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Menschen & Orte Keine Parabeln, keine Sinnbilder: Über die unvoreingenommenen Dokumentar- und Spielfilme von Michael Roemer

Von Tilman Schumacher

Brooke Adams | Vengeance Is Mine (1984)

© Post Mills Productions

 

In der Eröffnungssequenz von Vengeance is Mine (1984) sitzt Jo, die von Brooke Adams gespielte Hauptfigur in Michael Roemers letztem Spielfilm, in einem Flugzeug und schaut schräg aus dem Bildfeld heraus. Die Kamera fokussiert in naher Einstellung ihr Gesicht, dessen Ausdruck man kaum zu deuten weiß. Mal schaut sie gedankenvergessen ins Leere, mal lächelt sie in sich hinein, kurz darauf glaubt man in Jos Gesichtszügen Angespanntheit, Nervosität, vielleicht auch Trauer auszumachen. Diese Figur ist einem ein Rätsel, und Vengeance is Mine wird uns auch später auf Distanz zu ihrem Innenleben halten. Wohin ist sie unterwegs – wovor hat sie Bedenken? 

Am Gate wird klar: Jo ist auf Familienbesuch. Ihre jüngere Adoptivschwester holt sie ab. Jos Adoptivmutter, eine strenge, erzkatholische Frau, muss einen Krankenhausaufenthalt antreten, bei ihr wurde etwas Ernstes gefunden. Der Faden zwischen Mutter und angereister Tochter scheint längst abgerissen, beim Wiedersehen sind sie sich fremd wie nie. Im ersten Drittel kreist der Film um Jos gehemmt zaghafte Gesprächsanläufe, in denen sie allen Mut zusammennimmt, sich den familiären Problemen zu stellen. Damals wie heute fühlt sie sich unverstanden. Ihr Versuch einer Aussprache läuft schnell ins Leere. 

Kurz darauf stirbt die Mutter. Der Film schlägt zu diesem Zeitpunkt bereits einen anderen Weg ein. Jo hat kapituliert und sich der Nachbarsfamilie zugewandt. Was zunächst wie eine Geborgenheit versprechende Wahlverwandtschaft anmutet, entpuppt sich bald als von Abhängigkeiten und seelischen Verletzungen durchzogener Kosmos. Auch dort kreist alles um die Mutter (Trish Van Devere): eine psychotische Malerin, die meint, ihre junge Tochter an ihren Noch-Mann zu verlieren. Am Film­ende sitzt Jo wieder im Flieger; diesmal nach Toronto, wo sie mit einiger Verspätung einen neuen Job antritt. Die zurückgelassenen Familiendramen wirken durch die inszenatorische Klammer der beiden Flugszenen wie ein Tagtraum. Wieder interessiert sich die Kamera für ihr Gesicht. Jo schaut nun fast direkt in Richtung Publikum, aber doch nicht ganz so, dass die vierte Wand zusammenfällt. Wie zu Anfang kein ‹Spiegel zur Seele›. Jedoch sind Spuren des emotionalen Auf-und-Abs, das die gesamte Laufzeit der PBC-Produktion für das Sendeformat American Playhouse bestimmte, in Adams Mimik ablesbar. Kurz bevor der Abspann erscheint, zeichnet sich auf ihrem sonnenbeschienenen Gesicht ein Lächeln ab. Was mag sie denken?

