ausstellung

16. Juni 2014

Out OFF Africa Afrikanische Gegenwartskunst auf der 11. Dak'Art und in Frankfurt

Von Michaela Ott

Das Einprägsamste an der 11. Ausgabe der bekanntesten Kunstbiennale Afrikas, der Dak'Art in der Hauptstadt Senegals, war die nicht-europäische Stadterfahrung, zu der sie die kunstinteressierte Besucherin zwang. Denn das Konzept dieser Biennale belief sich darauf, neben den wenigen «In»-Orten der kuratierten Ausstellungen all jene KünstlerInnen in die Dak'Art zu integrieren, die willens und in der Lage waren, in der weitläufigen Stadt einen Off-Präsentationsort für ihre Kunst zu finden. Unter dem diesjährigen Biennale-Motto «produire le commun», „das Gemeinsame produzieren“, wurden also von drei KuratorInnen betreute «internationale Ausstellungen» in verschiedenen Gebäuden, die indes keine Museen sind, zusammengestellt. «International» bedeutete hierbei, dass KünstlerInnen aus Afrika und der afrikanischen Diaspora ausstellen durften, die bis dato nicht auf der Dak'Art vertreten waren. Zum Teil wurden sie eingeladen (8 KünsterInnen pro KuratorIn), zum Teil wurden sie aus den BewerberInnen ausgewählt.

Vor allem aber bedeutete das Motto der gemeinsamen Produktion das Angebot, sich unzensiert an der Biennale beteiligen und in einem der 200 Off-Räume zu präsentieren: Man erhoffte sich davon, die Kommunikation zwischen den Kunstschaffenden zu befördern und insgesamt die Kunstproduktion und -rezeption zu demokratisieren. Diese gestreute Vielfalt der künstlerischen Praktiken verstand man als den Versuch, nicht einen global repräsentativen Schauwert mit Anspruch auf Neuheit und Spektakularität, sondern eine «Mondialität» im Sinne von Edouard Glissant hervorzubringen: Von jedem Punkt der Biennale aus sollte die «ganze Welt» in ihrer Wandelbarkeit und ihrem Variantenreichtum aufscheinen, entsprechend einer Aussage des Theoretikers und Dichters aus Martinique: «J’appelle ‹Tout-monde› notre univers tel qu’il change et perdure en échangeant et, en même temps, la ‹vision› que nous en avons». Gewünscht wurde, auch im Sinne von Jacques Rancière, dass sich in den einzelnen Visionen das Ästhetische mit dem Politischen verbinde und die herrschende Aufteilung des Sinnlichen hin zu verstärkter Aneignung verschoben werde. Im Hinblick darauf wurden allerdings zahlreiche Vokabeln wie Natur, Humanität und Universum in Einsatz gebracht.

Die neue Stadterfahrung, zu der die Besucherin aus dem Westen verleitet wurde: Die Off-Lokalitäten, unter Umständen am Stadtrand in Wohnvierteln gelegen, verfügten häufig nur über unvollständige Adressen, kaum über Straßennamen, geschweige denn über Hausnummern. Die Biennaleleitung kam dieser Schwierigkeit entgegen, indem sie einen aufwändig und exakt gestalteten Stadtplan zur Verfügung stellte, wie ihn noch kein Taxifahrer der Stadt gesehen hat. So war die Besucherin gehalten, den möglicherweise leseunkundigen Taxifahrer zu den gewünschten Zielen in den namenlosen Straßen zu dirigieren und nach den über das Stadtgebiet verteilten Off-Fahnen Ausschau zu halten. Eine dezentrierte, zerklüftete Stadträumlichkeit tat sich dabei auf, in der an zahllosen Stellen und in gelegentlich anrührender Weise, wie in einem Urban-Gardening-Projekt, gemeinsame Bodenumgestaltung und -nutzung auf Stadtbrachen probiert wird. Die Kunstwerke, waren es Gemälde, Skulpturen, Designobjekte oder Fotografien, konnten in einem Restaurant, einem Büro, der Bäderabteilung eines Kaufhauses, einer verfallenen Villa oder am Rand eines Schwimmbeckens angebracht sein, wobei ihre oft beiläufige, nach unseren Maßstäben wenig sorgfältige Platzierung von ihrem «mangelnden» Fetischcharakter Kunde gab. Zur Off-Ausstellung gehörte auch der Vorplatz des Rathauses von Dakar, von Skulpturen aus der phantasy-Welt weit voneinander entfernter Kulturen besiedelt, die den Dino mit lokalen Fabelwesen doch in einem imaginären «Weltgemeinsamen» zusammentreffen ließen.

