ausstellung

10. Juni 2016

So viel Unterschied! Zu den Kunst-Biennalen in Dakar, Bukarest und Berlin

Von Michaela Ott

Ein ehemaliges Justizgebäude, mit Ausblick aufs Meer, tropisch verwuchert und mit der Patina verklärter Vergangenheit beschichtet, findet sich als Biennale-Veranstaltungsort nur in Dakar (Senegal). Es verleiht der Hauptausstellung der diesjährigen 24. Dak'Art sofort Charme und jene Atmosphäre, die ihr Titel Reenchantement evozieren will: Die Installationen der Künstler_innen, die alle einen afrikanischen Hintergrund haben, auch wenn sie in Mailand, Berlin oder Paris leben, sind häufig aus Fundstücken der Umgebung gefertigt, als objets trouvés über die weitläufigen Räume verteilt, von aufrührerischen Sprüchen an den unverputzten Wänden begleitet. Eine großspurig-verzaubernde Stimmung stellt sich sofort ein.

Bili Bidjocka aus Kamerun kehrt die Magritte'sche Desillusionierungsformel mit großen Lettern gegen den vormaligen Kolonisator und dessen nicht weniger ausbeutungsbedachten Erben: «Ceci n'est pas mon corps. Vous ne pouvez pas le consommer». Diese Geste der Verweigerung begleitet ein anzitiertes Abendmahlgemälde von Leonardo, Sinnbild der christlich angekündigten, noch immer ausstehenden – afrikanischen – Revolution für Gleichheit und Brüderlichkeit. Ironische bis selbstreflexive Anklagen springen allerorten ins Auge: Eine Blauhelm-Installation aus Kochtöpfen von Folakunle Oshun aus Nigeria, United Nations of Jollof, antwortet in der Eingangshalle auf die Videoinstallation Floß der Medusa von Adama Ndiaye, in welcher schwarze Köpfe, von goldenen Eiffeltürmen durchkreuzt, neben Gestrandeten und Ertrunkenen zu sehen sind. Neue Erzählungen müssten erfunden werden, fordern weitere Slogans, im Dienste des Reinvention of Africa, wie sie der kongolesische Philosoph Valentin Mudumbe im Sinne afrikanischer Identitätsbildung empfiehlt.

Der diesjährige Kurator der Biennale Simon Njami, bekannt auch als Herausgeber der in Paris erscheinenden Zeitschrift Revue Noire, stellt dagegen ein exotisiertes Afrikabild affirmativ aus, wenn er im Einleitungstext zur Ausstellung an die «seherische Gabe» der «wilden» Künstler_innen und eine Rückkehr zu den Quellen appelliert: «Soyons des sauvages qui reviennent à la source des choses avec savoir ancien et nouveau!» Auch die Annahme anthropologisch konstitutiver Blickverschränkung, die bei Jean-Paul Sartre 1948 zu einem Bericht des Erschreckens über die Nichtung durch Schwarze Blicke führte, findet sich hier erneut bemüht und doch in die Aufforderung nach Entfaltung eines magischen «se regarder!» ohne Umweg über den – weißen – Blick übersetzt.

Dass man den visuellen und ökonomischen Verflechtungen nicht entkommt, unterstreicht Kader Attias Installation Les rhizomes infinis de la révolution als stählernes Dickicht aus Zwillen und Steinschleudern, deren V-Form sowohl die Gewaltsamkeit epistemologischer Verzweigungen und evolutionär bedingter Abtrennungen wie die Haltung von Betenden mit erhobenen Armen evozieren will. Den Ruf nach fortgesetzter politischer Demokratisierung melden Fotografien des einstigen revolutionären und ermordeten Präsidenten Burkina Fasos, Thomas Sankara, an, in dessen Nachfolge gegenwärtig eine weniger korrupte Politik im Land in die Wege geleitet wird. Die politische Abhängigkeit eines Landes wie Kamerun von seinen Erdölvorräten verdeutlichen wiederum Fotografien von Anna Maponbi, die eine Ölspur quer durch ihre Fotografien laufen lässt und diese performativ mit dem eigenen Körper verlängert, bis in den Innenhof des Gebäudes hinein, wo sie sich gleichsam als schwarze Öllache ergießt. Die Ätiopierin Aida Muluneh zeigt auf ihren Fotos schwarze Frauen mit weiß geschminkten Gesichtern, in roten Kleidern romantisch in die Landschaft drapiert. Und während die Ägypterin Heba Y. Amin ihr Speak 2 Tweet Project mit Texten des Arabischen Frühlings zu Großprojektionen verfallender Kairoer Hausfassaden hier, nach Hamburger Kunstverein und Berlinale, noch einmal präsentiert, baut Maurice Pefura das Modell einer «Non-Stop City» auf orientalisch gemusterten Grund aus gleichförmigen, immer dunkler werdenden Klötzchen nach.

