dokumentarfilm

Hardcore Das Ich als artifizielle Konstruktion, ohne Funk, ohne Beckenbewegung: James Toback lässt Mike Tyson von sich selbst sprechen

Von Diedrich Diederichsen

Tyson: The Movie (2008)

© Wild Bunch / Sony

 

James Toback ist bekannt als Männerversteher. Insbesondere liebt er den verwundeten Mann, den Außenseiter, den Rebellen, den Mann in der Krise. Den zornigen Mann. In seinen Filmen hat er diesen Typen immer wieder von denselben Darstellern verkörpern lassen: von Harvey Keitel klassisch in Fingers von 1978 und dann noch weitere drei Male, von Robert Downey jr. in einer weicheren Version in Black and White, und gerne entspricht Toback auch selbst diesem Männerbild. Ein Dokumentarfilm über ihn trägt dann auch diesen Titel: The Outsider. Toback ist der Mann, über den jeder eine Geschichte zu erzählen hat, der hard boiled arbeitet und intensiv lebt, sich dabei aber immer auch unkonventionell in die Scheiße reitet. Tarantino liebt ihn. Ein anderer langjähriger Freund von Toback ist Mike Tyson. Kennen gelernt haben sich die beiden bei einem langen Gespräch über das «Ich als artifizielle Konstruktion», das sie, Toback zufolge, bis sechs Uhr morgens durch den Central Park spazierend nach einer Party im Jahre 1985 geführt haben.

Körperkultur in Bed-Stuy

1985 – wir erinnern uns: Damals war Tyson so neu und unbegreiflich wie Hardcore und HipHop, die anderen damals neuen Körperkulturen. Tyson boxte hardcore. Ohne Funk, ohne Beckenbewegungen, Vor- und Zurück-Tänze prügelte er auf den Beat, ganz ohne unbetonte Taktteile. HipHop hatte damals noch nicht seine eigenen Beats gefunden und Hardcore war, neben Elektronik-Beats, auch in der afro-amerikanischen Szene eine Option, wie die Bad Brains oder 24-7-Spyz zeigten.

Dennoch ist das natürlich nicht der Grund dafür, dass Tyson in diesem ersten Profijahr 15 Gegner aus dem Ring fegte, um dann 1986 jüngster Schwergewichts-Weltmeister aller Zeiten zu werden. Und auch nicht dafür, dass er das in der Manier tat, die einen so stark an Beschleunigung, Dringlichkeit, aber auch den Hass und Zorn von Hardcore erinnert. Der Mann, mit dem sich der Außenseiterregisseur im Gespräch über klassische Borderline-Männer-Lieblingsautoren wie Nietzsche, Dostojewski und Machiavelli anfreundete, war schon mit jungen Jahren aus einer denkbar kaputten Umgebung in Bedford-Stuyvesant herausgeholt und in das schattige und verschwitzte Universum des Boxtrainings eingeführt worden. So wurde er auch nie wirklich ganz in die entstehende HipHop-Kultur integriert, er wuchs eher in der Trainingshalle auf als auf der so genannten Straße; seine später immer wieder erwähnte Freundschaft mit Tupac Shakur und andere Beziehungen zur Gangster-HipHop-Elite entstanden eher während seiner Profizeit.

Mönchische Warriorhaftigkeit

Die übliche drogenkriminelle Ghettokarriere blieb ihm zwar auch durch die Quasi-Adoption durch einen legendären Box-Trainer nicht ganz erspart, wir erfahren von Überfällen und Jugendstrafen. Aber Cus D’Amato, dieser Trainer und Ersatzvater, predigte ihm ebenso erfolgreich die totale Hingabe an das Leben eines Kämpfers ohne Selbst und Ego als zweite kulturelle Prägung nach Bed-Stuy. Entsprechend viel hatten sich die beiden Warrior im Central Park zu erzählen. Jahre später tauchte der längst als undisziplinierter Ohrenabbeißer «mit dem Charakter eines Schoolyard-Bully» stigmatisierte Tyson mehrfach in Nebenrollen und Cameos bei seinem Freund auf. 2008 hatte Tobacks Dokumentarfilm über Tyson Premiere.

Doch die lustigen Geschichten aus dem Central Park kommen nicht aus diesem Film, sondern aus verschiedenen Interviews und Pressekonferenzen, die T und T in Cannes und beim Sundance-Festival gegeben haben, Tyson, der Film, ist demgegenüber sehr ernst und straight. Es geht nicht um ein dionysisches Über-Stränge-Schlagen um seiner selbst Willen, Tobacks Tyson ist zu allererst ein Warrior-Samurai, eine Eastern-inspirierte, The Art of War verschlingende Kampfmönchsgestalt. Doch der Größe seiner Härte, Disziplin und Warriorhaftigkeit entsprechen auf der anderen Seite Versuchungen und Demütigungen, für die Homer und Hiob zusammenlegen müssten. So wird hier nicht nur die übliche Fabel vom zornigen Mann erzählt, der alles Vertrauen in die Welt verloren hat und aus seinem Loop aus Ausbruch und Zerknirschung nicht herausfindet. Es geht auch um die Dimension, Tyson hält sich für einen «Extremisten, der nur die absoluten Höhen und Tiefen» leben kann und mit der Mitte nichts anzufangen weiß.

