berlinale 2024

16. Februar 2024

Short Message Service 2024

Von Andreas Busche, Matthias Dell, Friederike Horstmann, Ekkehard Knörer, Leonard Krähmer, Jan Künemund, Anne Küper, Elena Meilicke, Cristina Nord, Hannah Pilarczyk, Bert Rebhandl, Simon Rothöhler, Tilman Schumacher, Anja Schürmann, Sissi Tax und Cecilia Valenti

the periphery of the base. 58min. volksrepublik china. Mandarin. von zhou tao. gesehen im arsenal 1 am 18. feber 2024. 1/6

Sissi Tax am
26. Februar 2024 um 00:03 Uhr

eine kreuzung aus ‹warten auf godot›, taoesk, und farbentzugskunst à la turner und richter und darüberhinaus wirbeln grau-, staub- sandtönungen daher. in western manier, interpunktiert von zivilisationsabfall, namentlich unzähligen grellfarbenen plastikflaschen. gehalten oder weggeworfen wanderarbeitern, die sich als silhouetten schemen umrisse in den staubigkeitsflächen abzeichnen. zusammen mit dem präzis-starken ton, der die gnadenlosigkeit des daherwehenden wüstenstaubwindes noch einmal akustisch verstärkt, kommt es zu einer inneren finsternis. zumindest in mir. 2/6

Sissi Tax am
26. Februar 2024 um 00:03 Uhr

und ob der menschen, die, verbracht an einen unort, untergebracht in plastikbruchbudenverschlägen, mehr oder minder dort ausgesetzt wurden. und zwar an einem schauplatz im nordwesten chinas, gelegen am rand der wüste, also next to nothing, um sich auf einer baustelle wohl gigantischen ausmaszes zu verdingen, handelt es sich doch dabei um ein aus dem boden zu stampfendes infrastrukturprojekt (metropolis xi, nicht lang). allerdings, die baustelle selbst verbleibt unsichtbar am horizont. nur ganz selten in der schwärze der nacht aufleuchtende farbtupfer – vielleicht das lyrische am film – zeugen von der existenz des monstrums. 3/6

Sissi Tax am
26. Februar 2024 um 00:02 Uhr

verpflichtet einer ästhetik ‹nah am nichts›, versucht der groszartige (im vorigen jahrhundert hätte man gesagt: avantgarde)film, bis an die grenzen des sichtbaren zu gehen. 4/6

Sissi Tax am
26. Februar 2024 um 00:01 Uhr

das gezeigte verweist aufs unzeigbare. unsagbare. unfaszbare, aufs unfaszliche auch. in anderen worten: auf die wunde. 5/6

Sissi Tax am
26. Februar 2024 um 00:00 Uhr

nachbemerkung: zhou tao hat ein jahr lang mit den menschen am unort des geschehens gelebt. das ist dem film anzusehen. und er beantwortet nach dem film die fragen des publikums in seiner muttersprache. was für eine freude. wie die übersetzerin ebenso. 6/6

Sissi Tax am
26. Februar 2024 um 00:00 Uhr

«Ein Monumentalfilm.» Schön, mit Jörg Buttgereits Kreuzigungsgoreszene die Berlinalezeit beendet zu haben (JESUS - DER FILM, Retro). // Was bleibt: Die Romantik von DEPRISA, DEPRISA, das Sprachwirrwarr von MACUMBA, der Witz von A TRAVELER’S NEED, die Präzision von CHIME, der Wahnsinn von THE BOX MAN, die Offenheit von DIESE TAGE IN TEREZÍN, die Leichtfüßigkeit von TOBBY, die Metamorphosen von A DIFFERENT MAN, die Unaufgeregtheit von DIRECT ACTION, die Warmherzigkeit von MOTHER AND DAUGHTER, OR THE NIGHT IS NEVER COMPLETE, das ausgelassene Kinoerlebnis von FAVORITEN & der weite Blick von HENRY FONDA FOR PRESIDENT.

Tilman Schumacher am
25. Februar 2024 um 08:30 Uhr

Die Toten sollte man ruhen lassen, zumindest dann, wenn ihre Särge mit Stacheldraht umwickelt sind. EXHUMA beherrscht sein Horrorhandwerk, verglichen mit K. Kurosawas diesjährigem Special-Film CHIME kommt ihm aber das Rätsel mit der Zeit abhanden; und: 20 Min. weniger hätten’s auch getan. Ein Film der Close-Ups, der kultischen Ekstase & des Gores. Mit einem Spannungsbogen, der eher div. Wellen gleicht. Auf brachialen Bodyhorror folgt Ruhe, immer im Wechsel. Alles andere ist eher gradlinig, was meine Begleitungen & ich, festivalmüde wie wir sind, dankend annahmen. Samurai-Geisterhorror-Doppelidee: EXHUMA + BLOOD BEAT (1983). (Forum)

Tilman Schumacher am
25. Februar 2024 um 08:30 Uhr

Artpulp, Docufiction, Opern- & Metafilm: Egoyan integriert in die Fiktion von SEVEN VEILS Aufnahmen & Interpret:innen seiner eigenen Salome-Richard-Strauss-Operninszenierung (Toronto 2002), erzählt damit die Geschichte ihrer Wiederaufführung durch eine junge Regisseurin (toll: A. Seyfield), stößt auf (Macht-)Missbrauch, blickt auf die Kunst als Therapieform, den Kulturbetrieb & die Schönheit, die entsteht, wenn man zusammen ein Werk schafft. Das ist viel zu viel, wird aber doch durch eine geschmeidige Form zusammengehalten, die oft an die späten Midbudget-Thriller De Palmas, aber auch an Egoyans eigene Melodramen erinnert. (Special)

Tilman Schumacher am
25. Februar 2024 um 08:30 Uhr

Zwei der schönsten Szenen des Festivals: Das Kneten eines Brotteigs in Nahaufnahme, in Echtzeit & mit diesem sanft einfallenden Naturlicht, wie es so nur der Analogfilm einfangen kann. Der Nahaufnahme steht später eine Einstellung extremer Fernsicht gegenüber. Vom Turm aus lenkt einer der franz. Farmer und Ökoaktivisten der sog. zone à défendre (ZAD) eine Kameradrohne übers weite Land. Die Sonne über den Wolken, die kleinen Ortschaften der Region Notre-Dame-des-Landes, gefährlich nah kommende Baumwipfel, aus dem Off das «Wo bin ich?» des Piloten. DIRECT ACTION versteht den polit. Dokumentarfilm als sinnliches Ereignis. (Encounters)

Tilman Schumacher am
25. Februar 2024 um 08:30 Uhr

«Soll das ein Scherz sein?!» – «Wir lachen später darüber.» Wird nicht passieren. VERBRANNTE ERDE ist todernst kontrolliertes Genrekino, für meinen Geschmack etwas zu kontrolliert. Die Melville’sche Strenge, mit der sich die Figuren wie Automaten durch ein hässliches Berlin der Bürobauten & Industrieparkparkplätze bewegen, ist von der ersten bis zur letzten Minute souverän durcherzählt. Ein SYSTEM OHNE SCHATTEN – an diesen Titel von Thomes Heist-Autorenfilm muss ich mehrmals denken. Irgendetwas fehlt, eine Störung vielleicht. Lifehack: In Architekturzeitschriften die Villen derjenigen durchstöbern, die man bald ausraubt. (Panorama)

Tilman Schumacher am
25. Februar 2024 um 08:29 Uhr

Irgendwo zwischen den Zeilen von Pavese und Sappho und inmitten der schönsten Bilder des Festivals ist TÚ ME ABRASAS (Encounters) sicher auch eine Adaption von Saussures Cours de linguistique générale bzw. von dessen lacanianischer Weiterentwicklung; das Ich/je/moi/me/mi in mehr oder weniger signifikante Ketten aus Klingel und Schlüsselumdrehen hineinmontiert, dem Begehren entzogen.

Leonard Krähmer am
24. Februar 2024 um 14:35 Uhr

MATT AND MARA (Encounters): Rohmer am Ende im Regal, davor nicht nur in den selbstparodistischen Kunstmilieudialogen. Die Liebe am Nachmittag, den turtleneck über dem Kopf, so kann man das spielen.