Dass auch die panafrikanische Idee fortlebt, macht die Eröffnungsveranstaltung unter dem Vorsitz des Staatspräsidenten Macky Sall klar: Beschworen wird das Erbe Léopold Sédar Senghors, die Kontinuität seines Engagements für die Kunst, insofern er bereits 1966 eine erste Kunstausstellung in Dakar eröffnet hat. Auch der gegenwärtige Präsident verspricht die Kunst zu befördern und sichert neue Gebäude und erhöhte Finanzmittel zu; Preise werden an ältere Künstler wie den senegalesischen Agit-Art-Vertreter Issa Samb verliehen; den Sponsoren von Air Maroc und dem Eletronik-Konzern Tigo wird gedankt.

Leider erweisen sich die Versprechungen als nur bedingt eingelöst: Im Musée Théodor Monod, dem zweitwichtigsten Ausstellungsort, ist die Ausstellung der fünf Gastkurator_innen zur Eröffnung nicht fertig; das neu erbaute Musée Senghor bleibt auch bei wiederholten Versuchen unzugänglich; das versprochene Symposium Symbioses fängt gar nicht erst an.

Dafür bieten nicht-offizielle Rahmenprogramme gelungene Begegnungen: auf einer kleinen Bookfair in der Librairie à Quatre Vents, wo Jean-Pierre Bekolo seine filmische Arbeit Les choses et les mots, einen vierstündigen Film über Valentin Mudimbe, erläutert und wo Kader Attia über sein vieldeutiges Konzept der «Reparations» zwischen Reparatur und finanzieller Wiedergutmachung spricht. Afrikanische Editorinnen von Kunstbüchern unterhalten sich über Publikationsmodalitäten auf dem Kontinent und geben bekannt, dass 95% der heutigen Publikationen aus Südafrika stammen; die Kuratorin von «Raw Materials», Koyo Kouoh, bekennt sich angesichts der Frage des ‹Afrikanischen› dieser Publikationen vehement zu ihrem Afrikanerinnensein und fragt zudem danach, für wen, für welches Begehren diese «haute couture» der Kunstbücher denn angefertigt sei?

Auch bei einem kleinen Symposium im alten Bahnhof Dakars zum Thema «états d'opacité» gibt es erhellende Momente, so wenn Kodwo Eshun seine Interpretation von Hyènes, dem legendären Spielfilm von Diop Mambéty, in empathisch-differenzierter Weise vorträgt. Allerdings, und auch das stimmt nicht unbedingt zuversichtlich: Auf diesem Symposium wie in den über 200 über den Stadtraum verteilten Off-Ausstellungen, wie etwa im bekannten «Village des Arts», sind kaum Einheimische und längst nicht mehr die zur Eröffnung eingeflogenen Kurator_innen aus den USA und Frankreich anzutreffen. Wären da nicht die zahlreichen deutschsprachigen Studierenden und Lehrenden, gäbe es kaum Publikum für jene Aspekte dieser Biennale, in denen eine offensiv partizipatorische und demokratisch erweiterte Ausstellungspraxis alle zwei Jahre erneut ausprobiert wird.

Wo also in Dakar sowohl zu demokratischer Revolution wie zu wilder Selbstbehauptung aufgerufen wird, wird bei der 7. Bukarester Biennale, kuratiert von Niels Van Tomme unter dem Titel What are we building down there?, der Kapitalismus in seinen Spielarten des Ausverkaufs städtischer Immobilien und öffentlichen Raums angeprangert. Das Märchen, mit dem das Biennale-Programm zum Besuch einlädt, beginnt sarkastisch mit: «Es wird einmal eine Stadt gewesen sein namens Bukarest, die als weltweites Modell kapitalistischer Privatisierungsprozesse gelten darf». Allerdings begegnet die Klage über diesen zweifelhaften Modellcharakter, zart vorgetragen und kaum als solche erkennbar, nur auf 20 über den Stadtraum verteilten Billboards. Das Museum zu dekontextualisieren und die künstlerischen Statements in die Stadt zu tragen, ist hier wie in Dakar das Anliegen dieses alternativen Ausstellungsformats. Da indes die künstlerisch sich verstehenden Billboards kaum von den vielen anderen zu unterscheiden sind, auch wenn sie Schlagworte tragen wie «dissolving systems/ not enough changes/ to many changes», rütteln ihre weitgehend pauschalisierenden Aussagen niemanden auf. Den Kurator interessiert am Billboardformat vor allem die Möglichkeit seines Exports, der Übernahme der kuratorischen Idee durch andere Biennalen. Die Bewohner_innen Bukarests bekommen von dieser Biennale nichts mit.

