischen Forschungsreisenden, umso ausdrücklicher macht. Fox ist, mit Emerson gesprochen, ein Fall von self reliance und gibt sein bestes, seiner Selbstverfassung zu folgen – als Fuchs, als wildes Tier niemandem Untertan; mit Stanley Cavell gesagt: Fox will die Welt, und er will sie ändern. Anders gesagt: Fox widerspricht sich, wie alle von Andersons Amerikanern, und bewegt sich bei jeder Gelegenheit in zwei Richtungen zugleich.

– Was ist Amerika, wenn nicht ein Durcheinander der Widersprüche? Amerika ist eine Idee, sagt Cavell, ein zweifellos fiktionaler Ort; ein Ort des Strebens, wie unsere Verfassung gelobt und behauptet; ein Ort, an dem dies Streben auf Glück zielt; und weil der Ort von Menschen geschaffen ist, scheitert dies Streben nur zu oft. Anderson aber predigt, wie Emerson, Fröhlichkeit im Angesicht von Tragödien wie Tod und Verlust und gescheiterten Träumen. Nietzsche, der Emerson folgte, sang von Freude und Immanenz – aber nicht ohne das Gegenteil, Leid –, um den Schmerz kommt keiner herum. Doch, die Dinge passieren einfach, hören nicht auf zu passieren. Amerika sucht noch immer seine Bestimmung, hört nicht auf, seine Bestimmung zu suchen. Es ist ein Mythos. Andersons Amerika ist natürlich gleichfalls ein Mythos. Sein New York zum Beispiel, man sieht es in The Royal Tenenbaums (und kurz in The Darjeeling Limited), ist eine Fantasie – aber ist das New York nicht sowieso in gewissem Maß? – voller Scherznamen wie der 375th Street Y und voller illegaler Taxis mit Kartonfenstern und der Aufschrift «illegales Taxi» auf den Türen.

The Darjeeling Limited, ein unterschätzter Jux zum Thema ahnungsloser Tourismus, macht den Amerikaner als Abenteurer ganz ausdrücklich zu seinem Gegenstand. Es ist der riskanteste von Andersons Filmen, auch der mit den meisten Problemen, aber er hört nicht auf, mich zu faszinieren, gerade weil er sich für diese amerikanischen Jungs interessiert, die auf ein Unbekanntes zurasen in der Hoffnung auf Heilung. Lernen im engeren Sinn tun sie nichts, und ein Ende im engeren Sinn nimmt der Film auch nicht, aber er spielt mit dem Feuer und das Abenteuer geht weiter. Das ist das Anderson-Ethos: Mach dich ran an die Welt, amüsier dich und dreh dich niemals um; du bist hier mit anderen Menschen, also bemühe dich, sie zu hören, aber höre zuerst, was du selbst zu sagen hast. Zum Glück ist dies Leben so lang, wie es kurz ist, und du kannst dir die Zeit nehmen, dein eigenes Lied zu finden, sei es auf der Bühne oder in einem Zug oder auf einer Leinwand, im Kino.