Leonard Krähmer am
24. Februar 2024 um 14:35 Uhr

WAS HAST DU GESTERN GETRÄUMT, PARAJANOV? Schönster Film. Die alternden Eltern in Isfahan als verpixelte Skype-Gespenster, nicht wirklich zu erkennen, aber ihre Warmherzigkeit jede Sekunde spürbar. Sie zitieren Marx und Gedichte, geben Ratschläge in Sachen Kunst (muss Botschaft haben). Später stehen sie erschöpft in der Berliner Wohnung ihres Sohnes und versuchen eine Interpretation der dort angebrachten Vorhänge - heißt das, er wird für immer hier bleiben? Im Kinosaal fließen Tränen. (Forum)

Elena Meilicke am
23. Februar 2024 um 18:44 Uhr

Den mild-hagiographischen Charakter von «Chroniques fidèles survenues...» (Forum) kontert wunderbar ein zwei Jahre altes Essay von Kwame Anthony Appiah aus der New York Review of Books. Man erfährt darin unter anderem, dass Fanon gerne ins Kino ging und den Patient*innen in der Klinik Filme zeigte. Schade, dass der Regisseur Abdenour Zahzah daraus nichts macht. Ein weiterer blinder Fleck des Films: Laut Appiah gab es Anzeichen dafür, dass sich Fanon seiner Frau gegenüber nicht ganz so liebevoll-korrekt verhielt, wie es «Chroniques...» glauben macht.

Cristina Nord am
23. Februar 2024 um 16:23 Uhr

Republic of Cosmic Bros. Ein zwingendes Berlinale Double Feature mit Dumonts L’EMPIRE

Andreas Busche am
23. Februar 2024 um 12:38 Uhr

Diese alternativkommunistische Republik operiert «wie eine Bar» (Jin Jiang) auf einem 6 m²-Territorium ohne Grenzanlagen und ist in ihrer Mikrokommunenalltagspraxis vor allem: dope. Dass es eine außerrepublikanische Außenwelt gibt, immerhin sind wir mitten in Beijing, wird im nicht immer sinnhaften Stoner-Sprech nur beiläufig zugegeben (auch von der Pandemie: fast keine Spur). Hoher Stromverbrauch, das Waschbecken kann schon mal abbrechen, eine tiefgefrorene Reiskugel wird mit einer Haushaltsschere bearbeitet. Bach knallt auf Bee Gees, Trump auf Mao. Bob Dylan eh immer in der Nähe, Wang Bing auch. (Jin Jiang: Republic | Forum)

Simon Rothöhler am
23. Februar 2024 um 11:37 Uhr

DEPRISA, DEPRISA, schnell, schnell, raunt zu Beginn ein junger Typ seinen Komplizen an, der soeben die Zündung eines parkenden Autos geknackt hat, während draußen der Besitzer und herbeigeeilte Passanten gegen die Scheibe hämmern. Die Gangster rasen weg, die Karre wird für einen Überfall gebraucht; und es wird nicht der letzte sein. Impulsives Intro, rastloser Film. Irgendwo zwischen der staubigen Kargheit von Pasolinis Accattone, der Genrekinokinetik des Poliziottesco und Pialats naturalistischem Romantizismus. Warum untertitelt man eigentlich so selten Songs in Filmen? Als wären sie nur Beiwerk. Ein neuer Lieblingsfilm. (Classics)

Tilman Schumacher am
23. Februar 2024 um 08:29 Uhr

«Dies war das Land meiner Eltern und es ist auch mein Land.» Meerapfel nähert sich in IM LAND MEINER ELTERN der Frage, wie sie als Jüdin, die von Argentinien nach Deutschland und damit ins Land der Eltern zurückkehrte, nach allem, was geschah, hier leben kann. Wir treffen etliche weitere im Täterland Gelandete, begleiten ein Pessachfest, hören von alltäglichem Antisemitismus & Rassismus, auch Meerapfels Wut: angesichts der Verdrängungen, der Kneipenwitze, der Kälte der Deutschen (Campen neben dem jüd. Friedhof funktioniere «reibungslos»). Auffällig häufig Gegenschuss-Close-Ups von ihr – persönlicher als das Interviewer-Off. (Retro)

Tilman Schumacher am
23. Februar 2024 um 08:28 Uhr

«Ich liebe, ich töte.» Magdalena Montezuma, Heinz Emigholz, Frank Ripploh & weitere Undergroundfilmgrößen vor der Kamera; die Regisseurin Elfi Mikesch hinter ihr, weit weniger am Abbilden als am Bauen interessiert. MACUMBA ist eine geballte Ladung des poetisch sprunghaften Anderserzählens. Eine Chandler-Detektiv-Geschichte im ruinös labyrinthischen Westberlin der frühen 1980er. Wie in Doris Wishmans Mikrobudgetexploitationkino scheint sich die Story (bzw.: ihre Skizzen) eher nicht über die Bilder, sondern über die darübergesprochenen Fieberträume zu ergeben. Emigholz wird bereits hier von geraden Horizontlinien see(h)krank. (Retro)

Tilman Schumacher am
23. Februar 2024 um 08:28 Uhr

Nach der ersten Folge (Regie: Mariko Minoguchi) der Anthologie-Serie «ZEIT Verbrechen» verstehe ich, warum Paramount+ das abgesägt hat. Nach der zweiten Folge (Regie: Jan Bonny) bin ich sogar Fan von Lars Eidinger. This wasn’t supposed to happen. (Panorama)

Hannah Pilarczyk am
22. Februar 2024 um 19:25 Uhr

Merchidee für Spaceman: Abreißkalender mit motivational quotes von Hanuš: «Good Luck skinny Human». Da fühlt man sich gleich schlanker.

Anja Schürmann am
22. Februar 2024 um 18:25 Uhr

In seiner Freizeit liest Gangster Trojan gerne Architekturzeitschriften, es sei erstaunlich, wieviele reiche Männer ihre Häuser fotografieren lassen. Will heißen: Trojan nutzt die eitlen Fotostrecken zur Vorbereitung seiner Einbrüche. Architektur und/als Verbrechen: Bei meinem ersten Besuch der Verti Music Hall gestern fassungslos gewesen über den architektonisch-stadtplanerischen Totalausfall. 1/2

Elena Meilicke am
22. Februar 2024 um 14:16 Uhr

Berlin hat sich in den letzten 15 Jahren sehr verändert, sagt auch Arslan im Q&A, weshalb VERBRANNTE ERDE, hyperkontrollierter Heist Movie fast ohne Worte, so viel düsterer sei als IM SCHATTEN. Die Brachen und Nicht-Orte gibt es noch (Location Scout: Dokumentarist Volker Sattel), aber sie sind von Investorenarchitektur umstellt. Auch so sieht Extraktion aus. (PANORAMA) 2/2

Elena Meilicke am
22. Februar 2024 um 14:15 Uhr

Die vielfach wiederholte Selbstauskunft der Eidinger-Hauptfigur, er habe ein Kind auf die Welt gebracht, ist vom Ende her kaum noch als ironisierbare Figurenrede lesbar: Der Mann (Künstler) kann das, kann auch Freunde in den Suizid begleiten, voll existenziell. Wirbelwind Stangenberg als daueralkoholisierte damaged woman (Männerfantasie?) kann den Film nicht retten, und der selbstreferenzielle Metadiskurs über Kunst vs. Kitsch soll Kitsch-Vorwürfen vermutlich den Wind aus den Segeln nehmen - tut er aber nicht. (STERBEN, WETTBEWERB)

Elena Meilicke am
22. Februar 2024 um 14:13 Uhr

Lee Kang-Sheng tastet sich erneut wie in SloMo durch Totalen. In Tsai Ming-liangs ABIDING NOWHERE ist er in Washington, D.C. unterwegs, kahlgeschoren und mit buddhistischer Mönchsrobe bekleidet. Er schreitet Flussläufe und Wasserbassins entlang, durchquert Bahnhofshallen und Seitengassen. Die Langsamkeit seiner Bewegungen potenziert die «Echtzeit» um ihn herum, Erzähl- & erzählte Zeit werden sichtbar, werden zum Thema. Parallel zum Mönch geht ein junger Mann alltäglichen Dingen nach, das läuft stets nebeneinanderher, bleibt für uns ein Rätsel. Körperregungen & zitterndes Blattwerk als Story, ähnlich dem Kino der Lumières. (Special)

Tilman Schumacher am
22. Februar 2024 um 07:49 Uhr

Politics of (per)form(ing): Die Geschichte der USA gespiegelt im Privat- & Leinwandleben Fondas (1905-82), auch in dem seiner fernen Vorfahren und der eigenen Kinder, die für ein anderes engagiertes Kino stritten. HENRY FONDA FOR PRESIDENT ist keine schnöde Biopic-Reportage, sondern ein im Wortsinn mehrstimmiges, trotz des Chronologiegerüsts oft abbiegendes Essayroadmovie, kurzweilig, uneitel, so klug wie unangestrengt politisch aktuell. Die Tragik des Actors, der nichts von seiner Macht als Author (d.h.: als Performer & nicht bloß als Sprachrohr) wissen mochte – im Gegensatz zum Anti-Fonda Reagan, der sie allzu gut kannte. (Forum)

Tilman Schumacher am
22. Februar 2024 um 07:49 Uhr

TÚ ME ABRASAS von Matías Piñeiro (Encounters) spürt 2500 Jahre alten Metamorphosen nach, schaut von hohen Klippen ins sprudelnde Wasser, weiß, warum das Ejakulat von König Minos aus Schlangen und Skorpionen bestand, freut sich an Gedichtfragmenten von Sappho und umarmt einen Text von Cesare Pavese. Von Bildungshuberei keine Spur; ein echter coup de cœur.

