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Episode The West Wing, erste Staffel, Episode 7: «The State Dinner»

Von Ludger Blanke

«Black suede and velvet. Manolo Blahnik slides with a rhinestone and mother of pearl toe buckle»

Als ich The State Dinner, die 7. Folge der ersten West Wing-Staffel zum ersten Mal sah, war ich in einer Situation, die man sich vielleicht wünscht, wenn man eine DVD-Box mit einer Laufzeit von fast 16 Stunden vor sich hat: Ich lag mit einer schweren Erkältung im Bett. Vielleicht war es dem Fieber geschuldet, aber: Diese etwa 40 Minuten langen Episoden waren für mich das größte TV-Wunder, seit ich als kleiner Junge aufbleiben durfte, um nachts um drei die Mondlandung von Apollo 11 auf dem von meinem Vater für dieses Ereignis angeschafften Schwarzweiß-Fernseher zu schauen.

Ich arbeite zuweilen für einen großen Sender und filme etwas, was sich schwer darstellen lässt: Politik. Ich drehe also Parlamentsdebatten, Ausschusssitzungen, Hintergrundgespräche, Parteitage, Staatsbesuche. Es geht dabei immer um Verdichtungen und Repräsentation: um die zwei oder drei sende- und zitierfähigen Sätze aus einem Interview oder einer Rede, um Begrüßungsrituale, Auf- und Abtritte, oft auch nur um die Anwesenheit in einem Bild. Die dabei entstehenden kurzen Filme erfüllen viele Zwecke; einen Zweck aber bestimmt nicht: zu zeigen, wie es wirklich ist oder wie etwas entsteht.

The West Wing zeigt die Arbeit am politischen Text. Die Formulierung, das Dichten einfacher Sätze, Beschwörungsformeln und Mantras innerhalb des hochcodierten politischen Sprechens. Die Serie spielt, und da ist sie im wesentlichen fast ein Kammerspiel, im Arbeitsflügel des Weißen Hauses in Washington. Ihre Helden sind der Stab, die Communication Directors, Redenschreiber, Ratgeber und Spindoktoren des amerikanischen Präsidenten. Sie planen und kontrollieren die Handlungs- und Sprechweisen ihres Chefs. Das ursprüngliche Konzept der Serie sah vor, POTUS, den «President of the United States», gar nicht oder nur sehr gelegentlich auftauchen zu lassen. Das Oval Office wie einen heiligen, aber leeren Raum zu behandeln. Spätestens in der State Dinner-Folge wurde dieses Konzept über den Haufen geworfen und Präsident Josiah Bartlett, gespielt von Martin Sheen, wird zu einer zentralen Figur: The Wise Guy, der einem Frank Capra-Film entsprungen sein könnte, wie eigentlich das gesamte Personal der Serie.

Die Folge beginnt mit einer elegant bewegten, endlos ungeschnittenen Einstellung. C. J. Cregg, die Pressesprecherin des Weißen Hauses auf dem Weg aus dem Presseraum durch den West Wing. Die Kamera folgt ihr, bahnt den Weg, umkreist sie, schneidet durch Flure, Wände und Räume. Während dieses langen Ganges trifft sie die Mitarbeiter des Stabes und erhält ihr Briefing für den Tag. High-Speed-Dialog. Walk and Talk. Es geht heute (und in dieser Folge) um folgendes: Das State Dinner mit dem indonesischen Staatspräsidenten, einem mit Hilfe der USA demokratisch legitimierten Diktator. Die genaue Wortwahl des Präsidenten bei der Ansprache an seinen ungeliebten Gast. Die Garderobe der First Lady bei diesem Empfang. Der drohende Streik der Transportarbeitergewerkschaft für eine Angleichung der Arbeitsbedingungen der freiberuflichen an die der festangestellten Mitarbeiter. Die Belagerung einer religiös-rechtsradikalen Sekte, die sich mit einem Haufen Waffen und Kindern als Geiseln in einer Farm verschanzt hat. Einen Hurrikan, der zunächst den Staat Georgia bedroht, dann aber seine Richtung wechselt und den vorsorglich evakuierten Flottenverband der Marine in eine Katastrophe stürzt. Nicht wenig für einen Tag und für 40 Minuten. Daneben gibt es die üblichen Rivalitäten und Liebesgeschichten des Personals.

Das Walk and Talk ist ein Markenzeichen dieser Serie und ihres Regisseurs Thomas Schlamme. Die Travellings durch den Arbeitsflügel des Weißen Hauses kommen mir im politischen Kontext vor wie der eloquente Gegenschuss zu den Handkamera-Einstellungen des Direct Cinema, das den Personen folgte, mit dem Überraschungseffekt des Originaltons, der ständigen Öffnung neuer Räume und einer im Dokumentarfilm nie gesehene Nähe zu den Figuren; hier werden sie geradezu eingesogen von der die Räume durchschneidenden Steadycam-Choreografie. Aaron Sorkins Screwball-Talk, noch mehr Mitarbeiter, die von den Seiten das Bild durchqueren, als Pfleger und Schwestern in der Notaufnahme bei ER – aber auch dies hier ist ein Emergency Room, das Allerheiligste der westlichen Demokratie. Das Oval Office als Altarraum, der West Wing als Sakristei, Hinter- und Seitenbühne, Schminkraum und Kostümfundus der Eucharistie des politischen Theaters.

Geradezu euphorisch feiert die Serie den produktiven Streit und den Dialog, aber hier, in dieser Folge, geht eigentlich alles schief: Der drohende Streik wird nur durch eine Erpressung (der Präsident droht mit Verstaatlichung) abgewendet, das State Dinner zu einem wenig glücklichen Ende geführt, nachdem der Toast des Präsidenten sich in Ton und Wortwahl vergreift, weil etwas Privates sich in den Code der Redenschreiber gemischt hat. Und im Falle der Hurrikankatastrophe kann nichts anderes als Trost (in einem dramatischen Dialog mit dem Funker eines Beibootes) gesprochen werden. Am deutlichsten wird dies im Subplot mit der belagerten Farm: Der Unterhändler des FBI wird angeschossen und lebensgefährlich verletzt. Danach stürmt das FBI und befreit die Geiseln – mit Gewalt.

Als der Supreme Court im Dezember 2000 die Neuauszählung der Wahlzettel in Florida nicht zugelassen hatte und damit die Präsidentschaft des Republikaners George W. Bush eine Tatsache wurde, gab es einige, die behaupteten, die während der letzten Clinton-Jahre gestartete Serie würde in der dritten Staffel ihre Daseinsberechtigung einbüßen und folgerichtig eingestellt werden. Stattdessen lebte sie noch weitere fünf Jahre. Die alternative Realität der Serie bekam durch die Wirklichkeit der Bush/Cheney-Administration einen neuen, entscheidenden Spin. The West Wing lässt sich wie das Drehbuch einer idealisierten, zukünftigen demokratischen Präsidentschaft lesen. Ob dieses Drehbuch nach dem Wahlsieg Obamas Wirklichkeit geworden ist, wird sich zeigen.

 

The West Wing. Erste Staffel, Episode 7:«The State Dinner» (Erstausstrahlung 10. November 1999, NBC). DVD bei Warner Home Video