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Jedermann zu Pferd Budd Boettichers Western zwischen Archetypik und Moderne

Von Paul Schrader

Der Kritiker Paul Schrader ist vor allem durch sein Buch Transcendental Style in Film bekannt geworden, in dem er an Filmen von Dreyer, Ozu und Bresson formale Kriterien erkennbar zu machen versuchte, die eine mögliche Darstellung von Transzendenz ausmachen. Daneben gibt es aber noch zahlreiche weitere Texte von ihm, zum Beispiel die häufig zitierten Notes on Film Noir. Wir machen hier seine Analyse des Werkes von Budd Boetticher neu und erstmals in deutscher Sprache zugänglich – sie ist nicht nur als Kritik eines vereinfachenden Auteurismus von Interesse, sondern vor allem auch als Versuch, mit einer kunsthistorisch und psychoanalytisch inspirierten Begrifflichkeit das klassische Westerngenre im Moment seines Übergangs in die Modernität zu erfassen.

 

Budd Boetticher

 

Budd Boetticher ist ein «entdeckter» Regisseur. Seine Filme sind nicht, wie die vieler anderer Regisseure, in der Geschichte verschwunden, sondern in der schieren Menge der Filmproduktion. Im vergangenen Jahrzehnt wurde er durch das zunehmende Bemühen verschiedener Kritiker, ausgehend von André Bazin in Frankreich und Andrew Sarris in Amerika, aus der Obskurität herausgeholt, die für Low-Budget-Filmemacher bestimmt ist, und in einen immer noch wachsenden Kreis kritischer Aufmerksamkeit gebracht.

Aber diese Rettungsoperation hat Boetticher auch im Bereich einer bestimmten kritischen Methode situiert, einer Methode, die synonym wurde mit den Filmen selbst. Neu gefundene Regisseure werden von einem kritischen Coypright bestimmt; für eine bestimmte Zeit dürfen die Entdecker-Kritiker uneingeschränkte geistige Rechte über ihre Entdeckung ausüben. Entsprechend war Boetticher ein «Auteur»-Regisseur, und seine Filme waren die eines «Auteurs».

Aber es ist wichtig, Boettichers Filme nicht mit der kritischen Methode zu verwechseln, die sie wieder ins Rampenlicht gerückt hat. Kritische Methoden folgen Trends und sie haben ihre eigene Geschichte. Oft werden individuelle Künstler von kritischen Trends weggewischt, die nicht gut zu ihnen passten. Boettichers Filme haben substanzielle, universelle Qualitäten, die umfassender sind als die Beschränkungen ihres Auteurs und seiner Persönlichkeit. Es kann durchaus sein, dass seine Filme sogar besser sind, als Boetticher und seine besten Kritiker dies bemerken.

Boetticher zählt zur ursprünglichen amerikanischen Auteurs-Riege. Im Frühjahrsheft von Film Culture 1963 konfrontierte Andrew Sarris ein in der Regel nachlässiges kritisches Establishment buchstäblich mit Dutzenden von übersehenen Filmemachern. Viele von diesen hatten schon ihre Anhänger, und Sarris hing in seinem Ansatz von dem Auteursansatz ab, den die Cahiers du Cinéma sechs Jahre davor formuliert hatten. Aber insgesamt war es praktisch Sarris, der das amerikanische Interesse an diesen einheimischen Regisseuren entfachte. Sein ursprünglicher Text zu Boetticher war bezeichnend knapp (verglichen mit Bazins eingehenderer Analyse von Seven Men from Now aus 1957), aber das reichte, um eine Reihe von weiteren intelligenten Auseinandersetzungen mit Boetticher in englischer Sprache in die Wege zu leiten. Die kritische Beschäftigung, die aus Sarris’ «Entdeckung» resultierte, war naturgemäß «auteuristisch».

Mir liegt nicht daran, die alte Debatte um Autorenschaft noch Auswirkungen des Auteurismus abgeben (dazu ist es zu früh). Ich möchte ihn nur als Vergleichshintergrund verwenden für eine andere kritische Methode, mit der man Boettichers Filme analysieren kann, und die ich besser geeignet finde.

Der Auteur hat in der Theorie viele Bedeutungen, praktisch ging es dabei immer um eine gut miteinander verträgliche Kombination biografischer und psychologischer Ansätze. Sarris maß Regisseure ständig am Kriterium der «Persönlichkeit», und was ihn an einem Film interessierte, war das, was die Persönlichkeit dahinter erkennen ließ. Er wies häufig auf die besonderen, individuellen oder idiosynkratischen Aspekte einer Mise-en-scène hin, die die Persönlichkeit des Regisseurs verrieten. Die biografisch-psychologische Orientierung des Auteurismus wird in ihren Auswüchsen besonders sichtbar – in den Diskussionen über Hawks’ «Maskulinität», Lubitschs «Touches», Tashlins «Vulgarität», Premingers «Zynismus» oder insgesamt alle Formen von «Hitchcockerei». Aber noch in den besten Fällen auteuristischer Kritik (die gegenwärtig die beste aktive kritische «Schule» ist: die BFI-Cambridge-Gruppe, Peter Wollen, Jim Kitses, Paddy Wannel, Alan Lovell, Robin Wood, Peter Harcourt) ist diese biografisch-psychologische Tendenz erkennbar. Obwohl diese Kritiker (mit unterschiedlichem Erfolg) versuchen, den Auteurismus im formalistischen, «textuellen» Lager zu verorten (ein wichtiges, wertvolles Unterfangen), ergibt ihre kritische Arbeit in der Regel eine mal bessere, mal schlechtere formalistische Annäherung an die Psychologie eines bestimmten Individuums. Es handelt sich dabei ganz einfach um «exzellente» psychologisch-biografische Methodik im Vergleich mit der «dürftigen» biografisch-psychologischen Kritik, die vielfach mit dem Auteurismus gemeint ist.

