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Episode Six Feet Under, Staffel 1, Episode 12: «A Private Life»

Von Birgit Kellner

Los Angeles, außen, Nacht. Bildschirmfüllend das Gesicht eines jungen Mannes, konzentriert (Geldautomat). Über seiner Schulter taucht das Gesicht eines zweiten auf, ein hübscher Blonder. Lächeln, Flirten, laszives Geturtel, von der Kamera umkreist. Dunkle, leere Straße. Ein Auto kommt näher, dumpfe Bässe, Anzeichen urbanen Unheils. Zwei Kerle steigen aus. Glauben die beiden wirklich, in der Öffentlichkeit ihren perversen Scheiß aufführen zu können? Drohgebärden. Die Jungs versuchen wegzulaufen; der hübsche Blonde verliert im Lauf sein Mobiltelefon, hebt es auf. Der Verfolger erwischt ihn, schlägt ihn nieder. Tritte, auch ins Gesicht, ein letzter auf den Kopf. Fuckin’ Pervert. Mörder laufen weg. Weißblende, Schriftzug: Marcus Foster Jr. (1978-2001). Schnitt und zurück zum Hauptschauplatz von Six Feet Under (kurz SFU), der durch den Unfalltod des Vaters zu Beginn der Serie erschütterten Familie Fisher, Bestattungsunternehmer. Eine Familie von sublimer Traurigkeit, getragen vom Verschweigen, und das ist in A Private Life denn auch sehr explizit Thema.

David Fisher (Michael C. Hall) hat seiner Familie noch nichts von seiner Homosexualität gesagt, was auch seine heimliche Beziehung mit dem Polizisten Keith (Mathew St Patrick) letztlich zerstört hat. Er hat jetzt viel anonymen Sex, der in Episode 11 amtsbekannt wurde (in Las Vegas von Polizisten beim Fick mit einem Prostituierten im öffentlichen Raum erwischt). Wie alle anderen auch weiß Mutter Ruth (Frances Conroy) freilich längst um Davids Geheimnis und wünscht sich nichts mehr, als dass sich ihr Sohn ihr anvertraut. Davids coming out ist aber nur ein Thema in mehreren, teils parallel, teils eng verknüpft geführten Erzählsträngen dieser Episode. Claire Fisher (Lauren Ambrose), die rebellische Tochter, steht ihrem Freund Gabe zur Seite, der gerade eine Überdosis gerade noch so überlebt hat, und schafft es im Verlauf der Episode immerhin, ihre Ängste dem Schulpsychologen gegenüber auszusprechen. Brenda Chenowith (Rachel Griffiths), die Freundin von Davids Bruder Nate (Peter Krause), wirft ihren psychisch kranken Bruder Billy (Jeremy Sisto) raus, nachdem er seine Medikamente abgesetzt hat und seine Eifersucht auf Nate immer bedrohlicher äußert (Bombenbau, Eindringen in Hotelzimmer, Fotos des schlafenden Paars). Als Nate Brenda nahelegt, sie solle Billy in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen, schickt sie ihn kurzerhand auch gleich zum Teufel (wenn auch nur vorübergehend). Billy rastet gegen Ende der Episode endgültig aus und versucht, Brenda eine für ihr intimes geschwisterliches Naheverhältnis stehende Tätowierung herauszuschneiden. Sie kann ihn überwältigen und entscheidet sich schweren Herzens am Ende doch dafür, die Einweisungspapiere zu unterzeichnen.

