serien 2011

UK-Serien Downton Abbey & Luther

Von Ekkehard Knörer und Simon Rothöhler

© ITV

 

Downton Abbey (ITV 2010)

Während 10 Downing Street in Anspielung auf die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ein neues «Age of Austerity» ausruft (und durch massive Budgetkürzungen auf allen Haushaltsebenen auch gleich selbst implementiert), machen es sich die Briten zu Hause vor dem Fernseher in einer historischen Fiktion gemütlich. Ist es lediglich die nostalgische Sehnsucht nach den übersichtlichen Verhältnissen der Edwardian Era, die ITV im Seriensegment gerade die höchste Einschaltquote seit der Ausstrahlung von Brideshead Revisited (1981) eingebracht hat?

Bis zu zwölf Millionen vorgeblich eskapistisch gestimmte Zuschauer wollten vergangenen Herbst jedenfalls sieben Episoden lang wissen, ob sich nicht doch noch irgendwie ein satisfaktionsfähiger männlicher Erbe für das symbolische wie geldwerte Vermögen des Earl of Grantham finden lässt. Da sich die abenteuerlustige männliche Linie des Hauses ungünstigerweise komplett mit dem Untergang der Titanic verabschiedet hat, besteht die einzig verbliebene Option darin, die älteste Tochter des Hauses konsolidierend nach unten zu verheiraten.

Die Leitfrage, ob sich Lady Mary Crawley (Michelle Dockery) wie ausbaldowert auf eine Ehe mit ihrem bürgerlich-blassen Cousin Matthew (Dan Stevens) einlässt, obwohl sie auch schon Erfahrungen mit der aufopferungsvollen Leidenschaft eines türkischen Diplomaten gesammelt hat («Mr. Pamuk!»), wird als dramatischer Motor von Downton Abbey jedoch umgehend relativiert. Schnell wird klar, dass Julian Fellowes, der unter anderem Robert Altmans Gosford Park (2001) geschrieben hat, ein traditionsreiches Genre bedienen wollte, das, nicht ohne Wohlwollen, von vergangenen Klassenverhältnissen erzählt und in England seit den 70er Jahren mit einer BBC-Serie identifiziert wird: Upstairs, Downstairs (1971-75). Hier lautet die Spielregel: Die herrschende Ordnung mag Masters und Servants verschiedenen Etagen zuweisen – unterm Strich sind sie aber eben doch die meiste Zeit des Tages im selben Haus unterwegs, weshalb sich die Herr-Knecht-Dialektik natürlich auch bestens als Soap Opera durchexerzieren lässt; klassenübergreifender schwuler Sex bei Kerzenschein eingeschlossen.

Zwischen prächtigen Landschaftsaufnahmen (es regnet nie) und hochfrequenten Kostümwechseln (betrifft nur die weibliche Linie) erzeugt die Serie immer wieder einen nicht unangenehmen Unernst gegenüber den eigenen dramatischen Behauptungen und deren Kulissen. Da verpufft viel restaurative Energie, die in der Bebilderung einer genuin gutmütigen adeligen Oberschicht prinzipiell schon drinsteckt. Der Earl hat hier immer sehr fix die Spendierhosen an – etwa wenn es darum geht, in Londoner Luxuskliniken das Augenlicht einer unwirschen irischen Köchin zu retten. Entsprechend haarscharf gleitet die Serie am Aristokraten-Camp entlang; rührend dann aber doch, wie klassische Production Values des britischen Fernsehens – vom sorgfältigen Set Design über geschliffene Dialoge bis zu gravitätischen Theaterschauspielerleistungen, die in tollen Gesichtsausdrücken der Indigniertheit (Maggie Smith!) kulminieren – hier nicht ans offene Messer einer billigen Ironie geliefert werden. In entbehrungsreichen Zeiten wünschen sich die Briten mehrheitlich keine alten zurück, sondern genießen offenbar in erster Linie die gelungene Aktualisierung einer gut abgehangenen televisuellen Erfolgsformel, versammeln sich hinter einem nationalen Kulturprodukt Made in Britain. Man wird den globalen Serienmarkt doch nicht einfach den Amerikanern überlassen wollen. rot

