fernsehgeschichte

1. Dezember 2008

A Touch of Class Die englische Sketch Show Litte Britain ist so erfolgreich, dass sie seit kurzem einen US-Ableger auf HBO unterhält. Wirklich stilprägend war jedoch ein Vorläufer des Formats in den 1990er Jahren: The Fast Show. Ein Blick in die Geschichte der BBC-Comedy

Von Simon Rothöhler

Little Britain

© BBC

 

Zu Beginn jeder Episode stets der gleiche Ausruf nationaler Ergriffenheit: «Britain, Britain, Britain», seufzt da ein Sprecher mit merklich erhöhter Temperatur. Es folgen zuverlässig geschichtsverwirrte Präzisierungen im Duktus des edukativen Kulturfernsehens der alten BBC, ergänzt durch eine maßlose Begeisterung für das eigene Land: «Opened by the Queen in 1972, lost in 1974, then found again a few years later hiding under Belgium. […]. Cultural capital of the world. The Sistine Chapel, British. Mozart's Requiem, British. The Great Wall of China, British.» Oder es wird gleich konfessionell: «I love Britain so much that every day I sacrifice a child in honour of it. So thank the Lord, who incidentally is British, for the great things he has brought to this land.» Zum Abschluss dann immer die Frage nach dem Volk, in Form einer großzügig delirierenden Geste, die in den pseudo-soziologischen Teil des Formats überleitet: «But what makes Britain so fandabbydozy? It's the great British public. Ah, push it, push it good. Ah, push it, push it real good.»

Die in Großbritannien weithin bekannte sonore Stimme, die dieses nicht zuletzt queer aus dem Ruder laufende Bildungsfernsehen namens LITTLE BRITAIN eröffnet, gehört Tom Baker, der in DR. WHO von 1974 bis 1981 die vierte Inkarnation des Doktors spielte und einen filmgeschichtlich bislang wenig beachteten Nacktauftritt in Pasolinis I RACCONTI DI CANTERBURRY (1974) hingelegt hat, was karrieretechnisch aber folgenlos blieb. Matt Lucas und David Walliams sind die eigentlichen Protagonisten –  Erfinder, Autoren und Hauptdarsteller – von LITTLE BRITAIN, einer Insel die man niemals betreten möchte, respektive einer Comedy-Serie, die sich aus einer Radiosendung entwickelte und in England so populär ist, dass die dritte Staffel 2007 auf BBC One und zur Prime Time ausgestrahlt wurde. Der Erfolg der Marke überschreitet mittlerweile aber nicht nur Mediengrenzen. Letztes Jahr konfrontierten sich die Figuren im Ableger LITTLE BRITAIN ABROAD erstmals mit den aus insulaner Perspektive erwartungsgemäß skurril-unverständlichen Praktiken, die im kontinentaleuropäischen Ausland vorherrschen. Und seit dem 28. September 2008 läuft auf HBO der amerikanische Spin-off, eine Art Funny Games U.S. mit Kulturauftrag: «Bringing class, culture and dignity to America», lautet die sendungsbewusste Tagline, die den ehemaligen Kolonien ein weiteres Mal den Codex des Empires zu lehren verspricht.

Das britische Original weiß von diesem historisch eigentlich erledigten Universalismus hingegen wenig. Es meidet sämtliche Alliierten, arbeitet strikt isolationistisch und versammelt ein bemerkenswert derangiertes Personal, das über alle Klassen- und Distinktionsgrenzen hinweg den nationalen Volkskörper als kollektiv bewohnbaren Fatsuit wiederauferstehen lässt. Unterschicht und Übergewicht sind in LITTLE BRITAIN eindeutig überrepräsentiert, was Lucas und Walliams den Vorwurf eingetragen hat, sie würden nur die Schwächsten (und Schwersten) ridikülisieren. Die Upper class ist zugegebenermaßen selten im Bild, dann aber auch nicht ganz bei Trost, wie etwa an der Figur des adeligen Snobs Harvey ablesbar ist – ein zurückgebliebener Infant, der, obwohl deutlich im heiratsfähigen Alter, schnell aggressiv wird, falls man ihm die Mutterbrust vorenthält («Bitty now!»). Harveys Verlobter bleibt nur ein entgeisterter Blick, bevor der Schwiegervater in spe ein unheilkündendes «Welcome to the family» in die immer schon besserverdienende Runde schmettert.

