ausstellung

Sicherheit, Territorium, Bevölkerung Zur Aernout Mik Ausstellung Communitas im Museum Folkwang

Von Kathrin Peters

Touch, Rise and Fall (2008)

© Aernout Mik und carlier gebauer, Berlin (courtesy of Museum Folkwang)

 

Was zuerst auffällt, ist, wie sich alles überlagert und überlappt. Von beinahe jedem Punkt der Ausstellung aus lässt sich immer auch ein anderes Video sehen als das, vor das man sich gerade gesetzt hat. Und auch das bekommt man nie vollständig in den Blick, weil sich Aernout Miks Videos auf zwei, drei oder mehr Projektionen verteilen. Die Sitzgelegenheiten stehen immer irgendwie schräg oder man selbst steht auf der falschen Seite der Rückprojektion, aber hält sie eine Weile für die richtige. Wie lange man bleiben müsste, um einen Anfang oder ein Ende mitzubekommen, ist nicht auszumachen. Auch aus den Szenen, die man betrachtet, sind Dauer und Dramaturgie des Ganzen nicht zu erschließen – alles ist mit verstreuter Aufmerksamkeit gefilmt, Protagonisten gibt es nicht, eher sehr viele Leute, Handlungen gehen ineinander über und sind merkwürdig repetitiv. Zudem hilft kein Ton weiter, Sinneinheiten auszumachen, denn Ton gibt es meist gar nicht. Dass dennoch ein gewisser «Noise Bleed» den Ausstellungsraum durchzieht – zumindest im Museum Folkwang –, mag zwar nicht im Sinn der Sache sein, richtig abträglich ist es ihr aber auch nicht. Denn das Gewummer beweglicher Wände von der einen Seite des Ausstellungsraums her und die diffusen Rufe und Schüsse von der anderen Seite, wo die einzigen Arbeiten Miks mit Ton laufen, verstärken noch den Eindruck, dass man es mit Verstreuungen zu tun hat. Mit einem Dispersion Room gewissermaßen, wie eine Installation Miks (2004) heißt, die in der Essener Variante der als Werkschau konzipierten Ausstellung allerdings nicht gezeigt wird.

Was sieht man also auf den im Raum verteilten Projektionswänden? Zum Beispiel eine Flughafenkontrolle, bei der die Sicherheitsleute unter den ungerührten Blicken der Passagiere jeden Koffer, jede Tasche, sogar jedes Stofftier öffnen, bis das Innere sich nach Außen stülpt, alles in Einzelteile zerlegt ist und die weiße Füllung aus den Stofftieren quillt. Dann das uniformierte Security-Personal im Flughafenshop, wie es in sich gekehrt Plastikspielzeuge abtastet, ja befühlt (Touch, Rise and Fall, 2008). Es gibt immer mehrere Arten der Berührung. Oder man steht vor einer Rolltreppenszene, eng kadriert, in deren Hintergrund ein Gebäude auseinanderfällt, während die Leute auf der Rolltreppe dicht gedrängt stehen, sich nach oben schieben oder versuchen den Rückweg anzutreten. Das ist alles ziemlich offensichtlich auf einer stehenden Treppe vor einem Blue Screen gedreht, und auch die seitlich vor- und zurückfahrenden Wände erzeugen weniger einen immersiven Raum oder die Illusion von Panik, als dass hier die Ingredienzen von Paniksituationen ausgestellt werden (Organic Escalator, 2000). Woanders ist eine Achtkanal-Videoinstallation aus Überwachungskamerabildern aufgebaut, die chinesische Jugendliche in einer provisorischen Architektur aus Sperrholzplatten zeigen, ihre Wohnzellen und die Gänge, in denen sie sich treffen und wieder auseinander driften. Kein Wort ist zu hören. Der Drehort ist zwar ein Nachbau Miks, hält sich aber an sein Vorbild: eine kleine Fabrik in Shanghai, wo billige Arbeitskräfte untergebracht sind, die sich ihre kaum isolierten Schlafräume während der Tag- und Nachtschichten teilen (Plywood Dewlling zusammen mit Marjoleine Boonstra, 2009). Alles scheint sich an diesen sehr unterschiedlichen Orten um das Warten zu drehen. Eine Dehnung der Zeit erfüllt die zerstückelten Räume. Selbst mitten im Ereignis herrscht Ereignislosigkeit, die gefüllt wird mit Bewegungen und Handlungen, die weder Ausgang noch Ziel haben.