Die kenntnisreiche auteuristische Beschäftigung mit Boettichers Filmen hat einen zentralen Konflikt herausgearbeitet: den des moralischen Mannes in einem Universum ohne Moral. Dieser Konflikt kann die Form eines Konflikts zwischen Held und Schurke, Mann und Umwelt, Individuum und Gemeinschaft oder Absicht und Begehren annehmen. In allen Fällen muss eine Entscheidung für das Richtige getroffen und mit Beharrlichkeit, Intelligenz, Witz und manchmal Gewalt durchgesetzt werden. Jim Kitses hebt in seinem Buch Horizons West: Directing the Western from John Ford to Clint Eastwood darauf ab, dass die Helden und Schurken komplementäre Bilder sind, und dass der moralische Kampf im Wesentlichen psychologisch ist: wahrer Individualismus vs. Narzissmus. Für Peter Wollen in einem Artikel in der New Left Review (Nummer 32) ist der Konflikt primär einer mit der Umwelt: das Individuum gerät in feindliche Umgebung, in der es schwierig ist, die eigenen Ansprüche aufrechtzuerhalten. Im Gegensatz zu Kitses findet Peter Coonradt in einer weniger tiefschürfenden Arbeit (Cinema, IV-4) den Kampf moralisch unzweideutig: der gerechte Mann in einem moralischen Vakuum.

All das ist fundierte, gute kritische Arbeit. Meine Unzufriedenheit mit der bio-psyc.-Methode bei Boetticher rührt nicht daher, dass ich sie für unrichtig halte. Der Zugang über die Persönlichkeit ist häufig vollständig korrekt. Sobald er einen Regisseur auf seiner psychokritischen Couch hat, ist Sarris bemerkenswert geschickt darin, aus beiläufigen Daten die Persönlichkeit zu extrahieren. Und insbesondere Kitses’ Arbeit zu Boetticher ist genau und eng am filmischen Text.

Mir geht es um Adäquatheit. Ist der Auteurismus mit seinen psychologischen und biografischen Voraussetzungen eine hinreichende kritische Perspektive zur Diskussion von Boettichers Filmen? Die besonders beständigen Qualitäten eines Kunstwerks sind häufig nicht in der Persönlichkeit des Schöpfers versteckt, und keine noch so stichhaltige Autorenprobe kann diese freilegen. Im Gegenteil kann es sein, dass persönliche Idiosynkrasien die vergänglichsten Aspekte eines Kunstwerks sind. Ich zweifle nicht daran, dass Boettichers Persönlichkeit in seinen Filmen gegenwärtig ist, aber ich zweifle daran, dass eine Psychoanalyse dieser Persönlichkeit, und sei sie auch noch so gründlich, das Geheimnis des wahren Werts dieser Filme ergeben wird.

Boettichers Reputation wird weiter wachsen, und ich glaube, irgendwann werden ihn die amerikanischen Kritiker als einen der besten Regisseure des Landes erkennen, höher einzuschätzen als heute so gepriesene Regisseure wie von Sternberg, Hitchcock, Lubitsch oder Hawks. Seine Filme haben Qualitäten «über den Moment hinaus», aber um diese so richtig anerkennen und bewerten zu können, muss ein anderes Register kritischer Prinzipien zur Anwendung kommen.

Der zentrale Konflikt in Boettichers Filmen, wie er bei Kitses, Wollen und Coonradt diskutiert wird, findet nicht nur auf der Ebene des Individuums statt, sondern auch auf einer grundsätzlicheren, archetypischen Ebene. Die widerständige Kraft in seinen Filmen entstammt nicht nur dieser Welt, sie rührt nicht nur von der Psychologie oder der Umwelt her, sondern auch aus einem anderen Bereich: aus dem jener autonomen Kraft, die sich, in den Begriffen Jungs, dem menschlichen Bewusstsein aufzwingt. Alle Kunst ist mehr oder weniger archetypisch (wie alle Kunst auch, vermutlich, mehr oder weniger marxistisch ist). Aber in Boettichers Filmen sind die Archetypen offensichtlich und funktional. Seine Figuren geben sich auf vertraute Weise als Individuen, aber in Momenten der Krise funktionieren sie nicht als Individuen, sondern als Archetypen.

Die archetypische Qualität von Boettichers Werk geht über die Bereiche hinaus, auf die sich die auteuristische Kritik spezialisiert hat; es gehört dadurch stärker in den Bereich der primitiven oder archetypischen Kunst. Der primitive Künstler, wie ihn Wilhelm Worringer beschreibt, ist «verwirrt und vom Leben aufgeschreckt; er sucht vor der offensichtlichen Beliebigkeit des Lebens Zuflucht in der intuitiven Schaffung absoluter Werte». In der modernen archetypischen Kunst sind die Archetypen weniger absolut, dabei keineswegs weniger entpersonalisiert und totemisch. Jungs moderne Archetypen können durchaus auch Doppelgänger (sowohl anima wie animus) sein und moralische Ambivalenz in ihrem archetypischen Bild in sich tragen. Aber jede archetypische Kunst, primitiv oder modern, reflektiert, wie Wilbur Scott schrieb, «ein Ungenügen an dem wissenschaftlichen Begriff vom Menschen als, im höchsten Sinne, Vernunftwesen». Archetypische Kunst stammt von Magie und Religion ab, und selbst noch in ihrer säkularisiertesten Form enthält sie Spuren der Idee, dass es Menschen und Gegenstände gibt, die als Ikonen dienen und durch deren Betrachtung man aufgebaut und geheiligt werden kann.

