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Andreas Goldstein & Jakobine Motz «Ich sage etwas, aber es bleibt noch vieles zu sagen»

Von Bert Rebhandl

© oben: Patricia von Ah | unten: © Jakobine Motz

 

Mit dem Film Adam und Evelyn von Andreas Goldstein nahm das deutsche Kino die DDR 30 Jahre nach der Wende kürzlich noch einmal neu in den Blick. Nun kommt auch noch Der Funktionär heraus, in dem Goldstein sich mit seinem Vater auseinandersetzt, dem DDR-Politiker Klaus Gysi. Die Kamerafrau Jakobine Motz war bei beiden Filmen (bei Adam und Evelyn vor allem auch als Drehbuchautorin) sowie auch schon 2006 bei dem Kurzfilm Detektive beteiligt. Ein Gespräch über politisches Kino und das Utopische an einem Verzicht auf Ausstattungsrealismus

 

Wir wollen über den Spielfilm Adam und Evelyn und den Dokumentarfilm Der Funktionär sprechen, die im Abstand weniger Wochen ins Kino kommen. Liegen sie in der Entstehungsgeschichte auch so nahe beisammen?

Andreas Goldstein: Zuerst war Adam und Evelyn. Wir hatten schon zwei Jahre an dem Buch geschrieben, da hatte ich einen Fahrradunfall mit einem Sprunggelenksbruch. Ich war zwei Wochen im Krankenhaus, danach bin ich zu Hause ein Vierteljahr gelegen. Ich konnte am Drehbuch nicht weiter schreiben. Ingo Schulze (der Autor der gleichnamigen Romanvorlage) brachte mir eine Flasche Whiskey vorbei und meinte, das wäre eine schöne Koinzidenz, er hätte den Roman in der Villa Massimo in Rom geschrieben, weil er sich die Achillesferse gerissen hätte und die anderen Stipendiaten baden und zu Ausflügen gegangen wären. Der Whisky hat mir geholfen das Exposé zu schreiben.

Warum bedurfte es eines harten Getränks, um den Vaterfilm auf den Weg zu bringen? Ihr Vater Klaus Gysi war – als Minister für Kultur, später als Staatssekretär für Kirchenfragen – ein hochrangiger Vertreter des DDR-Systems.

AG Sich dem eigenen Vater zu stellen, ihn anzuschauen ist ja keine einfache Sache. Freunde sagten, wie du mit oder ohne Alkohol davon erzählst, du solltest darüber einen Film machen. Familiengeschichten sind ein durch Verletzungen vermintes Gelände. Ich habe begonnen, mich den eigenen Erinnerungen auszusetzen. Was kann ich über meinen Vater überhaupt sagen, woran erinnere ich mich? Ich habe dann versucht, einen Text zu schreiben, der in jedem Moment genau ist. Als ich Geld für die Entwicklung des Films hatte, habe ich mit der Recherche begonnen.

Und das Drehbuch zu Adam und Evelyn war auch noch nicht fertig?

Jakobine Motz: Fertig war es zu diesem Zeitpunkt auf keinen Fall. Wir haben etwa vier Jahre daran geschrieben, 2012 bis 2016. Wir dachten, dass wir 2016 schon drehen könnten, mussten dann wegen der Finanzierung aber um ein Jahr verschieben.

Zwischen dem Buch und dem Film gibt es ein paar markante Veränderungen. Zum Beispiel, was die Figur von Adam anlangt. Sie haben einmal gesagt, Sie hätten versucht, das Drehbuch aus der Vorlage «herauszumeißeln». Sie gehen aber weiter, nehmen auch weg. Zum Beispiel ein sexuelles Abenteuer von Adam.

AG Die größten Eingriffe liegen am Anfang der Geschichte. Im Roman betrügt Adam Evelyn explizit. Kurz danach zankt das Paar ja schon wieder. Wenn man den Roman szenisch umgesetzt hätte, mit den ganzen Dialogen, dann wäre das eine Operette geworden. Wenn Adam im Film betrogen hätte, wäre das so hart gewesen, dass sich die Figur davon nicht erholt hätte. Weil der Film leider immer psychologisch gelesen wird. Es ging in dieser ganzen Arbeit auch immer darum: Wie umschifft man die Psychologie?

JM Das eine war ein ganz konkretes Austarieren: dass Adam und Evelyn beide die Geschichte vorantreiben und ihre Konflikte auch austragen können, ohne den Rahmen zu sprengen. Mit Adams Fehltritt ist ganz schön was vorgelegt. Die Frage war: Was also kann und muss Evelyn tun, um das wieder auszugleichen? In einer Paarbeziehung geht es immer um Balance. Das war eine ganz langwierige Arbeit. Jede kleine Änderung hatte Auswirkungen auf alle anderen Begebenheiten.