Gleich zu Beginn irritierte, dass selbst die zentrale Ausstellung auf dem Areal eines Gewerbegebiets untergebracht und nicht leicht zu finden war. Obwohl auf dem Mittelstreifen der breiten Autostraßen Plakate der Dak'Art hangen, wussten die Passanten zumeist von dem Ereignis nichts. Kaum einer, der eine Wegbeschreibung abgeben konnte. Beim Betreten der internationalen Ausstellung, die in vier Hallen untergebracht war, fiel gleich eingangs die Anspielung auf islamische Wahrzeichen auf. Ein Begrüßungskunstwerk, eine kleine Kaba auf Plexiglassockel, funkelte der Besucherin entgegen: «Je t'écoute». Präsentierte uns die Künstlerin Houda Ghorbel (Tunesien) mit dieser Aufforderung zum Sprechen anstatt zum autoritativen Hören eine kritische Umkehrfigur? Das wiederholte Angebot, in arabischen und lateinischen Schriftzeichen in Kreide und Kreisform auf den Teppich geschrieben, wollte ganz offensichtlich einen Dialog mit Kunst über Kunst anstoßen und wurde damit zu einem der Embleme der Biennale, wofür es mit dem Prix du Centre Soleil d'Afrique bedacht worden ist. Ein weiterer mit Fragen beschrifteter schwarzer Kubus von Ato Malinda (Kenya) im Innenhof des Geländes muss seinerseits umkreisend entziffert werden und stellt unter anderem Fragen zum Lesbischsein; ein paar Tage später war die Aufschrift abgewischt. Andere Kunstwerke evozierten in ihrer Ornamentik arabische Schriftzeichen, wie etwa die aus Stahlstiften und Kupferbändern geformte «Sunflower»-Scheibe des Nigerianers Olu Amoda, der dafür den großen Preis Leopold Sédar Senghor erhielt. Der westlichen Besucherin erschloß sich indes nicht, inwiefern diese Sonnen(blumen)skulptur die «afrikanische Sensibilität», wie es im Begleittext hieß, kongenial zum Ausdruck brachte. Die Erfahrung des Nichtentziffernkönnens ob der zahlreichen, die hier präsentierten Kunstpositionen umgebenden Unbekannten, wiederholte und verstärkte sich im Fortgang des Besuchs und äußerte sich als Unmut in jenen Galerien, in denen afrikanische Artefakte ohne geographische und zeitliche Zuordnung auch noch mit zeitgenössischer Malerei kombiniert waren. Alle Sünden kuratorischer Unzulässigkeit lagen hier, im Westverständnis, auf engstem Raum zusammengedrängt vor. Und doch ereignete sich genau hier die ihrerseits erwartete Verstörung und genuin ästhetische Erfahrung, die eben darauf basierte, dass die westlichen Kategorien außer Kraft gesetzt sind. Dass sich die Besucherin entschließen musste, die Nichtherleitbarkeit des Gezeigten, die Nachlässigkeit in der Präsentation, die aufgeblasenen Kommentare als Teil des Kunstereignisses hinzunehmen, um dann tastend zu erkunden, welche künstlerischen Artikulationen sich ihr doch ansatzweise erschließen und vielleicht als symptomatisch zu lesen sind. 

Aus diesem bescheiden gewordenen Blickwinkel fiel etwa die Präsenz des Themas Afrikanität in der Hauptausstellung auf. Vermutlich bedienten die Bilder von Chike Obeagu aus Nigeria die westliche Erwartung an afrikanische Malerei am besten, kollagiert er doch Ansichten von «City Scape and City Dwellers» zu buntfarbig-leuchtenden Großgemälden, wobei er deren scheinbare Zusammensetzung aus Einzelbildern (nach Art von Glasfenstern) zu leichten Verschiebungen in den Gesichtern und Körpern der Abgebildeten – und interkulturellen Anspielungen? - nutzt. Victor Ekpuk, ebenfalls aus Nigeria, kombinierte mit seiner Installation State of Beings/Totem ausdrücklich indigene Schriftzeichen zu einem modernen Boden-Wand-Gemälde: Ein abstrahiertes Paar stand sich an der Wand gegenüber, verbunden durch einen befremdlichen Pfeil, der vom Gehirn des Mannes durch den Körper und in das Gehirn der Frau aufstieg. Emphatischen Afrikabezug bekundeten gewisse Arbeiten in einem In-Ort neben dem Musée de Dakar, das erwartungsgemäß traditionale, an Riten gebundene Artefakte zeigt. Deren Geist weiterführend, beschwor eine Installation von Momar Deck die  United Colours of Africa im Eingangsbereich des Nebengebäudes und stellte eine Gruppe vertikal gerichteter «Köcher» vor, Holzstäbe enthaltend und mit Stoffen und Bändern umwickelt, die für «Weisheit» stehen sollen. Diese totemartigen Gebilde kehrten im Garten des Museums für «Art Contemporain» wieder, das im übrigen kalligrafische Arbeiten mit Koranbezug zur Ansicht bot. Die heiteren «United Colours of Africa» wurden dann allerdings umgehend von einem Gemälde (eines mir unbekannten Künstlers) ins Abgründige abgedreht, insofern die von ihm gemalten Schnapsfässer mit Aufschriften wie «Yoruba» an die Versklavung und Deportation ganzer Völkerschaften gemahnten. Die deutschstämmige Künstlerin Ulrike Arnold griff dagegen auf die in Senegal verbreitete Sandtechnik zurück, um aus unterschiedlichen Sandfarben raue, Authentizität suggerierende Bildoberflächen zu kollagieren.     