Mit dieser Szene endete vor gut vierzig Jahren Michael Roemers (*1928) Filmemachen. Sie enthält vieles, was sein Œuvre der 1960er bis 80er Jahre durchzieht. Es ist geprägt von der Faszination für Gesichter und den ambivalenten Gefühlen, die Familienkonstellationen bei seinen Filmheld:innen auslösen. Die in ihren Inszenierungen wie Milieus teils sehr unterschiedlichen Spiel- und Dokumentarfilme begeben sich furchtlos in emotionale Ausnahmesituationen – und halten uns dabei doch auf Abstand. Das heißt nicht, dass sie kühl-analytisch wären. Die innere Bewegtheit der Figuren spiegelt sich bloß nicht direkt in der bedächtigen, ruhig-registrierenden Formensprache der Filme wider. Roemer möchte gerne, dass man nicht vorgeschrieben bekommt, wie man sich zu fühlen hat. Wie er in einem Interview berichtet, nervt ihn zudem abstraktes und symbolistisches Filmemachen (als Beispiel nennt er das Kino Ingmar Bergmans). In seinen Filmen gibt es keine Parabeln und drehbuchcleveren Sinnbilder, auch dann nicht, wenn sie Überindividuelles und Gesellschaftliches thematisieren. Sie fassen Menschen und Orte konkret auf, ihre Individualität wird betont. Und es geht in den Schauplätzen nie so eindeutig zu, dass am Ende eine ‹Message› dastünde. Bei Roemers Filmwelten kommt mir als Bezug noch vor dem zeitgleichen US-Independentfilm die alltäglich-unprätentiöse ‹Ziellosigkeit› französischer Semi-Nouvelle-Vague-Autorenfilme der 1970er, speziell Maurice Pialats La gueule ouverte (1974) und Jean Eustaches Mes petites amoureuses (1974), in den Sinn. Dazu passt vielleicht auch, dass Roemer in seinem schmalen Werk US-amerikanische Seelenlandschaften kartografiert, aber doch Europäer ist.

1928 in Berlin in eine jüdische Familie geboren, erlebt er den Terror des Faschismus und Antisemitismus bereits in Kindertagen und entgeht mit seiner Mutter, anders als viele seiner Lieben, knapp dem Holocaust. Er schaffte es mit den Kindertransporten nach Großbritannien, reist später in die USA weiter, wo er an der Harvard University studiert. Gegen Ende der 1940er tastete er sich an den Film heran, beginnend mit einem leider heute nicht mehr greifbaren Studentenfilm namens A Touch of the Times (1949), nebenbei wohl der erste Langfilm überhaupt, der von einem US-College produziert wurde. Nach Roemers Einschätzung sollte dieser, haarsträubenderweise, sein kommerziell erfolgreichster Film bleiben. Es folgten zahlreiche Auftragsarbeiten für Lehrfilme und Newsreel-Beiträge. Ab den 1960ern – es ist die Zeit, in der Roemer in New York Filmemacher wie Frederick Wiseman und Morris Engel kennenlernt – kommt diejenige Phase seines Filmschaffens ins Rollen, die ihm den Status eines originären, wenn auch nach wie vor vergleichsweise unbekannten Independentfilm-Auteurs einbringt. Anfang des Jahres wurde Roemers Werk beim Berliner Festival des US-Independentfilms Unknown Pleasures mit einer fünf Titel umfassenden Retrospektive gewürdigt. 

Ab den 1960er Jahren bewegt sich Roemer mühelos zwischen Kurz- und Langfilm, sowie Dokumentar- und Spielfilmformen. Bevor 1964 sein heute bekanntester Film, das Spielfilmdebüt Nothing But a Man, ins Kino kommt, dreht er gemeinsam mit seinem Weggefährten und Regiekollegen Robert M. Young (*1924) fürs Fernsehen Cortile Cascino (1962). Das mittellange, dokumentarische Porträt des titelgebenden Elendsviertels von Palermo wird noch vor der Ausstrahlung zurückgezogen. Es beginnt und endet mit einer Zugfahrt durch die Baracken des Viertels; zusammen mit den Dokumentaristen betreten und verlassen wir ein Terrain, das ihnen wie uns fremd ist. Die Erfahrungswelt von Außenstehenden wird hier direkt widergespiegelt: Im knappen Reportagenstil informiert ein Voice-Over über die Missstände des Ortes (etwa Jugendkriminalität und Kindersterblichkeit), ansonsten aber sind wir mit Originaltonaufnahmen ohne Untertitelung konfrontiert. Ergänzend kommen sporadisch englischsprachige Passagen hinzu, in die ungefiltert Aussagen der porträtierten Viertelbewohner:innen im Wortlaut eingegangen sind. Bittere, anklagende Sätze in Richtung Patriarchat, Staat und Mafia. Also eine Form des partizipatorisch-demokratischen Filmemachens: Nicht die Beobachtenden, sondern die Dargestellten selbst bewerten ihre Lebenslage.
 

