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Konspiration und Kugelblitz Phantasmen an der Schwelle zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs: Zu den Mr. Moto-Filmen

Von Lukas Foerster

 

«You really are Mr. Moto, then?» wird Mr. Moto in Mr. Moto’s Last Warning (1939) gefragt. Die Antwort: «That is my one permanent characteristic». Mr. Moto ist Mr. Moto. Alles andere ist non-permanent, also Spielmaterial. Wobei es streng genommen anders herum funktioniert: Der eigentliche Reiz der Mr.-Moto-Filme besteht nicht in den Verkleidungen, Mysterien und Fabulationen, die Mr. Moto umschwirren, sondern in der Tatsache, dass sie allesamt demselben Individuum anhaften. Eben weil Mr. Moto alles Mögliche sein kann – Chinese, Japaner, Deutscher; Straßenverkäufer, Voodoo-Priester, Hausdiener; rauschebärtig, glatzköpfig, brav gescheitelt, glattrasiert; sanft, brutal, hinterlistig, offenherzig und so weiter – wird die Frage nach dem «darunter», nach der zugrundeliegenden «one permanent characteristic» virulent. Die Filme zelebrieren denn auch regelmäßig die Momente der Demaskierung: Mr. Moto steht vor einem Spiegel und legt unter Schminke und falschen Bärten Mr. Moto frei.

Und natürlich funktionieren diese Szenen nur deshalb, weil der Satz oben nicht stimmt. Mr. Moto ist nicht nur Mr. Moto, sondern auch und in erster Linie Peter Lorre. Dessen agile, gedrungene Figur und gleichermaßen sanftmütige wie hinterhältige Gesichtszüge sind es, die wir unter den zahlreichen Verkleidungen bereits erahnen und die dann vor dem Spiegel zum Vorschein kommen. Das ist eine der produktiven Paradoxien der Moto-Filmserie: Lorre ist schon rein physiognomisch einer der auffälligsten, eigenwilligsten Schauspieler seiner Zeit, also gerade kein Allerweltsgesicht, das hinter der Verkleidung verschwindet. Lorre ist immer und überall Lorre. Die Verkleidungen, die er in den Mr.-Moto-Filmen anlegt, sind keine Substitute, sondern Additionen.

Die vermutlich großartigste dieser Verkleidungen besteht aus Lorre plus Yellowface plus falscher Bart plus  japanischer» Akzent plus «deutsches» Gebrabbel: Als ein granteliger, den Modernismus verteufelnder deutscher Kunstexperte sucht Moto/Lorre in Mysterious Mr. Moto (1938) eine Ausstellungseröffnung heim. Man muss das noch einmal komplett ausformulieren: Ein vor den Nazis aus Deutschland in die USAgeflohener ungarischer Jude spielt einen japanischen Detektiv, der sich, um einen Ring international agierender Auftragskiller zu überführen, mit den Klischees eines engstirnig-kleinbürgerlichen Deutschtums tarnt und dabei fast schon wörtlich von «entarteter Kunst» schwafelt. Das ganze in einem Film, der nicht einmal ein volles Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkriegs in den amerikanischen Kinos startet.

Polemisch könnte man die Szene als einen Triumph der kulturellen Aneignung über Identitätsfanatiker beschreiben. In jedem Fall ist das eine gerade in ihrer Durchgeknalltheit präzise politische Fantasie – die aber, zumindest primär, keineswegs auf einen individuellen (oder kollektiven) Akt der subversiven künstlerischen Intervention verweist, sondern lediglich (oder eben gerade nicht nur lediglich) auf die gewöhnliche Reflexivität und den semantischen Reichtum populärer Kultur. Mysteryfilme dieser Art waren in der klassischen Hollywood-Ära, und ganz besonders in den späten 1930er und frühen 1940er Jahren, im amerikanischen Kino allgegenwärtig: Pulp-Erzählungen, in deren Zentrum ein zumeist bereits in literarischer Form popularisierter Ermittler steht (die Mr.-Moto-Filme basieren auf einer Buchserie von John P. Marquand), der denn auch zumeist nicht nur in einem, sondern gleich in einer ganzen Reihe von narrativ eher lose zusammenhängenden, meist jeweils nur eine gute Stunde langen Filmen auftaucht. Produziert wurden sie von den kleineren oder den B-Units der größeren Hollywoodstudios. Und obwohl ihnen das Image billiger Fließbandproduktionen anhaftet, ist das Produktionsniveau oft erstaunlich hoch. Außerdem tauchen in vielen der Filme großartige Schauspieler auf, vor allem solche, deren Talent Hollywood zwar erkennt, aber nicht mehr (Warren William, Glenda Farrell), noch nicht (George Sanders) oder nie so recht (Lorre) einzusetzen weiß. Sozusagen die Reservebank der aufwändigeren, aber nicht unbedingt smarteren Starvehikel der A-Produktion.