Die meisten Sketche kreisen jedoch weniger um inzestuös-degenerierte Formen der Klassenreproduktion, sondern eher um Transsexuelle, die Schnauzbart tragen, sich aber dennoch erstaunt echauffieren, wenn sie im Seebad Brighton als Männer in Frauenklamotten adressiert werden. Oder um idiosynkratische Homosexualität, wie im Fall des schwulen Walisers Daffyd Thomas, der nicht unter Diskriminierung, sondern unter der ihm allseits entgegenbrachten permissiven Toleranz leidet, auf die er wahlweise beleidigt («I'm the only gay in the village») oder offen homophob reagiert. Spätestens als der Dorfpriester ihm lüstern «bum fun» in Aussicht stellt, muss sich Latexfetischist Daffyd fragen, ob die Provinz noch der geeignete Ort für schwule Exklusivität ist.

Indignierte Minoritäten, monströse Körper und das öffentliche Genießen sexueller Devianz bilden das ästhetische und politische Zentrum der Serie, die allerdings auch vor wiederholten Zoten über das Altersproblem fortschreitender Inkontinenz nicht halt macht und einen tyrannischen Schein-Behinderten zu ihren Protagonisten zählt, der seinen irrsinnig gutmütigen Zivildiener in den Wahnsinn treibt. Nicht zu vergessen die betagte Konservative Judy Pick, die sich in altruistischem Überschwang für die Wohlfahrt engagiert, aber einen Vomitus in Fontänenform auf Umstehende richtet, sobald sie etwas verspeist, das von einem Ausländer zubereitet worden ist. Der Körper lügt nicht: Ein schwallartiger Rassismus, der direkt in der Speiseröhre sitzt. Parallel dazu werden routiniert letzte Gefechte um die Spezifik bedrohter «Englishness» geführt. Man mokiert sich gemäß der englischen Wetterobsession über die klimatisch vermeintlich Benachteiligten («If you want to make holidays and the Arctic is fully booked, why not try Scotland?»). Oder es wird der Eindruck erweckt, dass im äußersten Norden Großbritanniens überwiegend zauselige Schlossbesitzer hausen, die sich mit Zwergen umgeben und hilflos zur Panflöte greifen, wenn sie sich von den Nachfragen der Steuerbehörde kognitiv überfordert fühlen.  

Aus diesem nicht immer redundanzfreien Dickicht aus ausgestellt unkorrekten Kalauern und solidem Komödienhandwerk mag mancher eine queere Politik des Körpers herauslesen, die die Abweichung erst überzeichnet und dann zur Grundlage für weitere gesellschaftliche Verständigung über «Normalität» erklärt. Die polymorph-perverse Fatsuit-Biopolitik wäre dann das angemessene Medium für einen wirklich post-nationalen Diskurs, der selbst die prollige Unterschichtschlampe Vicky Pollard («Don't go giving me evils!») kommunikativ inkludiert. Kann aber auch sein, dass es einfach nur darum geht, einen äußerst korpulenten Schauspieler, der eine landesweit bekannte Gay-Ikone ist (Matt Lucas), in einen unverhältnismäßig engen, pinkfarbenen Jogginganzug zu stecken und in Fettleibigkeit erstarrte Breakdance-Bewegungen aufführen zu lassen.

 

The Fast Show

© BBC

 

LITTLE BRITAIN wird zwar gelegentlich mit der Monty-Python-Tradition in Verbindung gebracht. Formatgenealogisch zutreffender ist aber vermutlich der Hinweis auf die in Großbritannien nicht minder legendäre THE FAST SHOW, die von 1994 bis 1997 von der BBC produziert wurde. Vom Genre her ebenfalls eine «character-based sketch-show», brachte die von Paul Whitehouse und Charlie Higson geschriebene Comedy-Serie eine Reihe von Typen und Redewendungen hervor, die zum popkulturellen Nationalheiligtum der britischen Fernsehgeschichte zählen. Selbstverschuldeten Überforderungssituationen, die die Begrenztheit des eigenen intellektuellen Horizonts auf sozialer Bühne peinlich offenbar werden lassen, entkommt man seitdem mit einem dahin gemurmelten «I'll get me coat», während sich unangenehme oder einfach nur langweilige Gespräche mit einem kontextfreien «Anyone fancy a pint?» abkürzen lassen (notfalls auch auf französisch).