AG Der Roman hat es leicht, er kann sagen, das sind Adam und Evelyn, damit sind die gesetzt, das kann der Roman in einem Satz machen. Im Film ist es anders. Man hat eine Figur, die sich im Raum bewegt, und von der man erst mal gar nichts weiß. Die Hauptschwierigkeit zu Beginn lag darin, dass dieses Paar im Grunde hundert Jahre gelebt haben soll bis zu diesem Tag, an dem die Geschichte anfängt. Wir wollten es nicht blöde amerikanisch machen mit Fotos im Hausflur, die auf früher verweisen. Die Zeit davor, vor der ersten Szene, stellt eine Unendlichkeit dar. Wir wollten so tun, als hätten sie bis zu diesem Moment in einer zeitlosen Zeit, in einer märchenhaften Zeit gelebt, und dann geht die Geschichte los.

Noch eine Facette der Figur Adam aus dem Buch, die in der Darstellung des Films wegfällt: die Zigarre, der «Stinkestumpen». Ich sehe in diesem literarischen Detail ein Element männlicher Zumutung an die Umwelt, das Sie auch mit Bedacht gestrichen haben.

JM Wir haben für die Figuren auch noch einmal ein eigenes Gefühl entwickelt, weg von den Romanfiguren, auch von deren Habitus, den diese Menschen in dieser Welt und in der DDR – um es auch einmal auszusprechen – haben. Wichtig war auch noch, dass Adams Verhältnis zur Arbeit und zu den Menschen, die ihn da umgeben, nicht überdeckt wird von dieser Großspurigkeit.

AG Wenn er sie richtig betrogen hätte, hätte das die ganze Arbeit zugedeckt. Das Nähen wäre dann ein Anhängsel am Sex.

Wie alt ist Adam? 1989 war die DDR eineinhalb Generationen alt.

AG Adam ist im Roman Ende zwanzig, Anfang dreißig. Also etwa älter, als wir damals waren.

Der Hauptdarsteller Florian Teichtmeister wirkt jugendlich, ist aber doch deutlich ein Jahrzehnt älter.

AG Heute sind die Schauspieler ja mit 30 noch Jugenddarsteller. Wenn Adam also Jahrgang 64 ist, und wir ihn für das Jahr 1989 mit einem 25-jährigen Darsteller besetzt hätten, dann wäre die politische Dimension abhanden gekommen. Dann hätte der Film am Ende, wenn Evelyn ein Kind erwartet, gesagt: Jetzt ist es Zeit, erwachsen zu werden. Das Schöne am Drehbuch war, dass man sich das nicht vorstellen musste oder sich jeder sein eigenes Alter, sich selbst, vorstellen konnte. Es gab da noch nicht die Störungen durch die Konkretionen des Films.

JM Heute sind junge Leute länger auf der Suche nach ihrem Weg. In der DDR war man früher eigenständig und erwachsen, hatte einen Beruf, war früh auf Schiene. Sich beruflich umzuorientieren, war kaum vorgesehen.

AG Frauen mit Mitte 20 waren in der DDR erwachsen, hatten unter Umständen schon Kinder und waren vielleicht sogar geschieden.

JM In der DDR war alles relativ vorgeplant und geregelt, nach der Schule war man auch finanziell schon mit einem halben Bein halbwegs selbständig, das sind junge Leute heute zum großen Teil nicht so schnell.

AG In der DDR war nicht die Familie zuständig, die Laufbahn des Kindes zu finanzieren. Das hat sie unabhängiger gemacht.

Das sind Freiheitsaspekte, die aber auch einen Preis hatten: Insgesamt waren die Optionen geringer, abenteuerliche Sozialisationen waren nicht vorgesehen.

AG Ja, dass ich mich als Student an der Humboldt-Uni vormittags in ein Café setzen konnte, war ein Luxus. Es saßen da auch nicht viele Leute. Tagsüber war die Stadt viel leerer, auch die Kaufhäuser waren am Vormittag leer. Ein Studium abzubrechen, wie es Thomas Heise getan hat, das musste man sich erst mal leisten können. So wie ich den Mund, durch meinen Vater geschützt, aufreißen konnte, so wurde Thomas durch Müller aufgefangen. Er wusste auch, es geht irgendwie weiter. Das waren aber privilegierte Existenzen.

Ingo Schulze wurde 1998 mit Simple Storys bekannt. Mit einem Roman voller Kurzgeschichten.

AG Ja, die Kürze ist die Stärke bei Schulze. Bei Adam und Evelyn sind die Kapitelenden grandios. Da gibt es Bilder, die «einfrieren» oder wie mit einer Kamerafahrt vergrößert oder in die Totale gesetzt werden. Ein Kapitel endet zum Beispiel damit, dass Adam das Zelt aufschlägt und an den Kiefernnadeln riecht, die vom Urlaub aus dem letzten Jahr zurückgeblieben sind. Das sind solche Momente. Da legt Schulze gar keine Kraft drauf, dass macht er nebenbei. Ich hab ihn mal danach gefragt. Da sagte er nur: Na, irgendwie muss ich ja das Kapitel beenden. Es gibt eine Szene im Roman, die leider nicht im Film ist. Da legt Evelyn die getrockneten Socken zusammen. Eine Socke bleibt übrig, zu der es keine zweite gibt. Da sagt Adam: «Das ist doch immer so.» Damit endet das Kapitel. Das sind Sätze bei Schulze, die, wie die Malerin Regine Spangenthal sagte, wie Nadeln durch das Gewebe der Erzählung stechen. Das sind Sätze, die im Raum stehen bleiben.