Boettichers Archetypen sind primitiven Ursprungs; sie tragen in unterschiedlichem Maß eine Tendenz zum Modernen und Mehrdeutigen in sich. Boettichers Primitivismus wird in seinen Stierkämpferfilmen besonders offensichtlich, in denen die Archetypen die Form körperlicher Handlungen und nicht moralischer Entscheidungen annehmen. Boettichers Western mit Randolph Scott sind eher in einem modernen Sinn archetypisch, sie konzentrieren sich auf die Komplexitäten und Vieldeutigkeiten der moralischen Entscheidung. Diese modernen Qualitäten hat Boetticher nicht gepachtet, sie scheinen vielmehr aus der Spannung zwischen Boetticher, dem primitiven Regisseur, und Burt Kennedy, dem ironischen, gewandten Drehbuchautor herzustammen. Boettichers Western werden wahrscheinlich sein dauerhaftestes Vermächtnis bilden, aber um ihnen wirklich gerecht zu werden, muss man zu den Stierkämpferfilmen zurückgehen, und zu einer primitiven Sicht auf das Leben.

Boetticher hat drei Filme zu diesem Thema gemacht: The Bullfighter and the Lady (1951), The Magnificent Matador (1955), und der unveröffentlichte Arruza.

Der Stierkampf wurde oft mit einer Messe verglichen; dieser Vergleich separiert das Stierkämpfen von dem modernen Konzept des «Sports» und stellt ihn in die Tradition des Rituals. Wie der Priester kann der Matador ein unpersönlicher, gesichtsloser Mann sein, der das tut, was niemand sonst kann – er vermittelt zwischen dieser Welt und der nächsten. Natürlich kann ein Priester eine Persönlichkeit haben, und es kann durchaus sein, dass andere dieser Persönlichkeit Aufmerksamkeit schenken; aber im Prozess des Rituals muss er archetypisch fungieren. Während einer Messe ist es ohne Belang, wie sich ein Priester fühlt (und überhaupt, wer er ist). In ähnlicher Weise kann es ohne Belang sein, was ein Matador während des Stierkampfs fühlt. In reinster Form kann jeder der beiden ein Totem werden, auf das sich die Zuschauer kollektiv beziehen. Indem der Priester sich läutert, wird er gleichsam zu einer Ikone; indem ein Matador sich läutert, wird er wie zu einer der Statuen rund um die Plaza Mexico. Es überrascht nicht, dass die Messe und der Stierkampf im mexikanischen Leben häufig zusammengehören (und auch in Boettichers Filmen); sie bilden die beiden Seiten einer archetypischen Münze.

Der Unterschied zwischen Sport und Ritual beim Stierkampf entspricht dem Unterschied zwischen individualistischer und archetypischer Kunst. Sport beruht auf individueller Performance; wir bewundern einen «Sportstar» für seine speziellen Fähigkeiten. Ritual beruht auf Form; wir respektieren den Archetyp, weil er bestimmte Ideale verkörpern kann, die größer sind als er selbst. Im ritualisierten Stierkampf wie in der primitiven Religion schätzt der Betrachter die symbolische Form, die Konventionen der Konfrontation zwischen Mann und Stier, zwischen menschlicher Natur und den Kräften des Geheimnisses und des Todes. Man kann Stierkämpfen als Sport sehen, aber seine ältesten, grundlegendsten Affinitäten hat er zum Ritual.

In allen von Boettichers Filmen gibt es eine Spannung zwischen Sport und Ritual, Individualität und Ikone. Diese Spannung erweist sich in den Ranown-Western als ironisches Plus; in den Stierkämpferfilmen ist sie ein misslicher Unsicherheitsfaktor. Der Widerspruch zwischen diesen beiden Charakterisierungsformen liegt an der Oberfläche der Stierkampffilme, und die raschen Übergänge zwischen Individualität und Ikonizität sind nicht immer leicht nachvollziehbar.

 

The Bullfighter and the Lady (1951)

© Republic Pictures

 

In The Bullfighter and the Lady wird die archetypische Qualität Haltung (stature) genannt. Der alternde Matador Manolo Estrada (Gilbert Roland) und seine Frau Ceilo (Katy Jurado) haben stature; der junge amerikanische Produzent Chuck Regan (Robert Stack), der ein Stierkämpfer werden möchte, hat sie nicht. Regan wird anfangs in menschlichen Kategorien gezeigt, Manolo in archetypischen. Regan ist aggressiv, er stellt sich zur Schau, er denkt nur an sich; Manolo ist gereift, gelassen, unerschütterlich. Regan ist ein Individualist; Manolo ist ein Formalist. Manolo erforscht die Form des Stierkampfs, nicht nur die Technik, und wenn er sie ausübt, dann übt er sie wie ein Formalist aus. Er ist sich dessen bewusst, dass seine Aufgabe als el numero uno mehr als nur die Zuschaustellung individueller Fähigkeiten bedeutet, sondern etwas Universaleres und Rituelleres.

Regan bittet Manolo, ihm die Kunst des Stierkampfs beizubringen, und Manolo lässt sich zögernd darauf ein. Regan lernt schnell, aber er gewinnt dabei keine Haltung. Sein Stierkampf ist eine Erweiterung seines Exhibitionismus. Er möchte den langsamen, methodischen Ausbildungsprozess beschleunigen und in die große Corrida hineinspringen. In seinem ersten großen Stierkampf gerät er dann aber gleich in große Gefahr, und während Manolo ihn rettet, wird er selbst tödlich durchbohrt.

