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In ein anderes Grau Anmerkungen zur spezifischen Lebendigkeit der DDR im deutschen Kino 20 Jahre nach ihrem Ende

Von Matthias Dell

Das Leben der anderen (2008)

© Wiedemann & Berg Filmproduktion / Buena Vista

 

In dem Roman Ich schlage vor, dass wir uns küssen von Rayk Wieland, der in diesem Frühjahr erschienen ist, erwischt den Protagonisten, einen gewissen Herrn W., die Erinnerung auf dem falschen Fuß. In seinem Briefkasten findet W. ein Schreiben, das ihn zu einem Symposium mit dem Titel «Dichter. Dramen. Diktatur. Nebenwirkungen und Risiken der Untergrundliteratur in der DDR» einlädt. Das Problem von W. ist nun: Er weiß nicht, was diese Einladung mit ihm zu tun hat, er kennt sich nicht als Schriftsteller und als unterdrückten schon gar nicht. In das fürsorgliche Fadenkreuz des unterzeichnenden V.U.U.D., des «Vereins der unbekannten Untergrunddichter Deutschlands», ist W., wie sich herausstellt, durch pubertäre Liebesgedichte an eine Westbekanntschaft geraten. In diesen Texten reimt sich «umziehn» auf «Berlin», weshalb eine philologisch geschulte Staatssicherheitsabteilung, die sich W. in satirischen Farben ausmalt («Einsatzbrigade Sonett»), auf den jungen Poeten aufmerksam geworden war. «Ich schlage vor, dass wir uns küssen» weist auf die Narbe, die der Umgang mit der DDR nach ihrem Ende auch in ästhetischen Diskursen hinterlassen hat und von dem sich Wieland 20 Jahre nach diesem Ende durch einen harmlos-souveränen Ton zu emanzipieren versucht.

Die filmische Erinnerungsarbeit in dieser Zeit gleicht ein wenig jenem Trugbild, mit dem sich Wielands W. aus der Perspektive seines gelebten Lebens konfrontiert sieht. Das liegt daran, dass das Kino – wie der gesellschaftliche Diskurs – auf die DDR in einer Weise politisch, wenn nicht ideologisch zurückgegriffen hat, die eine Auseinandersetzung mit dem Gewesenen zwangsläufig verengte. Die Filme, die sich nach dem Ende der DDR mit ihr befassten, lassen sich grob in drei Kategorien einteilen, die nicht nur chronologischen Erwägungen folgen.

Zum ersten wären da jene Filme namhafter DDR-Regisseure der zweiten DEFA-Generation, die im Zuge der Zeitenwende von 1989 entstanden sind: Roland Gräfs Verfilmung eines Buchs von Christoph Hein, Der Tangospieler (1990), Der Verdacht von Frank Beyer (1991), Verfehlung von Heiner Carow (1991) oder Stein von Egon Günther (1990/91). Während der Dokumentarfilm sich dem Takt der politischen Verschiebungen euphorisch anpasste (die Dokumentation Leipzig im Herbst von Andreas Voigt feierte etwa schon auf der Leipziger Dokfilmwoche im November 1989 Premiere), fanden die Spielfilme dieser Zeit, häufig vor dem Mauerfall geplant, schließlich ins Kino gekommen, kaum mehr ein Publikum. Reflexion über das Geschehene leisten sie kaum. So zeugen sie heute als Schlusspunkte von Filmografien vor allem vom abrupten Ende des DDR-Filmstudios und einer abgebrochenen Filmgeschichte beim Übergang ins westdeutsche Fördersystem.

