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Circumferenzen Zu A Quiet Passion von Terence Davies

Von Daniel Eschkötter

© Hurricane Films | Thunderbird Releasing

 

Mit einem mehrfachen morphing, einer Bildverwandlung endet a quiet passion (2016), Terence Davies’ Film über Emily Dickinson, die amerikanische Dichterin. An Dickinsons Sarg, bei der Beerdigung, am offenen Grab, aus dem Off, begleitet von Charles Ives’ Streichern aus The Unanswered Question, rezitiert Cynthia Nixons Stimme einige der berühmtesten Gedichte und Strophen Dickinsons, als seien sie ein einziges, ein einziger Brief: «My life closed twice before it’s close» … «Because I could not stop for Death». Aber nicht der Grabstein beschließt den Film. Als Epitaph signiert ihn «This is my Letter to the World», zu einem Bild von Nixon als Dickinson, die sich im Porträt zurückverwandelt in Emma Bell, die Darstellerin der jungen Emily. Zu den letzten Versen des «Letter» wird aus ihrem Bild schließlich die berühmte historische Daguerreotypie von Dickinson, das Bild der damals vermutlich siebzehnjährigen Noch-Nicht-Dichterin, deren erste überlieferte Gedichte aus ihrem zwanzigsten Lebensjahr datieren. Die konventionelle Geste der biografischen Fiktion, supplementiert und autorisiert von der Bildbeschriftung «Emily Dickinson 1830–1886», erscheint nicht erst hier aufgehoben in einer Transitionsbewegung, die Abstände gleitend überbrückt, um sie dann in einem Jenseits der Fiktion stillzustellen, dort, wo Bild und Buchstabe bleiben, wo Literatur und ihre Musealisierung in eins fallen. Aber nicht diese Arretierung ist Programm von Davies’ Film, einer kommunikationsarchäologischen Biografiefiktion, die Dickinsons äußerlich wenig bewegtes Leben in elegische Zimmerreisen und Gartenausflüge übersetzt, es aber vor allem als aufgespannt zwischen den Konvulsionen der späteren Krankheit, dem inneren Beben der Erregung an Welt und Witz und dem Gleichmaß der Zeit des gebildeten Ostküstenpietismus vorstellt. Dickinsons poetische Revolte ist auch eine gegen diesen Takt.

a quiet passion beginnt mit einer Seelenbefragung, einer Schulszene, wie sie Davies’ biografisches Kino immer wieder aufsucht, von the longday closes (1992) bis zu sunset song (2015). Die junge Dickinson entscheidet sich nicht zwischen den zwei Optionen (schon im Glauben gerettet oder noch auf Rettung wartend), sie bleibt einfach stehen, im skeptischen Eigensinn einer allem zugewandten Welt- und Selbstbefragung. Ihre (und Davies’) passion ist gar nicht so quiet: Schärfe, Schneid und wit, Agnostizismus, Transzendentalismus und Feminismus treiben sie an und werden zu einem Unterstrom der von Nixon (die mal Miranda in sexand thecity war) aus dem Off rezitierten, oft so elegant und scheinbar schlicht jambisch dahinfließenden Verse Dickinsons, die doch eigentlich immer nur im Modus der typografischen Selbstunterbrechung und Zäsurierung existieren – nirgendwo gibt es mehr – und schönere – Gedankenstriche – , die hier eher den Charakter eines inneren Dialogs mit der Welt haben. Aber die Materialität literarischer Kommunikation wird ohnehin weniger ausgestellt, als es Dickinsons Praxis der Vernähung ihrer Gedichte zu Heften, Büchern, ihr exzessives Briefeschreiben verdient hätten. Nicht nur darin ist Davies’ Literaturkino geradezu das Revers von dem, was Dominik Grafs die geliebten schwestern (cargo 22) mit den von Lengefeld und Schiller gemacht hatte. Wo die geliebten Schwestern als Untergrundagentinnen der Weimarer Präklassik, ihrer Körperströme und ihres Schriftverkehrs, die Codes der Geschlechterordnung des Büchermachens um 1800 vorführten, sind die Literaturkontakte von Davies’ zunehmend in die Familie und ihr Haus zurückgezogener Protagonisten rar (dabei nicht minder genau in ihrer geschlechtlichen Codierung präsent). Und während Grafs Historienkino (und Film-Fernsehen überhaupt) immer wieder die diskontinuierliche Sprengkraft des Zooms bemüht, um das Jetzt der Geschichte aufzureißen, sind es bei Davies die Zeitgenossenschaft der Daguerreotypie und die Bewegungen der Filmkamera, die den Takt vorgeben für die Vermessung einer Seelenzeit, in der die Uhr eben unaufhörlich aufs Ende zutickt. – «Watch the clock that ticks for us all!», so gibt es die fromme Tante aus Boston den drei Dickinson-Geschwistern auf. «Tic » – «Toc» – «Tick»: Der Spott von Emily, ihrer Schwester Vinnie und ihrem Bruder Austin täuscht nicht darüber hinweg, dass auch Emily in ihren Gedichten und Davies’ Film fortwährend auf die große Uhr schauen.

So ist der sublimste Moment des Films die Familiensitzung (ohne Mutter), aus der die berühmte Jugenddaguerreotypie resultierte, in die sich die Film-Emily am Ende zurückverwandelt: Die Sitzung wird hier Schauplatz für fotografische morphings, dramatische Transformationen der jüngeren Körper (und Schauspieler/innen) in die älteren.

Neben diesen Fotoeffekten es sind vor allem wenige langsam kreisende Kameraschwenks – ein Topos oder Tropos gerade auch des Historienfilms –, die bei Davies die Temporalität und Tektonik der Seeleninterieurs des frommen Ostküstenbürgertums registrieren. (David Bordwell hat die längste dieser Kamerabewegungen, die die innere Bewegungen der Dickinsonfamilie ausgehend von Emily in ein panoramatisches Stillleben überführt, in einem seiner Weblogeinträge präzise nachvollzogen.) Die Kamera verrichtet dabei ein Geschäft, das, nach einem ihrer Briefe an ihren späteren Ko-Herausgeber Thomas Wentworth Higginson, auch das dichterische von Dickinson war: «My business is circumference.»

«Circumference» ist ein schillerndes, ein zentrales poetologisch-epistemologisches Wort bei Dickinson, die Einkreisung des Erhabenen, eine mediatisierende Zirkelbewegung der Nähe und des Abstands zugleich; und es beschreibt zugleich auch das Verfahren von Davies’ Film, sein Verhältnis zur Geschichte – und zu den Texten Dickinsons als geschichtliche.

So ist etwa die Fotografie bzw. Daguerreotypie, die in Dickinsons Briefen als «mould», als Gussform oder, indexikalitäts-fotografietheoretisch präzise, als Abdruck firmiert, in Davies’ Literatur-Geschichtsfilm nicht past of the past, sondern gerade der Schock eines Hyperpräsentischen der Vergangenheit – besonders stark da sichtbar, wo kolorierte Civil War-Fotografien den Filmfluss unterbrechen, um die Zäsur des Bürgerkriegs auch in Dickinsons Lyrik vernehmbar zu machen. Aber es zeigt sich in diesem Zugang zur Fotografie auch durchaus eine diskrete Medienärchäologie des Pietismus, in dem die frühe Fotografie weniger das Optisch-Unbewusste als ein temporal-spirituelles zugängig zu machen versprach. Das wäre dann die quiet passion nach Davies und Dickinson: die Zeit-Arbeit seines Kinos und ihrer Gedichte.

 

A Quiet Passion ist bei Thunderbird Releasing (UK) als DVD und Blu-Ray erschienen