Anders als ein Großteil der Konkurrenz und insbesondere auch als die Charlie Chan- und Mr. Wong-Filme – die beiden anderen Serien mit «asiatischen», beziehungsweise Yellowface-Helden – folgen die Moto-Abenteuer nicht dem Whodunit-Prinzip. Die Identität der Täter wird recht schnell offengelegt, die Handlung entfaltet sich eher James Bond-artig entlang einzelner Setpieces. Tatsächlich sind die Filme, insbesondere die besseren der Serie, stark von den Sets her gedacht. Die Moto-Filme spielen in liebevoll und durchaus mit Gespür für kulturell spezifische Details ausgestalteten Studiowelten, die einerseits in sich abgeschlossen, in einem gewissen Sinne autark wirken, andererseits aber nie komplett durchschaubar sind. In Think Fast, Mr. Moto und Thank You, Mr. Moto (beide 1937) durchstreift Lorre jeweils ein verwinkeltes, urbanes Studio-China, das im ersten Film Shanghai, im zweiten Beijing darstellen soll. Mr. Moto Takes a Chance (1938), der vielleicht am perfektesten vor sich hin schnurrende Moto-Film, ist in einem südostasiatischen Dschungeldorf situiert. Es wundert nicht, dass Norman Foster, der diese drei und insgesamt sechs der acht Moto-Filme inszenierte (die anderen beiden sind deutlich schwächer und waren ursprünglich als Charlie Chan-Projekte angelegt), ein paar Jahre später von Orson Welles für Journey Into Fear verpflichtet wurde. Wie Foster den Studioraum kontrolliert und mobilisiert, wie er in ihn immer neue Perspektiven, Fluchtlinien, Falltüren, Schlupflöcher und Geheimgänge einträgt – das ist nicht ganz weit weg von den komplexen Raumstaffelungen in Citizen Kane oder auch Touch of Evil.

Die Sets der Mr. Moto-Filme sind nicht vom Ausstattungsprunk, sondern von den beweglichen Elementen her gedacht. Und das beweglichste ist, natürlich, Mr. Moto selbst. Dass Lorre gerade 1938/39 schwer morphiumabhängig war und die Sucht, parallel zum Dreh, in zahlreichen Sanatoriumsaufenthalten bekämpfte, sieht man ihm in den Filmen kein bisschen an. Tatsächlich hebt gerade ihre körperliche Agilität die Hauptfigur wohltuend vom phlegmatischen Stubenhocker Charlie Chan ab. Das Jiu Jitsu, das er in den Filmen praktiziert, wird vermutlich genauso authentisch sein wie alles andere an Mr. Moto. Aber spektakulär ist es allemal. Lorres Lieblingstrick besteht darin, sich rücklings auf den Boden zu legen und seine Gegner in hohem Bogen über sich hinweg zu katapultieren. Mr. Moto wird in den Actionszenen zu einem Kugelblitz, der selbst noch die Gesetze der Physik kreativ auslegt.

Koloniale Fantasmen werden natürlich durchaus mitausgehandelt, schon weil die Filme bereits innerdiegetisch auf eine amerikanische Perspektive zugeschnitten sind: Die Handlung kommt in Gang, weil weißeAbenteurer, Geschäftsleute, Diplomaten oder Touristen in die Fänge einer finsteren und zumindest auf den ersten Blick ausländischen Verschwörung geraten. Aber der Verschwörung Herr werden können die Amerikaner eben nicht aus eigener Kraft, sie sind angewiesen auf den seinerseits undurchschaubaren Mr. Moto. Und auch hier lohnt es sich, den Gedanken umzudrehen: In letzter Instanz macht Mr. Moto die Welt nicht lesbar, sondern er offenbart, dass sie genauso unlesbar ist wie er selbst; beziehungsweise: die Welt erweist sich als eine bloße Extension von Mr. Moto. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn in Mysterious Mr. Moto der Hauptschauplatz London genauso exotisch, geheimnisumwittert und studiokinoornamental ausschaut wie in den vorherigen Filmen die ostasiatischen Schauplätze. An der Schwelle zum Zweiten Weltkrieg entstanden, sind die Mr.-Moto-Filme weniger Fantasien der kolonialen Ermächtigung als Eingeständnisse der (spätkolonialen?).

 

Moto – Die komplette Kollektion (8 DVDs) ist 2015 bei Koch Media erschienen