Cristina Nord am
21. Februar 2024 um 18:28 Uhr

Genau mein Humor: Adam Sandler will nach Hause telefonieren, muss dafür aber auf czech connect zurückgreifen und findet sich in einer gar nicht mal so «kurzen Geschichte der böhmischen Raumfahrt» wieder. Günstig immerhin, dass Johan Renck die Props aus dem CHERNOBYL-Kontrollraum einfach mit aufs SPACEMAN-Set gebracht hat. Wen er allerdings nicht auf dem Schirm hatte: good old Hanuš, außerirdische Fellspinne der Herzen (kurz gedacht, ich sei in einem Terrarium aus DER UNSICHTBARE ZOO aufgewacht, dann kam aber Sandler wieder urmelancholisch ins Bild und ich dann eben Richtung Notausgang). (Berlinale Very Special Gala)

Simon Rothöhler am
21. Februar 2024 um 14:13 Uhr

Eine sehr gelungene Mischung aus Dokumentarfilm und fiktiver Rahmenhandlung (Elisabeth «Lieschen» Müller, gespielt von Renée Felden, sucht einen Mann in der alten Bundeshauptstadt) – DIE DEUTSCHEN UND IHRE MÄNNER - BERICHT AUS BONN von Helke Sander ist lustig (Krawatten, Puffs, das Who is Who). Und clever und klug; wie damals schon alle Fragen zur Gleichstellung von Männern zumeist nicht beantwortet werden wollen, weil die Sackigkeit so tief im Körper steckt. Auch bei der Linken. Merkt man selber: Warum erkenne ich Erich Mende, aber nicht Claudia von Alemann? Eben. Toller Soundtrack

Matthias Dell am
21. Februar 2024 um 13:59 Uhr

UNE FAMILLE von Christine Angot (Encounters) schont sein Publikum nicht; der Zorn der vom eigenen Vater vergewaltigten Protagonistin, Autorin und Regisseurin wird in keiner kohärenten Form aufgehoben. Gegen Ende fragt die erwachsene Tochter Angots sinngemäß, was zum Teufel dieser vergewaltigende Vater (ihr Großvater) gedacht habe, was für ein Mensch er war, dass er sich das fortgesetzte Verbrechen an der Tochter anmaßte. Eine Schlüsselfrage. Ich muss an Godrèche, Jacquot und Doillon denken und an die elende Allgegenwart des Themas.

Cristina Nord am
21. Februar 2024 um 13:51 Uhr

Verfrühte REIFEZEIT. Ein 9-jähriger Junge, seine Mutter, die Freier, der Zuhälter, das Uhrenticken, verheimlichte Tränen, angezündete Kippen, der Küchentisch mit dem zu vollen Milchglas, klinische Schulflure & Drehbuchsätze, immer wieder Treppenhäuser, menschliche Kälte und die kleinen Gesten der Menschlichkeit. Saless’ Welt ist wieder so hermetisch, dass es einem die Kehle zuschnürt. Wie beim letztjährigen ORDNUNG hat das Ganze einen trist-trostlosen Witz, der’s ins Groteske zieht, meinem Empfinden nach mehr an Gogol als an Saless’ Helden Tschechow erinnert. Die 4K-Restauration oft zu plastisch, tiefenscharf, «entkornt». (Classics)

Tilman Schumacher am
21. Februar 2024 um 08:30 Uhr

Auf rein transaktionale Beziehungs- und Bewegungsverhältnisse verdichtetes Genrekinoerzählen. Abstrakt durchgerastert die Berliner Nacht im Medium ihrer (automobilisierten) Leuchtmittel, COLLATERAL revisited. Wie auf dem verbrennenden Kunstdiebesgut auch in der urbanen Landschaft nur Rückenfiguren, die nicht direkt betrachtet werden können, weil sie selbst Blickende sind. Großes Vergnügen, Thomas Arslans VERBRANNTE ERDE auf der großen Leinwand des Zoo Palastes zu sehen. (Natürlich hätte er im Wettbewerb laufen müssen.)

Simon Rothöhler am
21. Februar 2024 um 00:29 Uhr

Dramaturgisch verstolpert, aber 2 Szenen in ZWEI UNTER MILLIONEN werden bleiben: Die 1. beginnt in romantischer Regennacht und mündet am Würstchenstand; er holt sich & ihr ein Würstchen, es herrscht aber so ein Andrang, dass es ihn an die Kasse drückt, die Anstehenden es ihr durchreichen; durch die Fensterfront schaut sich das Pärchen an – und beißt ins Fleisch. Die 2. hat Nouvelle Vague Vibes (ansonsten muss ich mehr an den Hauptsache-man-liebt-Humanismus von LADRI DI BICICLETTE denken): «Willst du mich heiraten?», er springt auf die andere Straßenseite & gibt ihr durch den Lärm hindurch mit seinen Blicken zu verstehen: ja. (Retro)

Tilman Schumacher am
20. Februar 2024 um 21:17 Uhr

Sie will doch nur fort aus dieser Welt. Versteht man unmittelbar, denn nach ca. fünf Minuten hat man dieses worldbuilding und wo es mit uns hinwill vollumfänglich begriffen. Die nach dem Prolog bis zur Erschöpfung ausgebreitete Monotonalität (samt ihrer auch genderpolitisch etwas merkwürdigen Fixierung auf die böseböse Schwiegermutter) ist filmhandwerklich zwar durchaus kompetent formatiert, stellt sich und uns aber keine wirklich interessanten Fragen mehr. Hat sich dann arg schnell ausgesaftet, wie der Dorfmediziner sagen würde. (Franz & Fiala: Des Teufels Bad | Wettbewerb)

Simon Rothöhler am
20. Februar 2024 um 20:33 Uhr

DIESE TAGE IN TEREZÍN (1997): Sibylle Schönemann reist mit der Autorin Lana & der Sängerin Victoria nach Terezín, ehemals Theresienstadt (vormals Terezín). Wie sie Barbara Wurm berichtet – informativstes & lässigstes Q&A seit langem –, sei es ihr weniger um Faktografie als um das emotionale Umkreisen dessen gegangen, was sich im NS dort ereignete. Die Fragen lassen den Opfern Raum, Victoria performt in Ausstellungen, auf Plätzen, am Küchentisch hist. Lieder – mit Wut im Bauch & gegen das Vergessen. Zudem das Epitaph für den Kabarettisten Karel Švenk, der das Lachen ins Lager brachte. Einzige(!) 35mm-Projektion des Festivals. (Forum)

Tilman Schumacher am
20. Februar 2024 um 20:07 Uhr

Selten einen Film gesehen, der sich so unberechenbar bewegt, teils mit Paddeldraisine, der so andersweltlich klingt, so selbstbewusst tut, was man keiner bekannten Regel nach tut, und dann ist er auch noch mit AAH und OOH aus dem Mund (oder den Mündern) eines eigentlich schon toten Nilpferds erzählt. Das alles von Anfang bis Ende von (post)kolonialer Politik tief durchdrungen, von Drohnen oder übers Wasser gleitend gefilmt, und am Ende setzt ein Deutscher den tödlichen Schuss. That’s the stuff PEPE is made of. (Wettbewerb) (75cp)

