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Rückansicht eines Melodrams Zu James Grays jüngstem Film Two Lovers

Von Ryland Walker Knight

Two Lovers (2008)

© Wild Bunch

 

James Grays jüngster Film Two Lovers gehört nicht ins Gangster-Genre, zu dem man seine drei ersten Filme zählen kann (wenn man der Kleidung und dem tough talk der Figuren Glauben schenkt). Stattdessen verspricht der Film – oder, besser, sein Titel – eine Liebesgeschichte. Aber die Filme, die Gray macht, passen nie und wollen nie in Schubladen dieser Art. Two Lovers erzählt eine Liebesgeschichte, ja, aber er schließt sich dabei ein in sich selbst, wie sein Protagonist, es handelt sich um ein Melodram, aber eines in der Rückansicht. So beschreibt man das Werk des James Gray womöglich am besten: ein Kino, das uneins ist mit sich selbst, mit seinem Publikum, mit seinen «Genres». Ein Kino, das etwas auskämpft. Aber es wäre töricht, James Grays Filme deshalb ungebärdig zu nennen, auch wenn seine Figuren oft auffahrend sind und brutal in ihrem langsamen Niedergang. In all seinen Filmen, auch im nervöseren Erstling, spürt man den Vorbedacht; alles scheint von Anfang an festgelegt. Grays deterministisches Kino ist nicht im strengen Sinn finster, aber es zieht einen runter. Du weißt von Anfang an, hier wird etwas nicht klappen. Vielleicht hat er deshalb nur vier Filme gemacht – ums Wohlfühlen geht es ihm nicht. Und doch, Two Lovers scheint eine Art Neuanfang für Gray, nicht nur im Wechsel des Genres: an seinem Ende schließt sich ein Kreis, aber das macht der Zukunft kein Ende. Was in seinen ersten Filmen Zermürbung war, ist hier Akzeptanz.

Ohne Filter

Mit Ehrlichkeit beginnt für Gray alles. In Interviews sagt er das und in der Tat vermeiden seine Filme das Ironische, ihr Macher wird frei in der offenen Zuwendung zum Gegebenen. Gray ist kein Filmemacher der Unmittelbarkeit – wie, etwa, Cassavetes; seine Filme sind Geduldsspiele, ermatten gelegentlich, aber worum es ihm geht, ist eine eigene Form echten Gefühls (eben nicht: des Sentiments), und darin ähnelt er diesem «Anti-Helden» des Independent-Films doch, ein weiterer Grund, warum Gray im derzeitigen Hollywood aus dem Rahmen fällt. Gray richtet nicht die Kamera auf seine Darsteller, er bewegt seine Kamera (und unsere Augen), um ihren Bewegungen zu folgen, auf dass wir, in Two Lovers ganz besonders, zu sehen lernen, dass nicht die stets präzise geführte Kamera die Mise-en-scène strukturiert, sondern das Spiel der Darsteller selbst. Schauspiel als Kombination aus Handeln und Wollen, in der Gesten Verhalten markieren, das, nach innen gewendet, Psychologie indiziert – oder, mindestens, Denken.

Obgleich es dabei zunächst nicht um Tiefe geht, oder Hintergründe, unterscheidet sich Gray mit diesem Index nach innen deutlich von seinen besser verkaufbaren, profitableren und darum auch produktiveren Generationsgenossen, die sich alle mehr fürs Spiel der Oberfläche interessieren. Quentin Tarantino als Meister der Pop Art, der das Kino, ganz wie seine Nouvelle-Vague-Helden, für den Stoffwechsel braucht und vor allem deshalb Filme dreht, weil sie das sind, was ihn schwindlig und trunken macht, und weil er die Mittel hat, mehr oder weniger zu tun, was er will. (Inglorious BastErds lief dies Jahr bekanntlich in Cannes – in der Jury: James Gray.) Gegenüber von Tarantino sitzt Wes Anderson, ein Postmoderner auch er, einer, der den Stil in den Vordergrund stellt, in eleganten Geometrien, einer, der die Charaktere über ihr Aussehen erklärt. In diesem Viereck Gray direkt gegenüber sehe ich Paul Thomas Anderson, dessen letzter Film There Will Be Blood sich ausdrücklich um Oberflächen und die Spuren der Geschichte auf der Erde dreht.

Flirt mit aller Welt

Joaquin Phoenix ist der Hauptdarsteller in Two Lovers, seinem dritten Film mit Gray, als Leonard Kraditor, die Einsamkeit selbst. Wir begegnen Leonard, als er in Zeitlupe über eine Brücke geht. Er trägt Wäsche aus einer Wäscherei und er geht gebeugt. Dann klettert er auf die Brüstung und fällt ins Wasser. Der Film steht, kaum begonnen, schon still. In diesem Moment gleitet er ankerlos, während, in Überblendungen, eine schöne Frau vor unseren Augen durch einen Eingang verschwindet – worauf durch Leonard unter Wasser ein Ruck geht, er ganz langsam sich nach oben quält. Jemand «rettet» ihn und er lügt, sagt, dass er ins Wasser gefallen ist. Die Retter, man sieht ihre Gesichter nicht, wissen was los ist, sie beschimpfen ihn: «was für ein Idiot». Und sie haben recht. Seit vier Monaten lebt Leonard wieder zuhause, suizidal und infantil, ein Wrack aus mangelnder Reife und Ziellosigkeit.