Abbey Lincoln & Ivan Dixon | Nothing but a Man (1964)

© PBS

 

Auch Nothing But a Man (Robert M. Young ist als Co-Autor, Kameramann und Produzent wieder an Bord) verzichtet auf eine auktoriale Form, dem Gezeigten einen klaren Sinn zu geben. Wie in den späteren Spielfilmen Roemers steckt die Hauptfigur den Erfahrungshorizont ab, unsere Perspektive ist die ihrige. Alles wird im dokumentarisch-rauen Schwarzweiß der eng gewählten Bildausschnitte auf sie bezogen, selten gibt es Einstellungen, in denen sie nicht im Zentrum steht. 

Duff Anderson (Ivan Dixon) verlegt im ländlichen Alabama mit einer Einheit schwarzer Arbeiter Bahngleise. Auf der Feier eines nahegelegenen Städtchens lernt er Josie (Abbey Lincoln) kennen, eine junge Frau am Ausschank mit verschmitztem Lächeln. Dass sie ausgerechnet die Tochter Reverend Dawsons (Stanley Greene) ist, stellt die Liebe Duffs und Josies auf eine Probe: Duff ist weder ein Mann des Glaubens, noch, im Gegensatz zum künftigen Stiefvater, zu Kompromissen mit den Weißen bereit; niemand also, der sich einfügt: nicht in das bürgerliche, vom Gleisarbeiter als «weiß» verachtete Kleinstadtgehabe, und schon gar nicht in den offenen Rassismus der Jim Crow-Gesetze. Der Riss verläuft also nicht nur entlang der weißen und schwarzen Community, sondern zieht sich mitten durchs schwarze Selbstverständnis hindurch. Nothing But a Man geht jedoch nicht darin auf, ein Film über Rassismus zu sein, so wie Roemer generell keine Filme über etwas dreht. Seine Filme wollen einen möglichst wahrhaftigen Ausschnitt aus dem Leben von Alltagsamerikaner:innen im Hier und Jetzt geben und dabei so vielfältig wie diese sein. Wie der Individualist Duff sich mit großer Mühe ins Familienleben einfindet – Annäherungs- und Abstoßungsbewegungen zwischen ihm und seiner Frau, aber auch der Wunsch, die Beziehung zu seinem kleinen Sohn und seinem alkoholkranken Vater im nahe gelegenen Birmingham zu festigen –, ist der Kern des Films.

Für das humanistische Gefühlskino von Nothing But a Man ist es ganz selbstverständlich, dass alle relevanten Filmfiguren schwarz sind (selbst die Figur des weißen Reformers fehlt). Das ist ähnlich beim nächsten Spielfilm The Plot Against Harry (1971), den Roemer nicht zuletzt mit dem Ziel in der jüdischen Community New Yorks ansiedelte, dass es normal werden müsse, unterrepräsentierte Minderheiten auf der Leinwand zu sehen. Im Anschluss ans Spielfilmdebüt kehrt Roemer mit dem Kurzfilm Faces of Israel (1967) (nicht zum letzten Mal) zum Dokumentarfilm zurück. Man merkt auch Nothing But a Man dieses Gespür für vor-filmische, das heißt vorgefundene Orte an; die Fiktionen umschließen behutsam einen ‹dokumentarischen Kern›.
 

Faces of Israel (1967)

© NBC

 

Faces of Israel ist vielleicht der unscheinbarste Beitrag in Roemers heute noch zugänglicher Filmografie, aber dabei erstaunlich: Hinsichtlich des ungewohnten Umgangs mit dem gesprochenen Wort nimmt er den Faden von Cortile Cascino wieder auf, bloß dass das partielle Voice-Over entfällt, man wird mit ununtertiteltem Hebräisch konfrontiert. Was der Film erzählen möchte, liegt eben jenseits sprachlicher Vermittlung: Faces of Israel ist, wie der Titel schon sagt, eine Collage der Gesichter, die den noch jungen Staat prägen, ein flüchtiger Blick auf dessen Gemeinschaftsformen: ein Agrarlehrgang im Kibbuz, Militärparaden, Moscheegebete. Einzig zu Beginn entfaltet der Film dabei ein klares Argument. Das erste Filmbild ist eine historische Fotografie, ein Schreckensbild der Shoah, Schnitt: ein Militäraufmarsch im Israel der Gegenwart. Das Bild der Toten grundiert alle folgenden Bilder, unterstreicht die Notwendigkeit eines wehrhaften Staates der Jüd:innen. 

