spielfilm

Sakrale Mitte Xavier Beauvois erzählt in Des hommes et des dieux vom hohen Ethos christlicher Mönche in Algerien – aber vergisst er darüber die Politik?

Von Stefan Ripplinger

© Why Not Productions

 

Der Film erzählt die letzten Monate einer Trappisten-Bruderschaft im algerischen Atlasgebirge, die vermutlich von islamistischen Terroristen ausgelöscht worden ist. Er erzählt aus der Perspektive der Europäer, der Katholiken, der Patres. Er erzählt in ruhigen Einstellungen, die fast alle symmetrisch aufgebaut sind. (Kamera: Caroline Champetier).

Die Symmetrie in des hommes et des dieux (von menschen und göttern) ist aus der Kirchenarchitektur abgeleitet, setzt eine ideale Mitte, eine ideale Ausgeglichenheit, eine ideale Ordnung. Es ist eine ideologische Kaderkomposition, die sich einerseits auf die vielen Symmetrien in der Natur (zwei Augen, zwei Flügel, zwei Fruchtkammern) berufen kann, andererseits auf antike Ästhetiker wie Vitruvius oder Flavius Philostratus, der die Symmetrie ein «Grundgesetz aller Kunst» nannte, weil sie dem Geist des Menschen und dessen «innerem Ebenmaß» so ähnlich sei. Symmetrie ist das oberste Ordnungsprinzip im Mittelalter. Der Regisseur, Xavier Beauvois, fand es «notwendig, diese Geschichte so zu filmen, als hätte sie sich Jahrhunderte zuvor zugetragen».

Aber vor Jahrhunderten gab es weder Kino noch Islamismus, die Kunst ist keine Natur, und man fragt sich ohnehin, wie Symmetrie mit Perspektive zusammenstimmen soll. Habe ich links die Algerier, rechts die Mönche oder links die Mönche, rechts die Terroristen, mag sich eine polare Symmetrie ergeben, die zwar noch keine Dialektik ist, aber sie wenigstens vorbereitet. Doch in der Regel versammeln sich in diesem Film die Mönche paritätisch wie beim Letzten Abendmahl, und in der Mitte thront statt Jesus der Abt des Klosters, Bruder Christian – gespielt von Lambert Wilson, den man noch nie besser gesehen hat.

Auch wenn der Abt am Ende in einer Botschaft aus dem Off oder vielmehr d’outre-tombe seinen Mördern verzeiht und dem Islam und dessen Gott Rechte einräumt, bleibt dies doch des Abts noble Botschaft und seine Selbstinszenierung. Meist erfährt der Zuschauer nicht, was die andere Seite denkt. Was denken die Dörfler? Sie sind dankbar für die medizinische Versorgung, die ihnen im Kloster zuteil wird, oder für neue Schuhe. Was denkt der Anführer der Terroristen, Ali Fayattia (Farid Larbi)? Er misstraut dem Abt, der ihn belügt, es gäbe keine Medikamente im Kloster, respekiert aber den «Fürsten des Friedens», Jesus, und im Grunde auch die «Nazarener», weil «unter ihnen Priester und Mönche sind und weil sie nicht hoffärtig sind» (Koran; 5,82). Was denkt der Colonel der Armee (Abdellah Chakiri)? Er hält das Kloster für einen Schlupfwinkel der Terroristen, möglicherweise will er ein Exempel statuieren.

Zwei Asymmetrien

Das könnte sich alles so verhalten haben, aber der Verdacht, dass sich die Mönche ihre Freunde, ihre Feinde und sich selbst auf diese Weise zurecht- oder in die rechte Mitte rücken, verlässt den Zuschauer, der sich in die Geschichte Algeriens eingelesen hat, nicht mehr. Es fängt damit an, dass die Mönche mit Ausnahme des Abts nicht Arabisch sprechen und ganz selbstverständlich das hilfesuchende Volk und sogar die Terroristen auf Französisch adressieren. Sprache ist aber in Algerien ein Politikum ersten Ranges, seit die Franzosen 1830 das Land okkupierten, die arabischen Schulen schlossen und das Land nach Strich und Faden ausbeuteten. Vor dieser «mission civilisatrice» lag die Alphabetisierungsrate bei 40 %, wie in vielen europäischen Ländern auch, bis 1960 war sie auf 12 % gesunken.

