serien 2010

America happens Über Sitcoms, Post-Sitcoms und LOUIE

Von Daniel Eschkötter

Louie

© FX

 

Vor dem take-off jener Serien, die dem Medium Fernsehen zum Qualitätsattribut gerade nochmal verholfen haben, hatte stabiles Serienfernsehen ein dominantes Format, eine kleine Form: situation comedy. Bringt der mediengenealogisch durchaus hellsichtige Slogan «It’s not TV, it’s HBO» das Ab- und Nachleben, die Transformationen des Fernsehens in ein modulares Prinzip auf die Formel, so kündete ein Äquivalent in den 90ern von jener Stabilität: «Must See TV». «Must See TV Thursday», das war die Primetime des Donnerstags auf NBC, eine Institution des Network-Fernsehens, der Sendeplatz zwischen 20 und 22 Uhr, der den Sitcom-Produktionen gehörte. (Anschließend lief dann das Drama-Flagschiff ER.) Wo Fernsehen ist, da wird es über Sendezeiten ausgetragen. Und dass HBO, AMC und Showtime ihr Kernserienportfolio inzwischen vollständig sonntags erstaustrahlen – trotz des traditionellen Sonntagsfootballs bei NBC –, zeigt auch, dass es den Pay-TV-Sendern in den USA längst um eine Verwertungswoche zu tun ist und man sich von diesem Prinzip Fernsehen nahezu vollständig entkoppelt hat.

Cheers schon in den 80ern, dann Seinfeld und Friends, auch Frasier machten den NBC-Donnerstag zur Marke, in wechselnden Konstellationen, ergänzt mit kurzlebigeren Produktionen, die über eine oder zwei Seasons mitgezogen wurden. Nachdem auch der NBC-Donnerstag zwischenzeitlich unter Reality-TV-Druck geraten war, wurde er in den vergangenen Jahren wieder reinstalliert (freilich ohne den Slogan nochmal überzeugend reanimieren zu können). Das amerikanische The Office mit Steve Carell als Chef, Tina Feys 30 Rock und, zuletzt hinzugefügt und Erfolgselemente von beiden stilsicher kopierend, kombinierend, Parks & Recreation, mit Amy Poehler (der Hillary Clinton zu Tina Feys Saturday Night Live-Sarah Palin) formieren ein Programmcluster, das einstehen kann für Verschiebungen, Transformationen eines ganzen Genres (das dabei natürlich gleichzeitig andernorts, etwa beim Comedy-Traditionssender CBS, vollständig stabil zu bleiben vermag).

About nothing

Den domestischen Kern der meisten früheren Sitcoms haben die NBC-Serien vollständig auf den Arbeitsplatz, auf Arbeitszwangsgemeinschaften verschoben; formal erscheinen sie dabei vollkommen gelöst von dem traditionellen Multiple-camera-Verfahren, den bühnenähnlichen Studioräumen und dem laugh track auf der Tonspur, hin zu einer offeneren, filmischeren Form, single camera style, ohne Konservengelächter. Fast schon einen experimentellen Charakter oder historiographischen Zug hat es deshalb, wenn gegenwärtige Sitcoms nochmal mit einem Livepublikum arbeiten (30 Rock tat dies einmal in der aktuellen Staffel, siehe hier); und die erste Serie des Stand-up-Comedians Louis C.K., Lucky Louie (2006) – HBOs klarster Versuch mit der Sitcomform –, entstand vollständig vor Publikum).

Wie das Paradigma Sitcom unter Druck gerät Ende der 90er, punktuell zur Dysfunktion getrieben wird, kann man an Aaron Sorkins erster Fernsehserie beobachten: Sports Night (1998-2000 auf ABC) wurde vom Sender eine Staffel lange für eine Sitcom gehalten bzw. als solche produziert, teilweise vor Publikum und mit einem laugh track, der nie so recht seinen Ort findet und im Laufe der ersten Staffel immer mehr und schließlich vollständig verschwindet. Schon in Sports Night praktizieren Sorkin und sein Regisseur Thomas Schlamme exzessiv das filmische Verfahren des gehenden Sprechens, das walk-and-talk, das in The West Wing dann zur Sorkin-Signatur wird; Introjizierung eines filmischen Raums in den Fernsehstudioraum, eine stärkere Dynamisierung von Gesprächen und Räumen, als es eine Sitcom zu vertragen schien.

