serien 2011

Small Town, Big Government Zu Parks and Recreation

Von Simon Rothöhler

Parks and Recreation

© NBC

 

«A small town is a place where there’s no place to go where you shouldn’t»

(Burt Bacharach)

«There is nothing wrong with America that cannot be cured by what is right with America»

(Bill Clinton)

 

Exemplarisch zu nennende politische Karrieren können durchaus in marginalisierten Kleinstädten ihren Anfang nehmen, man denke an den schlaksigen Pfadfinder in Frank Capras Mr. Smith goes to Washington. Warum also nicht auch in der Abteilung für «Parks and Recreation» von Pawnee, Indiana, einer (fiktiven) Stadt, die ihr koloniales Erbe in blutrünstigen Pionierzeit-Gemälden ausstellt und mit dem Slogan «First in Friendship. Fourth in Obesity» für sich wirbt. Im Deutschen würde man Leslie Knope, die stellvertretende Leiterin des Departments, eine «Staatsdienerin» nennen müssen, weil es für den englischen Ausdruck «public servant» keine genaue Entsprechung gibt. Wer will, kann bis zu Hegel zurückgehen, um in dieser semantischen Differenz ein ganzes Staatsverständnis begrifflich tradiert zu sehen, das im einen Fall Beamte nicht als Diener der Öffentlichkeit begreift. Das schließt andererseits aber nicht aus, dass man auch in der amerikanischen Provinz eine Lokalverwaltungsstelle enorm staatstragend interpretieren kann.

Seit mittlerweile vier Parks and Recreation-Staffeln führt Amy Poehler diese Leslie Knope immer tiefer in die Fallstricke einer reichlich getrübten Selbst- und Weltwahrnehmung. Kein lokalpolitischer Anlass ist zu gering, um in Knope nicht den Willen zum großen Auftritt zu wecken, keine Bühne zu niedrig, um nicht eine präsidial gemeinte Grußadresse von ihr aus in die Welt senden zu wollen. Noch das kleinteiligste Verwaltungshandeln versprachlicht sie in einer immer leicht entgleisten State-of-the Union-Rhetorik und bei drohenden Wutbürgerrevolten wird notfalls das eigene Subkomitee mit einem Filibuster überzogen, um die Auffüllung einer Baugrube durchzusetzen («This could be my Hoover Dam»).

Knopes vollkommen unverhältnismäßiger sozialer Auftritt ist ein Dauerdefekt, den die Betroffene nur sehr gelegentlich, als irritierte Reaktion ihrer Umwelt, zur Kenntnis nimmt. Wenn überhaupt. Schon gar keinen Sinn hat Knope für die unterschiedlichen Befugnisse der Exekutive – in ihrer administrativen Praxis wird alles zum Regierungshandeln. Parkbewirtschaftung erscheint in diesem bis zur Schmerzgrenze ironiefreien Selbstverständnis als zentrales Medium zur Herstellung eines immer schon national gedachten «public good». Mögen die Post-Lehman-Brothers-USA realiter von einem Niedergangsdiskurs besessen sein, versunken in ein Selbstgespräch, in dem immer verzagter «That used to be us» (Thomas L. Friedman/Michael Mandelbaum) gemurmelt wird – im Parks Department reagiert man auf einen budgetbedingten «government shutdown» mit der kollektiv erzwungenen Wiederbelebung verschütteter Lokaltraditionen. Während in der verhassten Nachbarstadt Eagleton – ein WASP-Ghetto mit Hamptons-Attitüde – der Geldadel wohlstandsverteidigend durchregiert, bleibt Pawnee nur die Entfesselung eines inklusiven Bürgersinns von unten (auch wenn dabei ein Vorzeigepony wie der legendäre «Li’l Sebastian» draufgeht und die Bürger den behördlichen Aktivismus in der Regel mit Gleichgültigkeit beantworten).

