spielfilm

Kleine Kriege Szenen der Übertragung politischer Handlungsmacht: Über Roberto Rossellinis Nachkriegstrilogie

Von Friedrich Balke und Daniel Eschkötter

Germania anno zero (1948)

© Criterion Collection

 

Roberto Rossellinis Roma, città aperta, Paisà und Germania anno zero sind Filme aus dem und vom Kriegsende und Nachkrieg, Filme von Widerstand und Neuordnung, vom Leben unter und mit der Besatzung, Leben in und aus Trümmern. Sie spielen sein «Scheitern vor, korrekter, nach» (Frieda Grafe); sie entwerfen dabei auch, mal im Nebenbei, mal diskursmächtig, Szenen der Übertragung politischer Handlungsmacht.

Mit horizontalen Bewegungen, Phantom Rides durch und Schwenks über die zerstörte Stadt zu den Credits von Germania anno zero, später dann mit den Gängen und Streifzügen von Edmund Köhler, dem im Mittelpunkt des Films stehenden dreizehnjährigen Jungen, zeigen Rossellini und sein Kameramann Robert Juillard das Berlin von 1947, ein Berlin in Trümmern. Mit ihm in Trümmern liegt die nationalsozialistische potestas, jedenfalls so weit sie sich in bestimmten weithin sichtbaren institutionellen Formen verkörpert – aber als zertrümmerte hat sie doch nicht aufgehört, eine spezifische soziale Wirksamkeit auszuüben. Denn so wenig wie die vormalige architektonische und politische Struktur spurlos verschwunden ist, so wenig hat sich die durch sie repräsentierte und ermöglichte Handlungsmacht unter der Verwaltung der Alliierten vollständig aufgelöst. Sie hat sich vielmehr von jener Struktur abgelöst, ist übergegangen auf «primäre Medien», Medien, die scheinbar ohne technische und institutionelle Infrastruktur auskommen. Von den symbolischen Formen und medialen Prozessen, die die Wirksamkeit einer Souveränität in Trümmern organisieren, handelt Rossellinis Film. Wie zuvor auch paisà (1946) (vor allem in der Neapel-Episode, die zu einem guten Teil darin besteht, dass ein betrunkener schwarzer GI mit einem neapolitanischen Jungen auf einem Trümmerhaufen sitzt und fabuliert – siehe cargo 06) zeigt germania anno zero ein Leben in Trümmern, eine Landschaft aus «Resten» – angefangen von den großen Organisationen, Staat und Wirtschaft, über die Familie, die Schule, das Leben der Kinder und Jugendlichen, die sich in kleinen Banden organisieren und verbotenen Beschäftigungen, sexuellen ebenso wie kriminellen, nachgehen. Edmund wird eingeführt, als er mit zahlreichen Männern und Frauen gegen einen geringen Lohn Gräber für den nicht abreißenden Strom von Toten aushebt. Im Verlaufe des Films kommt er nicht nur mit Toten und ihren gespenstischen «Resten» in Kontakt. Er wird schließlich selbst zu einem, der über das Leben verfügt und den Tod zufügt.