JM Das nicht Ausgesprochene ist im Film noch viel wichtiger als im Roman. Aber Schulze gab mit dem Roman auch schon eine Vielschichtigkeit vor, die uns sehr wichtig war. Wir haben manches dazugeschrieben oder Situationen aus dem Roman stark gekürzt. Dann haben wir unsere Szenen auf diese Mehrdimensionalität hin auch überprüft, sie nur so angeschaut. Es gab dann auch Momente, wo wir dachten, nein, die Mehrdimensionalität ist uns gerade abhanden gekommen. Diese liegt im Grunde in Schulzes Qualität des Erzählens, was dann aber eine filmische Übersetzung finden musste.

Die politische Dimension des Films – wo ist sie zentral?

AG In verschiedenen Momenten der Geschichte. Der wichtigste Punkt ist vielleicht Adams Arbeit. In ihr aber steckt ein utopisches oder kommunistisches Element. Eine Arbeit, in der Kunst und Handwerk nicht getrennt sind. Er macht schöne Gebrauchsgegenstände und ist dabei vollkommen frei.

JM Und die Freude. Er hat Freude an seiner Arbeit.

AG Im Grunde sind das bei ihm Nahrungsmittel. Ein natürlicher Kreislauf, im marxschen Sinne. Die Liebe und das Begehren sind ein Teil der Arbeit. Die ist zwar nicht typisch für die DDR. Das Ideal wird hier in der Nische gelebt. Das beschneidet das Ideal. Aber es war dennoch beherrschend, als Wunsch.

JM Es geht im Film viel mehr um Sehnsüchte als um die konkrete Beschreibung dieses Landes.

Adam und Evelyn gehen auf eine zugleich unschuldige und gereifte Weise miteinander um.

JM Man darf nicht verallgemeinern, Menschen mussten in gewisser Weise früher erwachsen werden. Dadurch wurden Prozesse im Mitmenschlichen vorangetrieben. Wenn man Anfang 20 schon verheiratet war und Kinder hatte, waren das andere Herausforderungen, denen man sich stellen musste. Und das unter diesem ganz wichtigen Vorzeichen, dass beide berufstätig waren. Daran sind auch die Paare gereift. Die Frauen hatten ja durch die Arbeit auch eine finanzielle Unabhängigkeit.

AG Nicht nur, dass die Frauen gearbeitet haben, hat das Leben verändert. Sondern auch die relative Gleichgültigkeit des Geldes überhaupt. Ein Lehrer hat 800, 900 Mark verdient, mein Vater hat als Minister 5000 Mark bekommen, und das war Geld, das man sinnvollerweise gar nicht ausgeben konnte, weil man mit der DDR-Mark bestimmte Dinge gar nicht bekam. Geld war von begrenztem Nutzen.

JM Noch mal zu dem Paar. Ich glaube, dass Adam und Evelyn ja auch eine Entwicklung miteinander machen. Sie lernen sich sehen durch den Konflikt. Ich denke, dass es eigentlich ein Reifeprozess ist, den sie erleben, ein bisschen eben wie das biblische Paar, das sich in seiner Nacktheit zu sehen beginnt. Adam und Evelyn sind nun in gewisser Weise doppelt nackt, wie sie in der neuen Gesellschaft voreinander stehen mit ihren Vorstellungen von der Zukunft und auch und vor allem von dem und der Anderen. Sie sehen etwas im Anderen, was sie gar nicht so genau wussten.

Ein wichtiger Teil des Films ist eine lange Befragung, in der Evelyn einem westdeutschen Beamten gegenübersitzt, der ihre Beziehung verstehen will.

AG Das ist die Dramaturgenszene. So habe ich das dem Schütz erklärt (Bernhard Schütz spielt den Beamten).

 

Oben: Adam und Evelyn (2018) | unten: Detektive (2006)

© Neue Visionen | Salzgeber (© Andreas Goldstein)

 

Das ist die Rolle des Fernsehdramaturgen, der das Drehbuch anschaut und dem hier die Geschichte erklärt wird. Seine Argumente sind auch die Argumente, die ich dem Buch gegenüber gehört habe.

JM «Eine ganz schön wirre Geschichte, finden Sie nicht auch?»