Was Sitcom war und noch ist – ob transformiert wie etwa am NBC-Donnerstag, entgrenzt wie bei Curb Your Enthusiasm und Louie oder traditionell-konventioneller bei CBS (How I Met Your Mother, Two and a Half Men, The Big Bang Theory) – kann man über Brüche und Kontinuitäten formal ein wenig erschließen, über vom «Quality TV» geprägte Register lässt es sich freilich kaum fassen. Sitcoms waren nie ein Ort für narrative oder formale Innovationen – just conversation, im besten Fall (Seinfeld) «about nothing». Als Situationenkomödien eignet ihnen dabei ohnehin ein – zumeist nicht besonders intensiv aktualisierter – soziologischer Impetus: Sie sind gesprochen-gelebter Alltag von «real TV people» (Jerome Seinfeld); Alltagssprache, -handeln, -geschichte kommen in ihnen zur fernsehtheatralen Aufführung, weitestgehend homogene soziale Milieus (bzw. Nicht-Milieus: Friends) zur exemplarischen Darstellung. Auch ein britisches Fernseherbe: working class fand fernsehseriell vor allem in Sitcoms statt, wobei auch dort meist als Arbeiter nach dem Verlassen der Fabrik. (The West Wing, Season 1, Ep. 12: Präsident Bartlet ist krank, sieht eine Soap im Fernsehen. «I don’t understand. Don’t any of these characters have jobs?» || CHARLIE: «I don’t know, Mr. President. I think one of them is a surgeon.» || BARTLET: «They seem to have a lot of free time in the middle of the day.»)

Sitzgemeinschaften

Sitcoms, das sind, mit einer falschen Etymologie, auch meist und einfach Serien von, mit, über sitting communities, sitzend in Monk’s Coffee Shop (Seinfeld), im Café Central Perk (Friends), in der Bar, where everybody knows your name (Cheers); Gemeinschaft mit ihren Regeln wird im und über das Sitzen verhandelt; ödipale Klassenkonflikte ausgetragen über den alten Ohrensessel des Vaters in der Snobwohnung des Sohns (Frasier). Fernsehen ist als ein Studio-Prinzip in der Sitcom, in diesem Sitzen ganz bei sich. Louie (2010 auf FX) ist nicht nur in diesem Sinne post-Sitcom, fast eine Post-Comedy, eine New York-Serie, die kaum einen stabilen Fernsehraum mehr kennt, sich vielmehr durch einen realen Stadtraum bewegt, langsam, wie ihr Protagonist. Ihr Anker ist dessen Stand-up-Performance, der Stand-up-Act des Comedians Louis C.K.

Louie geht durch New York im Vorspann, durch Greenwich Village, kommt aus der U-Bahn, schlingt ein Stück Pizza zur Hälfte hinunter, geht in einen Comedy-Club. Dazu läuft eine Version von Hot Chocolates «Brother Louie», und wo es bei Hot Chocolate im Refrain heißt «Louie you’re gonna cry», singt es im Serienvorspann «you’re gonna die». Louis C.K. ist Louie, und Louis C.K.s (geboren Szekely) Comedy ist Verfallsgeschichte, Louie ist vanitas-,Verfallskomödie – Sein zum Tode. Verfall des eigenen Körpers im Angesicht des Alters eines Frühvierzigers: «There’s never gonna be another year of my life that was better than the year before.» Einmal wird Louie nach seinem Act von einer jungen Frau angemacht, sie stehe auf ältere Männer: «you’ve given up». Und: «you smell weird, like dying. It’s sexy».