Dann kommt es zu der vorhersehbaren Transformation: Regan kehrt in die Arena zurück, gewinnt den Kampf und tritt als traurigerer, aber weiserer Mann zurück. Diese Verwandlung ereignet sich nun aber nicht nur auf der absehbaren Ebene des Melodrams; sie vollzieht sich auch auf einer weniger leicht erschließbaren Ebene: Auf mysteriöse Weise gewinnt Regan Haltung. Nicht nur Reife, Technik, Weisheit, sondern jene archetypische stature des Typs, die Manolo besaß. Er übernimmt Manolos Eigenschaften. Er betet zu Manolo um Kraft, und nachdem er erfolgreich den pas de morte vollzogen hat, erzählt er der Menge, dass es Manolos Hand gewesen war, die das Cape geschwungen hatte, nicht seine. Er wird zu einem Stellvertreter Manolos, der selbst wiederum ein Stellvertreter der Menge gewesen war.

Das Überraschende an Regans Transformation ist, dass er sie auf dieselbe Weise erlangt, die ihn zuerst in Schwierigkeiten gebracht hatte: durch Exhibitionismus. Regan verursachte Manolos Tod, weil er imponieren wollte, weil er technische Fähigkeiten mit der Essenz des Stierkämpfens verwechselte und weil er sich als Matador in den Vordergrund spielen wollte. Nun aber gewinnt er durch Exhibitionismus auch an Haltung. Er tritt wieder in den Ring, nun mit einer selbstmörderischen Neigung (zwei Autoritäten haben ihn gewarnt, dass dieser Stierkampf tödlich ausgehen könnte); er versucht, sich vor seiner Schande in einem Sieg oder im Tod zu verstecken. Aber sobald Regan in der Arena ist, rechtfertigt Boetticher seinen Exhibitionismus. Sein Exhibitionismus wird zu der Zurschaustellung eines Archetyps: Es ist zulässig, dass er sich aufspielt, denn er vertritt mehr als nur sich selbst, er ist der wiederbelebte Manolo. Exhibitionismus ist individuell ein Fehler, aber im Archetyp eine Tugend; und Boetticher macht gar keinen Versuch, diesen Widerspruch aufzulösen.

Sein Dilemma scheint dieses zu sein: (1) sieht er den Matador als eine Person in der konventionellen Perspektive von Psychologie und individueller Leistung; (2) sieht er den Stierkampf selbst als ein Ritual, einen geheimnisvollen, primitiven Akt; (3) aber verfügt er über keinen konventionellen Mechanismus, um den Matador in die Arena zu stellen, um das Individuum in einen Archetyp zu verwandeln. Es ist nur natürlich, dass Regans Figur schwankt, als er zum letzten Mal die Arena betritt, denn es ist wohl Boetticher selbst, der in diesem Moment geistig schwankt. Sobald Regan seine Sicherheit und seinen Stolz hintanstellt, sich mystisch zu dem Geist von Manolo bekennt und den Schritt des Todes vollzieht, ist er nicht länger der alte Chuck Regan, sondern ist in einen zeitlosen Typus verwandelt worden, den Matador, der ein Ritual außerhalb der Zeit vollzieht. Es ist passend, dass The Bullfighter and the Lady mit einem Bild der Ikone des Stierkämpfers endet: einer der Statuen der Plaza Mexico.

 

The Magnificent Matador (1955)

© 20th Century Studios

 

Boettichers nächster Film über das Stierkämpfen, The Magnificent Matador, stellte sich nie dem latenten Widerspruch in Bullfighter: der paradoxen Verbindung von Individuum und Ikone in einem Mann. The Magnificent Matador beschränkt sich auf eine menschliche, psychologische Auseinandersetzung: Ein Stierkämpfer befürchtet, dass sein Sohn ihm nachfolgt und versucht, dies zu verhindern. Der Film konzentriert sich auf die menschliche Seite des Matadors und scheint nie dieses Zaubers innezuwerden, den die Arena für Boetticher hat. Boettichers Dilemma wird dann aber wieder sehr offensichtlich in seinem letzten Film, seinem Opus magnum Arruza.

Arruza ist in der Filmgeschichte einzigartig; es handelt sich um einen Dokumentarfilm über Boettichers Freund, den Matador Carlos Arruza, der über einen Zeitraum von zehn Jahren, zwischen 1956 bis zu Arruzas Tod 1966, entstand. Der Film enthält nicht nur fantastisches Material von einem der besten Stierkämpfer der Welt bei der Arbeit, er präsentiert auch die Perspektive eines Künstlers auf einen anderen.

Arruza zeigt auch immer wieder seine Familie und Freunde, aber überwiegend folgt er seiner Karriere von seinem freiwilligen Rückzug an bis zu dem erfolgreichen Comeback als rejoneador (Stierkämpfer zu Pferd). Als Regisseur hat Boetticher keine Cinéma-vérité- Skrupel; er schneidet ohne viel Federlesens zwischen inszenierten und «Live»-Szenen hin und her. Arruza ist im stärkeren Maß ein inszenierter Film als viele Dokumentationen. Mehrfach hat Arruza sich beklagt, dass Boetticher ihn für den Film zu riskanten Manövern zwang, die er normalerweise verweigert hätte. Vor dem letzten triumphalen Kampf an der Plaza Mexico sagte Arruza zu Boetticher: «Du lässt mich noch draufgehen für deinen verdammten Film.» Den ganzen Film hindurch bleibt unklar, ob das Publikum den «wahren» Arruza zu sehen bekommt oder nicht.

