Tacita Dean // Keanu Reeves // Isabelle Prim Resolution/Revolution
Die Berlinale 2012 war schon beinahe vorbei, als mir auffiel, dass ich in diesem Jahr nirgends mehr darauf aufmerksam geworden war, ob ich es mit einer digitalen im Gegensatz zu einer analogen Projektion zu tun hatte. Unterschiede drängten sich nicht mehr auf, im Programmheft waren die DCP-Termine nicht mehr eigens ausgewiesen, und wenn ich jetzt noch einmal darüber nachdenke, dann kann es gut sein, dass ich auf dem ganzen Festival keinen einzigen projizierten, fotochemischen Film gesehen habe. Der alltagssprachliche Gebrauch des Wortes und seine ursprüngliche Bedeutung haben sich also auch für mich weitgehend wie von selbst entkoppelt, nur wenige Jahre, nachdem ich mich über eine schäbige Digitalprojektion von Sam Peckinpahs Pat Garrett & Billy the Kid noch ziemlich geärgert hatte. Die Industrie hat seither ordentlich Tempo gemacht, die Revolution der hohen Auflösung ist enorm vorangekommen, und schon das ganze Jahr 2011 hindurch war ich zudem auch immer wieder auf kleine Dokumentarfilme gestoßen, die nur digital denkbar waren, und die ich mir häufig auf einem großen iMac ansah, auf dem ich mich an der hohen Auflösung fast nicht sattsehen konnte. 2011 erschien aber auch Tacita Deans Text «Save Celluloid, for Art’s Sake» im Guardian, in dem sie die Schließung des Filmlabors, mit dem sie bevorzugt zusammenarbeitete, zum Anlass einer grundsätzlichen Klage über das Verschwinden von, ja, Film nahm. Für die englische Künstlerin ist die Arbeit mit 16 mm-Material schon seit langer Zeit konstitutiv, im Wiener Museum moderner Kunst stellte sie 2011 eine ganze Reihe ihrer filmischen Arbeiten in einen installativen und konzeptuellen Zusammenhang (siehe CARGO 12).
In diesem Zusammenhang entstand die Idee, mit Tacita Dean ein Gespräch zu führen, das ihr Gelegenheit geben sollte, ein wenig über ihr Verhältnis zum Kino zu sprechen – Kino als der Begriff, der über das Trägermedium Film weit hinausgeht, und von dem gerade vielfach diskutiert wird, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt. Mit ihrer sehr erfolgreichen Installation FILM in der Tate Modern hat Tacita Dean auch eine Hommage an das Kino inszeniert, das dazu erschienene Katalogbuch mit Beiträgen von Künstlern und Filmemachern wie Jeff Wall, Peter Tscherkassky, Matthew Buckingham oder Jean-Luc Godard ist eine exzellente Anthologie zum Thema. Wir stellen das Gespräch mit Tacita Dean dieses Mal in einen Zusammenhang mit zwei weiteren Gesprächen zum selben Großthema. So hat der Schauspieler Keanu Reeves gemeinsam mit Chris Kenneally auf der Berlinale einen Dokumentarfilm über das Verhältnis von fotochemischem Film zu digitalen Bewegungsbildern gemacht, in dem von James Cameron bis Martin Scorsese zahlreiche Leitfiguren des amerikanischen Kinos über Aspekte des Wandels sprechen, und zu dem es am Rande der Berlinale die kurze Gelegenheit gab, ein paar Fragen zu stellen.
Und die französische Künstlerin Isabelle Prim gastierte ebenfalls bei der Berlinale in der Reihe Forum Expanded mit ihrem Film La rouge et le noir, in dem sie auf Grundlage eines Drehbuchs von Luc Moullet eine beziehungsreiche Phantasie über Film, Begehren und Manipulation entwickelte. Die in Grenoble ansässige Firma Aäton, bekannt für ihre zahlreichen, wegweisenden Kameramodelle seit den 60er Jahren, dient ihr dabei als «crime scene» wie als Archiv, das neue Hybridmodell Penelope, eine 35 mm-Digitalkamera, steht sinngemäß für die heute gängigste Position, mit dem Besten beider Welten zu arbeiten.
Dem hält Tacita Dean ihren Rettungsversuch für ein Medium entgegen, das mehr «Widerstand» leistet als das Digitale. Wenn dieses Heft erscheint, wird die Ausstellung FILM in London schon beendet sein. Sie ist aufgrund der Einmaligkeit der Umstände unwiederholbar, denn diese Verbindung eines außergewöhnlichen Raums mit einer relativ einfachen Idee, der vertikalen Wendung des Breitwandformats in die Form einer Stele oder eines Monolithen, könnte an einem anderen Ort und unter anderen Umständen allenfalls als schwaches Zitat erscheinen. Doch dieser monumentale Gedenkstein auf ein analoges Medium wird uns noch eine Weile beschäftigen, nicht zuletzt aufgrund der Begrifflichkeit, mit der Tacita Dean über Film spricht: «captivating», «nourishing». Werden wir vom Digitalen weniger stimuliert? Geht mit Film ein mechanisches Intelligenztraining verloren? Viele Aspekte des Wandels sind noch wenig untersucht, aber wie so oft in Situationen großen kommerziellen Potentials für eine neue Technologie ist sehr schnell ein Szenario vermeintlicher Alternativlosigkeit entstanden – die Revolution der hohen Auflösung hinterlässt ein «altes Regime», das ins Museum abgeschoben wird. Doch junge Künstler wie Isabelle Prim arbeiten schon an der Öffnung der Archive und der Apparate.
Dieser Text ist nur in der gedruckten Ausgabe 13 von cargo verfügbar.
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