Aber Leonard flirtet auch: er führt Kindern Zaubertricks vor, er albert mit imaginären Stühlen vor den Kollegen, er macht schlechte Witze auf eigene Kosten. Phoenix ist albern in diesen Momenten: er kaut Kaugummi wie ein Teen, alles nur Pose; seine Augen verdreht er und rollt er; er quäkt durch fast geschlossene Lippen; er gibt sich die Flasche und markiert den ganz coolen Kerl. Leonard aber, so toll er beim Tanzen sein mag, wie süß sein Armerudern auch immer, ist nicht cool. Das macht ihn noch nicht zum Loser. Eher: Zum Trottel mit Träumen. Und Gray scheint zu sagen, hier wie zuvor, dass diese Träume Selbsttäuschungen sind, ein offenkundiges Echo der früheren Protagonisten, und ganz besonders der Tunichtgute, die Phoenix in den anderen Filmen spielt. Dass sie raus wollen aus ihrer Welt, ist gerade das größte Hindernis für die Figuren in diesen Filmen.

Gray ist ein Filmemacher der New Yorker Außenbezirke. Aufgewachsen ist er in Queens – Manhattan kommt in seinen Filmen kaum vor. Little Odessa ist ein Zweiakter, der im Brooklyner Stadtteil Brighton Beach spielt; The Yards zeigt viel vom weiteren Horizont des Bezirks Queens; We Own The Night bewegt sich zu ungefähr gleichen Teilen durch Brooklyn und Queens und hat wiederum wenig Sinn für den Glamour Manhattans; der Schmerz von Two Lovers ist, wiederum, in Brighton Beach verortet, in einer mutterschoßgleichen Wohnung am Rand des Atlantiks und man begreift einmal mehr, dass Grays ureigene Arena das bedrückende Familienheim ist, Flure und Bilderrahmen überall, nostalgisch überhaucht, dunkelbeige- bis haferbreifarben.

Der Film (also: Leonard; also: Gray) bewegt sich, das dürfen wir nicht übersehen, dann doch nach Manhattan. Jeder Ausflug ein kurzer Vorgeschmack einer Welt der Möglichkeiten für unseren Mann – und jeder von ihnen endet mit einer Zurückweisung. Man könnte das Vorausdeutung nennen, aber, da Gray mit dem Medium als Medium (für den Mythos, das Denken, die Geschichte) arbeitet, fühlen sich diese Wendepunkte nicht wie Signale an, sondern als unvermeidliche Nicht-Ereignisse.

Wir sehen Leonard, wie wir Hitchcocks Scottie sehen; er folgt einer Idee, nicht einer Person. Leonards Idee (auch: sein Ideal) ist Michelle, eine blonde Schickse, von Gwyneth Paltrow mit der richtigen Mischung aus Überheblichkeit und Schönheit und Unerwachsenheit gespielt. Michelle lebt ein Stockwerk höher übern Hinterhof und Leonard kann sie durchs Zimmerfenster beobachten, sie sogar fotografieren, wie eine weitere der Stewart-Hitchcock-Figuren, um so sein Bild von ihr als seiner sexy Retterin zu fixieren. Ja, denn obwohl er sich danach sehnt, sie zu «retten» (vor ihr selbst, vor ihrem verheirateten Liebhaber, vor ihrer Sucht), will in Wahrheit er von ihr gerettet werden – sie soll ihm die Ausflucht geben, dass er abhauen kann, von zuhause und aus dem Leben, das so klar vor ihm liegt. Ihr Licht, das ihm leuchtet, bietet ihm die Illusion eigener Handlungsmacht, das vor allem. Und wir wissen, vom Moment an, in dem Leonard Michelles so flüchtige Aufmerksamkeit gewinnt, als den Umständen geschuldete Zufluchtsfigur, dass er, unvermeidlich, sich verlieben muss und sie verlieren muss – ohne sie je wirklich in seinem Leben zu «haben». Was sie tun – gemeinsam und ohne einander – ist immer nur (immer schon) in der Fantasie getan.