Auch später nimmt die Präsenz des Todes im Leben in Roemers Werk großen Raum ein, besonders im Dip­tychon von Dying (1976) und Pilgrim, Farewell (1982). Dying ist sein erster und einziger Dokumentarlangfilm, zugleich thematisch das Komplementärstück zum abermals für die American Playhouse-Anthologie produzierten TV-Spielfilm Pilgrim, Farewell. Hier wie dort stehen Menschen im Zentrum, denen bewusst ist, dass sie bald sterben und trauernde Angehörige hinterlassen werden. 

Der an einem Hirntumor erkrankten, circa fünfzigjährigen Sally ist das erste von drei Porträts gewidmet, aus denen sich Dying zusammensetzt. «Porträt» im weiten und engen Sinne: behutsam beobachtende Einblicke in die letzten Monate im Leben der Patientin – die Monotonie des Krankenbetts, Therapiesitzungen, schließlich, dem Sterben nahe, die Rückkehr zur Mutter. Und eben die Abfolge konzentrierter Bilder, die sich ganz ihrem von Krankheit gezeichneten Gesicht widmen. Häufig stehen diese Porträtaufnahmen am Anfang einer Szene, später erst zoomt die Kamera heraus und lässt der Umgebung ihren Raum. Sie tritt aber auch dann nie in den Vordergrund. Dying ist gänzlich menschzentriert. 

Sallys Kopf ist abseits einiger Haarsträhnen kahl, ihre Wangen sind zusammengefallen, ein operativer Eingriff in ihre rechte Kopf- bzw. Hirnhälfte weckt Assoziationen an eine Kraterlandschaft. Die körperliche Versehrtheit ist das eine, Sallys lebensbejahende Art, die immer wieder in den Talking Head-Passagen und Direct Cinema-Alltagsschilderungen aufscheint, das andere. Bei ihr ist keinerlei Verbitterung auszumachen, bis zuletzt bewahrt sie sich einen wachen und liebevollen Blick auf die Welt. Ihr letzter Wunsch, einfach ins Koma zu fallen und zu entschlafen, erfüllt sich. Nachdem wir Sallys physisches Endstadium noch einige Minuten mitverfolgt haben, erscheint eine Texttafel. Sie berichtet nüchtern vom Koma und dem Wochen später eingetretenen Tod, auf eine Weise ein Happy End. 

 

Dying (1976)

© Michael Roemer

 

Die folgenden Krankenporträts zweier krebskranker Familienväter sind abseits der ebenso sanften wie schonungslosen Kamerablicke nicht zuletzt deshalb eindringlich, weil sie von unterschiedlichen Milieus erzählen: einerseits das weiß konservative Suburbia der Einfamilienhaus-Privatheit und Abstiegsängsten (verdichtet in der mütterlichen Sorge, wie die Söhne ohne den Vater den modernen Versuchungen, sie meint Drogen, gewachsen sein werden), andererseits die rührende ‹Großfamilie› einer schwarzen Kirchen-Großstadtgemeinde, inmitten derer der bereits körperlich stark geschwächte Pfarrer in finale Predigtekstasen verfällt, bevor er einige Zeit später hier aufgebahrt von Hunderten die letzte Ehre erwiesen bekommt. Nur bei ihm, dem standhaft Gläubigen, zeigt uns Dying nach langwierigem Sterben den Leichnam. Den depressiven Familienvater der zweiten Episode entlässt Roemer, wie bereits Sally, noch lebend per Texttafel aus dem Film. Dying vermeidet jeden Effekt, der aus dem Sterben eine Sensation machen könnte. Es geht ihm nicht um die Körper als solche, sondern darum, etwas von der Tapferkeit und Solidarität einzufangen, die hier alle beweisen. Der Tod selbst ist für Roemer ebenso uninteressant, wie es für Yasujiro Ozu die tatsächliche Heiratszeremonie in seinen unzähligen Verheiratungsdramen war. Was zählt, ist das Davor und Danach.