In SFU beginnt jede Episode mit einem Todesfall; das ist ein Markenzeichen der Serie. Mitunter dient dieser oft recht groteske Tod der Erzählung nur als arbiträr gesetzter Beginn; die Vorbereitung und Abhaltung des Begräbnisses gibt den Folgen dann einen äußeren Rahmen, der mal mehr, mal weniger geglückt auch die Stadt Los Angeles als soziales Gebilde in die Serie trägt. In A Private Life trifft das hate crime an einem jungen Schwulen dagegen unvermittelt auf Davids coming out-Dilemma, das durch Davids tief empfundene Religiosität eine eigene Qualität erhält. Dieses Aufeinandertreffen wird dazu genützt, Davids inneren Konflikt darzustellen und seinen Ausbruch nach außen zu katalysieren (von einer Lösung kann natürlich keine Rede sein). Das geschieht in einer besonderen Form, die in späteren Staffeln als Muster mit Variationen wiederkehren wird: der über mehrere Szenen ausgebreitete Dialog mit der reanimierten Leiche. Er wird hier im kalten Licht des Leichenkellers geführt, während David den Leichnam für das «viewing» im offenen Sarg präpariert – angesichts der schweren Schädelverletzungen bei Gott keine leichte Aufgabe, doch Marcus’ Mutter hatte einen geschlossenen Sarg abgelehnt, war ihr Sohn doch so hübsch gewesen. Der reanimierte Marcus sitzt also mit all seinen Blessuren da neben sich als Leiche und bekennt als grotesk überzeichneter Kontrapunkt zu Davids dressierter Ernsthaftigkeit, er, Mark, habe in seinem Leben versagt, indem er der Krankheit Homosexualität nachgegeben habe. Gott stellt uns doch mit Homosexualität auf die Probe. Gott möchte, dass wir das Gute wählen, über das Böse triumphieren. Was, Homosexualität sei keine Wahl? Nichts als Ausreden für (Davids) eigene Verkommenheit. No matter how nice you fix me up, I’m still going to hell, and so are you. Eine Provokation, die präzise in den Kern von Davids Schuldgefühlen trifft.

Einen christlichen Schwulen in Kalifornien im inneren Konflikt darzustellen, das kann leicht holzschnittartig geraten. Auch die Inszenierung von Marcus Fosters Begräbnis in A Private Life ist gar holzschnittartig angelegt – hier die trauernde Familie, begleitet von sich solidarisierenden Schwulen (und den Fisher-Brüdern), aufgeklärt und zivilisiert, dort hinter einer Absperrung eine Gruppe aus fetten, stiernackigen Demonstranten mit «God hates fags»-Transparenten. Das ist ärgerlich platt, aber wenigstens nur Kulisse für einen Ausbruch des so zurückhaltenden David. Als ein Stiernacken stolz hinausposaunt, Gott selbst habe Marcus Foster getötet, und das gelte es zu feiern, haut ihm der doch recht schmächtige David ordentlich eine rein und brüllt: Look, God just got you in the face!

Es gibt viele kleine Brüche in SFU, durch solche überraschende Gesten mit Witzeffekt, und nicht zuletzt auch durch eine von der Verkorkstheit der Fishers gefütterte Absurdität des familiären Gesprächs – ganz groß dabei immer: David und seine Mutter Ruth, in A Private Life in einer Abendessen-Szene noch vor dem coming out und dann später im auch nicht gerade erwartungsgemäß ablaufenden coming out mit dem schönen Schlusssatz «We’re having veal.» Ob solche Brüche das mitunter reichlich Platte an SFUtatsächlich aufwiegen, darüber ließe sich, gerade auch am Beispiel von A Private Life, gut streiten. Die Vielschichtigkeit der Serie trägt mit Sicherheit zumindest dazu bei. In A Private Life wird neben Davids Herauskommen eben auch noch Billys Durchdrehen abgehandelt – zwei wohl nicht zufällig nebeneinander gestellte Bewegungen von Innen nach Außen, die Billy und David vorerst nicht weiter bringen als in neue und neu gestaltete Innenräume: Billy in die Klinik, David in sein Zimmer, wo ein letztes Gespräch mit Reanimationsmarcus David an seiner Einsamkeit verzweifeln lässt.

Six Feet Under, Staffel 1, Episode 12, «A Private Life» (2001)