AG Das ist die Lesart, die sich auf die reale Geschichte legt. Szenen, die wir nach dem Ende der DDR erlebt haben. Schütz hat das erst gespielt wie ein Stasi-Scherge, im nächsten Versuch als einfühlsamer Tatort-Kommissar. Das sind eben die Muster. Aber er ist ein extrem kluger Schauspieler. Er wusste ja auch nicht, wer wir sind, was das für eine Produktion ist. Ich konnte ihm auch schlecht helfen. Er hat es dann geschafft, die Naivität, das wirkliche Unverständnis zu spielen. Und war dennoch, als er den Film gesehen hatte, unzufrieden. Das sind die besten Leute. Teichtmeister hat auch immerzu gelitten. Ich leide ja auch und kann den Film bis heute nicht sehen. Noch mal zu dem Paar: Sie begreifen irgendwann, dass sie zusammengehören, dass es nichts löst, wenn sie woanders hingehen. Sie werden sich nicht los. Das ist der Gegensatz zu Evelyns Beziehung zu Michael, dem Mann aus West-Deutschland. Für Michael gibt es immer eine Wahl. Michael ist so unschuldig wie der Beamte, wie Schütz. Milian Zerzwaey hat um seine Rolle gekämpft. Es ist die einzige Figur, die im Roman überzeichnet ist. Wir haben das im Drehbuch gemildert. Aber es blieb dennoch etwas davon zurück. Milian hat mit aller Macht versucht, seine Figur sympathisch zu machen. Das war eine große Leistung. Er hat so Evelyn gerettet, denn sie wäre auch beschädigt worden, wenn sie sich auf einen Idioten eingelassen hätte. Wichtig, wie bei dem Beamten, war auch hier die Naivität oder Unschuld. Ein Kind der Warenproduktion. Seine Freiheit ist die Freiheit des Marktes, die Freiheit, zwischen diesem und jenem zu wählen. Er wählt Evelyn und verspricht ihr seine Paradiese. Er sagt: «Es ist viel schöner, als du es dir vorstellen kannst.» Er versteht sie nicht, wenn sie antwortet: «Du weißt doch gar nicht, was ich mir vorstelle.» Er kann auch Adams Freiheit nicht verstehen, denn Adams Freiheit ist eine Freiheit der Gestaltung. Wenn Michael sagt: «Du kannst deiner Kundin keinen Hosenanzug machen, wenn sie ein Kleid will», antwortet Adam: «Doch, wenn sie im Hosenanzug besser aussieht.»

Michael arbeitet als Zellbiologe an der Unsterblichkeit der Spezies Mensch und sagt: «Schon in 40 Jahren wird das meiste gelöst sein»

AG Das hat Schulze recherchiert, das sind Sätze von Biologen von vor dreißig Jahren.

Michael wird später von der BRD-Botschaft blamiert, während Adam und Evelyn von den Diplomaten der (allerdings untergehenden) DDR gut behandelt werden.

AG Die DDR hat ja gerungen um die Leute. Das Politische des Films liegt in der Provokation, die Geschichte anders herum zu erzählen, in einer Figur, die nicht weg will und im Westen, dem Hort der Freiheit, ihre Freiheit verliert.

JM Das Politische liegt auch in der Frage, wie das Paradies aussehen soll und nach den Utopien der Menschen.

AG Und unsere Freiheit beim Machen des Films war, dass wir kein Geld hatten, die Mauer wieder aufzubauen oder einen realen Zeltplatz am Balaton mit Tausenden DDR-Bürgern.

Irgendwann reduziert sich die Freiheit für einen Moment auf die Freiheit vom Geschirrspülen, weil es dafür in Österreich eine Maschine gibt. Könnte man Adams Geschichte auch mit einem Stachanowisten erzählen, also mit einem Rekordarbeiter, der sich sozialistisch verausgabt? Wohl eher nicht?

AG Hennecke war der DDR-Stachanow. Das war in den 50ern. Diese Zeit war längst vorbei. Die 80er waren eine Rückzugszeit, da war die Partei schon in der Defensive. Man war beschwert von der Frage, wie es weitergeht. Müller sagte, die DDR hätte keine Jeans, weil sie von den Toten beherrscht wird. Das stellte auch eine Last dar. Es war wichtig , dass am Ende Evelyn ihren Anspruch oder ihre Hoffnung auf ein anderes Leben formuliert.

JM Nicht nur persönlich. Sie formuliert eine Vorstellung von einer Gesellschaft, wie sich Gesellschaft verändern könnte.

AG Das ist etwas, das vollkommen verschüttet ist. Dass die meisten Oppositionellen der DDR in ihren Wohnküchen Sozialismuskonzepte verfassten, taucht in den DDR-Erzählungen heute nicht mehr auf. Wenn Adam bei der Westverwandschaft auf dem Sofa sitzt, haben wir eine Nachricht von damals eingesetzt, wo die Ziele formuliert werden, die da ganz fremd ins Westwohnzimmer treten.

 

Der Funktionär (2018)

© Salzgeber | Andreas Goldstein

 

In Der Funktionär heißt es, die Partei hätte im Grunde irgendwann aufgegeben. Möglicherweise schon mit Honecker.