Insbesondere der geniale Paul Whitehouse zieht in den drei Staffeln alle denkbaren parodistischen Register: Von Unlucky Alf, der eigentlich jede mögliche Pechsträhne antizipiert und doch immer wieder von hinterhältigstem Unglück überrascht wird («Oh bugger!») über den kleptomanischen Chris, the crafty Cogney («I'm a little bit waayy, a little bit wooah, a little bit woosh, I'm a geezer, I'll nick anything») und das übermäßig begeisterungsfähige Brilliant Kid, das unter seinem Vater leidet, der stoisch die Gegenthese vertritt, bis zum nostalgischen Fußballkommentator Ron Manager, der seriöse Taktikfragen bevorzugt mit Hinweisen auf das verlorene Sportparadies seiner Kindheit beantwortet («Using jumpers for goal posts») und ein großer Ryan Giggs-Fan ist.

Sie alle leben in einem unglamourösen Post-Thatcher-England, das noch nichts von Blairs «Cool Britannia» weiß. Die Hippness einer globalisierten englischen Popkultur, mit der New Labour sich zumindest anfänglich strategisch geschickt zu assoziieren verstand, ist der nur bedingt exportfähigen FAST SHOW ausgesprochen fremd. Im Gegensatz zu LITTLE BRITAIN interessieren sich Whitehouse und Higson zudem weniger für den letztlich ohnehin nur bedingt subversiven Rekurs auf nationale Stereotype. Forcierter Albernheit sind zwar auch hier kaum Grenzen gesetzt – man denke an die beständig in ihre skeptische Selbstwahrnehmung verstrickte Insecure Woman («Does my bum look big in this?»), Competitive Dad, der nach einer Tennisniederlage gegen seinen zehnjährigen Sohn in tiefe Depressionen fällt oder Rowley Birkin QC (Queens Counsel), dessen allein schon phonetisch unverständliche Geschichten im immergleichen Eingeständnis eigener Amnesie und Unpässlichkeit münden.

Dennoch geht die FAST SHOW hintergründiger und milieuspezifischer vor. Vom gehobenen Herrenausstatter-Duo, das Mühe hat, seine sexuellen Projektionen hinter dem gebotenen Anschein professioneller Noblesse zu verbergen bis zu Lord Ralph Mayhew, der immer wieder aufs Peinlichste und überaus vergeblich versucht, sich mit seinem subordinierten irischen Landarbeiter anzufreunden («Are you interested in French cinema, at all, Ted?»), beziehen die Sketche ihre Dynamik aus Verortungen im sozialen Raum und den darin wirksamen Spannungsbeziehungen.

Die distinktionspolitische Codierung der Klassenverhältnisse ist generell ein bevorzugtes Sujet der BBC-Comedy. Die wunderbar altmodische Serie KEEPING UP APPEARANCES (1990-1995) handelt beispielsweise ausschließlich vom Aufstiegswillen einer Mittelklasse-Hausfrau (Patricia Routledge), die ihre proletarische Herkunft hinter einem so hilflosen wie energischen Willen zur Distinktion verbirgt. Im Grunde ist die Show um einen einzigen Gag herum gebaut – die regelmäßig erfolglosen Bemühungen der resoluten Protagonistin, ihr Umfeld davon zu überzeugen, dass ihr Nachname «Bucket» eigentlich «Bouquet» auszusprechen ist.

Am gründlichsten durchgearbeitet wird die zähe Dialektik zwischen symbolischer Anerkennung und realem gesellschaftlichen Aufstieg in der unübertroffenen 70er Jahre Serie FAWLTY TOWERS, deren erste Folge gleich programmatisch A Touch of Class übertitelt ist. Der von John Cleese gespielte Hotelbesitzer Basil Fawlty ist permanent bereit, für jeden vermeintlichen Lord Melbury die durchgängig nicht-aristokratische Stammkundschaft vor den Kopf zu stoßen. Trotz sorgfältig geplanter «Gourmet Nights», die unter anderem am alkoholsüchtigen Küchenchef des Hauses ihre logistische Grenze finden, wird der ersehnte Klassenwechsel durch die Beharrungskräfte faktischer Verteilungshierarchien und allerhand unüberwindliche feine Unterschiede immer wieder vereitelt. Fawltys Geschäftsgebaren, das rabiat auf eine allgemeine Hebung des Standards abzielt, bleibt von solchen Rückschlägen unbeeindruckt. Seine ökonomisch unvernünftige Strategie offenbart nicht nur ans Pathologische grenzende Minderwertigkeitskomplexe, sondern formuliert nebenbei einen generellen Motivationsrest jeder sozialen Interaktion, von der man sich etwas verspricht: «We've got to attract a better class of person.»

Dieser Text ist erschienen in der österreichischen Zeitschrift kolik.film (Sonderheft 10, Oktober 2008)