Geschichtsversöhnungskino

Zum zweiten gibt es eine Reihe von Filmen westdeutscher Regisseure wie Margarethe von Trotta (Das Versprechen, 1995), Helma Sanders-Brahms (Apfelbäume, 1992), Volker Schlöndorff (Die Stille nach dem Schuss, 2000) und auch Dominik Grafs Der rote Kakadu (2004), die in ihren Stoffen mitunter die Chance auf ein historisches Kino großer Geschichten erkannten, bevor Nico Hofmanns Produktionsfirma Teamworx die Materialverarbeitung der gesamtdeutschen Zeitgeschichte nach 1945 zum TV-Event-Mehrteiler standardisierte. Diese Filme betonen auf eine äußerliche Weise den repressiven Charakter der DDR und verraten nur unterschwellig etwas über die enttäuschten Hoffnungen eines einstmals sich als links verstehenden Kinos über den in Konsum und Korruption untergegangenen sozialistischen deutschen Staat. Dementsprechend gibt es bislang nur einen Film, der angesichts des Endes der DDR die Auseinandersetzung mit den eigenen, westdeutschen Vorstellungen vom deutschen Sozialismus geführt hat (Oskar Roehlers Die Unberührbare, 2000).

Zu der Kategorie ist überdies Florian Henckel von Donnersmarcks Erfolgsdebüt Das Leben der Anderen (2006) zu rechnen, der seinen Blickwinkel schon im Titel beschreibt. Als 1973 Geborener ist Donnersmarck allerdings frei von Selbstverwicklung in innerdeutsche Positionierungskämpfe. Seine Persona mit internationalisierter Biografie (Köln, New York, Berlin, Frankfurt/Main, Oxford) und adeliger Abkunft nutzte er stattdessen medial geschickt zur Wiederaufforstung des Interesses an dem Film, dessen Kalkül einer deutschen Aneignung der problematischen deutschen Geschichte (Staatssicherheit) im Oscar für den besten fremdsprachigen Film 2007 aufging.

Die Kritik an Film und Erfolg ist bemerkenswert, insofern sie die Routiniertheit des Konflikts um eine politische Bewertung zwischen Ost und West sichtbar machte. Sich unverstanden fühlende Ostdeutsche führten penibel Buch über fehlerhafte Details, die etwa dem Stand des von Das Leben der Anderen beschriebenen Dissidententums Anfang der Achtziger nicht entsprächen – und übersahen dabei, dass alles medial lancierte Gewese um So-war-es sich bereits im Kern des Films in Luft auflöste: die Liebe von Stasi-Offizier zu operativem Vorgang ist ohne reales Beispiel. Sie ist kitschige Erfindung eines Geschichtsversöhnungskinos und steht damit eher in der Folge eines deutschen Projekts historischer Sentimentalisierung, aus dem Traudl Junge (Alexandra Maria Lara) in Bernd Eichingers Untergang dem bundesrepublikanischen Morgen ihr Fahrrad entgegen schiebt.

Popkulturelle Ausschlachtung

Gesehen werden kann Das Leben der Anderen auch als Reaktion auf die dritte Form der DDR-Verfilmung. Diese betrieben Leander Haussmanns Sonnenallee (1999) und mehr noch Wolfgang Beckers identitätsstiftende Tragikomödie Good bye, Lenin (2003) derart erfolgreich, dass die popkulturelle Ausschlachtung der DDR, die bei Sonnenallee einen subversiven Charme besaß, zur Fernsehsendung avancierte. Die Trivialisierung der politischen Wirklichkeit durch die so genannte Ostalgie – die, wenn schon moralisch darüber geurteilt wird, das Event-Fernsehen mit seinen Widerstandsräuberpistolen in gravierenderem Maße forciert – war jenes Lustig, mit dem Donnersmarcks tiefernstes Melodram Schluss zu machen vorgeben konnte.

Das Leben der Anderen markiert einen in weiterem Sinne interessanten Wendepunkt in der Befassung des gesamtdeutschen Kinos mit der DDR. Zum einen steht Donnersmarcks Film am vorläufigen Ende eines Crescendos der Vergangenheitsbearbeitung; seither hat kein anderer Kinofilm eine vergleichbare Diskussion über das Thema angestoßen. Zum anderen öffnete Das Leben der Anderen den Diskurs in eine Richtung, die aktuell prägend ist. Den Erfolg von Donnersmarcks Film mag oberflächlich betrachtet die vorgebliche Seriosität gegenüber dem Thema ausgemacht haben, tatsächlich verdankt sich die Attraktion vermutlich ebenso dem Umstand, dass die DDR in Das Leben der Anderen so aussah, wie sie heute erinnert wird.