 

 

© BBC

 

Luther (BBC 2010)

John Luther ist ein Polizist aus dem Klischeebilderbuch, eine Charakter-Mixtur, deren Einflüsse man sehr viel eher in der aktuellen Serienproduktion findet als im richtigen Leben. Gleich in der ersten Folge macht ihn eine – freundlich gesagt – unterlassene Hilfeleistung zum halben Vic Mackey, dem Polizisten-Halunken aus The Shield. Fortan sitzt ihm ein Mann, der im Koma liegt, im Genick: Sollte er erwachen und sich erinnern, wäre es mit Luthers Karriere aus und vorbei. Weiter im Alphabet: Die Ermittlungen gehorchen dem Columbo-Prinzip – die Täterin bzw. der Täter sind früh bekannt, das Spannungsmoment liegt in der Überführung. Luther ist außerdem brillant wie Dr. House, dabei kein Zyniker oder Kotzbrocken zwar, aber doch, wie einst Robbie Coltranes allerdings sehr viel weniger attraktiver Fitz, ein für seine Frau nicht mehr auszuhaltender Mann. (Bei aller verbleibenden Liebe.) So ziemlich jede Regel der Polizeiarbeit wirft Luther über den Haufen, stößt sein Team vor den Kopf, steht unter Druck, folgt keiner Methode, sondern seinen Obessionen und Intuitionen. «Sie müssen wissen, dieser Mann ist wie Nitroglyzerin», warnt ein Kollege. Dass eine solche Figur einen plausiblen Serienhelden ergeben soll, scheint bei bloßer Lektüre der Rezeptur undenkbar.

Bis man dann Idris Elba erlebt, den Schauspieler, der als ökonomisch beschlagener Drogendrahtzieher Stringer Bell in The Wire nachhaltigen Eindruck hinterließ. Er ist, wie Dominic West, der Darsteller des McNulty, eigentlich Brite, was man in Luther auch nachdrücklich hört. Stärker noch als in The Wire ist die ungeheure Präsenz der Elba-Figur eine Sache von Intellekt und Körper zugleich; es gelingt Paradoxes: John Luther ist immerzu unter Überdruck und wahrt dabei doch jederzeit und scheinbar mühelos seine Eleganz und auch seine unverschwitzt-virile Sexyness. Der kühnste und erstaunlicherweise perfekt aufgehende Einfall des Drehbuchs ist es, dem Polizisten eine schwer pathologische Elternmörderin als hochgefährlichen Attraktor und potenzielles love und/oder murder interest zur Seite zu stellen. (Umwerfend: Ruth Wilson.)

Die Kritiken und die Quoten der ersten, sechs Folgen umfassenden Staffel übrigens waren bei der Originalausstrahlung in England nicht sonderlich gut. Statt einer zweiten Staffel wird es nun eine Fortsetzung in Gestalt zweier TV-Neunzigminüter geben. Im Rahmen des transatlantischen Serien-Frachtverkehrs wurden die Serie und damit der Ex-US-Serienstar Idris Elba im vergangenen Herbst von BBC America (re)importiert – interessanterweise waren die Kritiken in den US-Medien um Längen besser als bei der Ausstrahlung des Originals. Mit den themsebreiten Plausibilitätslöchern in Ermittlung und Plot, mit dem dezidierten Nicht-Realismus, der Virtuosität der Versatzstück-Balancen kamen die britischen Kritiker, die ihr London, ihre Polizei, ihre Krimi-Tradition nicht wiedererkannten, schlecht zurecht. In den USA dagegen wurde der Serien-Erfinder Neil Cross mit gleich zwei Folgen für den Edgar nominiert und befindet sich damit in der besten Gesellschaft von Breaking Bad-Autor Vince Gilligan. ek