Arruza wurde gemacht, sagt Boetticher, «weil mein bester Freund zufällig der beste Stierkämpfer der Welt war». Dieser Widerspruch durchzieht den ganzen Film: bester Freund oder bester Stierkämpfer? Die Spannung zwischen dem Stierkämpfer-Freund und dem Stierkämpfer-Archetyp ist in Arruza so offensichtlich wie in The Bullfighter and the Lady.

 

Arruza (1968)

© The Alpha Corporation | Avco Embassy

 

Einerseits sieht Boetticher Arruza als Kumpel und langjährigen Gefährten. Er interessiert sich für die Gefühle von Carlos, für seine persönlichen Eigenheiten, seine Beziehungen zur Familie und den Freunden. In vielen Szenen geht es vor allem darum, die menschliche Seite von Carlos zu zeigen, Szenen mit seiner Frau, seinen Kindern und seinen Stieren in Pasteje. Überwiegend sind das «gestellte» Szenen, die dazu dienen, Arruzas Menschlichkeit so zu demonstrieren, als müsste man Beweismaterial für ein Gerichtsverfahren erbringen. Zum Beispiel blickt Arruza in Großaufnahme wehmütig auf sein Land, während der Erzähler (Anthony Quinn) sagt: «Arruza langweilte sich.» So eine Szene geht zuerst einmal auf allen Ebenen der Publikumspsychologie schief: Boetticher kann das Publikum nicht dazu zwingen, Gefühle in ausdruckslosen Gesichtern zu lesen, und das Publikum wird ablehnend auf so ein Ansinnen reagieren. Wichtiger noch aber ist, dass die Szene auch deswegen scheitert, weil sie nicht im Einklang mit Boettichers eigenem Interesse an Arruza ist. Was Arruza vor allem und allen anderen auszeichnet, sind nicht seine Gefühle, und Boetticher scheint das auch zu wissen. Diese geläufigen Gefühle sind zu kleinkariert und trivial für eine Figur der Dimension, die Boetticher Arruza verleiht. An der Schulbuchpsychologie scheint ihm deswegen auch nicht wirklich zu liegen.

Andererseits sieht Boetticher Arruza als eine Ikone, einen Archetyp im uralten Ritual des Stierkampfes. Darin ist Arruza wahrhaft einzigartig, und dafür, so würde man erwarten, bewundert Boetticher ihn. Die «Live»-Szenen von den Stierkämpfen sind formalistisch strukturiert; sie beruhen auf den Prinzipien von Reaktion und Wiederholung. Sobald er in der Arena ist, ist Arruza ein Jedermann in einem unveränderlichen «morality play». Wenn Arruza auftritt, macht er im Wesentlichen immer das Selbe, dieselben Bewegungen und Schritte, und die Zuschauer nehmen demgegenüber dieselbe Position ein, die eines aufmerksamen Betrachters auf Abstand. Die Zuschauer sehen Arruza nun zweidimensional; jede Anmutung einer psychologischen Studie verschwindet. Arruza endet so, wie er begann und wie auch The Bullfighter and the Lady endete, mit dem Bild einer der Statuen an der Plaza Mexico – nur ist es in diesem Fall Arruzas eigene Statue. Der Film endet mit einem freeze frame von Arruza in Aktion, und der Erzähler verkündet (nachdem er kurz von seinem sinnlosen Tod in einem Verkehrsunfall berichtet hat), dass kein Mann tot ist, solange man sich seiner erinnert. Dann schneidet der Film auf eine abschließende Aufnahme der Statue von Arruza. Boetticher entlehnt seine Stimmung und seine Absicht bewusst dem Bereich der Heiligenverehrung. Arruza wurde in eine Ikone verwandelt, und nun steht er für immer in priesterlicher Strenge am Tor zum Tempel der Stierkämpfer. Die Einstellung steht in direktem Widerspruch zu einer anderen aus den Schlussszenen, in der Señora Arruza und ihre Kinder Carlos im Fernsehen zusehen. Arruza, der nun in eiserner Gestalt auf der Plaza Mexico steht, hat keine spezifische Persönlichkeit, keine Frau oder Kinder, und es scheint ohne Belang, ob es jemals so war. Nichts dient der Persönlichkeit von Arruza mehr als deren Verlust.

Auch hier ist Boettichers Dilemma auf schmerzhafte Weise klar. Der Freund Boetticher sieht Carlos als einen begabten, geschickten Mann mit Problemen und Neurosen wie alle anderen auch. Der Zuschauer Boetticher sieht Arruza so, wie viele Mexikaner den Matador immer schon intuitiv gesehen haben, als primitives Symbol ihres kollektiven Unbewussten. Wie in Bullfighter kann sich Boettichers Einstellung zu diesen Fragen im Handumdrehen und ohne Warnung ändern. Vor dem letzten Stierkampf gibt es eine auffällige Einstellung, die aus Arruzas Auto heraus gefilmt wurde, während es auf der Plaza eintrifft. Die Perspektive ist die von Arruza, und die Zuschauer spüren seine Angst und Beklemmung. Sobald er aber in der Arena ist, übernimmt der Film die Perspektive der Zuschauer, und Arruza selbst gehört nun in ein größeres Drama.

Budd Boetticher ist wahrscheinlich der am stärksten primitive Filmemacher in der amerikanischen Geschichte. Filme sind ein Produkt des 20. Jahrhunderts, ein Nebenprodukt des Kapitalismus und der Technik, und obwohl sie häufig naiv, einfältig und sentimental waren, waren sie doch selten primitiv. Viele Filme, die man heute als primitiv bezeichnen würde, sind einfach ungestaltet und einfach. Filme haben sich häufig mit individuellem Leiden beschäftigt, selten mit kollektivem.