AG Natürlich waren der DDR ab einem gewissen Zeitpunkt die Leute lieber, die sich zurückzogen. Leute, die schon mit einem Bein innerlich im Westen standen, waren bequemer als die, die etwas ändern wollten. Adam ist ein Symptom dieser Zeit. Einer, der seine Freiheit in der Nische findet. Wir haben die DDR in unserer Lebensspanne nicht anders erlebt. Mit solchen Leuten wie im Buch hatte ich eigentlich nicht viel zu tun. Wir haben ja lange über die konkreten Schneider nachgedacht. Die Schneider waren die ersten, die im Westen waren, obwohl ihnen dort ihre Arbeit abhanden kam. Das ist bei Schulze eine schöne Konstruktion.

JM Insofern haben die Figuren auch noch einmal etwas Utopisches an sich und beschreiben nicht so sehr etwas DDR-Realistisches. Fast so wie unsere Ausstattung, die auch nicht naturalistisch ist.

AG Mit Schulze rede ich jetzt darüber, ob wir uns in der DDR begegnet wären. Er kommt aus einem evangelischen Elternhaus, bürgerlich, seine Mutter war Ärztin. Er stand politisch woanders.

Wo kommen Sie her?

JM Meine Mutter war Fotografin, mein Vater hat Biologie und Chemie studiert und in verschiedenen Berufen gearbeitet. Meine Eltern hatten immer eine kritische, aber zugewandte Haltung zur DDR gehabt. Das Kritische haben sie uns Kindern immer kommuniziert, es gab aber nie die Idee, in den Westen zu gehen. Meine Eltern haben auch viele Behinderungen und Schwierigkeiten erlebt. Mein Vater hat so auch mal seine Arbeitsstelle verloren. Es gab schlechtere und bessere Zeiten. Ich glaube, es gab aber auch die Hoffnung, dass man etwas verbessern kann, auf jeden Fall die Vorstellung, dass man an der DDR ganz viel verbessern müsste. Wurde alles aber trotzdem als normales DDR-Leben empfunden. Meine Eltern waren nicht in der Partei. Es gibt auch Stasi-Akten, sie wurden beschattet und das Telefon wurde abgehört. Vielleicht war das für meinen Vater gar keine Überraschung. Ich hatte nicht diese Resignation und den Wunsch, weggehen zu wollen. Als die Mauer fiel, war ich gerade 22. Die Frage ist aber, wann man an die eigenen Grenzen gestoßen wäre …

AG Das wäre sehr heikel geworden. Die Frage war letztlich, ob man eine Nische gefunden hätte. Wenn man die nicht hatte, war es schon sehr schwierig.

Es gibt eine Rede von Christoph Hein gegen die Zensur im Jahr 1987. Haben Sie die wahrgenommen?

AG Ja. Da war ich an der HU an der Kulturwissenschaft, da wurden in den Seminaren Texte von Christoph Hein gelesen.

In Der Funktionär sieht man Ihre eigenen Fotografien aus der DDR-Zeit. Wie ernsthaft war diese Praxis damals für Sie?

AG Meine Mutter wollte, dass ich Schriftsteller werde. Daraufhin bin ich erst Mal Legastheniker geworden. Dass ich schlecht las und schrieb, war für sie ein Zeichen meiner schriftstellerischen Begabung. Die Fotografie war ein unbesetztes, unbelastetes Gelände. Bei uns ging es immer um Worte und Bücher. Mein Vater bekam ja immer alle Neuerscheinungen der DDR. Einmal im Jahr kam sein Fahrer und schleppte die Bücher bei uns ins Haus. Wir hatten eine riesige Bibliothek ungeöffneter Bücher, das war ein Alb. Ich konnte mich jahrzehntelang nicht trennen von diesen Büchern, es hat mich viel Mühe gekostet, sie loszuwerden.

Wo waren Sie 1989?

AG Ich war an der Uni. Wir lasen Marx. Das war das Beste dort. Wir lasen mit viel Zeit. Die ersten sechzig Seiten der Deutschen Ideologie, den Anfang der Grundrisse, die Frühschriften, solche Sachen. Achim Trebeß und Jörg Petruschat machten die Seminare. Die wichtigste Lektüre neben Marx war Lothar Kühne. Den kennt heute kein Mensch mehr. Da ging es immer um das Einfordern einer kommunistischen Perspektive für die DDR. Das war eigentlich der zentrale Punkt, um den es ging. Die DDR war stark literarisch bestimmt. Für uns war, ein Echo der 50er und 60er, das Drama die wichtigste literarische Gattung. Müller, Hacks, Braun. Mit denen kam man relativ weit, man konnte sich durch sie in der Geschichte orientieren. Mir war 1989 schon klar: Das ist jetzt ein historischer Rückschritt. Eine Gesellschaft, die das Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft hat, war einfach ein ungeheurer historischer Fortschritt gewesen. In diesem Sinne war das Ende der DDR eine Katastrophe riesigen Ausmaßes, soviel war mir klar.

Empfanden Sie es aber auch so?