Ekkehard Knörer am
20. Februar 2024 um 18:28 Uhr

Ein Film frisch und fein im Gespür für das Leben in seinen Details und mit einem Bewusstsein für größere Strömungen und Kräfte. Ein lebhafter Web-Cam-Austausch mit der Familie – über Zeiten und Räume hinweg. Ein persönliches aber auch politisches und poetisches Zeugnis – zwischen malerisch verwaschenen Bildern und asynchron versetzten Stimmen – zwischen Nähe und Distanz – zwischen Berlin–Isfahan–Wien. 1/2

Friederike Horstmann am
20. Februar 2024 um 15:43 Uhr

Mit einer Mutter, die sich an ihre Zeit im iranischen Gefängnis erinnert und über geschlechtsspezifische Rollenbilder nachdenkt – mit einem Vater, der mittels Sonnenbrille Kiarostami-Mimikry betreibt, um mehr Akzeptanz von seiner Familie zu erlangen – mit einem in Wien lebenden und Musik studierenden Cousin, der sowohl sein Spiel auf der Tar als auch sein Rezept für einen Toast nicht unschüchtern anpreist – und mit einem Filmemacher, der einen über zehnjährigen Dialog zu einem Liebesbrief an seine Familie verdichtet. (Faraz Fesharaki: Was hast du gestern geträumt, Parajanov? | Forum) 2/2

Friederike Horstmann am
20. Februar 2024 um 15:42 Uhr

klassischer téchiné: die polizistin und der a.c.a.b.-aktivist im haus nebenan, maximaler identitätspolitischer clash, nur um den fixierungen beine zu machen. huppert joggt, biscayart wirbelt es zu senegalesischer musik in die nacht hinaus. auch der film läuft im turbomodus, stolpert, fällt hin, tanzt und schwebt (kurz). manchmal ist es gut, dass keine zeit bleibt, um über die dialoge nachzudenken. aber man kann toll mitmachen beim hakenschlagen. (LES GENS D’A COTE, panorama)

Jan Künemund am
20. Februar 2024 um 14:22 Uhr

SEX (Panorama): Zwei Schornsteinfeger unterhalten sich. Sagt der eine zum anderen: Dass er träumte, von Bowie angesehen zu werden, ganz aufrichtig, eben gemeint. Sagt der andere, dass er gestern Sex hatte mit einem Mann, aber schwul sei er deswegen noch lange nicht. Präzise beobachtete Studie der Milieus, durch die diese verheirateten Hetero-Männlichkeiten klettern und sich über den Dächern der Stadt ans Sprechen über das Begehren wagen. Obacht, vom Rückentattoo als Liebesbeweis rät die Hausärztin ab. Emojikritik: 👬🏙️💞🎁 ✝️ 🍀

Anne Küper am
20. Februar 2024 um 13:28 Uhr

Im Ohr immer noch den sehr erstaunlichen Koala-Sound aus Karmakars Zoo-Film, den der neben mir sitzende Kollege völlig zu Recht mit Joe Dantes Gremlins in Verbindung gebracht hat. Auch im Sozialen Kleine Monster, diese Beutelsäuger.

Simon Rothöhler am
20. Februar 2024 um 10:31 Uhr

Als junges Mädchen wurde Christine Angot von ihrem Vater sexuell missbraucht. Im Film erzwingt sie Gespräche darüber mit denen, die sie nicht führen wollen, verschafft sich Zutritt zum großbürgerlichen Wohnzimmer der Stiefmutter, deren elegantes Outfit farblich mit der Kunst hinterm Sofa korreliert. UNE FAMILLE dagegen ist dissonant und messy, wütend und konfrontativ. Missbrauch als etwas, das nie nur eine/n, sondern immer auch die drumherum betrifft. (Encounters)

Elena Meilicke am
20. Februar 2024 um 10:14 Uhr

A TRAVELER’S NEEDS: Die Unschärfe aus in water versteckt sich jetzt als Wind in den Bäumen, in der milchigen Trübe des Makgeollis und wiederholt in Übersetzungskaskaden: Was verliert und gewinnt man auf dem Weg von daddy zu mommy issues, von der culture clash rom-com zum (dann doch ausgesprochen koreanischen) Melodram, von der Musik oder vom Steingedicht zum spontanen Affekt, zum Sprechen darüber, zum neuen Mantra-Gedicht auf Französisch, ja sogar zum Ballett? 1/2

Leonard Krähmer am
20. Februar 2024 um 10:07 Uhr

Vielleicht lernt so niemand Sprachen - egal, wenn es sich universeller auszahlt, nämlich im wahren, tiefen Gefühl. I felt happy, I felt beautiful, the melody. Not too many mistakes. Hong's getting better and better, I guess? 2/2

Leonard Krähmer am
20. Februar 2024 um 10:07 Uhr

Dramaturgie & Szenenlänge (die meist statischen, 4K-scharfen Einstellungen sind ausladender als üblich, weniger Walkouts als erwartet) folgen kaum mehr Dokfilmkonventionen, gleichen eher dem entspannten Herumschauen & -schlendern eines Sonntagnachmittagzoobesuchs. Bei Karmakars DER UNSICHTBARE ZOO erinnert nicht nur die Dauer von 3h an F. Wisemans Institutionenporträts, auch die additiv «pointenlose» Komposition dessen, was sich über Jahre & Jahreszeitenwechsel hinweg vor der Kamera ereignete, ist eine Parallele. Die Kamera blickt durch Glasscheiben, wir auf die Delphi-Leinwand, die Tiere auch zu uns hinüber – unbeeindruckt. (Forum)

Tilman Schumacher am
20. Februar 2024 um 09:33 Uhr

LANGUE ÉTRANGÈRE: Habe mich als Leipziger vom Leipzigsetting locken lassen. Der Film will gefühlt alles erzählen und erzählt entsprechend nur Phrasen. Aus einem Schüleraustausch (Leipzig-Strasbourg) entsteht Freundschaft, entsteht lesbische Liebe, entsteht Demoaktivismus, entsteht Generationsektionspathos. Familiäre Probleme, Schulmobbing, Selbstfindung, ostdeutsche Zustände, 1989, Klimakrise, Drogen, Antifa (soweit ich weiß, hängt man in linken Kneipen keine Antifabanner). Alles Szenige kommt ziemlich boomerig daher, also das Gegenteil von dem, was der Film verkörpern will. Leipzig meist in der Unschärfe. Leider doof. (Wettbewerb)

Tilman Schumacher am
20. Februar 2024 um 09:32 Uhr

45 Minuten Unbehagen: K. Kurosawas CHIME ist an Präzision & Effizienz kaum noch steigerbar. Der Horror, der entsteht, wenn etwas nicht hör- u./o. sichtbar ist. Schärfeverlagerungen, Reaction Shots des Entsetzens, unvermittelte Wechsel im Kameralook; auf gespenstische Stille folgt hämmernder Drone. Ein begnadeter Kochlehrer wird Zeuge, wie sich einer seiner Schüler ein Küchenmesser in den Hals rammt; im Anschluss überträgt sich der Destruktionstrieb auf andere. Mit einem Glockenspiel (Chime) im Kopf beginnt es. Der Film entwirft eine Welt, so kompakt & traumgleich & ohne jeglichen Naturalismus wie bei De Palma o. Hitchcock. (Special)

Tilman Schumacher am
20. Februar 2024 um 09:32 Uhr

«Was hast du dabei gefühlt?», fragt Iris (I. Huppert), die unorthodoxe & aus ungeklärten Gründen in Südkorea gestrandete Französischlehrerin, ihre Schülerinnen als Teil des Fremdsprachentrainings. Zuvor haben sie ihr – in surrealer Dopplung – holprig etwas auf ihren Instrumenten vorgespielt. Die Frage bringt die Frauen aus der Fassung, wie generell in A TRAVELER’S NEEDS die Präsenz von Iris andere umdenken lässt. Was in der 1. Hälfte wohl der am stärksten komödiengeschriebene Hong-Film seit IN ANOTHER COUNTRY (2011, ebenfalls mit Huppert) ist, wird in der 2. immer düsterer. Und: Ein neuer Drink! Makgeolli. Meisterwerk. (Wettbewerb)

Tilman Schumacher am
20. Februar 2024 um 09:32 Uhr

Die filigranen Drohnenaufnahmen waren bereits in GUNDA beeindruckend, Kossakovskys neuer Dokfilmmystizismus & Ästhetizismusmaximalismus ARCHITECTON ist, was das anbelangt, nun eine Tour-de-Force. Bergmassive durchmessende Totalen, rasante Fahrten durch Fabrikhallen, Steinbrüche & Schutthalden, auch Raketenkrater ukrainischer Sakral- & Zivilbauten. Dazwischen Momente der Ruhe, im Architektengarten entsteht ein kultischer Steinkreis. Hab’s lange als einen, trotz aller Materialästhetik, eher abstrakten Reigen des Werdens & Vergehens architektonischer Strukturen verstanden, bis im letzten Drittel die Kulturkritik übernimmt. (Wettbewerb)