Die Bezugnahme auf Afrikanität erwies sich in der Gesamtschau gleichwohl als äußerst ambivalent: So karikierte der preisgekrönte senegalesische Künstler Sidy Diallo malerisch den gekrönten «Primitiven» auf dem Renaissancesessel und beklagte die Abwanderung afrikanischer Intelligenz ins Ausland in dem Bild «Not for sale», das ein losgelöstes Gehirn vor schwarzem Hintergrund zeigt. Unter dem Titel Indignation kritisierte Justine Gaga aus Kamerun (nicht nur) lokale Untugenden wie «nespotisme» und «corruption», indem sie sie zum Inhalt von Gasflaschen in Serie erklärte. Als bitteres Statement mochte frau auch Kader Attias bildnerischen Kommentar zum vormals repräsentativen «Hotel Indépendance» im Zentrum Dakars verstehen, das, als Raumskulptur aus Metallkästen im Zentrum der Hauptausstellung seiner zukunftsweisenden Botschaft verlustig gegangen, nurmehr eine leere Hülle der architektonischen Moderne zu sehen gab.  

Die Idee des Panafrikanismus verkehrte sich wiederholt in einen Gegenstand der Kritik und Karikatur. Und doch überraschte die Bezugnahme auf eine mögliche afrikanische Gemeinsamkeit, behauptet doch Okwui Enwezor, dass heutige KünstlerInnen aus Afrika in keinem Fall mit ihrem Herkunftskontinent identifiziert werden möchten und stattdessen eine post-ethnische Identität anstreben, schon weil sie Wohnsitze außerhalb Afrikas haben, aber vor allem, weil sie sich an der internationalen Kunstszene orientieren. Sehr empfindlich reagierten gewisse in Dakar anwesende Künstler auf Fragen nach dem globalen Kunstmarkt, vermutlich weil sie sich von ihm notorisch in eine Nischenexistenz abgedrängt erleben müssen. Aus diesem Grund wollte sich die Biennale dezidiert kunstmarktunabhängig verstehen; nur westliche KünstlerInnen räumten ein, dass sie ihnen doch weitgehend für ein Experten- und Käuferpublikum aus dem Westen ausgelegt erschien. 

Das Problem postethnischer Identität wurde denn auch in nicht wenigen Arbeiten der Hauptausstellung explizit: So erfragt der Filmemacher John Akomfra, einst Mitglied des Londoner Audio Film Kollektivs, in seinem Video Peripeteia das Selbstverständnis der Schwarzen in Europa, indem er die berühmten Dürerzeichnungen eines schwarzen Manns und einer schwarzen «Sklavin» namens Katharina von dunkelhäutigen Schauspielern reenacten lässt. Er schickt sie durch eine wilde europäische Landschaft und verbindet ihre Wanderung assoziativ mit Bildern von Hieroymus Bosch, deren schwarze, negativ konnotierte Figuren die imaginäre Desorientierung der Wanderer zu verstärken scheinen. Die südafrikanische Fotografin Nomusa Makhubu, deren Fotocollagen ebenfalls mit einem Preis bedacht wurden, montiert sich selbst in ältere Fotografien von Gruppen Schwarzer hinein und dokumentiert so ihre Verbundenheit mit der Geschichte ihres Herkunftlandes. Die Videodoppelprojektion von Mimi Cherono Ng'ok, Intitulés, erzählte dagegen von einer Depression, die sich aus einer Migration auf dem afrikanischen Kontinent selbst und der daraus folgenden Heimatlosigkeit ergab. Simone Leigh wiederum verdeutlichte bereits im Titel My dreams, my works must wait till after hell, was sie mit dem Foto einer liegenden schwarzen Person, deren Kopf unter Pflastersteinen begraben ist, zum Ausdruck bringen will... Anders wiederum die Perspektive der weißen Künstlerin Candice Breitz aus Südafrika, die in ihrem Video Extra zeigt, dass sie selbst in der von ihr gedrehten Telenovela mit ausschließlich schwarzen SchauspielerInnen immer, auch ungewollt, mitanwesend ist: Die weiße Frau steht zwischen den handelnden AkteurInnen, liegt bald, schläft bald, hört bald zu; die weiße Sichtweise bildet, so das Statement, die nicht wegzudenkende Folie der schwarzen Selbstrepräsentation.  