Boetticher ist intuitiv von dem primitiven Dilemma besessen: an welchem Punkt wird das Individuum archetypisch? Das ist ein Thema von einigem intellektuellen Tiefgang (obwohl Boetticher selbst vielleicht kein Mann mit intellektuellem Tiefgang ist) und rührt an die Ursprünge der Kunst. Das Thema ist primitiv im besten Sinn des Wortes, weder vulgär noch nüchtern, sondern hieratisch und archetypisch.

Die Errungenschaft von Boettichers Western ist, dass sie den Übergang vom Individuellen zum Ikonischen schaffen. Sie werden in diesem Prozess moderner und mehrdeutiger. Es sieht so aus, als wären die Drehbücher von Burt Kennedy für Boetticher die Brücke gewesen, die er brauchte. Die Drehbücher von Kennedy «verfeinern» den Archetyp von Boetticher. Sie nötigen ihn in eine Welt der Ironie, des schwarzen Humors, des Pessimismus und der moralischen Ambivalenz. Der intensive Druck, den die Verfilmung von Kennedys Drehbüchern bedeutete (manche Western wurden in zwölf Drehtagen hergestellt), zwang Boetticher zu Lösungen für sein Dilemma. Scott wurde ein moderner Archetyp, ein Mann, der den Unterschied zwischen Individuum und Ikone kannte und dazwischen hin und her schwanken konnte.

Der Unterschied zwischen Arruza und Scott ist der Unterschied zwischen einem «morality play», das auf Handlungen (gute Taten) beruht, und einem, das von einer Entscheidung (Gnade) abhängt. In einem Text über «morality plays» (zu denen Boettichers Filme viele Affinitäten haben) macht Marvin Halverson einen Kontrast zwischen mittelalterlicher und moderner Moral aus, und dieser Kontrast lässt sich gut auf Boettichers Stierkämpferfilme und Western anwenden:

«Das mitteralterliche Moralspiel beruht auf dem Glauben, dass der Mensch sich durch gute Taten vor Gott rechtfertigt. Der Mensch erweist sich der göttlichen Annahme würdig durch die Menge seiner guten Werke. Der Jedermann schreibt also die mittelalterliche Idee fort, dass der Mensch, unterstützt von den verschiedenen Instrumentalitäten der Kirche, sich selbst rettet. Die Erfahrung des Menschen im 20. Jahrhunderts entspricht dem nicht mehr, denn dieser hat am Ende der Sackgasse der Autonomie ein No Exit-Schild vorgefunden. Damit symbolisieren die Unterschiede zwischen den Moralspielen nicht nur die Veränderungen im Drama im Verlauf der Jahrhunderte, sie verkörpern auch einen gegenwärtigen Weg, das Leben und ein anderes Verständnis von Christentum zu verstehen. Man könnte mit gutem Grund behaupten, dass es zwei Typen von Moral gibt: eine Moral der Werke und eine der Gnade.»

Das Konzept der Gnade ist für moderne «morality films» (wie Robert Bressons Un condamné à mort s'est échappé) von entscheidender Bedeutung, und es stellt Boettichers primitiven Archetyp in einen modernen Kontext. In den Ranown-Western rettet sich Randolph Scott nicht durch sein Geschick, wie dies der Primitive Arruza noch musste. Stattdessen sind seine Waffen Intelligenz, Witz und vor allem ein tiefverwurzelter Sinn für Moral. Mit der Ausnahme von Seven Men from Now ist Scott kein besonders guter Schütze; er hängt oft von der Großzügigkeit anderer ab. In jedem dieser Western wird sein Leben zumindest einmal von seinem Gegner gerettet, und in Buchanan Rides Alone wird er fünfmal verschont. Er überlebt nur deswegen, weil er im Recht ist, wie auch seine Widersacher scheitern, weil sie falsch liegen. Es gibt keinen irdischen Grund, warum Scott siegreich bleiben sollte; in jeder «normalen» Ereignisfolge müsste er nach dem ersten Akt schon tot sein. Immer wieder setzt er sein Leben für sein moralisches Gespür aufs Spiel, und immer wieder wird er dafür belohnt. Es wirkt, als würde er von einer externen Instanz beschützt und geleitet, von der er weiß, dass sie ihn ins Recht setzen wird. Auf merkwürdige Weise ist Boettichers Scott wie Bressons e, eine Person, die einem besonderen Ruf folgt und nicht auf rationale Weise mit den irdischen Gefahren umgeht.

 

Seven Men from Now (1956)

© Warner Bros.

 

Es ist diese mysteriöse Gnade, die Scott existieren lässt, und es ist seine Entscheidung für die Gnade, die ihn archetypisch funktionieren lässt, wie ein Jedermann zu Pferd. Auch in ihrer säkularisierten Form ist Gnade nicht etwas, was ein Mensch einfach so wirken kann wie ein gutes Werk, aber es ist etwas, das ihm sowohl gegeben wird, wie etwas, für das er sich entscheiden muss. Das Dilemma der Ranown-Western ist, wie das moderner Moralspiele, nicht eines der Werke, sondern der Gnade, nicht von Handlungen, sondern von Entscheidungen. Aber die Entscheidungen sind nicht leicht; sie sind komplex und vielschichtig: ein Mann muss dessen gewahr sein, dass Gnade existiert, er muss wissen, dass es für ihn möglich ist, sich dafür zu entscheiden, er muss diese Entscheidung treffen und bis zum Tod zu ihr stehen.

Im Ranown-Zyklus retten oder verdammen sich die Boetticher-Kennedy-Figuren durch moralische Entscheidungen. Scott konfrontiert seinen Feind kontinuierlich mit der moralischen Frage. In Comanche Station sagt Richard Rust über einen toten Gefährten: «Es war nicht seine Schuld. Alles, was er kannte, war die falsche Seite.» Scott sagt: «Ein Mann kann jederzeit die Seite wechseln.» Und Rust entgegnet: «Es ist nicht so einfach, es ist ganz und gar nicht so einfach.»