Tilman Schumacher am
20. Februar 2024 um 09:31 Uhr

Wenn Lilith Stangenberg als böser Volksbühnen-Geist in STERBEN hineinfährt, einen Film, der zuvor keinen einzigen Ton trifft, dann kommt mit mancherlei Zahn-OP viel Leben in die Bude. Und Ronald Zehrfeld als wunderbar warmes weiches Gegenobjekt. Aber dann wackelt Glasner mit Eidinger in den Große-Fragen-Kunstkrampf zum weihnachtlichen Selbstmord bei Rotwein plus Tod und Baby zurück. (60cp)

Ekkehard Knörer am
20. Februar 2024 um 07:29 Uhr

Wie kostspielig Kontrazeptiva für Tapire sind, welche Fragen die Personalerin potentiellen Freiwilligen im Vorstellungsgespräch stellt und warum ein männliches Chapman-Zebra ohne Artgenossinnen eine verlorene Figur ist: Das und noch viel mehr erfährt man aus Romuald Karmakars schönem, beobachtenden, die Geduld reich belohnenden Dokumentarfilm DER UNSICHTBAR ZOO (Forum).

Cristina Nord am
19. Februar 2024 um 23:21 Uhr

Spektakel der Steine: Victor Kossakovskys ARCHITECTON (Wettbewerb) schickt tausend Dronen los und lässt’s auf der Tonspur krachen. Gedisst wird der Beton, der Naturstein gefeiert; das Pompöse und das Schlichte verbinden sich hier fugenlos.

Cristina Nord am
19. Februar 2024 um 19:32 Uhr

Die Zeit der Kathedralen trifft auf die Zeit der Traktoren. Luc Besson und George Lucas fallen unter Ritter der Kokosnuss. Bruno Dumont verknüpft seine sowieso komische Lokalmythologie mit Größtmythologie. L’EMPIRE ist großartig.

Bert Rebhandl am
19. Februar 2024 um 18:07 Uhr

Thema natürlich interessant, aber ganz schön viel Heldenverehrung: das Frantz-Fanon Biopic CHRONIQUES FIDÈLES… (Forum)

Elena Meilicke am
19. Februar 2024 um 12:22 Uhr

Es sind unsägliche Dokumente, diese Telefonate aus der Zeit zwischen Frühjahr und Herbst 2022, in denen russische Soldaten ihren Müttern und Frauen vom Plündern, Töten und Foltern in der Ukraine berichten. INTERCEPTED montiert sie auf eine Weise, die es möglich macht, sich ihnen auszusetzen. Angesichts der Gewalt sei es wichtig, sagt die französische Schnitt-Frau im Q&A, Raum zu geben, durch die Montage, um denken zu können. (Forum)

Elena Meilicke am
19. Februar 2024 um 12:21 Uhr

AVERROÈS & ROSA PARKS: Eindrucksvolles Psychiatrie-Kino, aus nichts als Gesprächen gebaut. Spontaner Szenenapplaus beim Premierenpublikum für den Uni-Dozenten, der das gesamte Bildungssystem neu aufstellen will und laut eigener Aussage ein halbes Jahr brauchte, um von einem Acid-Trip runterzukommen. Der mächtige Sog der Manie überträgt sich, aber auch die Angst und der Schrecken; applaudieren kann ich da nicht. (A Berlinale Special)

Elena Meilicke am
19. Februar 2024 um 12:21 Uhr

queere filmnetzwerkarbeit, westdeutschland 1981, vor der geistig-moralischen wende: montezuma, ripploh, emigholz, regnier besetzen räume, elfi mikesch trans*formiert sie zu exotika. ein spießer im trenchcoat kommt vorbei und versteht seine welt nicht mehr. räkeln, schauen, löcher in strümpfe reißen, ein anderer himmel über berlin, während die große trommel den exzess rhythmisiert. MACUMBA (retrospektive).

Jan Künemund am
19. Februar 2024 um 09:33 Uhr

Sehr unklar, was die Fiktionalisierung des Dokumentarfilms über den eigenen Vater und seine Wohnungsnöte im «Urban Transformation»-Istanbul bringen soll in FARUK (Panorama) – es kommen doch nur Drolligkeitsbildwitze raus. Am Ende trottet der alte Mann dann von dannen, weil Tochter und Regisseurin Asli Özge die Wohnung zur Finanzierung des Films verkauft hat (weil: ist ja nur Fiktion). Wie kann man so was machen?

Matthias Dell am
19. Februar 2024 um 08:24 Uhr

Betörend ist ARCADIA (Encounters) als Kunstcamp, solange das Rätsel in hinreißend prätentiösen Bildern regiert: Wir schleppen die Toten im Reich der Lebenden mit, ein Schneewittchenfilm sondergleichen (mit dem Wort beschimpfte Dominik Graf die Berliner Schule), der sich aber, je klarer die Verhältnisse werden, ins buchstäblich Pedestrische auflöst. Pluspunkte für gelegentliche Komik (der Totensex neben dem Bett, auf dem die Lebenden sitzen), die mutmaßlich sogar freiwillig ist. (64cp)

Ekkehard Knörer am
19. Februar 2024 um 08:00 Uhr

Herhistory von Lana Gogoberidze: Die Ausgrabung des verloren geglaubten Werks der Mutter – der georgischen Filmpionerin Nutsa Gogoberidze – wird zum Anlass einer feministischen Auseinandersetzung mit dem Erbe von Gewalt im Bildarchiv der Tochter: Doppelbelichtungen und Wiederholungen visualisieren das andauernde Prozessieren in der Trauerarbeit, markieren die Risse im Gedächtnis und sind zugleich Verfahren magischen Zustandebringens: das innige Zusammenhalten von Mutter und Tochter bis in die Gegenwart.

Cecilia Valenti am
18. Februar 2024 um 22:02 Uhr

Gadget lovers im sanften glow der Ringleuchten, oder: Influencer boys and girls müssen nie weinen. Die Großaufnahme vom Männerhintern im weißen Baumwollschlüppi war eine vielversprechende erste Einstellung, die Filmmusik von Dan Bodan ist auch super. Very very flat affect und ultraverlangsamte Dialog-Delivery machen Keren Cytters THE WRONG MOVIE trotzdem zu einer zähen Angelegenheit. (Forum)

Elena Meilicke am
18. Februar 2024 um 18:12 Uhr

Der Point of View restituierter Objekte und wie der universitäre Diskurs vor Ort in die Gegenwart vor Ort ausströmt. Präzise auch in den verfremdend sprechenden Fingierungen; sehr schöne nocturnale Streifzüge (Mati Diop: Dahomey | Wettbewerb)

Simon Rothöhler am
18. Februar 2024 um 17:43 Uhr

Ferraras neue Dok kommt schlecht an. Klar, als Politdok zum Ukrainekrieg ist TURN IN THE WOUND weder clever noch zeigt sie uns etwas, was wir nicht bereits gesehen haben. Aber das ist, glaube ich, nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass es keinen Fluchtpunkt gibt. Dass F. das eigene Nichtverstehen und das ungestillte Verlangen, Leid in Worte zu fassen, ins Zentrum rückt. Wacklig-matschige Aufnahmen von Soldaten, Invaliden, Zivilisten, auch von Selenskij. Und auch: Rimbaud- & Artaud-Rezitationen von Patti Smith; der Film schaltet’s zusammen. Sinn macht es nicht, aber es wirkt wahrhaft gefühlt. «I’m an instinctive filmmaker». (Special)

Tilman Schumacher am
18. Februar 2024 um 17:11 Uhr

Les statues parlent aussi, und sie haben eine Menge zu sagen: DAHOMEY von Mati Diop (Wettbewerb) denkt sich in Kopf und Stimme einer einst geraubten, 2021 nach Benin zurückkehrenden Statue hinein. Ich hätte ihr noch viel länger zuhören können!

