experimentalfilm

Langsames Glas Zu den Filmen von John Smith

Von Naoko Kaltschmidt

Gargantuan (1992)

© John Smith (courtesy of LUX London)

 

Von London als einem Mikrokosmos zu sprechen, mag wohl zunächst seltsam anmuten. Doch für den 1952 im östlichen Teil dieser Metropole geborenen und bis dato dort beheimateten Filmemacher John Smith ist seine neighbourhood (Leytonstone) immer wieder Ausgangspunkt und Austragungsort seiner Arbeiten. Freilich gibt es dabei viel über die Physiognomie eines Ortes zu erfahren oder auch über urbanistische Entwicklungen, zumal Smith seit mittlerweile 40 Jahren dort mit der Kamera zugegen ist (so hält er z.B. in Blight die Umwälzungen im Zuge des Baus einer Stadtautobahn Mitte der 90er Jahre fest); aber eigentlich geht es hier weniger um eine womöglich historiografisch oder dokumentarisch motivierte Bestandsaufnahme einer Stadt als um eine – naheliegende – Bühne für diverse Meditationen, auf vertrautem Terrain sozusagen. Seine unprätentiösen Film-Miniaturen bringen pointiert Überlegungen zum Ausdruck, die immer wieder um medienspezifische Aspekte – und allgemeiner um Fragen der Repräsentation – kreisen. Vor allem das Bild-Ton-Verhältnis bringt Smith gerne aus dem gängigen Gleichgewicht. Was dabei besonders wohltuend auffällt, ist sein Vermögen, nicht schulmeisterlich oder auch allzu hermetisch vorzugehen, sondern vielmehr mit Humor eine kritische Distanz herzustellen: «I’m interested in making work that lots of people – including people who are completely uninformed about avant-garde cinema – would be interested in seeing. So to me, the accessibility that humor creates is an important part of my work.» In der Tat lassen sich die Filme von John Smith, der als Professor of Fine Arts an der University of East London lehrt, in eine Traditionslinie des experimentellen, genauer strukturalen Films einordnen; er selbst nennt etwa Hollis Frampton, Michael Snow oder Jacques Tati als wichtige Referenzen – diese Kombination ist zweifellos vielsagend.

In Associations, einem frühen Film von 1975, kommt diese Parallelisierung von rigidem Bildarrangement im Zuge eines schnellen und mit dem gesprochenen Wort korrespondierenden Schnitts einerseits und der lustvollen Irritation der sprachlichen Semantik andererseits klar zum Ausdruck: Auszüge aus einem linguistischen Text (von Herbert H. Clark) werden visuell übersetzt, indem die Tonebene phonetisch, also nicht unbedingt literarisch sinngemäß bebildert wird; konkret bedeutet dies etwa, dass das Wort «revealing» mit einer Abbildung von Kälbern (Englisch «veal») partiell zusammengebracht wird oder «respond» mit einer Zeichnung» mit einem Foto von einer Ratte («rat») usw. Auf diese Weise kommt es zwar zu einem durchaus amüsanten Bruch mit der allzu ernsthaften akademischen Sprache, aber auf inhaltlicher Ebene ebenso zu einer adäquaten Umsetzung. Anders akzentuiert Smith die Ambiguität der Sprache sowie der Bilder, wenn er das (geschriebene) Wort «minute» ausspricht als «my newt»: In dem einminütigen Film Gargantuan (1992) legt Smith durchaus augenzwinkernd mit einem einfachen Zoom dessen Wirkkraft dar, indem ein kleiner Moloch auf dem Bett des Filmemachers in der anfänglichen Detailaufnahme zunächst wie ein Riesenreptil erscheint.

