spielfilm

24. Januar 2014

Nag, Ray, Ratnam Sehtagebuch

Von Ekkehard Knörer

Ein schamloses Rebecca-Remake (ohne Rechteklärung, versteht sich): Und wie. Aber auch wieder nicht, trotz großer Nähe – und charakteristischer Abweichungen – im Plot. Hier geht es nicht hollywoodordnungsgemäß in die Geschichte hinein, sondern die ersten zehn Minuten sind reine Trance mit verfolgenden Schnitten, lauernden Blicken, schlagenden Türen, ragenden Schatten, gischtender See und vor allem höchst verführerischer Musik von Hemant Kumar. Die Frau, die hier stirbt, bekommt man sehr nachdrücklich nicht zu Gesicht. In Trancen dieser Art fällt Kohraa wieder und wieder. In einer tollen Sequenz als explizite Geistererscheinung, aber an anderen Stellen öffnen sich von Geisterhand Türen und Fenster, folgt Tag auf Nacht auf Tag, geht der Wind durchs Haus und muss Raj (sie trägt einen eigenen Namen; Rebecca ist Poonam) an Verstand, Liebe, Hoffnung verzweifeln. Die Kamera lebt und filmt Wasser und Bäume, versteckt sich unter Treppen, hinter halbtransparenten Wänden, fährt durch Mayfair, das prächtige Anwesen, das bei Hitchcock Manderlay hieß. Wenn Kohraa zu Sprache, Vernunft, Plotkonstruktion und am Ende gar Gerichtsszene kommt, ist das eher ernüchternd. Ein rechter Sinn will ohnehin nicht hinein. Als wüsste der Film nicht, dass er in erster Linie in seinen Traumzuständen beglückt.

Biren Nag, Kohraa, Indien 1964 (72cp)

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Die großzügige, bourgeois eingerichtete Wohnung liegt im 8. Stock eher am Rande der Stadt und einmal geht Herr Chatterjee zu Fuß die Treppen nach oben, Stock für Stock, weil der Aufzug kaputt ist; der Blick (sein Blick, unser Blick, aber das wird so einfach nicht bleiben) geht über Calcutta, der Protagonist ist (noch) kein ganz großer Boss, aber der schweifende Blick gehört zu den Annehmlichkeiten, die ihm seine gehobene Tätigkeit bei der Lampen- und Ventilatorfirma Peters vermittelt. Der Film situiert seinen Helden genau. Und dieser Held situiert er sich selbst, erzählt von sich, sachlich, selbstbewusst, fünf Minuten lang Firmengeschichte und Organigramm, da spielt Ray mit Blenden und Kreisen, kurz darauf noch ein Werbefilm als knallfarbige Einlage im ansonsten Schwarzweißen. Company Limited: Ein Mann macht Karriere. Privatleben: glücklich. Dann kommen Dinge dazwischen, im beruflichen Raum wie im privaten. Ein Großauftrag in den Irak droht wegen Materialfehlern zu scheitern. Und die Schwester der Frau wird zu einem potentiell fatalen Attraktor. Beides erzählt Ray klar, aber trotzdem nicht unsubtil. Fängt auch viel ein vom postkolonialen Calcutta, in das in den oberen Schichten manches noch aus der Kolonialvergangenheit ragt. Eine Einstellung im Wohnzimmer ist bezeichnend: Vor die eigentlich thematische Bildebene (der Held im Gespräch mit der Schwägerin) zieht Ray eine Regalwand mit gehobenem Kunstnippes (rechte Hälfte des Bildes) und einen transparenten Vorhang aus Glasringen. Der Blick kann, aber muss auch da durch: filigrane Form der Distanznahme. Der Film rückt seinem Helden vom Leibe, was man moralisch lesen kann, aber nicht muss. Jedenfalls ein Akt der Desidentifikation: Natürlich versteht man Herrn Chatterjees Aufstiegswunsch. Mit dem Schritt in die Distanz rückt Ray aber einiges an Kontext und vor allem die sozialen Kosten dieses Karriereegoismus ins Bild.

Satyajit Ray, Seemabaddha (Company Limited), Indien 1972 (75cp)

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Satan, Gott, die See: schwere Zeichen. Da stellt Mani Ratnam einen Jungen hinein, der früh seine sozial ausgegrenzte Mutter verliert. Um die Seele des Jungen ringen ein Priester (katholisch) und Satan, ein luziferisch vom Glauben abgefallener Engel. Weil die Anspielungen auf den christlichen Mythos weniger Anspielungen als Überdeutlichkeiten sind; und weil die Figuren lokal wie sozial verortet werden sollen, und das alles im tamilisch entglamourisierten Bollywoodstil, weil das also aufs Große und Kleine (mindestens: Konkrete) zugleich zielt, bedürfte es einer Idee von ästhetischer Vermittlung des anderen mit dem einen. Was diesen Film von Ratnam zu einem ziemlichen Desaster macht – nicht im Vergleich mit dem Rest des indischen Kommerzkinos, aber mit Ratnams eigenen großartigen Filmen –, ist der Totalausfall dieser Vermittlung: Mal geht es zu spritzender See ins Erhabene, mal ins Detail, mal ist da, wo man Entwicklung vermutet, nichts als Ellipse oder stenografierte Gangsterbrutalität; was ausbleibt, ist Figurenmotivation, an deren Stelle nur leerer Verweis auf christlichen Mythos, der innerdiegetisch nur leider nichts motiviert. Der Erlösungssubplot um eine traumatisierte junge Frau im Konvent ist um Verknüpfung der Sphären bemüht und in den Momenten, in denen der vom Drehbuch gebeutelte Held die Güte eine schlichten Gemüts lieben lernt, durchaus schön. Aber dann wird alles in einen Showdown zur See eingespeist, in dem zusammenkommt, was zuvor ganz anders hätte zusammengehören müssen, um im Finale zu überzeugen.

Mani Ratnam, Kadal (The Sea), Indien 2013 (43cp)