Diese Dauer des (Nicht-)Ereignisses kommt auch in jenen Arbeiten Miks zum Tragen, die auf vorhandenes Filmmaterial zurückgreifen, nämlich auf Aufnahmen aus dem Jugoslawien-Krieg, die aus den Archiven der Nachrichtenagentur Reuters stammen, aber von dieser nicht verwendet worden sind, weil sie Erwartungen an die Ereignishaftigkeit von Kriegs- und Krisensituationen gerade nicht erfüllen. Stattdessen sieht man wiederum Warten, tote Zeit, die wohl den Großteil auch in Kriegszeiten ausmacht: sich verstecken, Waffen putzen, am Straßenrand schlafen (Raw Footage, 2006). Es ist dies die Arbeit Miks, die wie Convergencies (2007) mit Ton läuft. Convergencies ist ebenfalls eine Kompilation aus ungenutztem Nachrichtenmaterial, das mit der Sicherheitspolitik Europas zu tun hat, oder genauer: mit den Bemühungen, die Sicherheit und die Intaktheit der europäischen Grenzen zu wahren: Afrikanische Flüchtlinge werden tot an einem Strand aufgesammelt, Grenzpersonal in Schutzkleidung stellt Leute, die aufgrund des Szenarios nur sogenannte Illegale sein können. Die Reportagebilder sind durchs Raster der Agenturen gefallen wie die Dargestellten im Raster der Grenzkontrollen hängen geblieben sind.

Man kann diese Kombination von nicht weiter ausgewiesenen Reportagebildern mit inszenierten Szenen für einen weiteren Beleg der These halten, dass die Unterscheidung zwischen Faktischem und Fiktionalem gegenwärtig ohnehin verschwimmt oder dass Medienbilder an sich schon Wirklichkeiten nicht abbilden, sondern konstruieren. Aber das sind Gemeinplätze. Viel entscheidender ist, dass Mik Spielszenen und Nachrichtenmaterial aufeinander abbildet, um etwas über die Verfasstheit (post-)demokratischer Gesellschaften zu sagen. Zu dieser Verfasstheit gehören die Grenzen von Territorien, die damit einhergehenden Migrationsbewegungen und das Phantasma der Sicherheit, das innerhalb des Territoriums herrscht. Es liegt nahe, eine Parallele zu Michel Foucaults Begriff der Sicherheitsgesellschaft zu ziehen, mit dem dieser Ende der 70er Jahre die gegenwärtigen (westlichen) Gesellschaften beschrieben hat. Im Gegensatz zu den Disziplinargesellschaften richten sich diese nicht mehr am individuellen Körper aus – auf den in Institutionen wie Schule, Gefängnis oder Fabrik eingewirkt wird –, sondern an einer Multiplizität, an einem Körper mit zahlreichen Köpfen, wie Foucault schreibt, kurz: an der Bevölkerung. Für den Erhalt und das Wachstum der Bevölkerung sind ökonomische und demografische Prozesse zentral, wie auch eine Abgrenzung nach außen, eben die Sicherung des Territoriums vor dem Eindringen der «Anderen». Mik arbeitet dieses Thema von den Security-Checks im Flughafen über neoliberale Produktionsökonomien bis zu Sicherung von Staatsgrenzen durch, dabei den hier waltenden Rassismus ebenso fest im Blick wie die «zahlreichen Köpfe», die bei Mik als unübersehbare Menge von Statisten ins Spiel kommen. Auch das, was Foucault an den Sicherheitsgesellschaften weiter interessiert, nämlich ihre Kunst des Regierens lässt sich in Miks Arbeiten auffinden. In neoliberalen Gesellschaften heißt Regieren, statt mit Strafandrohungen mit Freiheitsversprechen zu operieren, nicht Einfluss auf die Spieler des Spiels zu nehmen, so Foucault, sondern lediglich auf die Spielregeln – womit treffend Miks Regieführung beschrieben ist, die ein paar rahmende Anweisungen vor-, aber dann die Kontrolle abgibt. Was Regieren meint, wird bei Mik sogar in noch konkreterem Sinn thematisch: In seinen neuesten Installation befasst er sich mit Räumen politischer Verhandlung – mit dem Gerichtssaal und dem Parlament.