So unsympathisch einem die Politik der Einheitspartei FLN sein mag, ihren Versuch, nach der Unabhängigkeit 1962 das Arabische wieder zur Blüte zu bringen, kann man nur für demokratisch halten. Aber die Korruption machte vieles zunichte. In kaum einem andern arabischen Land hat sich, auf dem Nährboden des Elends, so früh eine islamistische Guerilla entwickelt. In kaum einem anderen Land zeigte sich aber auch so früh, dass die Berufung der Terroristen auf den Islam im Widerspruch zu allen traditionellen und theologischen Werten dieser Religion steht. Als nämlich in den 70ern Mustapha Buyali, der Pate des algerischen Terrors, von einer Moschee zur andern zog, um eine Fatwa zu erhalten, die seinen Kampf gutheißt, erfuhr er überall Ablehnung. Aus einem ganz einfachen Grund: Kein Muslim konnte es akzeptieren, dass andere Muslime ermordet werden.

Zwei Asymmetrien also: Auch wenn die Mönche in Armut leben, sind sie, ob sie es wollen oder nicht, Vertreter der alten Kolonialmacht. Und indem der Film sie als Märtyrer zeigt, verkehrt er die wahren Verhältnisse. Denn es waren nur wenige Ausländer, sondern vor allem algerische Zivilisten, arme Teufel, die dem Terror der GIA (Groupes Islamiques Armés) und der Armee zum Opfer fielen. Bereits in den ersten zehn Jahren des Kampfes mussten 200 000 Algerier sterben, eine halbe Million wurde in die Flucht getrieben. Bezeichnenderweise rekrutierten sich die Führer der GIA aus den Familien der «Harkis», die im algerischen Befreiungskrieg auf der Seite der Franzosen gekämpft hatten. Nach 1962 waren sie gebrandmarkt. Ihre Gefolgschaft bestand aus Jugendlichen, die nichts zu verlieren hatten, Ausgeburten eines depravierten städtischen Proletariats.

Fast drei Jahre vor der Entführung und Ermordung der Mönche hatten die GIA alle Ausländer zum Verlassen des Landes aufgefordert. Dass die Terroristen nach dieser Warnung das Kloster so lange in Ruhe gelassen haben, zeugt davon, dass der Kampf gegen «Kreuzfahrer und Zionisten» nicht von höchster Priorität war. Obwohl Verbindungen bestehen, sind die GIA nicht Al-Qaida, und was im Film beispielhaft erscheint – die Ermordung von Ausländern (kroatische Bauarbeiter und die Mönche selbst) –, war im algerischen Terror die Ausnahme. Indem Beauvois den Anführer der Guerilla zu einem romantischen Räuberhauptmann und fließend Französisch sprechenden Korankenner stilisiert, verklärt er vulgäre Gewalt zum Gotteskrieg. Nach heutigem Wissensstand wurden die Mönche entführt, weil ihre Entführer (wenn es die GIA waren) Geld erpressen wollten, oder (wenn die Armee dahinter steckt) weil sie sich von der Entführung taktische Vorteile versprachen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Religion eine große Rolle gespielt hat.

Monophone Gregorianik

Indem er einen religiösen Konflikt suggeriert, reiht sich der Film in eine Vielzahl von christliche Werte propagierenden Produkten, die allein soziologisch und historisch zu erklärende Verwerfungen und Aufstände weltanschaulich überhöhen und aufrüsten. Auch wenn Beauvois Versöhnung empfiehlt, soll, wie heutzutage so oft, Islam gegen Christentum stehen, und man fragt sich: welches Christentum überhaupt? Der Film ruft das zurück, was der Westen längst verloren hat, seine alte Leitkultur, die nicht in ihrer ganzen Härte, sondern nostalgisch gezeichnet wird. «Götter seid ihr, || Söhne des Höchsten ihr alle! – || jedoch wie Menschen müsset ihr sterben», erläutert das Motto mit dem 82. Psalm den Filmtitel.