In Off-Spaces wie jenem des KünstlerInnenkollektivs «Raw Material Company» wurden  vergleichsweise randständige – und für ein isalmisches Land heikle – Themen angeschlagen: Hier konfrontierte Kader Attia in Fotokollagen die Proprotionen von Michelangelos David mit jenen afrikanischer Skulpturen und kombinierte sie mit Transgenderfragen. Queerness von Schwarzen wurde in einer Fotoserie von Zanele Muholi thematisiert. Der nigerianische Fotograf Andrew Esiebo wiederum dokumentierte die urbane Entwicklung Nigerias anhand aussagekräftiger Fotos zum zeitgenössischen Umgang mit Sexualität, Religion und Migration. Diese Ausstellung fand ein reges Echo in einer Radiodiskussion, in der das Thema Homosexualität kontrovers diskutiert wurde; am 31.5. wurde sie nach Angriffen fundamentalistischer Islamisten auf staatliche Weisung geschlossen.

Gewisse Off-Räume überzeugten mit Projekten zur Environmental Art wie etwa auf dem Gelände der Universität Dakar, wo alte Bäume und andere Pflanzen ebenso als Kunstwerke präsentiert werden wie Arbeiten aus Naturmaterialien. Diesem Anliegen korrespondierte entfernt eine Nebenausstellung im Musée de Dakar zu Fragen von Müll und Recycling, in der deutlich gemacht wurde, dass man bloß zu traditionellen Techniken und Objekten zurückkehren müsse, um das allgegenwärtige Plastikproblem zu beheben.

Andere Off-Spaces widmeten älteren senegalesischen Künstlern Einzelausstellungen, wie dem bereits auf der documenta ausgestellten «Griot des Lehms», Ousmane Sow, dessen überlebensgroße menschliche Figuren, darunter von Riefenstahls Nuba-Fotografien inspirierte «Noubas», allerdings kaum Fortsetzung in der zeitgenössischen Kunst Senegals zu finden scheinen.         

In der «Fondation Totale» schließlich, einer vom Institut Francais unterstützten kommerziellen Galerie, fanden sich nicht nur ästhetisch anspruchsvolle, digital nachbearbeitete Fotografien in Leuchtkästen von Paul Siak, die ein affirmatives Selbstverständnis von Schwarzen in farbenfroher Überhöhung zur Schau stellen, oder eine Holzhüttenskulptur mit buntfarbigen Plastiksiebfenstern von Cheik Ndiaye, die sicherlich umgehend Käufer fanden. Zum Abschluss gelangte der Off- Parcours unter Nummer 190 mit einer Dokumentation der seit 1947 in Dakar herausgegebenen und nach wie vor lebendigen Zeitschrift Présence Africaine. Zwar hat sie inzwischen ihren anfänglichen Négritude-Sendungsauftrag entscheidend modifiziert; gleichwohl ist sie noch immer das Sprachrohr schlechthin für die Formulierung des Selbstverständnisses von KünstlerInnen und Intellelktuellen aus Afrika.