Tumult und Verbrüderung

Konzeptuell gesehen gehört zur Comedy-Prämisse dieser Serie ganz wesentlich, dass Knopes auf Realitätsverweigerung basierende politische Ambition von einem schier unmenschlichen Optimismus flankiert wird. Jedes Scheitern wird als Chance gedeutet, keine Erniedrigungserfahrung ist auf Dauer demoralisierend. Ins Grübeln kommt Knope erst (und auch nur kurz), als sie mit dem noch besser gelaunten Chris Traeger konfrontiert wird, einem bundesstaatlichen Finanzprüfer, den Rob Lowe als hysterische Parodie auf die Smartness seiner West Wing-Figur Sam Seaborn spielt. Während der grotesk konfliktscheue Traeger einen Großteil seiner überschüssigen Energie in die Perfektionierung seines nach eigener Ansicht gegen Altersverfall ohnehin immunen Wunderkörpers («My body is a microchip») investiert, bleibt die Kärrnerarbeit in Sachen Budgetkürzung an seinem traumatisierten Assistenten Ben Wyatt (wie immer großartig: Adam Scott) hängen. Wyatt war bereits dort, wo Knope erst noch hin will: Mit 18 wurde er zum Bürgermeister seiner Heimatstadt Partridge, Minnesota gewählt, ließ bei seiner Inauguration keinen Midwestern-Marsch, sondern «Whoomp! (There It Is)» von Tag Team aufspielen und führte anschließend die Stadtfinanzen mit dem Bau eines überdimensionierten Wintersportzentrums in den Bankrott, was die missgünstige Lokalpresse mit der Schlagzeile: «Ice Town Costs Ice Clown His Town Crown» kommentierte.

Im höchst anpassungsfähigen Modus des permanenten Verkennens und Umdeutens einer im Wesentlichen eher garstigen Wirklichkeit übersteht Knope hingegen auch schwere politische Stürme – wie etwa zu Beginn der zweiten Staffel, in der von Paul Feig inszenierten Episode «Pawnee Zoo», als die spitzgesichtige Vorsitzende der «Society for Family Stability Foundation» in der Fernsehshow «Pawnee Today» (Knope: «Our Meet the Press») ihren Rücktritt fordert, weil sich zwei zuvor öffentlichkeitswirksam vermählte Zoo-Pinguine als männlich, schwul und auch vor einem Kinderpublikum sexuell ziemlich aktiv herausgestellt hatten, was die örtliche Gay Community als progressive Intervention zu ihren Gunsten feiert. Knope wiegelt erst medienroutiniert ab («Our position is we have no position»), lässt sich schließlich aber im «The Bulge» («The Bulge is a gay bar? The nights I wasted there …») dann doch rosa Playboybunny-Ohren aufsetzen und als DJ-Einpeitscherin in die Pflicht nehmen. Gerade weil das Soziale in dieser Serie vor allem als unerschütterliche Projektion einer Verwaltungsangestellten existiert, enden Bürgerbegegnungen nicht selten als Einbruch des Realen: in Tumult oder Verbrüderung.

Bürgeramt statt Bossypants

Bis zum jetzigen Zeitpunkt bleibt in der Serie offen, wie sehr, wie eindeutig, wie bewusst Knope der Demokratischen Partei zuneigt («I’m in the Mainstream»). Neben den offensiv bewunderten Vorbildern Nancy Pelosi und Hillary Clinton (die Poehler für Saturday Night Life an der Seite von Tina Feys Sarah Palin parodierte) nennt sie gelegentlich auch Margaret Thatcher «beautiful». Darauf muss man erst mal kommen. Im Büro hängen in Sichtweite einer gerahmten Larry Bird-Autogrammkarte («To Lesly, sink that shot, L.B.») folgerichtig auch feierliche Porträts von Madeleine Albright und Condoleezza Rice einträchtig nebeneinander.

Dass Knopes «bipartisanship» geschlechterpolitisch fundiert ist, wird man jedoch kaum sagen können; ihre begeisterte Bestandsaufnahme des Status Quo («It’s a great time to be a woman in politics») gehört eher zu den Standarddurchsagen des Post-Feminismus. Wer ein kleinstädtisches Bürgeramt jeden Tag im Business-Kostüm betritt, hat offensichtlich wenig Verständnis für die Rhetorik New Yorker «bossypants». Die Sorgen der urbanen Schwestern, mögen sie Carrie Bradshaw oder Liz Lemon heißen, sind jedenfalls nicht die von Leslie Knope. In Pawnee sitzt eben auch kein Mr. Big im Vorgesetztenbüro, sondern ein republikanischer Tea-Party-Hardliner mit Schnauzbart, der Frauen bevorzugt nicht mit ihrem Namen, sondern mit einem energischen (oder nachsichtig-paternalistischen) «woman» adressiert.