«Die Seite wechseln» bedeutet keine physische Handlung, sondern eine moralische Entscheidung. Scott weiß, dass es «nicht einfach» ist, die Seite zu wechseln, er weiß aber auch, dass es machbar ist, und deswegen schwankt er nie in seinem moralischen Standpunkt. Gnade, diese außerordentliche Kraft, die Scott besitzt, kann jede Figur erlangen, wenn sie sich nur dafür entscheidet. Manchmal scheinen die Schurken (die Scott sehr ähnlich sind) prädestiniert zu sein, diese Gnade zurückzuweisen. «Ich bin schon zu weit gegangen, um noch einmal umzukehren», sagt Claude Akin in Comanche Station, bevor er sich mit Scott duelliert. Aber Scott weist moralischen Defätismus zurück. Als Richard Boone in The Tall T verkündet: «Manchmal hat man eben keine Wahl», da antwortet Scott: «Hast du keine Wahl?» Und selten – sehr selten – schafft es ein Schurke, die Seite zu wechseln und sich für das Richtige zu entscheiden, wie Pernell Roberts in Ride Lonesome.

 

Ride Lonesome (1959)

© Columbia Pictures

 

Humor oder genauer gesagt Witz ist ein Maßstab der «Modernität» des Scott-Archetyps. Manola und Arruza sind relativ humorlose Männer; sie begreifen und vollziehen ihre Aufgabe in einer unmittelbaren Weise. Dagegen hat Randolph Scott einen einnehmenden, lakonischen Sinn für Humor. Er stellt sich einem Gegner ungern körperlich in den Weg, er verlässt sich lieber auf Wortspiel und Parabel. Er bedient sich einer Wirtshausvariante des sokratischen Gesprächs: Fragen, Provozieren, Nahelegen. Scotts Aufgabe ist nur im Prinzip eindeutig; in Wirklichkeit ist sie ambivalent und in sich verschränkt. Scott findet die Existenz nicht nur ironisch, er delektiert sich daran. Scotts Witz ist ein Abwehrmechanismus: er weiß, dass er nur geduldig sein muss, dann wird die Zeit ihn rechtfertigen, und Ironie schafft die nötige Distanz, die es ihm erlaubt, geduldig zu sein und darauf zu warten, dass die Dinge ihren unvermeidlichen Lauf nehmen. Verkörperte Tugend in einer Welt der Zwecke schafft eine ironische Situation, und Scotts Ironie gestattet es ihm, in der Welt zu existieren.

Scotts tiefe Ironie ist in Boettichers Filmen einzigartig, und sie ist wahrscheinlich ein Nebenprodukt der Arbeitsbeziehung mit dem Drehbuchautor Burt Kennedy. Man könnte sich das Geschehen zwischen den beiden so vorstellen: Kennedy wollte mit der Scott-Figur «spielen», indem er sie in verwirrende, peinliche, entwürdigende Situationen stellte. In den Drehbüchern gerät Scott häufig in menschenunwürdige Umstände, die, wenn sie schon nicht einen Archetyp zersetzen, ihn doch zumindest «humanisieren»: in Tall T schlägt er sich ungeschickt den Kopf an, in Comanche Station humpelt er herum, er heult vor Schmerz, als eine Salbe auf sein Knie gegossen wird, und in Decision at Sundown erfährt er, dass seine vermeintlich anständige Frau vielleicht doch nicht über jeden Verdacht erhaben ist. Vielleicht ist Burt Kennedy nicht direkt für diese spezifischen Vorfälle verantwortlich, aber so viel trifft auf jeden Fall zu: Sie zählen zu der Art von Demütigungen, die Kennedy gern die Helden seiner späteren Western erleiden lässt (The Rounders, The War Wagon, Support Your Local Sheriff), und sie treten so nicht in Boettichers Stierkampffilmen auf, zu denen Kennedy die Drehbücher nicht schrieb. In jede dieser entwürdigenden Situationen kommt Boettichers Matador-Archetyp, ganz und gar darauf eingestellt, seine Aufgabe formalistisch, genau und lapidar zu erledigen. Aber er kann nicht. Stattdessen muss er die Fettnäpfchen umgehen, die Kennedy sich für ihn ausgedacht hat. Aus dieser Boetticher-Kennedy-Spannung erwächst ein moderner, ironischer Archetyp. Scott gewinnt an Selbstbewusstsein und Selbsteinsicht, er sieht die Ironie und scheinbare Vergeblichkeit des Lebens, entscheidet sich aber doch für das Gute, und wird ein moderner Archetyp – das heißt, eine primitive Figur, die in einer gegenwärtigen Situation existieren kann.

Scotts Entscheidung für die Gnade wird durch ironischen Witz exemplifiziert, denn es bedarf oft eines Sinnes für Ironie, um Gnade in der modernen Welt akzeptieren zu können. Die Betonung auf Entscheidung in den Ranown-Western situiert diese in der modernen archetypischen Tradition: in den Stierkampffilmen, wie im Jedermann, muss der Archetyp nur das Ritual vollziehen, das gute Werk, während in den Western, wie in zeitgenössischen Moralstücken wie Charles Williams’ Graband Grace, der Archetyp die Entscheidung treffen muss, die Gnade zu empfangen, um archetypisch fungieren zu können. Randolph Scott kann wie ein primitiver Archetyp wie Arruza fungieren, aber er kann auch in einer viel fordernderen und lohnenderen Weise fungieren, wie ein moderner Archetyp. Scott kann den Graben zwischen Individuum und Ikone überbrücken, denn er weiß, dass dieser Graben moralisch und nicht physisch ist, und dass die Brücke aus Entscheidung und Gnade besteht.