Business- und andere Pläne

Michelle hat in Sandra ihre Gegenfigur, einem ordentlichen jüdischen Mädchen der Träume für Leonard (und für seine Eltern); sie ist es, die den Fortgang des Films im Grunde bestimmt. Obwohl die Väter von Sandra und Leonard schon gemeinsame Businesspläne zu haben scheinen, bevor ihre Kinder einander begegnen, ist diese Begegnung, als eine, die Liebe, oder wenigstens eine Heirat verspricht, mühelos inkorporierbar in die existierenden Fusionierungspläne. Aber Sandra will Leonard von sich aus – sie lässt keinen Zweifel daran, sie gibt es sofort zu. Während er sich duckt und die Ruhe zu bewahren versucht und vorsichtig bleibt, steht sie zur ihrem ehrlichen Interesse: sie hat ihn im Laden ihres Vaters gesehen und fand ihn und seine Mätzchen süß. Im Liebesdreieck ist sie die direkteste und bekommt so auch die ehrenhafteste Rolle zu spielen; wir wissen, wo sie steht, weil sie weiß, wo sie steht. Sie trägt keine Maske, ganz wie Gray. Das sehen wir in einer direkten Ansprache, früh im Film, als Sandra Leonard in der Wohnung seiner Eltern begegnet. Auf dem Bett sitzend gesteht sie frank und frei ihre Neugier und blickt dabei sogar direkt in die Kamera.

Diese Offenheit ist ein wenig ungemütlich, obwohl Sandra verführerisch und reizvoll ist. (Ein wenig liegt es auch daran, dass Sandra nur zu leicht als Wunscherfüllungsfantasie eines männlichen Auteur zu verstehen wäre; aber eine solche Haltung führt nirgendwo hin, oder in eine Sackgasse. Und ein wenig liegt es auch daran, dass Frauen in Hollywood so selten die Chance bekommen, unkompliziertes und ernsthaftes Begehren zu äußern. Und auch daran liegt es, dass diese Ehrlichkeit dem Film seine Richtung gibt und dadurch das Unbehagen, das seine Gefühlsextreme auslösen, noch unterstreicht.)

Mutterersatz

Noch eine unausweichliche Tatsache: Diese Frauen, diese Liebhaberinnen sind Typen-Konzepte, die um Leonard schweben und in verschiedene (wenngleich, wiederum, typenhafte) Richtungen ziehen. Das böse blonde Mädchen ist der Inbegriff derjenigen, in die man sich verliebt; die kluge dunkle Lady ist ein Mutterersatz. Würde ich mich mit Psychoanalyse besser auskennen, könnte ich jetzt mit einer Lacanianischen Lektüre kommen, um diese Assoziation, die Gray ausdrücklich sucht, plausibler zu machen. Aber man braucht diesen Hintergrund gar nicht, um zu sehen, wie sehr das gute Mädchen Leonards Mutter schon in der offensichtlich gleichen Haarfarbe ähnelt oder wie das Plotmoment des gemeinsamen Familienunternehmens da hineinspielt; wir brauchen Freud auch nicht, um zu sehen, dass die Schickse Leonard als Gefäß für seine hemmungslosen romantischen Projektionen dient. Noch einmal: Sie sind Typen, sie besetzen von Anfang an Rollen und diese kleine Mythe der Versuchung kennt nur einen Ausgang. Als hermeneutische Situation präsentiert der Film, könnte man sagen, Verstehen in einer beinahe sokratischen Form von Erkenntnis, wieder ein Freud-Echo: Wer verstehen nicht so sehr neu, sondern erinnern etwas, das wir vergessen hatten, oder verdrängt, im anderen Fall. Es ist dann kein Schock, dass Leonard in einer solchen Welt seine Lösung findet – wenn nicht Verstehen, dann doch eine neu orientierte Akzeptanz der Welt und seiner Lebensumstände in ihr –, indem er am Ufer des Ozeans steht. Und dann kehrt er nach Hause zurück.

Anlässlich von We Own The Night nannte der Filmkritiker Dennis Lim Gray «möglicherweise vormodern». Auch als «Klassizist» wird er oft bezeichnet. Das scheint mir irreführend und einem allzu engen Verständnis der Tradition geschuldet. Wenngleich sein Kino keinen Moden gehorcht, hat es doch Vorläufer. Was dann so verblüfft, ist, dass es ihm tatsächlich gelingt, diese männlichen Melodramen zum Singen zu bringen, dass er die Tradition, ohne einmal zu blinzeln, in seine Story falten kann. Und doch blinzelt Two Lovers. In der Tat. In der vorletzten Einstellung blickt Leonard aus einer Umarmung heraus dem Zuschauer ins Auge – damit ist alles verraten: dieser Antrag ist nicht «wahre Liebe», aber auch die «Liebe» zu Michelle war keineswegs «wahrer»; vielmehr, und hier hat Gray dazugelernt, weiß Leonard, dass sein Schicksal nicht vorbestimmt ist, noch ist er den Umständen in die Falle gegangen, sondern: er bekommt eine Chance. In der Tat ist Leonards Entscheidung, nach Hause zurückzukehren, heroisch, ein mutiger Schritt zurück ins Leben, in ein neues Jahr. Die Kamera zieht sich zurück, die Porträtwand – eine Geschichtscollage, ein Blick auf die Gegenwart, wie ein schweigender Chor auf sein Versagen gerichtet – rückt aus dem Bild, und in einer langen Umarmung, die wir durch die feiernden Partygäste hindurch sehen, wird das Private sozial.

Übersetzung ek

DVD bei Magnolia Home Entertainment, RC-1 [USA] | Erscheint am 30.06. 2009