Ron Swanson (eine echte Entdeckung: Nick Offerman) heißt dieser gemüseaverse Libertäre, der sich nur vor seiner vor allem in sexueller Hinsicht unbezähmbaren Exfrau Tammy fürchtet und nichts mehr verabscheut als «big government» in kleinen behördlichen Kompetenzzusammenhängen: «My idea of a perfect government is one guy who sits in a small room at a desk, and the only thing he’s allowed to decide is who to nuke.» Die Einstellungspolitik des Departments betrachtet Swanson folgerichtig als patriotische Pflicht zur Sabotage eines übergriffigen Staates; sein Team richtet er konsequent auf zu erwartende Ineffektivität und wechselseitige Blockaden aus. Die apathische Ex-Praktikantin April (Aubrey Plaza), die Arbeitsverweigerung ideal mit passiv-aggressiven Reaktionen auf Bürgeranfragen kombiniert, ist hier genauso herzlich willkommen wie der stets overdresste Underachiever Tom Haverford (Aziz Ansari), der am Ende der dritten Staffel das Department verlässt, um «Pawnee’s first media conglomerate» ins Leben zu rufen, ein kundenloses Unternehmen namens «Entertainment 7twenty», in dessen Designerloft-Firmensitz Detlef Schrempf (himself) stoisch Körbe wirft und eine Gruppe blasierter Mannequin-Sekretärinnen auf Knopfdruck in Tanzbewegungen ausbricht («You just have to press the party button»).

Es gehört zweifellos zur Erfolgsformel von Parks and Recreation, dass die von Greg Daniels und Michael Schur entwickelte Serie trotz Poehlers Präsenz im Kern als Ensemblestück reüssiert und nie zu lang in den Niederungen der reinen Bürobeziehungskomödie verweilt. Nahezu sämtliche Nebenfiguren (inklusive Gastauftritte: Louis C.K.!) sind mit exzellenten Komödienhandwerkern besetzt, deren Performance nicht beim virtuosen Spiel mit Überzeichnungen, Klischees, Running Gags stehen bleibt, sondern im Pointenhagel zugleich genuin idiosynkratische Charaktere herzustellen und kontinuierlich weiterzuentwickeln versteht. Selten wird hier «quirkiness» auf einem gut abgehangenen Niedlichkeitslevel eingepegelt. Je grimmiger die Nachrichten aus der US-amerikanischen Wirklichkeit klingen, desto schriller schallt der Machbarkeitsenthusiasmus aus dem Parks Department zurück.

Öffentlicher Beobachterblick

Anfänglich fehlte NBC das Zutrauen zu dem schwer in den Mainstream hinein kommunizierbaren Format; zwischenzeitlich, nach der zweiten Season, wurde es sogar in eine Sendepause geschickt. Heute gilt die Serie trotz weiterhin relativ überschaubarer Quoten allgemein als «late bloomer» (NYT) mit langfristigem Potential. Dass sich Parks and Recreation von Beginn an deutlich von The Office abgrenzte, obwohl NBC Greg Daniels ursprünglich beauftragt hatte, einen Spinoff des (von ihm) adaptierten britischen Erfolgsformats zu entwickeln, mag zu den temporären Missverständnissen und Schwierigkeiten in der Außenpolitik der Serie beigetragen haben.

Mit dem doch sehr viel konventionelleren amerikanischen The Office teilt Parks and Recreation nur auf den ersten Blick den filmischen Modus. Beide Serien verzichten auf die Lachkonserve, machen aber jeweils unterschiedlichen Gebrauch vom zu Grunde liegenden Mockumentary-Prinzip. Parks and Recreation hat sich offenkundig die komödiantische Beschleunigungswirkung der Multi-Camera- und Jump-Cut-Verfahren von 30 Rock sehr genau angesehen. Vor allem aber funktioniert Parks and Recreation als faux documentary auf besondere Weise, weil die Kamera stur als Stellvertreterin eines öffentlichen Beobachterblicks adressiert wird. Insbesondere Knope spricht ununterbrochen zum «ganzen Volk» – auch wenn es nur darum geht, vandalisierende Teenager durch gutes Zureden vom Hundekotbeutelwerfen auf städtischen Grünflächen abzuhalten. Wer sich in einem präsidialen Staatsdokumentarfilm wähnt, wird begreiflicherweise schnell nervös, coram publico die Fassung (oder auch nur den Faden) zu verlieren.

Es ist dieser – psychopathologisch gesprochen: schon sehr profund internalisierte – offizielle Blick, der die ambitionierte Provinzbürokratin zur entwaffnend unzynischen Aufführung ihres eigenen Begriffs politischer Ernsthaftigkeit verleitet. Mögen die Interventionsmöglichkeiten ihres Departments auch limitiert und für das «greater good» der Nation vergleichsweise folgenlos sein – als emphatischer «public servant» muss Ms. Knope nicht nach Washington gehen, um mit jedem Verwaltungsakt das Primat der Politik zu verteidigen und dabei maximal «dedicated» zu erscheinen. Alles andere wäre small government.