Cristina Nord am
18. Februar 2024 um 17:08 Uhr

2021 gibt Frankreich öffentlichkeitswirksam 26 während der Kolonialzeit geraubte Kultobjekte – heute: bildhauerische Kunstwerke & Artefakte des kulturellen Erbes – an Benin zurück. Die Dokkamera folgt dieser Reise: Abbau, Abtransport, Aufbau im neuen alten Land. Auch die Diskussion, die sich unter jungen Leuten entlang der Rückführung entspinnt, bekommt ihren Raum: Symbolpolitik? Beleidigung (26 von 7000)? Ein erster Schritt? Ein Meilenstein? Was nun? Das ist interessant (zumal effektvoll montiert), die Idee hingegen, Statue Nr. 23 zum Sprechen zu bringen, indem sie tatsächlich spricht, eher Kultur- & Animismus-Kitsch. (DAHOMEY)

Tilman Schumacher am
18. Februar 2024 um 17:07 Uhr

Selektive Wahrnehmung: Wenn vom Ausflug zum Stephansdom mit seinem komischen Brotjesus vor allem hängenbleibt, dass beim Innenstadt-McDonalds dasselbe Essen deutlich mehr kostet als in FAVORITEN. Für die Lehrerin mit türkischem Namen hört die Synchronisierungsarbeit nimmermehr auf, und nicht die Notwehr gegen den Mangel, der an so vielen Ecken und Enden über die Zukunft nicht nur dieser Gesellschaft regiert. (73cp)

Ekkehard Knörer am
18. Februar 2024 um 15:32 Uhr

Wer im kunstreligiösen Sektor gänzlich unmusikalisch ist (wie ich, glaube ich), wird dennoch erstaunlich viel Interessantes & Gekonntes in Glasners STERBEN finden. Harfouch & Eidinger, zwei große Diven sich schauspielhandwerklich belauernd am postfamiliären Kaffeetisch; die (trotz Marathonmann: ultimative) Zahnarztpraxis des Grauens in St. Pauli, in der Zehrfeld & Stangenberg ein Massaker nach dem anderen wegoperieren; die weerasethakuleske Plansequenzeinstellung am Sterbebett des Vaters, eine Kamerafahrt Richtung jenseitiger Untersicht: grün leuchtet die ganze Technik, die unter einem zeitgemäßen Palliativmedizinbett steckt.

Simon Rothöhler am
18. Februar 2024 um 15:03 Uhr

Malaury Eloi Paisley hat einen feinfühligen, auf gegenseitigem Vertrauen basierenden Weg gefunden, das Leid von echten Menschen - und ihre vergebliche Suche nach Heilung - zu bezeugen. Guadeloupe: eine Insel der Verzweiflung ohne hoffnungsspendenden Leuchtturm. Ihre Bewohner*innen, LES HOMMES-VERTIGES, dauerschwindelerprobt und angeschwindelt von der Politik eines Staates, der nicht der ihre ist, bleiben standhaft, trotz allem.

Leonard Krähmer am
18. Februar 2024 um 14:42 Uhr

COMME LE FEU (Generation): Ich bin mir nicht sicher, wie state of the art diese kammerspielige Beschäftigung mit gekränkten Männlichkeiten ist, die Lesage hier vornimmt, und was er da genau analysieren (oder kritisieren?) will. Toll fotografiert isses, aber vielleicht eben auch komplizenhaft unterwegs. Bin müde, habe Fragen. Emojikritik: 🏕️🍷👋 📸 🐶 🛶

Anne Küper am
18. Februar 2024 um 11:20 Uhr

DARK SPRING von Ingemo Engström in der Retrospektive: eine Geste der Selbstermächtigung. Eine Frau macht einen Film in einer Welt, in der nur Männer Filme machen. Die Selbstermächtigung besteht darin, von dem, was in einer emanzipierteren Welt sein könnte, zu sprechen, nicht, es in die Praxis umzusetzen. Das heißt, der Film erkundet den Moment vor dem Austritt aus der Unmündigkeit. Der Austritt selbst und die Mündigkeit bleiben unerreicht. Vielleicht ging es vor 54 Jahren nicht anders; das ändert nichts an meiner Müdigkeit im Angesicht der so oft gesehenen Geste und des so selten gesehenen Resultats.

Cristina Nord am
18. Februar 2024 um 10:48 Uhr

Ein Film wie ein verpasstes Rendezvous. (René Frölke: Spuren von Bewegung vor dem Eis | Forum)

Friederike Horstmann am
18. Februar 2024 um 10:01 Uhr

Für mich der Inbegriff des Bobo-Kinos: Assayas’ HORS DU TEMPS (Wettbewerb). Nicht zum Aushalten.

Cristina Nord am
18. Februar 2024 um 08:28 Uhr

Um ein synästhetisches Denkmal solchen Formats errichten zu können, muss man 95 werden. MOTHER AND DAUGHTER, OR: FEMALE CINEMA DYNASTY FOR PRESIDENT, Lana Gogoberidzes Liebeserklärung an ihre Mutter und die Kunst. Das blaue Zimmer das mnemotechnisches Zentrum mit Fotoalbumtapete und Gogoberidze-Werkschau(en)mobiliar, von dem man aber auch in düsterste Abgründe der Geschichte taumelt, Eluard und Akhmatova als seelisches Vademecum, die Tränen zu trocknen. 1/2

Leonard Krähmer am
18. Februar 2024 um 08:28 Uhr

Affektiver Überschuss ist noch eine Untertreibung und spätestens ab der Hälfte wünscht man sich nichts lieber als Georgisch zu verstehen, damit man durch all die Tränen keine Untertitel lesen muss. 2/2

Leonard Krähmer am
18. Februar 2024 um 08:27 Uhr

HAKO OTOKO, der Pappschachtelmann. Selbstbewusst bekloppter wird es in den nächsten Tagen wohl nicht mehr. Erst mein 2. Ishii, ANGEL DUST war schon kunstig, ausgefranst, erotisch, brutal. Bei HAKO OTOKO muss man akzeptieren, dass der Filmheld – o. Antiheld? – in einer schnöden Pappschachtel mit Sehschlitz lebt, von drinnen ist sie weit geräumiger als von außen. Seine Box steht in Seitengassen herum, von hier kann er Minirock tragende Frauen bespannen, auch impulsiv Notizen in sein Büchlein machen, das die Lehre der Schachtelmänner enthält. Andere sind scharf darauf; die Box als Selbstisolation, auch als Glücksversprechen. (Special)

Tilman Schumacher am
18. Februar 2024 um 08:26 Uhr

A DIFFERENT MAN: Ein Film, den ich so nicht im Wettbewerb, wenn überhaupt im Encounter erwartet habe, mehr noch im Special, der «heimlichen» Heimat für schrulliges Genrekinoerzählen (s. auch Ishiis HAKO OTOKO o. aber Cheangs MAD FATE im letzten Jahr). Immer, wenn man denkt, man hat den Film und seine filmischen Vorbilder «in der Hand», entwischt er einem. Apartmentbuilding-Mystik à la BARTON FINK, Mad-Scientists und tragische «Monster» wie beim Universal-Horror und bei Stuart Gordon, schließlich eine recht zeitgeistige Diskurs- & Metakinomaschinerie – aber: lässig, standup-komödiantisch, drastisch, eskalationsfreudig. (Wettbewerb)

Tilman Schumacher am
18. Februar 2024 um 08:26 Uhr

Statt des geschwätzigen Interviews vor dem Film (keine gute Idee als Einstieg: «Na, erzählen Sie doch mal ein bisschen») wäre es schön gewesen, wenn in einigen Sätzen erklärt worden wäre, was das «andere» Kino, das die Retro so selbstverständlich in den Blick nimmt, eigentlich ist. Es ist schon einmal «nicht Mainstream» und nicht «konventionell» – Aber was soll das alles heißen? Problematisch, da schematisch den einzelnen Filmen gegenüber und auf einem Vorverständnis aufbauend, was das «Typische» & «Konventionelle» des BRD- und DDR-Kinos der 60er-80er ist… Mit Braschs ENGEL AUS EISEN habe ich immerhin eine Lücke geschlossen. (Retro)

Tilman Schumacher am
18. Februar 2024 um 08:25 Uhr

Ein Theorie-Roadmovie: Engström besucht Freundinnen in München und Umgebung, lässt sich von ihnen aus dem Alltag berichten, von Versuchen politisch-feministischer Arbeit, den Ansichten zu bürgerlichen Paarbeziehungen und ihren Alternativen. Bernd Fiedlers Kamera ruht in diesen Szenen in Halbtotalen, zeigt uns Engströms Weggefährtinnen im Privaten: Mao-Plakate, kokelnde Kinder, die obligatorische Bodenmatratze mit benachbarter Stereoanlage. Dann gibt es da noch so Stimmungsschnipsel: Pillow Shots zu Neil Youngs Helpless von Gleisanlagen, Waldstücken, Stadtpanoramen. DARK SPRING ist ein Film der Erfahrungen, nicht der Story. (Retro)

