modernes ereignis

Platz der Republik

Von Bert Rebhandl

 

Bevor wir noch erfahren, was aus den Revolutionen im arabischen Raum genau wird, wissen wir schon, dass es sich um eine «Blase» handelt, um eine «Jugendblase» genau genommen. Dieser Befund, den Experten von Bernard Haykel bis Gunnar Heinsohn so vertreten, macht aus der politischen Bewegung ein natürliches Phänomen. Demografie schreibt Geschichte. Eine Blase bildet sich unter Druck, sie tendiert nach oben, wo sie platzen muss – und die Frage erst eröffnet, was denn nun den dadurch unvermutet offenen Raum besetzt. Bis sich in Tunesien, Ägypten, Libyen und vielleicht in einigen Wochen auch schon an anderen Orten erwiesen hat, was genau geschehen ist und initiiert wurde, bleibt der Blick auf die Bilder, um genauer einzuschätzen, worum es sich handelt. Die Feuilletons suggerieren lange historische Herleitungen (1848, 1917, 1979, 1989) für Ereignisse, denen zweifellos revolutionäre Momente eignen – aber ist die Ausrufung einer «Republik Tahrir» in Kairo auch schon der Beginn einer neuen Ära in Ägypten? In einem Staat, der ja im Grunde immer noch nachrevolutionär verfasst ist, wofür wir mehr Sinn hätten, wenn mancher frühe Film von Youssef Chahine im Westen bekannter wäre, Modernisierungsmelodramen, in denen in Ansätzen erkennbar wird, worum sich die heutige Generation geprellt sehen muss? In Tunesien wurde eine korrupte Herrscherfamilie aus dem Land geschickt, in Ägypten musste der präsidierende General Mubarak zurücktreten, in Libyen hält sich zu dem Zeitpunkt, da wir das Heft in Druck geben, der «Revolutionsführer» Gaddafi noch irgendwie an seiner Restmacht.

Man kann vorläufig nur revolutionäre Motive sammeln, fast durchweg sind es visuelle, ikonische: das eines befreiten Platzes; das eines startenden (oder, wie in Tunesien in einem wichtigen Moment, eben nicht rechtzeitig startenden) Flugzeugs, das die abdankenden, flüchtenden früheren Machthaber außer Landes bringt; das einer (versäumten) Rücktrittsrede. Revolutionen in Territorialstaaten bedürfen katalytischer Ereignisse, aus deren Kommunikation sich neue Dynamiken ergeben. In Rumänien, dessen später verratene Volksbefreiung durch den Film Videogramme einer Revolution gut nachvollziehbar ist, verliefen die Ereignisse auf Bukarest zu, sie kulminierten in einer (versäumten) Rücktrittsrede Ceausescu und in seiner Flucht vom Dach des ZK-Gebäudes. Der Film 12.08 Östlich von Bukarest von Corneliu Porumboiu thematisiert diesen entscheidenden Moment als denjenigen, in dem aufrührerisches Handeln nicht mehr heldenhaft, sondern opportunistisch ist. Er spitzt damit aber auch das revolutionäre Handeln auf eine eindeutige Option zu, die er selbst dadurch ironisch unterläuft, dass er einen Kader des alten Geheimdienstes zum wichtigsten Akteur der neuen Ordnung werden lässt, eine Figur, die bezeichnenderweise nur als Stimme im Film präsent ist.

Am Beispiel Rumänien lassen sich deutliche Unterschiede zu Ägypten 2011 herausarbeiten – sie betreffen auch den Anteil der Medien. Denn 1989 war noch wesentlich eine Revolution, für die das nationale Fernsehen zugleich Instrument und Forum war. In Ägypten hingegen stand das regierungsnahe nationale Fernsehen in der Konkurrenz des panarabisch-globalen Senders Al Jazeera, der noch dazu ein zweites, englischsprachiges globales Gesicht hat. In Rumänien war die wichtigste Sendeanstalt ein Produktionsmittel, in dessen Besitz man sich zu bringen hatte, um die Revolution zu gewinnen. Zwanzig Jahre später sind die TV-Medien deutlich stärker transnational ausgerichtet, die «Republik Tahrir» unterhält auch via Al Jazeera diplomatische Beziehungen zu der bekämpften Regierung Mubarak. Zugleich muss die junge Demokratiebewegung mit ihren Medien (das Mobiltelefon als Kamera und Sendegerät, also als Kinematograf après la lettre) versuchen, die klassischen Medien vor allem des Fernsehens mitzugestalten – sie speisen, so gut dies geht, ihre Inhalte dort ein (siehe die Bilder rechts). Es spricht aber für die integrative Kraft des Fernsehens, dass ein dramatisch-emotionaler Moment wie der, in dem ein Mann in einer Talkshow weint, dem revolutionären Momentum neue Kraft zuführt, wie dies aus einer Reportage im New Yorker hervorgeht, die für das Publikum im Westen die nicht immer aussagekräftigen Bilder vom Tahrir-Platz im nachhinein mit detaillierten Legenden (Bildunterschriften) versieht.

Dass der alte Präsident Mubarak beide Momente der Sichtbarkeit des absehbaren Endes seines persönlichen wie familiären wie profitklientelischen Regimes verweigert (er lässt die Gelegenheit seines Rücktritts während seiner letzten Rede verstreichen), ist Indiz für die Paradigmen, die hier aufeinander treffen: ein in die Jahre gekommener Revolutionsfunktionär, der einen Offiziersputsch gegen ein ancien régime geerbt und in ein neues ancien régime überführt hat, sieht sich einer Revolution anderer Ordnung gegenüber, die er als (gerade auch medial) diffus genug missversteht, um sich ihr als Repräsentant von Stabilität, als Verkörperung von Ordnung, als Herr über die Leitungen gegenüberzustellen. Aber das nationale Medienregister fällt hinter die Kommunikation zwischen den Graswurzeldispositiven und den Globalkanälen zurück, und so sieht sich Mubarak schließlich gezwungen, in die Unsichtbarkeit abzudanken – die Verweigerung des revolutionären Bildes seiner Ablöse ist das letzte Zeugnis seiner nun verloren gegangenen Handlungsmacht.