AG Empfunden hat man davor ja auch die vollkommene Erstarrung. Man war gefangen darin. Die historische Bewertung des Endes der DDR hatte nicht unbedingt einen Bezug zu meiner Erfahrung und zu meinem Empfinden. Das war etwas Erlerntes, das waren die Autoritäten, die einem die Sätze quasi auf den Tisch gelegt hatten. Ich bin durch das Ende der DDR vor allem meine Eltern losgeworden. Meine Eltern haben ihre politische Autorität verloren. An der Filmhochschule habe ich mich selbstständig beworben und bin sogar angenommen worden. Wenn ich mich in der DDR beworben hätte, hätte meine Mutter meinen Vater losgeschickt, um zu organisieren, dass ich dort angenommen würde. Ich wäre dort empfangen worden als derjenige, für den der Vater angerufen hat. Ich hätte mich ganz anders befreien müssen. Politische Kategorien, um dieses historische Ereignis einzuordnen, fehlten. Ich habe das mit Gorbatschow damals noch nicht verstanden.

Von Hacks ist gerade eine Biografie erschienen, man könnte meinen, er wäre immer noch im Kommen.

AG Hacks spielte dann in der Nachwendezeit eine zunehmend größere Rolle für mich, auch Braun.

Sie erwähnen vor allem Volker Braun immer wieder.

AG An der Filmhochschule mussten wir einen Eignungstest machen, da habe ich ein Braun-Gedicht lesen lassen. Und dann ist er mir in den letzten Jahren wieder nahegekommen. Vor allem das Werktagebuch 1990 bis 2008 ist ein wichtiges Dokument des Übergangs in den Kapitalismus. Ich habe mich gefragt, ob sich damit eine Fortsetzung des Vaterfilms machen ließe. Da gibt es genaue Beobachtungen, die er mit harten Sätzen kommentiert. Er sieht in den 90ern die Dinge ganz klar, die ich damals schwerer sehen konnte. Etwa wenn er beschreibt, wie 1990 die Westmark in die Sparkasse in Pankow geliefert wird. Vor der Sparkasse sah er die Männer mit den Maschinengewehren und beschließt den Absatz mit dem Satz: «So also kommt das neue Geld.»

Was haben Sie aus der DDR kulturell mitgenommen?

JM Das geht so in Wellen. Manches kommt auch wieder. Ich bin ganz viel ins Theater gegangen, hab mich am Anfang gar nicht so für Film interessiert, als ich jung war. Das war Hacks, der wurde in den 80ern aber wenig aufgeführt. Müller und Braun mehr. Mit dem Theater bin ich groß geworden. Was hab ich gelesen in der DDR? An Brigitte Reimann kam ich nicht so ran, das habe ich später wieder versucht.

 

Der Funktionär (2018)

© Salzgeber | Andreas Goldstein

 

Autorinnen und Autoren hatten damals eine inoffizielle Botschafterfunktion. Besonders Christa Wolf.

AG Kassandra spielte eine große Rolle in der DDR. Das lasen die Leute wie einen Erleuchtungstext.

JM Ich habe das auch gelesen, mit einer Distanz, erinnere ich.

AG Hein spielte eine extrem wichtige Rolle: Der fremde Freund. Im Westen hieß das Drachenblut. Müllers Stücke. Dann traten die Interviews an die Stelle seiner literarischen Texte. Kassandra war wichtig, weil es Bornemanns «Patriarchat» in der DDR nicht gab. Die ganze Deutung der griechischen Mythologie aus der matrilinearen Erbfolge zum Patriarchat hin. Den Mythos historisch zu verstehen, das gehörte zu den großen Bildungserlebnissen.

Das Buch Das Patriarchat von Ernst Bornemann haben Sie für historisches Wissen gehalten?

AG Ja. Was ist schlimmer? Der Vatermord oder der Muttermord? Das ist das Thema, das in den antiken Tragödien behandelt wird. Von matrilinearer Erbfolge zu sprechen ist ja schon eine vorsichtigere Formulierung. Das ist ja nicht mehr Engels, der von einem ursprünglichen Mutterrecht ausging. Müller war wichtig, weil er einen mit der Geschichte verband: Durch meine Eltern lebte ich immer in zwei Zeiten. Es gab die Vorgeschichte, das war die kommunistische Bewegung, und dann hatte man seine eigenen Erfahrungen im Sozialismus. Das waren immer zwei Perspektiven, die nicht zusammenfielen. Da war eine angelernte Schwere, die aus der Vorgeschichte kam.

JM Das stimmt.

AG Da war Müller nah dran. Weil es bei ihm auch im Grunde darum ging. Immer waren da die Toten, immer waren da die Opfer.

JM Das war überhaupt in der Kunst und in der Literatur, in der Bildenden Kunst, auch im Theater sehr präsent. Jetzt, wo du es sagst.

AG Man stand ja auch als Pionier dreimal im Jahr an einem Ehrenmal für die Opfer des Faschismus. Die Losung war, dass diese Opfer nicht umsonst sein durften. Das eigene Tun ist nicht nur für das eigene Leben oder die eigene Gegenwart von Belang, sondern folgt auch einer Verpflichtung gegenüber den Toten. Darum durfte man das Schiff auch nicht verlassen. Das hatte ich verinnerlicht, als einen tragischen Konflikt, weil die Gegenwart ja schon etwas ganz Anderes war.