Tilman Schumacher am
18. Februar 2024 um 08:23 Uhr

Lost auf für ihn selbst nicht verständliche Weise ist der Titelheld in Mamadou Dias DEMBA, ein Beamter im Rathaus eines senegalesischen Kaffs. Seine Frau ist gestorben, sein Sohn entfremdet, der Film entzieht ihm, aber auch uns, den staubigen Boden unter den Füßen, mixt Erinnerungs- und Gegenwartsbilder in durcheinanderen Chronologien, überführt sich selbst in den Status der Depression. Was diesem Hinausfallen aus dem eigenen Leben ein Zentrum gibt: die Präsenz des Laien-Hauptdarstellers Ben Mahmoud Mbow. (70cp)

Ekkehard Knörer am
18. Februar 2024 um 08:20 Uhr

Nele Wohlatz erzählt, dass am Anfang von DORMIR DE OLHOS ABERTOS eine abstrakte Idee stand (das Verlorensein in der Fremde), die sich dann an Ort und Stelle - Recife - sehr konkretisierte. Und doch will, mancher hinreißenden Idee zum Trotz (das Warten der Mieter in der Tiefgarage beim Feuer zum Beispiel), das Ausgedachte nie hinreichend schwinden. Das Konkrete verschwimmt vor Gedanken und Augen, und zwar gründlicher als der Film es mit seinen Traumabsichten selbst will. (68cp)

Ekkehard Knörer am
18. Februar 2024 um 08:11 Uhr

Dresens Hilde-Coppi-Drama IN LIEBE, DEINE HILDE ist halt sehr, und fast nur, was es ist: auf Alltag gepoltes Widerstands-Biopic, das den eigenen Schematismen (Gefängnis/Freiheit als überdeutliche Kontrast-Parallelmontage) kaum je in etwas Lebendigeres entkommt, obwohl von der Geburt bis zum Fallbeil nichts Menschliches fehlt und sogar eine Leberwurststulle noch drin ist. (56cp)

Ekkehard Knörer am
18. Februar 2024 um 07:57 Uhr

REAS: Die Neue im Knast hat ein Eiffelturm-Tattoo auf der Schulter, und der Geist von «Paris Is Burning» schwebt über allem: Gefängnis-Nummernrevue mit Laiendarstellerinnen, die eigene Erfahrungen re-enacten und dabei voguen, posen, pantomimen. Das Minenspiel mag stoisch und manche Bewegung ungelenk sein – zumindest momenthaft hat’s mich doch umgehauen.

Elena Meilicke am
17. Februar 2024 um 19:06 Uhr

Vergleichende Experimentalanordnung: Wie reagieren Katzen, Kinder und Senioren auf das fluffy Mikrofon? Am Ende hat auch der Wind seinen Auftritt. GOKOGU NO NEKO verknüpft das gänzlich Profane (Fegen, Füttern, Dreck wegmachen) mit dem (Shinto-)Spirituellen. Was für ein schöner Film über (Für-)Sorge und wie alle mit allen zusammenhängen.

Elena Meilicke am
17. Februar 2024 um 18:58 Uhr

Spurenlesen im «verschämten Archiv» (Arlette Farge) eines der Gegenwart schon lange abhanden gekommenen Verlags. Radikale Materialästhetik, verbolext, die selbst die eigene Transkriptionsmaterialität einbezieht. Auf allen Ebenen gestalterisch markiert ein mitunter nicht unschroffer Zug ins Hermetische. Dass sich vieles nicht mitteilen kann und soll, teilt sich aber mit. Der Spurstatus nicht nur verlegerischer Reste hängt an den Möglichkeiten ihrer Lesbarmachung. Und die hat Grenzen. (René Frölke: Spuren von Bewegung vor dem Eis | Forum)

Simon Rothöhler am
17. Februar 2024 um 17:08 Uhr

HENRY FONDA FOR PRESIDENT (Forum): Endgültig besiegelt eine zufällige Begegnung in Paris diese l’amour, die vorher schon mit dem Blick in die blauen, viel zu blauen Augen auf der Leinwand begonnen hatte. Asymmetrisch ist sie, diese Form der Liebe, ganz und gar detailverliebt, obsessiv bei der Analyse all des Materials, in dem sich die Abdrücke des Geliebten finden lassen. 1/2

Anne Küper am
17. Februar 2024 um 11:36 Uhr

Eine Suche, eine Ermittlung, ein Blockseminar in Sachen Masculinity Studies, eine Beziehungsarbeit, die sich die geerbten Traumata von Land und Familie vornimmt, um die neuen Albträume zu verstehen. Die Schleusen zum Imaginären stehen weit offen, die Hände vor den Augen, so lässt sich das spielen. Emojikritik: 🎥🇺🇸🏅🐴 👀🏍️ 2/2

Anne Küper am
17. Februar 2024 um 11:35 Uhr

Kultur bedeutet «etwas, was man macht, aber nicht so oft» oder Kindermund tut ziemlich unaufgeregt Realität kund – Ruth Beckermanns toller Schulklassenfilm FAVORITEN (Encounters) (feat. Jesus, das Brot)

Matthias Dell am
17. Februar 2024 um 09:32 Uhr

Ein Film, der sich schlecht entscheiden kann: Will HORS DU TEMPS eine Covid-Komödie sein? Dafür hat er abseits einigen wenigen schön beobachteter Alltagsabsurditäten zu wenig Witz, Timing und Pointen. Will er psychologisches Drama sein? Dem stehen Reißbrettfiguren, allen voran der Musikjournalistenbruder von Vincent Macaignes Filmemacher-Assayas-Ego, entgegen. Schön sieht’s auch nicht aus: Weder digital hochaufgelöste Bildraumschärfe noch krisseliger DIY-Charme, irgendwas dazwischen. Zumindest im Empfinden, dass Gespräche die Erfahrungsarmut während der Isolation nicht aufwiegen konnte, finde ich mich z.T. wieder. (Wettbewerb)

Tilman Schumacher am
17. Februar 2024 um 09:31 Uhr

TIME TO CHILL empfiehlt das Tanktop des jungen Mannes. Meinetwegen, was anderes bleibt sowieso nicht übrig in Tsai Ming-liangs zehntem Walker-Film ABIDING NOWHERE (Special). Zwei einsame Menschen auf D.C.-Erkundungstour im Museum, im Sonnenschein und im Schatten. Der eine geht ausgesprochen langsam, der andere trägt gut gedämpfte Nikes. Und hat's auch nicht besonders eilig.

Leonard Krähmer am
17. Februar 2024 um 09:29 Uhr

Narges Kalhors SHAHID im Forum: eine Autofiktion voller Tricks, Finten und doppelter Böden. Sympathisch die Entschlossenheit, mit der sich der Film selbst ins Wort fällt: «Kunstquatsch!». Im letzten Drittel mag ihm zwar die Puste ausgehen, doch man gliche der Dame vom Amt, wollte man sich daran sehr stören.

Cristina Nord am
17. Februar 2024 um 08:51 Uhr

Näher am Kino der Nouvelle Vague und des Rive Gauche war das BRD-Kino wohl selten. TOBBY ist ein Künstlerporträt, Musik- und Szenefilm ohne klare Form und klares Ziel – und das im besten Sinne. Während der titelgebende Jazzer an einem überfüllten Badesee mit einer Frau Zärtlichkeiten austauscht, switcht das körnige Schwarzweiß (angenehme Digitalisierung übrigens) plötzlich zu einer mediterranen Serpentinenstraße in prächtigen Farben, auch Filmstartbänder (3-2-1…) poppen auf. Abseits dieser Formautarkie auch eine lässige Spontanität, die mich an Lemkes Kino, speziell an seinen kneipen- und straßenlastigen PAUL, denken lässt. (Retro)

Tilman Schumacher am
17. Februar 2024 um 08:47 Uhr

Beckermann begleitet in FAVORITEN für 3,5 Jahre eine Klasse der größten Volksschule Wiens. Zu Filmbeginn liest sie alle Namen der beteiligten Schüler:innen vor, am Ende treten diese vor das Publikum wie im Theater. Ein Film in Zusammenarbeit mit den Kids, nicht einfach über sie, schon gar kein Thesen- o. Problemfilm. Lieblingsszene: Während der Führung durch den Stephansdom betont der Priester gebetsmühlenartig, es sei auch ~ihr~ Dom (keins der Kinder ist römisch-katholisch). Bei der Nachbesprechung im Klassenzimmer fällt einem Jungen nur Spannendes zum McDonalds ein, der das Kulturprogramm rahmte. Unser McDonalds. (Encounters)

