spielfilm

Später Schrader

Von Simon Rothöhler

Auto Focus (2002)

© Sony Pictures Classics

 

Späte Werke sind nicht nur deshalb «spät», weil ein Autor, ein Regisseur, ein Künstler irgendwann einfach älter und alt wird und auf ein angewachsenes Korpus an Arbeiten zurückblicken kann, das einzuteilen, in Phasen zu gliedern ein beliebtes Spiel der Kritik, der Filmgeschichtsschreibung ist. Die Kategorie «Spätwerk» führt stets auch Konnotationen der Altersweisheit, der rückblickenden Melancholie mit sich. Jemand zieht eine Summe, findet zu einer bestimmten Form retrospektiver Klarheit, bündelt noch einmal Motive, die ein Werk erst zu etwas machen, das in sich ein Moment der Kohärenz trägt. Mit anderen Worten: es handelt sich um eine durchaus traditionalistische Kategorie, eine Trope jenes Auteurismus, den Schrader – besonders explizit in seinem Essay über Budd Boetticher – stets relativiert sehen wollte.

Dass er dabei als Filmkritiker selbst immer wieder bei Regie-Persönlichkeiten wie Ozu, Dreyer und eben Boetticher landete, deutet aber schon an, dass es eben doch produktiv sein kann, einen Werkzusammenhang über eine unterstellte Autorenposition zu lesen – zumal, wenn dies in Distanz zu biografistisch verengten Deutungsmustern geschieht, die in Schraders Fall regelmäßig auf einen durchgerüttelten Calvinismus hinauslaufen; auf ein Narrativ, in dem die Entwicklung einer «Handschrift», noch so eine Trope, auf die Geschichte einer individuellen Säkularisierung zusammenschrumpft: weich geworden unter der kalifornischen Sonne eines hedonistischen It-Milieus, gepriesen sei New Hollywood.

Das Interessante an Schraders Autorenposition hat mit einer durch exzessive Poolpartys weggefeierten Religiosität deutlich weniger zu tun, als mit einem ständigen, unterschiedlich konfliktbeladenen Austauschprozess mit der kommerziellen Filmindustrie. Topografisch gesprochen ist Schrader innerhalb des ökonomischen Kraftfeldes «Hollywood» ein Standpunkt, von dem aus dessen Wandel spezifisch beschrieben kann. 1980, unmittelbar nach dem Erfolg von American Gigolo (Produzent: Jerry Bruckheimer), ist Schraders «Ort» sehr nah am Zentrum, was die Deutungsmacht innerhalb des popkulturellen Mainstreams anbelangt (von Blondie bis zu Armani), aber auch ökonomisch (22 Millionen Dollar allein an der heimischen Box Office, bei einem Budget von geschätzten 5 Millionen Dollar). In den Nullerjahren lässt Bruckheimer, der Verbündete früherer Zeiten, der auch Cat People (1982) produziert hatte, von Zynikern wie Michael Bay Spielzeuge verfilmen (Transformers, 2007), während Schrader auf der Suche nach Equity-Produktionsmitteln bis zur Isle of Man ausweicht und im Gegenzug für stupid german money sogar Moritz Bleibtreu besetzt (The Walker, 2007).

Der Übergang von New Hollywood zum Zeitalter der Franchise-Blockbuster ist von der Schrader-Position aus betrachtet bis zum Jahrtausendwechsel im wesentlichen die Geschichte einer unaufhaltsamen Rezentrierung, die weite Teile des einst ästhetisch progressiven Flügels immer weiter an die Peripherie drängt. Zugegeben: In Bezug auf die Chancen einer genuin «amerikanischen Nouvelle Vague» ist nicht selten nostalgische Verklärung im Spiel, insbesondere wenn es um die Reichweite der Absetzbewegung von den durchformatierten Genres der Studioära geht. Aus heutiger Sicht scheint es ohnehin fast übertrieben prophetisch, dass 1971 mit Spielbergs Duel und Two-Lane Blacktop von Monte Hellmann zwei sich zugleich berührende und scharf abgrenzende Varianten des «New» im Kino anliefen. Wer dieses Rennen gewonnen hat, steht, ökonomiegeschichtlich, außer Frage; Hellman und sein Star Warren Oates haben aus Industriesicht wohl mehr als eine Abzweigung zuviel genommen. Dafür werden sie aber für immer Helden revisionistischer Hollywood- Erzählungen bleiben.

Schrader stand in den 80er Jahren gewissermaßen zwischen diesen beiden Optionen der Be- und Entschleunigung klassischer Erzählmuster, gleich weit weg von den Ausläufern der Gegenkultur und der Haute-Volée des Effektkinos. Gegen die spätestens in den 90er Jahren unmissverständliche Verdrängung aus Hollywoods Inner Circle kann (und will) das, was als Schraders Spätwerk perspektivierbar ist, industriepolitisch gesehen eindeutig nichts mehr ausrichten.

Was dem Marktverfechter Schrader in dieser für ihn deprimierenden Situation ökonomischer Irrelevanz noch gelingt, sind symbolische Wiederaneignungen. «Spät» wird Schraders Œuvre so gesehen mit Auto Focus (2002), der wie The Walker (2007) lesbar ist als Weiter- und Umschreibung eines früheren Erfolgsfilms. Ersterer kehrt zum pornografischen Bild aus Hardcore (1978) zurück, zweiterer zeigt einen an die Ostküste verpflanzten «Mann für gewisse Stunden», der seine besten Jahre bereits hinter sich hat. Ein Schauspieler, der zum Amateurpornografen wird und ein alternder Dandy mit Toupée, der ohne Gegenwehr einer Verschwörung der politischen Klasse Washingtons zum Opfer fällt. Die moralische Gewissheit und die flamboyante Eleganz ihrer Vorläufer ist ihnen fremd, abhanden oder nie in den Sinn gekommen. Als widersprüchliche Individuen sind sie aber vielleicht komplexere, modernere Filmfiguren. Wer wie Schrader keine kulturpessimistische Ader besitzt, kann auch in gefühlten Niederlagen Fortschritte – zumindest aber: weiter – machen.