Pilgrim, Farewell handelt von den letzten Lebensmonaten der 49-jährigen Kate (Elizabeth Huddle). Das Krebsendstadium lässt ihr – daraus macht die Klinikärztin keinen Hehl – kaum noch Zeit. Solange es ihr Körper zulässt, will sie das zerrüttete Verhältnis zu Ann, ihrer labilen Teenager-Tochter (Laurie Prange), verbessern. Kates Schwester Rebecca (Leslie Paxton) und ihr in sich gekehrter Partner Paul (Christopher Lloyd) weichen dabei kaum von ihrer Seite, was sie mal rührt, mal dankbar, dann wieder rasend macht. Es ist eine eng abgesteckte Figurenkonstellation, eingebettet in schöne, aber nicht aufregende Herbstlandschaften, geprägt von nur geringfügig variierten Handlungen und Gesprächsthemen – Roemers strengster, mikrokosmischster Film. Und er gewinnt seine Intensität aus eben dieser Gleichförmigkeit: wieder und wieder die glitzernde Oberfläche des Sees, nahe dem uramerikanischen Holzhaus irgendwo im Südwesten; Pauls wortkarges Arbeiten in der Garagenwerkstatt (am Ende wird er seiner verstorbenen Partnerin dort einen schlichten Sarg zimmern); Rebeccas sorgenvolles Gesicht; Anns Verlustangst; die Reproduktion eines Cézanne-Bildes, das die grün-bräunliche, nur von Kates bunten Kopftüchern durchbrochene Farbpalette des Films aufgreift. Immer wieder auch die vorbeirauschende Landschaft bei Autofahrten zu Brahms und Beethoven, schließlich Kates betonte (und darin verzweifelt wirkende) Abgeklärtheit angesichts des nahenden Todes. Fast mehr noch als die Szenen physischen Leids – Kate verliert zusehends die Kontrolle über ihre Hustenanfälle – erschüttert am Ende, dass nicht einmal die tödliche Krankheit es vermag, sie alle zusammenrücken zu lassen.

 

The Plot Against Harry (1971)

© King Screen Productions

 

Dying war für mich beim Unknown Pleasures Festival der zweite Film eines Roemer-Kinodoppelabends. Der Kontrast zum ersten hätte nicht größer sein können. Tatsächlich erinnere ich mich nicht, wann ich das letzte Mal zwei so stilistisch unterschiedliche Filme eines:r Filmemacher:in hintereinander gesehen habe. Auch in The Plot Against Harry (1971) gibt es düstere Arztdiagnosen, Charaktergesichter und familiäre Konflikte –  die jüdische Kleinganovengeschichte ist aber das Gegenteil eines fokussiert-nuancierten Dramas, vielmehr ein irrer, redselig-chaotischer Parcours durchs New York der späten 60er. Wo in allen anderen Spielfilmen Roemers mit Zurückhaltung gespielt wird, treten die Figuren hier auf die große Bühne. Sketch folgt auf Sketch, die Schnitte katapultieren uns mit dem Ex-Häftling Harry (Martin Priest) von Bar Mitzwa zu Bar Mitzwa, von Hochzeitsfeiern zu Modenschauen. Und doch gibt es in der merkwürdig entmoralisierten Comedy of Manners wieder diesen unvoreingenommenen Blick, der einem Individualisten dabei folgt, wie er mit der Welt Kämpfe austrägt und dabei letztlich ein wenig zu sich selbst findet. Damals fand, laut Roemer, wohl niemand Harrys Eskapaden und verdattertes Gesicht lustig, im Arsenal Kino kam an diesem Abend die Lebendigkeit seines autarken Autorenkinos deutlich besser an. 

 

Von The Plot Against Harry und Nothing but a Man sind in den frühen 2000ern heute vergriffene US-amerikanische DVD-Editionen erschienen; letzteren und Vengeance is Mine gibt es zudem seit 2022 in restaurierten Digital-Kinofassungen, jedoch lassen BluRay-Veröffentlichungen noch auf sich warten