spielfilm

25. Mai 2014

Hasenpastetismus Ein Film für Europa: La voie lactée (1969) von Luis Buñuel

Von Bert Rebhandl

© Serge Silberman

 

Zu Weihnachten des Jahres 498 (das genaue Datum ist allerdings umstritten) ließ sich Chlodwig, Gründer des fränkischen Großreichs, in Reims von Bischof Remigius taufen. Er wurde dadurch zum römischen Katholiken, davor war er Anhänger der Arianer gewesen, einer Gruppe, die Gott und Jesus in der Trinität nicht als gleichwesentlich begreifen wollten. Es war, ich folge hier Michael Borgolte, eine religiöse Entscheidung, die zugleich eine politische war, «gegen den arianischen Partikularismus und für die katholische Universalität, die dem Zusammenhang Europas nachhaltig zugute kam».

An diese Stelle musste ich denken, als ich jetzt Buñuels Milchstraße wieder gesehen habe. Darin wird ja ausführlich über die christliche Theologie räsonniert, allerdings mit der komischen Verfremdung, dass Szenen im heutigen Europa dafür den Kontext bilden. So kann es vorkommen, dass eine Hasenpastete als Beispiel für die beiden Naturen in Jesus dienen muss (die göttliche Natur wäre dann der Hase, die menschliche die Pastete), und das das Personal eines Luxusrestaurants auf dem Land beim Arrangieren der Südfrüchte für ein Bankett sich Gedanken über den Monophysitismus macht, eine korrespondierende Irrlehre (Häresie), die dafür hält, dass Jesus niemals wirklich Mensch, sondern auch in seiner irdischen Erscheinung immer Gott war.

 

© Serge Silberman

 

Der Effekt, auf den Buñuel und der Drehbuchautor Jean-Claude Carriére abzielten, ist simpel: es entsteht der Eindruck eines großen Durcheinanders, zumal sie auch noch Jesus und die «Heilige Jungfrau» auftreten lassen, die in nazarenisch inspirierten Kostümen herumspazieren. Zwei Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela sind die Hauptfiguren einer «spirituellen Komödie», in der Kinder als Schultheater ein Anathema zur Aufführung bringen (eine verfluchende Ausstoßung von Andersmeinenden) und in der ein berühmter gnadentheologischer Disput im Duell ausgefochten wird.

Die Intention des Films ist deutlich religionskritisch, doch könnte man ihn heute, zumal am Tag einer Europawahl, schon ganz anders lesen, nämlich als eine Erfolgsgeschichte: Europa versichert sich darin der Überwindung von Partikularismen und Fundamentalismen, die fast zweitausend Jahre seine Geschichte bestimmt haben. Dass der berühmteste Bericht über den Jakobsweg in Deutschland von einem Komiker stammt, das hat Buñuel schon vorweggenommen, der sich seinerseits auf das episodische Erzählen von Cervantes beziehen konnte, dem ersten großen europäischen Ironiker. Sich in diesen Traditionen zu bewegen, das ist die eigentliche Pilgerschaft des Films.

 

La voie lactée (1969) von Luis Buñuel wird heute, 25. Mai 2014, um 21.00 im Österreichischen Filmmuseum im Rahmen einer Carte Blanche für Peter Konlechner gezeigt. Konlechner war zusammen mit Peter Kubelka Begründer der Institution in Wien, die dieses Jahr ihr 50jähriges Bestehen feiert.