JM Das war nicht nur auf die politische Linie beschränkt. Dass die Opfer nicht umsonst gewesen sein durften, dieses Denken war generell sehr präsent und wurde auch auf die anderen politischen Opfer bezogen. Auch auf die Sowjetunion. Die Opfer, die die gefordert hat, wurden oft zwischen den Zeilen verhandelt. Für Ideale wurden Opfer gebracht.

AG Das hört sich sehr christlich an.

JM Das ist protestantisch, dass die Mühen nicht umsonst sind.

Sind diese Toten nicht auch ein Preis, den ein Regime dafür zahlt, dass es die Geschichte auf seiner Seite haben möchte?

AG Das war ja schon eine historische Tatsache und insofern alternativlos. Mit dem Ende der DDR wurden Benjamins geschichtsphilosophische Thesen aktuell. Dass die Toten vor der Gegenwart nicht sicher sind. Und auch, dass die Produktionsverhältnisse der Produktivkraftentwicklung die Richtung weisen.

Könnten Sie ein wenig erzählen, was Sie von 1990 bis 2006, bis zu dem Kurzfilm Detektive gemacht haben?

JM Ich raffe das mal ganz kurz. Ich habe mein Kamera-Studium an der HFF 1994 abgeschlossen, dann ging ich mit einem DAAD-Stipendium ein Jahr nach Ghana. Danach habe ich mich für einen Masterstudiengang am AFI in Los Angeles beworben. Der hat dann im Herbst 1996 angefangen. Zwei Jahre später bin ich zurückgekommen, weil ich die Möglichkeit bekam, an der Filmhochschule Babelsberg eine künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterstelle zu übernehmen. Da habe ich fünf Jahre fest gearbeitet, später noch als freie Dozentin. Andreas und ich, wir hatten im Studium schon zusammen gedreht. 1999 haben wir beide für Prüfstand 7 von Robert Bramkamp gearbeitet. Ich habe da Kamera gemacht und du warst da noch an der Filmhochschule …

AG Ich habe in der DDR begonnen Kulturwissenschaften zu studieren, bis 1991. Das hat mich am Ende nicht mehr so interessiert. 1991 habe ich an der Filmhochschule begonnen, da war ich dann bis 99. 99 war Robert (Bramkamp) da, er hat sein Team für Prüfstand 7 aus der Filmhochschule rekrutiert. Jakobine hat meine erste Filmübung gedreht, über die Trabrennbahn in Karlshorst. 16 mm Schwarzweiß. Das Material war zu schön, um es in einen Film zu zwingen. Das habe ich aber erst später verstanden. Erstmal bin ich am Material gescheitert. Wir hatten einmal die Fantasie, dass Adam und Evelyn in Budapest ins Kino gehen und dort diese Bilder sehen, um das Material doch noch auf die Leinwand zu bekommen. Bei Prüfstand 7 habe ich Produktionsleitung gemacht. Für mich war die Filmhochschule schrecklich. Die Rettung war, dass Robert und Helke Misselwitz kamen. Durch Robert bin ich an Laurens Straub geraten und habe bei ihm als freier fester Producer gearbeitet. Dort habe ich gelernt, wie man Förderanträge stellt und mit Redakteuren telefoniert, und was eine Kalkulation ist. Ich fand diese praktischen Dinge ungeheuer angenehm. Detektive entstand in dieser Zeit. Ich durfte für diesen Film das Briefpapier der Firma benutzen und mir selbst einen Text schreiben, in dem ich Laurens erklären lasse, warum dieser Film so wichtig ist. Das Drehbuch habe ich mit Olga Fedianina geschrieben und wir haben 2005 gedreht.

Der Witz in Detektive ist, dass die Staatssicherheit literaturtheoretisch avanciert ist. Romane und Berichte gehen ineinander über. Bei einem Abhörauftrag heißt es ausdrücklich: darauf achten, welche Bilder und Metaphern verwendet werden.

AG Der Stasimann kriegt seine Romane nicht unter. Das, was er schreibt, kommt in den Berichten nicht unter. Der Witz war diese Verdrehung.

JM Wir haben ziemlich lange an dem Film gearbeitet, auch lange vorbereitet. Gedreht haben wir auf 35 mm in Schwarzweiß. Wir hatten Schäden im Kopierwerk und haben nachgedreht. Die Endfertigung dauerte dann noch einmal über ein Jahr. In der Zwischenzeit wurde Das Leben der Anderen gedreht, und dann kamen wir zeitgleich raus.

AG Wir waren mit Detektive in Venedig. Lief da auch der Donnersmarck? Nein, ich glaube nicht. Hast du ihn damals gesehen? Ich war mit Robert im Kino.

