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Soundtrack: Serge Gainsbourg

Von Hans Gerald Hödl

Serge Gainsbourgs Histoire de Melody Nelson, eine Arbeit aus den ersten Jahren der Verbindung mit Jane Birkin, wird oft als Reflexion auf diese Beziehung gelesen, darf die 25-jährige Mutter doch einige Male den titelgebenden Namen sprechen oder singen und am Cover als 60er-Jahre-Lolita posieren. Musikalisch aufgrund der Zusammenarbeit mit Jean-Claude Vannier herausragend, wird die 28-minütige Suite formal meist als Konzeptalbum gehandelt: wohl, weil Gainsbourg statt bloßer Musikstücke Szenen aneinanderreiht, die eine simple Geschichte ergeben. In seinem Rolls Royce Silver Shadow in eine unbekannte Gegend geraten, verfällt ein Mann in eine Meditation über die Kühlerfigur «Spirit of Ecstasy» – silberne Venus, Prinzessin der Finsternis, verfluchter Erzengel – , aus der ihn ein Unfall reißt. Das von ihm angefahrene Mädchen, 14 Herbste und 15 Sommer alt, stellt sich vor als Melody Nelson. Es folgen Verführung in einem herrschaftlichen Haus und der Tod der Minderjährigen bei einem Flugzeugabsturz. Die Erzählstruktur wird durch den Einsatz der Stimme markiert: Gainsbourg singt nur die Stücke 2-4, Hommagen an respektive Gespräche mit Melody. Der fünfte Track, Schilderung des Ortes der Verführung, bringt 4 Vierzeiler, von denen nur der letzte Vers gesungen wird. Das ergibt einen ähnlichen Steigerungseffekt wie im ersten Titel durch Einsatz von Chor und Streichern vor dem Unfall, diesfalls in der Umarmung gipfelnd. «En Melody» (6), ein treibend-funkiges Instrumental, in das piepsige Laute einer comichaft verzerrten Mädchenstimme eingesprenkelt sind, stellt wohl den zentralen Akt des Geschehens dar. Das Stück bricht ab und Gainsbourg erzählt vom Tod der Geliebten. Gerahmt ist das Ganze durch zwei längere poetische Reflexionen, die jeweils vor demselben musikalischen Hintergrund rezitiert werden. Erinnert die anfängliche Introspektion Umstände des Unfalls, der zum Auffinden des Mädchen führt, meditiert der Schluss dessen unfallbedingten Verlust. Mittels einer Allusion auf die pazifischen Cargo-Kulte wird Melody’s toter Körper zum kostbaren Frachtgut stilisiert, Anspielungen auf die Sirenen des Meeres schlagen die Brücke zur erotischen Göttin «Spirit of Ecstasy». Schlussendlich entsteht ein privater Cargo-Kult, das nächtliche Gebet um einen Flugzeugabsturz, der Melody zurückbringt. So konnotiert die Hommage an das zuvor noch von keinem Mann umarmte Mädchen das Thema von Finden und Verlieren. Die Cargo-Kulte, mit ökonomischem Verlust und Gewinn beschäftigt, dienen wie die Unfallsszenarien als Metaphern für die Suche nach dem reinen Objekt der Begierde, dessen Besitz unweigerlich zu dessen Verlust zu führen scheint.

Das Album Histoire de Melody Nelson von Serge Gainsbourg taucht häufig in Soundtracks auf, aktuell in Greenberg von Noah Baumbach. Das neue Biopic Gainsbourg (Vie héroïque) von Joann Sfar soll im Juli in Deutschland starten