Ein anderes Verwirrspiel führt Smith in The Girl Chewing Gum (1976) auf, wenn er eine lange Sequenz (die bezeichnenderweise mit dem Bild vom Eingangsbereich eines Kinos endet) mit einer Off-Stimme begleitet, die – wie sich im Verlauf des Films immer mehr offenbart – vorgibt, den vermeintlichen Protagonist/inn/en Regieanweisungen zu geben; tatsächlich handelt es sich um die Aufnahme einer Straßenszene, in der die vorbeigehenden, eilenden oder auch direkt die Kamera anvisierenden Menschen zur – Illusion einer – Handlung beitragen. Je absurder die gesprochenen, einen Plot suggerierenden Kommentare werden, desto mehr wird deren aufgesetzt fiktionalisierender Charakter deutlich.

Diese dem essayistischen Film nicht ferne Verschränkung der Kategorien von «dokumentarisch» und «fiktional» lässt sich auch bei Slow Glass (1988–1991) beobachten. Smiths Interesse für alltägliche Arbeitsabläufe (wie etwa der industriellen oder auch handwerklichen Herstellung von Glasobjekten) wird hier wieder offenkundig. Was sich mit Glas sowie dessen Beschaffenheit alles in Verbindung bringen lässt, gibt ihm Gelegenheit zum Staunen: Neben der Beobachtung, wie omnipräsent dieses Material in unserer unmittelbaren Umgebung zu finden ist (anhand von trivialen Gegenständen wie Flaschen, Trinkgläsern oder Spiegeln unschwer zu belegen), reichen diese Reflexionen auch bis hin zum Filmschnitt, den Smith hier kurzschließt mit dem Schneiden von Glas als einer Brechung der Sehgewohnheit. In diesem Zusammenhang an Albertis Fenstermetapher zu denken, scheint wohl kaum zu weit hergeholt.

Weitaus verknappter und in geradezu abstrakter Manier weist Smith in The Kiss (1999) auf die Machart filmischer Bilder hin, wenn er das – ungemein gefällige – Motiv einer Lilie mit einer unvermuteten Idee von Kraft konnotiert: Indem die Blume sukzessive einer Glasplatte angenähert wird, was zunächst den gängigen Zeitrafferbildern ähnelt, die derart das Wachstum einer Pflanze wahrnehmbar machen, weist Smith auf die Gemachtheit von Bildern hin und lässt als markantes Zeichen dafür das Glas am Ende zerbersten.

Es verwundert nicht, dass Smith mit seinen Filmen sowohl im Kino- und Festival-als auch im Kunstbetrieb gut aufgehoben ist, was er in eigenen Aussagen wohlwollend bestätigt. Dennoch lässt sich Regression (1998– 1999) in diesem Kontext als durchaus bissiger Kommentar verstehen: Smith spricht in die Kamera, im Hintergrund der häuslichen Szene ist ein eher abgehalfterter Weihnachtsbaum zu sehen. Es ist die Rede von einem Film, der im Labor zerstört wurde, und den Smith nun erneut und zwar auf Video drehen möchte, wobei er dazu festhält: «It is a film that could be made by a young British artist.» Im Folgenden macht er sich über diese Alterskategorie lustig – und zugleich auch über die gut zehn Jahre zuvor entstandene Bewegung der sogenannten YBA (als deren wohl prominentester und umstrittenster Vertreter Damian Hirst gilt). Smith bemerkt zwar auch, dass er natürlich nichts gegen Erfolg einzuwenden habe (wie auch immer dieser bemessen sein soll), jedoch sträubt er sich gegen den Originalitätsgedanken und vor allem den Warencharakter, der letztlich in der Logik des Kunstmarktes eine weitaus gewichtigere Rolle spielt als etwa im Filmbereich. Und so kann man die letzten Worte (denen noch eine reichlich erschöpfende wiewohl bezeichnende Gesangsdarbietung von «The Twelve Days of Christmas» folgt, ein Lied, das primär weihnachtliche Gaben zum Inhalt hat) durchaus programmatisch verstehen, erst recht angesichts der nun vorliegenden, umfangreichen DVD-Edition seiner Arbeiten: «I can do as many copies as I like, I can give them away, I can sell them, I can do whatever I want with them. That is one thing that I am never ever gonna bloody give up.»

John Smith 3 DVD Boxset, LUX London