JM Er wurde ja sehr unterschiedlich aufgenommen. Ich habe mich total gewundert, dass Leute aus der DDR den sehr gut fanden. ‹Endlich mal die DDR, wie sie wirklich war› – das habe ich auch gehört. Die meisten, mit denen ich mich geistig verbunden fühle, fanden den Film ziemlich schrecklich. Vereinfachung kann man dazu gar nicht sagen. In dem Film ist alles so verkürzt und verdreht und holzschnittartig. Ich finde den einfach extrem schwierig, und am schwierigsten ist, dass er diese Geschichte als Behauptung erzählt, dass er damit Schlusspunkte setzt. Gut und Böse verdreht er auch noch. Wenn man keine Erfahrungen mit der DDR-Geschichte hat, wird einem suggeriert: So war’s. Der Film kommt mit der Haltung daher, dass er die absoluten Antworten hat.

AG Ich hab ihn gar nicht mit der DDR in Verbindung gebracht. Für mich spielt er in einem unbekannten Land irgendwo zwischen Tirana und Bukarest oder in einem fiktiven Staat, weil das mit der DDR alles von vorn und hinten nicht stimmte. Der Film hatte aber auch etwas bizarr Anziehendes. Das Schwierigste an dem Film sind die Frauenfiguren. Dort schlägt Donnersmarcksche Wirklichkeit am deutlichsten durch. Es gibt ja nur zwei Frauen, die eine, die sich dem Minister hingibt – sie ist das Opfer –, und die andere, die Nachbarin, ist eine Denunziantin. Eine drittklassige Schauspielerin von einem Provinztheater hätte sich nicht mit meinem Vater ins Bett gelegt, wenn sie es nicht gewollt hätte. Das ist das Verräterische an dem Film, das hat mit der DDR nichts zu tun.

JM So ist es, wenn man einen Film über «das Leben der Anderen» macht.

AG Genau. Was man nicht kann, und was man nicht soll.

JM Das sind dann doch immer die Konsequenzen der Mittel: eine naturalistische Ausstattung und ein realistisches Bild. Und nicht nur das, sondern auch, wie die Figuren miteinander reden und was gesagt wird. Damit setzt man Behauptungen.

AG Das sind Filme als Bestattungsunternehmen. Sie «erledigen» ihr Thema. Es wird gefressen. Filme, die sich auf etwas draufsetzen und die Sache dicht machen. Zu wünschen wäre die Haltung: Ich sage etwas, aber es bleibt noch vieles zu sagen.

Das eine ist der Film, das andere ist das Bedürfnis, auf das er in der Öffentlichkeit traf.

AG Das hat auch etwas mit der Geschichte zu tun. Die Filme Anfang und Mitte der 90er Jahre sind noch offener. Sonnenallee, Go Trabi Go, Goodbye Lenin, da gibt es noch viel mehr Filme, die man jetzt auch zum Teil gar nicht mehr kennt. Einfach raus (Peter Vogel, 1991), das war einer, den wir gar nicht kannten, den uns die Kostümbildnerin geschickt hat, und der in Ungarn in diesem Sommer spielt. Der ist viel diffiziler und ironischer. Mit der zunehmenden Legitimationskrise des Kapitalismus in den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren ist die Notwendigkeit größer geworden, den Sozialismus noch einmal hinzurichten. Das ist im Grunde Staatskunst. Das hat angezogen und lässt jetzt nicht mehr nach. Zu den schwierigsten und schmerzvollsten Erlebnissen gehört, dass Leute, die dabei waren, bei diesen Filmen sagen: So war es. Die Leute sind dankbar, dass sie überhaupt vorkommen. Sie sind schon dankbar, wenn der Stasimann ein armer Schlucker ist. Man ist auch selbst vor Missverständnissen nicht geschützt: Bei Adam und Evelyn sagte jemand, man sehe dort, dass die Leute in der DDR nicht offen miteinander reden konnten.

Adam und Evelyn ist das Gegenteil eines Bestattungsunternehmens. Er erzählt nicht, jedenfalls nicht im ausstattungsrealistischen Sinn, wie es gewesen ist, sondern wie es hätte sein können.

JM Das hätten wir mit viel Geld auch so gebaut.

AG Ich habe lange mit etwas gehadert: Es gab so tolle Momente, wenn wir im Schnitt die Szenen für sich sahen. Wir stellten also Überlegungen an, ob man die Szenen trennt: durch Kapitel, durch Nummern oder indem wir die Tage zählen. Das hätte aber auch bedeutet, den Film hinter einer ästhetischen Form zu verschanzen.

JM Die Frage war, ob das wieder etwas zumachen würde, was die Form jetzt öffnet.

AG Adam und Evelyn wäre dadurch ganz klar als Kunstfilm ausgewiesen, und damit nicht so angreifbar. Wir haben uns dann für die verletzlichere Variante entschieden, die sich nicht absichert gegen Missverständisse, zum Beispiel als Liebesfilm: Ein Mann fährt seiner schönen Evelyn hinterher

JM Man kann Dinge ja auch konkret äußern und trotzdem offen bleiben, indem man eine fragende Form wählt.

 

Das Gespräch führte Bert Rebhandl im Februar 2019 in Berlin