Tilman Schumacher am
17. Februar 2024 um 08:45 Uhr

Das betont poetische Voice Over und die Kameraflüge über Sumpf und Savanne wollen mich nicht begeistern, die tollen Studiofotografien von Samuel Fosso (besonders die Selbstporträts) dann doch: «À quand l’Afrique?» von David-Pierre Fila (Panorama)

Cristina Nord am
17. Februar 2024 um 00:50 Uhr

Ziemlicher Schlimmfilm von Assayas, Laber Bros-Brüder, die leider ganz und gar keine McKayschen Step Brothers sind, im dauerangenervten Covid-Lockdown und dann auch wieder der stimmlich wie gestisch schwer zu ertragende Vincent Macaigne aus der (sagen wir: ambivalenten) Irma Vep HBO-Serie als absichtsvoll ultrauncooles alter ego (kaschiert die aufgefahrene Eitelkeit dennoch kaum). Auf der Habenseite (buchstäblich): großbürgerliche Landsitze mit halbrenaturierten Parkgartenanlagen, aber ohgott, hoffentlich geht das Werk (das ja schon mal bei L’heure d’été war) nicht so weiter. (Hors du temps | Wettbewerb)

Simon Rothöhler am
16. Februar 2024 um 21:40 Uhr

A DIFFERENT MAN (Wettbewerb): Hypermetakino, vollgestopft mit cinephilen und anderen Referenzen. Hinter Masken warten neue Masken, Rollen werden getauscht und umgeschrieben, der Autofiktionspakt macht's möglich. Weniger Identitätssuche als narzisstischer Ego-Trip samt Spiegelstadium auf der Szenekneipentoilette. 1/2

Leonard Krähmer am
16. Februar 2024 um 18:43 Uhr

Bevölkert von schlimmsten Menschen aka Künstler*innen und real estate guys, ist die Welt, ein endloses Matroschka-Set mit Adam Pearson als self-deprecating regular bloke. Ein anderer Mann schält sich heraus und bleibt doch der gleiche. Alte Weinerlichkeit in neuen Schläuchen. 2/2

Leonard Krähmer am
16. Februar 2024 um 18:42 Uhr

A DIFFERENT MAN (Wettbewerb): I’ll have an Essayfilm but make it a A24 production so that I can feel good about my cinephile self.

Hannah Pilarczyk am
16. Februar 2024 um 16:44 Uhr

MIT EINEM TIGER SCHLAFEN (Forum): Für einen kurzen Moment werden sie immer wieder eingeblendet, die Werke von Maria Lassnig, nur kurz aber, aus dem sorgfältig abgesteckten Rahmen eines Augenblicks dürfen sie nicht fallen, denn als bunte Abdrücke derjenigen Station des Künstlerinnenlebens werden sie gebraucht, die jetzt in diesem Biopic-Abschnitt erzählmäßig dran ist. Birgit minichmayrt auf Terpentin, spricht kommentierend in die Kamera, erkundet body-artig, wie die Einzelteile eines weiblichen Körpers im Patriarchat ein Ganzes bilden und miteinander Kunstproduktion betreiben können. 1/2

Anne Küper am
16. Februar 2024 um 15:20 Uhr

Manchmal sprechen die über Lassnig, mit denen sie Zeit geteilt hat, aber so richtig wollen die Spielszenen und dokumentarische Sequenzen nicht ineinandergreifen, wie es der Berlinale-Ankündigungstext verspricht, seufz. Hauptsache die CGI-Ameisen packen mit an, wenn boyfriend Arnulf Rainer nach der Ausstellung mit den Avantgardejungs abhaut und die Leinwände wieder zurück nach Hause geschleppt werden müssen. Emojikritik: 🐅🛌 👩‍🎨 🎨🩸 🐜 2/2

Anne Küper am
16. Februar 2024 um 15:20 Uhr

Lost in Translation: Ob er sich sicher sei, dass er kapiere, was er als Übersetzer da vom Spanischen ins Deutsche übersetze, fragt die Chinesin Ah ihre argentinische Urlaubsbekanntschaft am Postkartenstrand (Postkarten werden später zum narrativen Anker) von Recipe, Brasilien. Sie habe nämlich den Eindruck, dass sich nicht einmal Muttersprachler:innen untereinander verstehen. In verschachtelter, vielleicht etwas bemüht mysteriösen Szenerien folgen wir in DORMIR CON LOS OJOS ABIERTOS Fremdbleibenden wie Ah, die das Beste aus den Tagen in der Küstenstadt machen. 1/2

Tilman Schumacher am
16. Februar 2024 um 12:08 Uhr

Aufblitzende Alltagskomik, prekäre Arbeitsverhältnisse und das Aneinandervorbeireden und -schreiben, ob nun auf Chinesisch, Spanisch oder Portugiesisch. (Encounters) 2/2

Tilman Schumacher am
16. Februar 2024 um 12:07 Uhr

Der Berlinale-Eröffnungsfilm ist üblicherweise eher Pflicht als Neigung. SMALL THINGS LIKE THESE aber ist eine sehr vertretbare Lösung für die verschiedenen Boxen die so ein Film «checken« muss. Neben der moralischen Aufgabe (Cillian Murphy macht das schon sehr gut) auch ein Film über die Schwärze des Fossilzeitalters (bis zurück zum Torf!).

Bert Rebhandl am
16. Februar 2024 um 09:37 Uhr

Selbst eine bald zweistellige Semesterzahl im Studium der Kulturwissenschaft hat mir keine satisfaktionsfähigere Definition des Kulturbegriffs liefern können als die zwei Schüler in Ruth Beckermanns FAVORITEN (Encounters): 1. Kultur ist das, was du machst. Aber nicht so oft. 2. Kultur ist etwas. Aber nicht irgendetwas.

Leonard Krähmer am
16. Februar 2024 um 08:45 Uhr

Paratextuelles vorneweg: Vor der Eröffnungsgala, Chatrian und Rissenbeek fahren am Roten Teppich vor, Die Ärzte auf der Tonspur: «Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist / Es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.» Interessantes Timing vom DJ, vom Zufall? Jedenfalls werden da beachtliche Erwartungen geschürt an das ach so politische Festival: «Lass uns diskutieren, denn in unserem schönen Land / Sind zumindest theoretisch alle furchtbar tolerant.»

Leonard Krähmer am
16. Februar 2024 um 08:44 Uhr

Frau Idiskut und ihre Klasse, gewiss, aber doch ein etwas anderer Vibe als bei Maria Speth. Die Beschulten jünger und unterstützungsbedürftiger, die schulische Mangelwirtschaft offensichtlicher, die Zukunftshorizonte trotz allen Engagements schon früh am schließen. Close-ups in Serie als anti direct cinema Zentralstilmittel fragmentieren den jahrelang beobachteten (post-)migrantischen Volksschulsozialkörper zusätzlich. Wie tanzbar ist (welche & wessen) Kultur und was hat der einsame Katholik im Stephansdom über wem was gehört und dieses Jesusbrot gesagt? (Ruth Beckermann: Favoriten | Encounters)

Simon Rothöhler am
16. Februar 2024 um 08:06 Uhr

Nicht der gelungenste Einstieg: Period-Piece-Naturalismus in fahlen Farben, zudem mit über 130min unvorteilhaft episch. Hierfür gibt es keinen guten Grund, aus den Handlungswiederholungen und bedächtigen Plansequenzen entsteht jedenfalls kaum ein Sog. SAPTAMANA MARE, die heilige Woche, lässt den Antisemitismus im ländlichen Rumänien des ausgehenden 19. Jahrhunderts brodeln, bis er erwartbar hochgeht. 1/2

Tilman Schumacher am
16. Februar 2024 um 07:37 Uhr

Der Aktionsradius des Films ist eng, ein paar Häuser, drei, vier relevante Figuren. Mehr teilnehmendes Beobachten als psychologisches Drama – das Pressepublikum nervig unruhig, ab der zweiten Hälfte gefühlt jede Minute eine auf- und zugehende Saaltür. (Forum) 2/2

Tilman Schumacher am
16. Februar 2024 um 07:37 Uhr