«Götter seid ihr» ist die hehre Lüge, «wie Menschen müsset ihr sterben» die bittere Wahrheit. In der Figur des «homme libre», Bruder Luc (Michael Lonsdale), hält der Film diese Wahrheit fest, und das ist das Angenehme an des hommes et des dieux. Luc ist der Arzt des Klosters. Obwohl selbst schwerer Asthmatiker, versorgt er bis zu 150 Personen am Tag, ganz gleich, was sie glauben oder sind. Selbst Nazis und den Teufel persönlich hatte er schon auf der Pritsche, warum nun nicht auch Guerilleros? Er liest Montesquieus Lettres persanes, diese morgenländische Satire aufs autoritäre Abendland. Als Skeptiker, Spötter und Pragmatiker ist er die Gegenfigur zum heiligmäßigen Abt. Der Bruder Luc im Film spricht die Worte, die der ermordete Luc Dochier gesagt hat: «C’est par la pauvreté, l’échec et la mort que nous allons vers Dieu», nicht Heiligkeit, sondern Armut, Scheitern, Sterben sind die Wege zum Herrn.

Darüber, ob Armut, Scheitern und Sterben zu einem Herrn führen, mag man streiten, aber diese drei Begriffe umschreiben recht gut das Leben der Infamen in einer Welt, deren Ideale Wohlstand, Leistung und Fitness sind. Jedoch scheint es kaum etwas Schöneres zu geben, als im Atlasgebirge arm zu sein und zu scheitern, wenn nicht sogar zu sterben. Ein malerisches Panorama reiht sich ans nächste. Das allzu grausame Ende der Mönche (ihnen wurden die Köpfe ab gehackt) spart der Film aus und zeigt ihren letzten Gang als ein Verlöschen in einer mystischen Schneelandschaft.

Wenn die Mönche wenigstens einmal, wie in Roberto Rossellinis unvergesslichem francesco giullare didio, in ein kräftiges Gewitter gerieten, wenn ihnen wenigstens einmal der Magen knurrte und es an einem Schweinsfuß für die Suppe fehlte! Stattdessen singen sie fromm in ihrer Kapelle, meditieren am einsamen See oder wandeln durch eine allegorische Schafherde. Die Herde dürfe er nicht im Stich lassen, betont dann auch der Abt. Da hätte man gern gewusst, ob die muslimischen Dörfler, die die milden Gaben des Klosters «Notre-Dame de l’Atlas» in Anspruch nahmen, sich auch als die Schäfchen dieses Hirten gefühlt haben. Was lieb gemeint ist, bleibt doch eine Zwangseingemeindung.

Bruder Luc sieht die Welt im Widerspruch, Bruder Christophe (Olivier Rabourdin) schreit vor Angst zu Gott, der ihn nicht mehr hört, Bruder Amédée (Jacques Herlin) vergisst, als die Mörder kommen, seine Mönchswürde und kriecht rasch unter sein Bett. Luc legt beim wirklich letzten Abendmahl Tschaikowski, diesen Subjektivsten und Verzweifeltsten unter den Romantikern, auf, was von der monophonen Gregorianik, die sonst zu hören ist, erlöst. In all diesen Szenen verlässt der Film die heilige Mitte und zeigt in Schwenks und Perspektiven, dass Leben eine unordentliche, asymmetrische, um nicht zu sagen schräge Angelegenheit ist. Hier wären Ansätze zu einer politischen und ernsten Auseinandersetzung gewesen. Dass sie nicht genutzt wurden, hat vermutlich zu dem enormen Erfolg des Films beigetragen, der in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnet wurde, in Frankreich über drei Millionen Billetts verkauft hat und den sich der kärchernde Präsident nebst Gattin im Elysée-Palast vorführen ließ.