Bis hin zum poetisierenden Titel evoziert der Film ein durchgestaltetes Design (Production Design: Silke Buhr, Kostüme: Gabriele Binder), das mit der Vergangenheit assoziiert werden kann und zugleich von einem Zeitgeschmack goutierbar ist. Der Grautöne variierende Anorak, den Ulrich Mühes Stasi-Hauptmann Wiesler trägt, befriedigt die Vorstellungen vom modisch limitierten Arbeiter-und-Bauern-Staat und wird als lässiges Accessoire des Berliner Mitte-Hipsters erkannt. Der Antagonismus der präsentierten Wohnformen, Funktionärsplattenbau versus Dissidentenaltbau, verstärkt zwar die politische Polarisierung, nicht aber eine geschmackliche: Entgegen dem vulgärbürgerlichen Ressentiment gegen eine architektonische Moderne im Allgemeinen sowie dem billigen Serialismus des DDR-Plattenbaus im Besonderen und anders auch als mit der desillusionierten Skepsis des späten Defa-Films (Geschlossene Gesellschaft, 1978, Insel der Schwäne, 1983) schaut Das Leben der Anderen auf Wieslers Neubauwohnung mit der Sympathie für einen vom Bauhaus geprägten Funktionalismus, der sich mit sorgfältig ausgewählten Details einer retrospektiven Hommage an die Nachkriegszeit schmückt. Diese Sympathie mag begründet sein durch die Sympathie des Films für die Figur Wieslers, sie korrespondiert aber auch mit den geschmacklichen Codes eines aufgeschlossen Neobürgertums. Solche wohl gewählte Ambivalenz findet sich in der Dichteraltbauwohnung wieder, die von Geschosshöhe über Raumgröße bis zum abgenutzten Holzdielenboden auf bürgerlich noch immer normative Settings aus der Gründerzeit anspielt, zugleich durch ihre – genau genommen: fehlerhafte – Verortung in einem Stalinbau aber eine wiederum neobürgerliche Begeisterung für einen architekturhistorisch eklektizistisch verkleideten Modernismus im Auge hat. Das Leben der Anderen entdeckt die DDR also schon deshalb nicht, wie sie war, weil der Film auf deren Hinterlassenschaften schaut durch die Brille Tyler Brûles, der Stoff für sein Style-Magazin Wallpaper sucht.

Donnersmarcks Beitrag für die Auseinandersetzung des deutschen Kinos mit der DDR besteht so gesehen zuerst in einer Entpolitisierung des Diskurses zugunsten von Schöner Wohnen. Zwar haben auch frühere Filme zwangsläufig sich zu dieser Frage verhalten müssen, sind dabei aber eher archivarisch vorgegangen (Das Versprechen, Die Stille nach dem Schuss), haben einen – kleinbürgerlich orientierten – Warenfetischismus initiiert (Good bye, Lenin) oder die Kulissenhaftigkeit ihrer Rekonstruktionsbemühungen ausgestellt (Sonnenallee).

Mit Das Leben der Anderen wird dagegen im Wortsinn ein Bild der DDR konstruiert, das vielfach anschlussfähig bleibt. Selbst im Roman von Rayk Wieland, der sich gerade gegen die Form von Geschichtspolitik wendet, die Donnersmarck macht, finden sich Passagen, die sich wie Muster für die Dekoration von Das Leben der Anderen lesen. Auf der Suche nach einer Vergangenheit, an die er sich nicht erinnert, begibt sich Herr W. in Ich schlage vor, dass wir uns küssen in die Obhut eines Zeitreisebüros, wo er auf die Frage seiner Regressionsbegleiterin nach den Farben auf dem Trip ins Gestern antwort: «Fehlende Farben, nebulöse Farben, Nebelfarben, einen hellbraunen, grauen, schmutzigweißen, beigen, verblasst schwarzen Farbton, genauer gesagt.»

