labelportrait

Second Run

Von Ekkehard Knörer

 

«Die Ausrichtung war von Anfang an Weltkino», sagt Mehelli Modi, der Gründer und Betreiber des in London ansässigen Labels Second Run. Der Schwerpunkt auf den Klassikern des osteuropäischen Films war nicht von Beginn an geplant, sondern ergab sich. Modi, ein Cinephiler, der zuvor sein Geld in der Musikindustrie verdient hat, entdeckte die Filme des Ungarn Miklós Jancsó und des Tschechen František Vlácil und des Slowaken Juraj Herz. Er stellte fest, dass sie kaum greifbar, ja, dass die existierenden Filmkopien in teils desolatem Zustand waren. Zum Teil leistet Second Run deshalb wichtige Restaurationsarbeit. Grundsätzlich werden alle Second-Run-DVDs neu gemastered und in bestmöglicher Qualität in digitale Formen gebracht, ohne Einengung durch Regionalcodes. Für die Untertitel und Extras gilt dasselbe, auch in Layout und Grafik bestechen die Editionen; die Präzision, mit der Second Run trotz geringen Budgets arbeitet, erkennt man nicht zuletzt an Details wie dem Beharren auf der Angabe des Originaltitels hinter der englischen Übersetzung, in Klammern, aber schriftgrößengleich. «Wir müssen keine Unmengen Geld ausgeben», meint Modi im Interview mit Kieran Corliss, «aber wir müssen ästhetisch korrekte Arbeit abliefern.» Der Stand, heute, fünf Jahre und 55 DVD-Editionen nach der Gründung: Second Run ist ein Nischen-Label mit gewaltigem Renommee. Weltkino, keine Frage, vorwiegend Klassiker, inzwischen wagt man sich aber auch an Werke aus der jüngsten Vergangenheit, mit Ausgaben von Apichatpong Weerasethakuls Blissfully Yoursund TropicalMalady sowie Pia Marais’ Die Unerzogenen.

 

Jerzy Kawalerowicz: Mutter Johanna von den Engeln (Polen 1961)

Unter dem Vorspann zu lateinischem Gebet: Ein Mann als Spreadeagle-Jesus kopfüber auf Holzdielen. Dann geht er, ein Priester, zu den vom Teufel besessenen Nonnen ins Kloster. Der Verdacht liegt nahe, dass Satan eher in der Kamera sitzt, die Einstellung für Einstellung mit irrem Leuchten in ihren Augen den zu Drehkreiseln und Ornamenten der verschworenen Kleingruppe komponierten Besessenen folgt. Der Katholizismus blickt als verteufelt attraktives Schizo-Syndrom aus der Wäsche.

František Vlácil: Marketa Lazarová (Tschechoslowakei 1967)

Schwarzweiße Mittelalterimagination nach dem avantgardistischen Roman von Vladislav Vancura. Verkantete Bildwucht, Kompositionen, in denen das Licht mit dem Schatten ringt. Tierische Menschennatur: die Wölfe im Schnee vergisst man so wenig wie die Pfeile, die Lanzen, die scharfen Schnitte, mit der Mensch auf Mensch prallt, mal abstrakt, mal gewaltig. Ein Lamm muss sterben, die Titelheldin muss leiden, im Jahr 1998, wurder der Film, was man versteht, von Kritikern zum wichtigsten Werk der Filmgeschichte seines Landes gewählt.

Adoor Gopalakrishnan: Elippathayam (Indien 1981)

Sträflich unbekannt ist, einer Retrospektive im Münchner Filmmuseum im vergangenen Jahr zum Trotz, der Filmemacher Adoor Gopalakrishnan aus dem südindischen Bundesstaat Kerala. Er kommt vom Theater, als Regisseur von Bewegtbildern ist er jedoch ein Meister der zuschnappenden Montage, der Verortung von Menschen in wirklichen Räumen, die ebenso gut figurativ zu verstehen sind. Hier erzählt er von einem Haustyrannen, dem die zu Tyrannisierenden ausgehen. Er endet jämmerlich, Gopalakrishnan kennt keine Gnade.