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Fashion Pitti Uomo / Wooster

Von Stephan Herczeg

Ein grauer Wintertag, bis in den Mittag vernebelt, frierende Hunde werden von missmutigen Menschen über die Straße geführt. In komischer Kleidung sitze ich am Computer und drücke mich vor den Arbeiten, die ein Umzug mit sich bringt: Den Keller entrümpeln, Wegwerfentscheidungen treffen, mit bestimmten Aspekten der eigenen Vergangenheit endgültig abschließen. Alles sehr aufwühlend und lästig. Nur in überflüssiger Kleidung zu bewältigen, die während dieser Tätigkeiten zerschlissen, verdreckt und – wenn alles vorbei ist – weggeworfen werden kann.

Erstmal zur Ablenkung auf alle Twitter-Links klicken. Einer davon führt mich an einen Ort, der mir wie das Gegenteil der Welt vorkommt, in der ich mich gerade befinde. Einer dieser kurzen Internetaugenblicke der Orientierungslosigkeit, des Nichtfürmöglichhaltens anderer Welten, die angeblich zeitgleich zur eigenen stattfinden und von irgendwelchen Menschen veranstaltet werden. Der Bildschirm zeigt Fotos, die ein Modefotograf namens Nam in seinem Blog «streetfsn» veröffentlicht. Ein schöner Tag in Florenz, die tiefstehende Wintersonne bestrahlt um gutes Aussehen bemühte Männer mit und ohne Sonnenbrille, die fröstelnd vor den Messegebäuden der Pitti Uomo stehen.

Die Pitti Uomo ist, wie man vielleicht weiß, die wichtigste internationale Fachmesse für Herrenmode. Hier wird entschieden und eingekauft, was neun Monate später weltweit in den Herrenabteilungen der großen Kaufhäuser und in exklusiven Boutiquen an den Mann gebracht werden soll. Die hochpreisigen Trendgeber der Branche, wie Prada oder Gucci, sind in Florenz nicht vertreten, sie werden ihre neuen Kollektionen ein paar Tage später auf der Fashion Week in Mailand präsentieren. Kleine Labels, mittelgroße Traditionsmarken, aber auch Big Names wie «Boss», die massentaugliche Ware in hohen Stückzahlen produzieren, sind es, die auf der Pitti Uomo um die Gunst der Einkäufer und Modejournalisten buhlen. Im Gegensatz zur Milan Fashion Week stehen also in Florenz, überspitzt formuliert, nicht Label und Designer im Mittelpunkt, sondern die Entscheider der Konsumindustrie, die Richtungsbestimmer in den Moderedaktionen, flankiert von Fashion-Bloggern und businessfernen Fashionjunkies, die irgendetwas davon möglichst bald noch werden wollen. Und genau diese Leute sind es auch, die Nam bevorzugt fotografiert.

Während ich also in ausgebeulten Cargohosen und verdrecktem Pullover mit einer lichtgrauen Windows-Maus in der Hand auf den Bildschirm starre, zeigt mir Nam all diese Machtmenschen des Modeindustriekomplexes in ihren perfekt durchdachten Looks, wie sie stolz und auf eine gewisse Weise auch tatsächlich schön auf dem Messegelände in Florenz herumstehen. Outfits, die so aussehen, als ob sich ihre Träger seit Stunden mit nichts anderem als deren Zusammenstellung und der sich daran anschließenden Anbringung am Körper beschäftigt haben. Einer der abgebildeten Männer ist gleich auf mehreren Fotos in verschiedenen Looks zu sehen. Dieser Mann ist Nick Wooster, noch bis vor kurzem der Men’s Fashion Director der New Yorker Luxuskaufhäuser Neiman Marcus und Bergman Goodman. Wooster, ein kleingewachsener Typ mit Schnäuzer, Anfang Fünfzig, akkurat geschnittenes graues Haar, mal im Tweed-Dreiteiler, mal in Shorts mit Strickjacke, gilt als das, was man gemeinhin «Stilikone» nennt. Ganze monothematische Blogs sind ihm gewidmet, in Hunderten Youtube-Interviews muss er vorhersehbare Styling-Fragen beantworten.

Mit den meisten der von Nam fotografierten Männer verbindet ihn das dreiste Vorhaben, als Fashion-Leader wahrgenommen werden zu wollen, ohne selber den rigiden Schönheitsanforderungen der Modebranche zu entsprechen. Im Fall Woosters heißt das: er ist eigentlich zu klein, zu alt, zu beleibt, zu grauhaarig und zu krummzahnig, um sich in direkte Konkurrenz zu zwanzigjährigen Models zu begeben, an denen in der Regel Kleidung präsentiert wird. Aber trotzdem jubelt jeder Designer, der eines seiner Kleidungsstücke von Wooster getragen sieht. Kleidung funktioniert an Wooster zum einen sehr zweckmäßig und basisdemokratisch, die Illusion vermittelnd, ein jeder könne sich mit etwas Geschmack und Bemühung stilsicher kleiden. Zum anderen kommt aber auch ein elitärer Machtausdruck zum Tragen, diese «Schaut-her,-ich-hab’s-drauf»-Attitüde, die sich sogar über den Designer stellt, der sisyphoshaft unter dem Zwang steht, zweimal jährlich neue Looks zu entwickeln, während Wooster im Status Quo seines zeitlos wirkenden, selbstoptimierten Stils verharrt.

Zeitlos und selbstoptimiert, unzutreffender ließen sich meine Laune und mein Look zu diesem Zeitpunkt wohl kaum beschreiben, aber beruhigend zu wissen, dass irgendwo da draußen, in Florenz, New York oder vielleicht auch nur dreihundert Meter von mir entfernt, Menschen und diverse Industrien sich mit nichts anderem als der äußerlich-oberflächlichen Erträglichmachung des Lebens und des eigenen Körpers beschäftigen.