Auf dieser Grundlage erfreut sich die DDR einer steten Anwesenheit in der Gegenwart, in die das Politische betonende Filmprojekte sie lange Zeit erst holen mussten. Der elaborierte Dekorationsstil von Das Leben der Anderen ist zum Klischee geronnen. Nicht unbedingt in den gesichtslosen Event-Fernsehfilmen à la Prager Botschaft, deren limitierte Ausstattung sich zuerst der Zeichenhaftigkeit von DDR-Anspielungen versichert. Sondern vielmehr in zahllosen Debütfilmen und kleineren Produktionen (Salami Aleikum, Im nächsten Leben, beide 2009), um die nicht zu unrecht wenig Aufhebens gemacht wird.

Plattenbau und Förderpolitik

Sie spielen in unsanierten Plattenbauten, was nicht selten pragmatische Gründe hat wie Förderungsauflagen ostdeutscher Länderfilmpolitik (Ossis Eleven, 2008) oder billige Drehorte in leerstehenden Wohnsiedlungen Thüringer Städte, wie im diesjährig auf der Berlinale gezeigten mittellangen Film Jedem das Seine von Stefan Schaller, eines Zöglings der Ludwigsburger Filmhochschule und ihres Mentors Nico Hofmann. Das Bild der plastikgelben Lüftungshaube auf dem Plattenbaudach, das auch Niels Lauperts Film Sieben Tage Sonntag (2009) nicht auslässt, rechtfertigte beinahe eine empirische Untersuchung seines Vorkommens im deutschen Film der letzten Jahre. In Sieben Tage Sonntag, in Leipzig gedreht, wird die Lüftungshaube, wie das gesamte Setting, in melancholisch wuchtigem Sepia gezeigt, das die modische Entlegenheit verstärken soll – Spielort des Films ist Polen, weshalb sich die Anstrengungen um die Roh- und Zurückgeworfenheit des Designs gleichsam zu verdoppeln scheinen.

Denn was ein (west)deutsches Kino im DDR-Design wiedererkennt, ist eine Art eigener Kindheit, die aufgrund der räumlichen Abgeschnittenheit von modischen Diskursen und der durch Mangelwirtschaft erzwungenen Konsumaskese in der DDR überlebt hat bis in die Gegenwart. Es verwundert also keineswegs, wenn die konservative Kulturkritik in Uwe Tellkamps Dresden-Roman Der Turm gleich das bessere deutsche Bürgertum wiederfindet, das in der Nische, in die es gedrängt war, tugendhafter geblieben ist als sein Pendant im Westen, dessen Enkel heute Investmentbanker sind oder etwas mit Medien machen. Wer in alten Häusern mit tickenden Uhren und knarzenden Stufen wohnt, kann kein schlechter Mensch sein.

Der Turm wird, die Nachricht hat nicht lange auf sich warten lassen, verfilmt. Verantwortlich zeichnet Nico Hofmann, der in der dazugehörigen Pressemeldung verkünden ließ, dass ihn selten ein Buch so fasziniert habe wie Der Turm. Eine merkwürdig überflüssig wirkende Bekundung persönlichen Affiziertseins, wo doch bereits den ersten Kritiken zu entnehmen war, dass Tellkamp seinen epischen Sprachfuror vor allem auf Ausstattungsbeschreibungen konzentriert hat. So bedarf es keiner prophetischen Gabe, um zu prognostizieren, dass der Film Der Turm eine DDR aufleben lassen wird, deren stylish verwitterte Schönheit Das Leben der Anderen gefeiert hat. Die DDR lebt – und zwar auf einem viel größeren Terrain als jenen 79 qm, mit denen einst Good bye, Lenin für sich warb.