Die äußere Hülle dieses Artikels war die Metapher der kritischen Methode. Die Ambivalenz von Boetticher gegenüber seinen Figuren kann der Ambivalenz der Kritiker gegenüber Boetticher entsprechen. Man kann Carlos Arruza als großen, exhibitionistischen Sportstar betrachten, oder aber als gesichtslosen Archetyp; man kann Budd Boetticher als idiosynkratischen Regisseur betrachten, oder als archetypischen Regisseur.

Die Möglichkeiten, vor denen Boetticher und seine Kritiker stehen, lassen sich mit den Begriffen von Jung als Individualisierung und Individuation benennen. Ein Psychologe konnte zwischen beiden wählen; beide waren korrekt. Individualisierung konzentriert sich auf die Einzigartigkeit einer einzelnen Person. Individuation, die Jung bevorzugte, suchte nach den nicht-idiosynkratischen, universalen Eigenschaften der menschlichen Psyche. Individualisierung wollte herausfinden, wie sich Menschen unterscheiden; Individuation suchte nach dem, was sie verbindet.

Manche Künstler sehen die Welt als eine Fortsetzung ihrer eigenen Persönlichkeit, und Individualisierung ist ganz in ihrem Sinn. Andere Künstler wie Boetticher integrieren ihre Persönlichkeit in universelle, vorgegebene Archetypen, und Individuation lässt ihren Beitrag dazu am besten erkennen.

Der Auteurs-Ansatz gleicht, in dem Maß, in dem er das Einzigartige an Boettichers Persönlichkeit hervorhebt, der Individualisierung in der Psychologie. Er sucht nach dessen oberflächlichen Charakteristiken. Wenn eine auteuristische Kritik sich auf Boettichers Persönlichkeit konzentriert, dann verfehlt sie die entscheidenden, archetypischen Qualitäten seiner Kunst. Kitses bemängelt an Arruza, dass «seine Kraft durch die Natur seines fundamental statischen Helden gemindert wird». Eine archetypische Analyse hingegen lässt erkennen, dass Stasis grundlegend für Arruzas Charakter ist, wie Boetticher ihn versteht. Stasis ist wesentlich verantwortlich für die Kraft des Films. Wollen beschreibt Boettichers Kunst als individualistisch, wenn er schreibt: «Für den Individualismus ist der Tod die absolute Grenze, die nicht transzendiert werden kann.» Das Ende von Arruza scheint allerdings genau für das Gegenteil zu stehen, denn der Tod ist hier die Grenze, die das zum Archetyp gewordene Individuum überschreiten kann.

Die psychologisch-biografische kritische Methode verfehlt die grundsätzlichsten Qualitäten von Boettichers Kunst. Carlos Arruzas beständigste Qualität lag weder in seiner Persönlichkeit noch in seiner emotionalen Tiefe, sondern in seinem Vermögen, als Archetyp zu fungieren. Budd Boettichers beständigste Qualität liegt weder in seiner «Persönlichkeit» noch in seinen Neurosen, sondern in seinem intuitiven Bedürfnis, seine Persönlichkeit in archetypische Strukturen zu integrieren.

Boettichers Filme haben unter den amerikanischen Kritikern keine große Akzeptanz erfahren. Das liegt zum Teil daran, dass viele Mainstream-Kritiker «entdeckte» Regisseure abschätzig sofort verwerfen (Stanley Kauffmans Hieb gegen die Boetticher-Kritik in einer Besprechung von Don Siegels Two Mules for Sister Sarah ist ein aktuelles Beispiel). Zum Teil liegt das aber auch an den Beschränkungen der biografisch-psychologischen Methode selbst; Boettichers Persönlichkeit ist sicher weniger reich als die vieler anderer amerikanischer Regisseure: Welles, Chaplin, Hitchcock, Hawks, Peckinpah. In erster Linie aber fehlt es ihm an Akzeptanz, weil das Publikum und die Kritik häufig nur langsam auf die große intuitive, primitive Kunst reagieren, von der sie umgeben sind. Die Dilemmata von Archetyp und Gnade sind in Boettichers Filmen in so alltäglichen Konventionen situiert, dass viele Intellektuelle sie nicht zu erkennen vermögen. Sie suchen nach Transzendenz im Jahr 2001, in «Jupiter und dahinter», während das, was archetypischer Transzendenz vielleicht am nächsten kam, sich in diesen übersehenen Randolph Scott-Western ereignete.

W. H. Auden stellt in For the Time Being die beiden Gruppen von Besuchern an der Krippe gegeneinander: Die Weisen, die eine «endlose Reise» durch Ideen hinter sich gebracht haben, um beim Christkind anzukommen, und die Hirten, die einfach so, instinktiv an den selben Ort kamen. Andere Künstler haben dieselbe Sache in anderen Metaphern ausgedrückt. In Bressons Pickpocketsagt Michel nach seiner spirituellen «Befreiung» im Gefängnis zu Jeanne: «Wie lange ich gebraucht habe, um zu dir zu gelangen.» In Boettichers Ride Lonesome sagt Pernell Roberts, nachdem er schließlich die Seite gewechselt hat (der einzige, dem das in einem Boetticher-Western jemals gelingt), zu Scott: «Seltsam, wie etwas sich darbietet, und sich dann als etwas ganz anderes erweist.»

Aus: Cinema Magazine, Volume 6, Number 2, Fall 1971. Übersetzung von Bert Rebhandl