Eine Episode von Louie beginnt, wie Seinfeld begann, meist mit einem seiner Stand-up-Acts, der dann lose verknüpft ist mit einem folgenden Lebensfragment. Es sind dies Szenen mit mal absurden Volten: Ein Date, das er zu küssen versucht, springt panisch auf und flüchtet in einen bereitstehenden Hubschrauber. Mal mit brutalen Entblößungen: Ricky Garvais, für alle (Post-)Comedies der radikalen Selbstentblößung vielleicht noch vor Larry David der zeitgenössische Godfather, hat zwei Auftritte als Arzt und Highschool-Kumpel von Louie, mit einem ausgeprägten Humor, der darin besteht, bei seinen Patienten tödliche Krankheiten zu diagnostizieren oder zu konstatieren «That’s the worst penis I have ever seen in my life», und die Arzthelferin zur Bestätigung zu rufen. Mal auf eine vollkommen komödienjenseitige Art welthaltig: Louie wird mit einer Begleiterin in einem Imbiss von einem Jugendlichen bedroht und gedemütigt, verfolgt ihn bis nach Hause und konfrontiert ihn vor seinen Eltern. Die Reaktion des Vaters, den Jungen zu schlagen, kann er dann allerdings auch nicht gutheißen. Louie und der Vater sitzen schließlich vor dem Haus, sprechen über die Unmöglichkeit, als Eltern richtig zu handeln, über ihre Leben, ihre Arbeit. «What do you do?» «Comedian.» «Get the fuck out.» «It’s a job.» «No, it isn’t.» «I guess not.»

Louie ist alltagsversehrt, von einer großen existentiellen, wenngleich heiteren Ermüdung ist sein Act, ist die ganze Serie gezeichnet: die Ermüdung eines geschiedenen Mannes, der nach der Anstrengung, seine beiden Töchter aus dem Bett und zur Schule gebracht zu haben, eigentlich nur noch zurückkann ins eigene Bett; der in eine große Depression fällt, wenn seine Töchter eine Woche bei der Mutter sind; bei dem die Babysitterin in aggressiv-empathischer Verzweiflung heult, weil er so einsam und ausgehunwillig ist, dass er sie eigentlich gar nicht beschäftigen muss.

Codes des Sozialen

Louies Stand-up-Act ist das ungehemmte heitere Ausschütten mitunter sehr einfacher, immer drastischer Er- und Bekenntnisse existentieller, oft sexueller Natur: Stand-up als hypertrophierende Aufmerksamkeit für die Leidensstruktur und die Verworfenheit von Selbst und Welt. Funny People von Judd Apatow hat das, hat auch die Arbeit, die Stand-up-Comedy dann doch ist, vorgeführt (siehe cargo 2 & 3), Larry David hat es in seinen Stand-ups schon vor Seinfeld praktiziert. In Seinfeld, insbesondere in der Figur von George Costanza, und in Curb Your

Enthusiasm wurde daraus eine Haltung zur Welt, ein Prinzip. Dort sind es ein letztlich sehr waches Wandern hin zu und weg von den Wundern der menschlichen Seltsamkeit, den Ticks und Fehlern, die Larry David mit der Nadel eines Schmetterlingssammlers am Wegesrand aufspießt (Jerry: «How come you’re eating your peas one at a time?»), die völlig verselbständigte Befragung der unverständlichen Codes des Sozialen, der permanente Anstoß an den Verletzungen des eigenen avancierten, feinmaschigen Regelsystems, die permanent und unausweichlich in Sozialkatastrophen treiben (Lasses, Larry heißt Curb Your Enthusiasm in Deutschland). «Let me ask you this» oder «Did you see what just happened here?», so begann George Costanza bei Seinfeld seine Fragen und Ausführungen über diese grundsätzliche Schieflage mitmenschlicher Verhalten immer. (Jerry: «And you misinterpret this how?»)

Louie hat diesen Modus des Fragens, Wunderns, Rechtbehaltens, Geraderückens, hat auch den von Seinfeld und Curb perfektionierten observational style weitestgehend hinter sich gelassen. Seine komödiantische Aggression ist eine fundamentalere, zugleich latentere, entspanntere, dabei nicht ohne moralischen Kern. Die selbst im Dialog solipsistische, eben neurotische Weltzerlegungsarbeit von Seinfeld und David weicht hier einer völlig diskursiven Selbstabrechnung, die in jedem Aufeinandertreffen mit anderen Menschen soziologische Mikroportraits provoziert.

Louie erzählt in einem seiner Stand-up-Auftritte von einer Cousine vom Lande, von ihrer Ankunft in New York und ihrem Schock beim Anblick eines Obdachlosen. «What happened?», fragt sie ihn. Louies Antwort ist auch eine verdichtende Bestandsaufnahme dessen, was amerikanische Sitcom, was Comedy war und ist, was sie, selbst dort, wo sie am generischsten scheint, immer noch momenthaft, in einer Serie, wie es Louie ist, privilegiert ausbuchstabieren kann: America happened.