Zu dieser Inszenierung von Größe trägt der künstlerische Extremismus bei, dem großen Mann nahezu ununterbrochen das Wort zu erteilen und so den Eindruck zu erwecken, er rede um sein Leben. Und das macht er dann auch noch sehr eindrucksvoll: lispelnd, heiser, atemlos und ähnlich schnell, dringlich und ungeduldig, wie er am Anfang seiner Karriere boxte. Diese atemlose Rede ist so drastisch und dicht wie auch wieder traurig, ja öde. Will keiner merken, wie Tyson sich die ganze Zeit in den gleichen Widerspruch verrennt? Ja, er ist böse gewesen, ja, er ist an allem Schuld, ja, er war scheiße und auf Drogen und sexsüchtig und schlimm zu seinen Liebsten, aber Schuld waren immer die anderen. Vergewaltigung, Ohrenbisse, homophobe Hasstiraden – er ist es nie gewesen. Er war es, aber er hat es nicht getan. Irgendwo in dieser Lücke zwischen Tat und nachträglich errichteter, innerer Abwesenheit spielt der ganze Text. Die ganze Lebensbeichte führt vor, dass Selbstanklage als noch so schonungslos gegen die eigene Person gerichtet und atemlos vor lauter unprätentiöser Aufrichtigkeit rüberkommen kann, der Selbstfreispruch steht von Anfang an fest.

Nein, das will keiner merken, denn das ist ja die liebste Projektion, die dieser Entwurf von Mann, den der eloquente Tyson vermutlich genauso vertritt wie seine Fans und sein Regisseur, in seinem Inneren hegt. Niemand performt den Sauftour-Entlastungsklassiker «Wir haben total Scheiße gebaut, Alter, aber eigentlich waren’s die anderen» so schön wie einer, bei dem es um richtig schwergewichtsweltmeisterlich große Scheiße geht.

Tyson selbst ist dabei streckenweise so luzide wie rhetorisch brillant. Er sieht komplett klar, wenn er die Psychologie seiner Vernichtungswünsche erläutert, aber so sehr er sich selbst zu sezieren vermag, so wenig hat sich seine Einschätzung der anderen geändert: der schuldigen Welt. Auch hier ähnelt er seinem Regisseur-Freund, der, würde er in Deutschland leben, wahrscheinlich im günstigeren Fall so etwas Ähnliches wie Klaus Lemke, womöglich aber auch Wolf Wondratschek wäre, mit einem Touch von Werner Herzog: das eigene Symptom wird schon irgendwie benannt und auch ständig als solches thematisiert, aber nicht verstanden – nicht weil man es nicht wahrhaben will, sondern weil es der Sprit ist, auf dem man läuft.

Eine ideologische Konstruktion

Und schon habe ich mich ungewollt in einen Therapeuten verwandelt: Sicher, gerade das ist auch eine Stärke von Tobacks Film: Die ungeschützte Unmittelbarkeit seiner Hauptfigur mit ihrem Gesichtshälften füllenden Tribal-Tattoo evoziert eher Helfer-Syndrome als Filmkritiken. Aber es ist auch die große Schwäche dieser Attraktionskonstruktion einer physisch überwältigenden, emotional überkochenden, mühsam disziplinierten Männlichkeitsbombe, dass man meint, dem ihr zugrunde liegendem realen Problem eher begegnen zu müssen als dem filmischen Bauplan. Die ideologische Konstruktion des großen, schwarzen Primitiven wird in dieser Reality-Show natürlich nicht gebrochen, wenn sie mittlerweile um den männerbewegten Zirkel aus wortreichem Selbstmitleid, Demut, wutenbranntem Gegenschlag und neuer Zerknirschung bereichert worden ist. Das Problem dieser Konstruktion ist ja nicht nur ihr Inhalt, sondern die Art und Weise, wie der als physisch gegeben inszeniert ist.

Manchmal schaltet Toback den Authentizismus-Motor seiner Tyson-Bilder auch einen Gang runter: geteilte Leinwände, Bilder in Bildern, Archiv-Material und andere eher graphisch-designerische als filmische Ideen legen die Idee nahe, dass er und sein Freund Mike gemeinsam diese mächtige Medienfigur Tyson auf den Tisch des Hauses legen wollten. Aber dann ist er wieder restlos hingerissen von dessen krächzendem, beschädigten, aber ungebremsten Flow – und man kann das sogar verstehen. Und dann fällt ihm für den Anfang nichts Anderes ein, als die Unruhe in Mikes Kopf durch Multiplikation von Ton und Bildspur zu illustrieren und es wird klar, dass Toback den analytischen Abstand, den er zu Tyson nicht aufbringen kann, vor allem gegen sich selbst und sein Handwerk nicht wirklich entwickelt hat. Was auch seine Reize hat.

Tyson: The Movie (James Toback), USA 2008. DVD bei Revolver [UK]