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In Berlin dagegen laufen zumindest am Eröffnungswochenende der 9. Berlin Biennale unter dem Titel The Present in Drag Besucherscharen durch die Ausstellungshallen der Akademie der Künste und der Kunstwerke; sie stellen sich stundenlang für die Datenbrille von Jon Rafman an, die einen vom Balkon der Akademie in eine simulierte Tiefsee stürzen lässt. Die Besucher_innen streichen vorbei an den zahlreichen Screens, die von Hito Steyerls imaginärer Reise nach Babel über Halil Altinderes Schilderung einer Flucht von der Levante nach Berlin bis zu kapitalistismuskritischen Videos von Nik Kosmas oder Christopher Kulendran Thomas visuell-affektive Ritournelle aus ähnlich zusammengeschnittenen Datensätzen präsentieren. Unbekannte Landschaften mit Drohnenflügen gehören ebenso dazu wie verfummelte Selbstdarstellungen. Dabei fällt eine krude Mischung von Selbstüberschätzung und Ohnmachtsartikulationen der präsentierten Figuren auf: Bei Altindere werden akrobatisch Stacheldrahtzäune überwunden, bei Ryan Trecartin wie auf den Fotos im Akademie-Foyer zombiartiges, sich zugleich überausstellendes und hinter Schminke und harten Gesichtsaccessoires verbergendes Menschenförmiges vorgeführt. Figuren aus Graphic Novels sind bei Julien Ceccaldi, ob ihrer Selbstbegegnung offensichtlich verunsichert, hinter überhellte Glasflächen zwischen Kirschblüte und Stahlraster geklemmt.

Von einer Hoffnung auf politische Veränderung oder auch nur von einer Suche nach differenten und möglicherweise ausgeblendeten Erscheinungsweisen des Wirklichen ist hier nichts zu spüren. Die zumeist tiefelosen und nachgeglätteten Bildoberflächen zeigen Gesten der Smartphone-Handhabung oder der zunehmenden Festlegung des visuellen Dispositivs auf die Größe von Flugzeugfenstern wie in deren Serialisierung durch Yngve Holen. Als Post-Internet-Art werden die materiell gleichförmigen Bildwerke von der FAZ abgefeiert: In der Tat gehen sie aus dem selbstverständlich gewordenen alltäglichen Technologieeinsatz und seinen Datenästhetiken hervor; die Kunst erscheint als deren bloße Verlängerung, mit zusätzlicher Umdefinition zum Markenprodukt.

Und doch lässt Camille Henrot in ihrem ausgedruckten und vergrößerten Emailverkehr bereits die emotionale Überforderung der Empfängerin thematisch werden; auf Staffeleien präsentierte Gemälde von Tieren, 11 Animals that Mate 4 Life, an Höhlenmalereien erinnernd, setzt sie als Zeichen von Lebendigkeit dagegen. Zumeist aber wenden sich die Affekte nur den Bildern selber zu, die sich in ihrem Schau- und Verkaufswert wie die Firmenlogos von Simon Denny bewerben und von Design- und Werbefotografien nicht unterscheidbar sind, gemäß dem Motto der von DIS verantworteten Biennale: «format works for everything/ speaking and selling exchange/ das Unberührbare wird real und wieder unverständlich».

Wo die Biennale von Dakar nach wie vor im Zeichen der Selbstverständigung des Kontinents und seines Willens zur Selbstaffirmation steht, wo in Südosteuropa, auf der Biennale von Bukarest, ein ökonomischer Wandel schon im Sinne des Erhalts der Ausstellungsorte im öffentlichen Raum angemahnt wird, begibt man sich in Berlin in eine unendliche Bildergalerie, die bruchlos vom Mobilphone in den Ausstellungsraum und in die Selfies des Publikums weitergeht. Hier glaubt man nicht nur nicht mehr an Revolutionen, sondern auch nicht an die erzieherische Aufgabe von Ausstellungen wie in Bukarest und Dakar. Die Ununterscheidbarkeit des Virtuellen und Realen ist hier gesetzt. Diese Biennale richtet sich vorzugsweise an Kunststudent_innen und lehrt sie die Notwendigkeit des Branding, auf dass sie wenigstens bis übermorgen als Akteur_innen am Kunstgeschehen partizipieren.