So kann man in Communitas (2010) verschiedene Gruppen bei der Konstitution einer Regierung beobachten, genauer, bei Aushandlungsprozessen und mehr oder weniger politischen Ritualen. Wohin das Streiten und Schlafen, das Aufstehen und wieder Hinsetzen, die Handzeichen und das Hochhalten von Transparenten oder das Karnevaleske, das sich zwischen der polnischen und vietnamesischen «Bevölkerung» ausbreitet, führt, ist nicht zu sagen. Der Schauplatz ist der höchst pompöse Warschauer Palast der Kultur und Wissenschaft, der von ganz anderen als demokratischen Zeiten zeugt und wohl der gewichtigste Akteur in diesem Spiel ist. In Shifting Sitting (2011) bietet ein Gebäude aus dem italienischen Faschismus das Setting für einen Gerichtsprozess, in dessen Zentrum Berlusconi bzw. Berlusconi-Maskeraden stehen. Auch hier geht es um das Hin und Her von Prozessritualen und einer sich zu einer Art Volkstribunal aufheizenden Versammlung, deren Gesten und Bewegungen auf drei Projektionen aus verschiedenen Perspektiven und in versetzten Zeitlichkeiten zu sehen sind. Diese neueren Arbeiten variieren bekannte Mik-Motive: Aktionen bewegen sich auf Kontrollverluste zu; Angst, Obsession oder Unbewusstes drängen sich in den Vordergrund einer auf Vernunft basierenden Ordnung; die Praxis politischer Gewaltenteilung führt sichtlich Gewaltförmigkeit mit sich und immer wieder taucht der Schlaf als Modus des Entzugs auf. Und doch haftete diesen neueren Arbeiten auch etwas Staatstragendes an. Allzu leicht scheint das Thema Gemeinschaft, Communitas, wie die Ausstellung auch heißt, von allen möglichen Seiten besetzbar – von solchen, die etwas eminent Politisches jenseits des Staates im Sinn haben, wie von solchen, die genau diesen meinen. Die Direktor/inn/en des Jeu de Paume, des Museum Folkwang und des Stedelijk Museum, die die Installation Shifting Sitting beauftragt haben, schreiben denn auch von den Rechten und Pflichten aller Staatsbürger, um die es Mik gehe. Das ist sicher ein Missverständnis. Dass es entstehen kann, liegt aber nicht nur im Großformat und dem enormen Aufwand der neueren Inszenierung begründet oder darin, dass die Darsteller von der Beleuchtung glamourös umkränzt durch Kulturpalast und getäfelten Gerichtssaal driften. Der Tendenz zur Totalen, die der immer beweglichen Kamera in anderen Arbeiten fehlt, entspricht das Offiziöse der Orte. Der Kollaps, auf den auch hier die Ordnung immer wieder zusteuert, ist eine innerfilmische Angelegenheit geworden. Beinahe ist es, als mache Mik nun Kino, ohne dass die Instabilität der Situationen sich noch deutlich ins Architektonische verlängerte und damit in den Raum der Betrachters übergreifen würde. Glücklicherweise bricht wenigstens der Katalog bereits nach mehrmaligem Durchblättern im Bund auseinander.

Museum Folkwang, Essen (Jeu de Paume, Paris | Stedelijk Museum, Amsterdam) 2011/12