Frankfurt: Göttliche Komödie

Manches von dem, was frau in der Dak'Art gerne angetroffen hätte, findet sich nun auf heimischem Boden: In der Austellung Die Göttliche Komödie. Himmel, Hölle, Fegefeuer aus Sicht afrikanischer Gegenwartskünstler im Frankfurter Museum für Moderne Kunst (am Main). So etwa die Großzeichnung Fragment von Julie Mehretu (Äthiopien/Berlin) – die ihr zugedachte Wand in der Hauptausstellung der Dak'Art war leer. Oder eine Arbeit des Künstlerduos Mwangi Hutter (Kenya/Ludwigshafen), das in seinem Video-Triptychon In a Pure Land allerdings, wie so viele KünstlerInnen dieser Ausstellung, der Verführung des Dante'schen Themas erliegt und eine bedeutungsschwangere, im Gegensatz zu früheren Arbeiten vom Kontext abgelöste, hauptsächlich durch Größe bestechende Installation fabriziert: Allegorische, sprachunfähige Gestalten in Weiß, Rot und Schwarz sollen gestisch den Konflikt zwischen Wohlstand, Überlebenskampf und Pein in Kenya evozieren. Die Besucherin ist erneut irritiert: Wo in Dakar zu beiläufig präsentiert wurde, wird in Frankfurt zu großformatig und auratisierend geklotzt. Himmel, Hölle, Fegefeuer: Sie regen offensichtlich zu mythisierenden und abstrahierenden Darstellungen in vor allem bildhauerischen und filmischen Großinszenierungen an, die das weitläufige Museum atmosphärisch und mit ebenfalls aufgeblasenen Kommentaren weiter unterstützt. Keine afrikanische Kleinerzählung berichtet vom alltäglichen Fegefeuer, wie es eine Migrantin auf deutschem Boden erleben mag.  

Schon im Bereich des seltsamerweise unten angesiedelten Paradieses finden sich tücherreiche Draperien in den hier allseits wiederkehrenden Signalfarben Weiß, Schwarz und Rot von Pascale Marthine Tayou (Kamerun), die für Krieg, Frieden und Leben stehen wollen. Dieser schematisierende Ansatz zieht sich durch die Ausstellung hindurch und raubt den Setzungen ihren ästhetisch-politischen Biss. Die marokkanische Künstlerin Majida Khattari präsentiert laszive Performancekostüme (Protagonistinnen gaben darin am Eröffnungsabend die im Koran den Märtyrern versprochenen 72 Jungfrauen) vor pornografischen Fotos hinter Gazeschleier, womit sie die «komplexe Situation» von Frauen in muslimischen Gesellschaften «angehen» will. Auf einem Riesengemälde verbindet die senegalesische Künstlerin Pélagie Ghaguidi die Motive Sklaverei und Völkermord mit Symbolen von Schlangen und kosmischen Wesen, wodurch angezeigt werden soll, dass sich Afrika im «Entwurf eines illuminierten Voranschreitens neu erfindet». Ein begehbares Spiegelkabinett von Nabil Boutros (Ägypten) geleitet die BetrachterInnen über einen himmlischen Wolkengrund, wobei goldene Aufschriften «die Tapferen auf ihrem Weg voller Zweifel ermutigen» wollen. Selbst die ausgestellten Fotografien verweisen auf ein numinoses Jenseits, seien es die Wüstenbilder von Jellel Gastelli (Tunesien) oder die verlassenen Landstriche von Guy Tillim aus Johennesburg. Da sehnt sich frau umgehend zum bedeutungsarmen Durcheinander und der betonten Spärlichkeit gewisser Ensembles in Dakar zurück. 

Allein erträglich erscheinen gewisse Positionierungen nicht zufällig im Höllenbereich: So will das vergleichsweise zurückhaltende Tischarrangement der Installation Metha von Wangechi Mutu (Kenya) an den Genozid in Ruanda von 1994 erinnern, wo die Leichen auf derartigen Tischen gestapelt waren. In Berenice Josephine Bickles Videoarbeit tritt Beatrice als mozambikanische Frau auf, die sich mit Lebens- und Todessymbolen umgibt, während Vergil als Kriegsberichterstatter durch eine Stadt in Simbabwe führt. Jems Robert Koko Bis (Elfenbeinküste) geschnitzte Köpfe aus gebranntem Pappelholz evozieren die Höllenfahrt von Bootsmigranten in der ironisch als Convoi Royal bezeichneten Skulptur. Und schließlich gibt ein äthiopischer Frauenkopf das Emblem dieser AussDatellung ab. Wie seine Fotografin Aida Muluneh erklärt, könne er für ganz Afrika stehen, für dessen Wunsch nach westlicher Akzeptanz und sozialem Aufstieg. Und doch irritiert auch diese komödiennahe  Überschreibung ans «andere»: Warum von vornherein den höllischen Wunsch nach Mimikry an die Weißheit signalisieren, anstatt kritisch-konkrete Aneignungen des westlichen Phantasmas anzuregen und vorzustellen? Warum von von vornherein die Möglichkeit einer besonderen kulturellen Setzung hinter der doppelten Maske verbergen? Weil damit im Fegefeuer des westlichen Kunstmarkts besser zu reüssieren ist?