Was aber kann von einem totalitären Staat übertragen werden, nachdem er im juristischen Sinne aufgehört hat, Subjekt der Souveränität zu sein? Zum Beispiel die Stimme des Führers und all seiner vormaligen Stellvertreter, der Lehrer und Familienoberhäupter, welche die deregulierte Souveränität in den diversen Disziplinarinstitutionen, Schule und Familie, zur Geltung brachten. So legt Rossellini großen Wert darauf, den arbeitslosen Lehrer Henning (den die italienischen Credits als «Il maestro» ausweisen) nicht nur als jemanden darzustellen, der sein faschistisches Ressentiment nur schwer verbirgt und dem jungen Edmund, der ihm auf seinen Streifzügen durch Berlin begegnet, noch einmal die alte staatsrassistische Lektion erteilt. Der Lehrer handelt vielmehr ganz buchstäblich mit der Stimme des toten Führers. Henning verspricht Edmund einen «Ausweg» aus seiner prekären Lage und nutzt diese Lage zugleich aus, indem er sich dem Jungen mit immer massiveren Gesten der Zärtlichkeit sexuell nähert. (Nationalsozialismus – Homosexualität – sexuelle Perversion: diese Konfiguration kennt man auch aus roma, città aperta, mit dem Gestapokommandantenpaar, das tatsächlich Ingrid und Bergmann heißt.) Henning überredet seinen ehemaligen Schüler, eine Schallplatte mit einer Rede Hitlers aus der Endphase des Regimes zu Geld zu machen, und schickt ihn zu diesem Zweck zur Ruine der vormaligen Reichskanzlei. Die zerstörte Zentrale der alten Macht ist bereits zu einem touristischen Anziehungspunkt für Besatzungssoldaten geworden, die sich vor dem mutmaßlichen Platz, «where they burnt the bodies of Hitler and Eva Braun», fotografieren lassen und sich äußerst empfänglich für NS-Devotionalien erweisen. Die Szene erinnert an jene britischen Soldaten in paisà, die in einer längeren Kampfpause ihr Fernglas nicht dazu nutzen, um deutsche und faschistische Heckenschützen oder Widerstandsnester auszumachen, sondern, wie auf einer «Reise in Italien», die kriegerische in eine touristische Aktion und Attraktion überführen. In der zerstörten neuen Reichskanzlei lässt Edmund mithilfe eines Grammophons, das ihm Henning mitgegeben hat, noch einmal die Stimme des toten Führers hören. Die Soldaten auf Souvenirsuche können sich zunächst von ihrer Qualität der technisch konservierten Stimme des Führers überzeugen, der in immer aussichtsloserer militärischer Lage unverdrossen den Endsieg beschreit. Wie ein roter Faden zieht sich das Thema der paraökonomischen Tauschbeziehungen durch den Film; fast sämtliche Akteure sind vor allem damit beschäftigt, «etwas zu organisieren», um das tägliche Überleben zu sichern.

Nationalsozialistische Sendung

Die Schallplattenstimme überträgt die Stimme des Führers zwar nur physisch, und die militärische Realität hat seine Zuversicht längst widerlegt; dennoch entfaltet die Stimme im Film ihre Wirkung nicht nur in der Szene ihrer Vorführung, in der sie als akusmatische Phantomstimme noch einmal den Raum der Reichskanzlei und der Stadt ergreift. Die nationalsozialistische Sendung wird auch dadurch weiterübertragen, dass sie sich anderer Stimmen bemächtigt, etwa eben der eines «mittelmäßigen, untauglichen, dummen, schuppigen, lächerlichen, abgearbeiteten, armen und ohnmächtigen Beamten» – wie Michel Foucault einmal den Inhaber «grotesker», nämlich delegierter souveräner Machtbefugnisse beschrieben hat. Der Lehrer ist ein solcher grotesker Machthaber, der, aus dem Schuldienst entlassen, auf eigene Rechnung seiner Tätigkeit nachgeht und so dafür sorgt, dass er seine Lektion auch außerhalb des institutionellen Rahmens weiterhin erteilen kann. Edmund hatte seinen ehemaligen Lehrer um Rat gefragt, wie er seiner Familie, die kaum noch über etwas Essbares verfügt, helfen könne, zumal der kranke Vater besonderer Pflege bedürfe. Henning beantwortet dies, indem er die nazistisch-sozialdarwinistische Lektion nach dem Ende des Regimes, das ihr institutionelle Wirksamkeit verlieh, mechanisch repetiert: «Angst, dass Papa stirbt! Schau die Natur an: die Schwachen werden vernichtet, damit die Starken bleiben. Man muss eben den Mut haben, die Schwachen verschwinden zu lassen. Es geht darum, dass wir uns retten».

Die «abstrakte» Lektion Hennings findet ihre Resonanz in den endlosen Klagen von Edmunds Vaters, der die Doktrin des Lehrers in einen konkreten Tötungsappell übersetzt, dem Edmund schließlich folgt. Der «Schwache» autorisiert aus der Position des bereits (im Bett) Liegenden die Handlungsmacht des «Starken», Äußerungssubjekt und -objekt der Lektion Hennings fallen in der Rede des Vaters zusammen: «Ach, jetzt muss ich euch wieder zur Last fallen. Es ist schon ein Elend mit mir. Es wäre besser, ich wäre schon tot. Ich habe schon oft gedacht, ich müsste meinem Leben ein Ende bereiten, aber es fehlt mir wohl der Mut.» Edmunds «Entwicklung», sein Handeln, in dem er die ihm aufgedrängte souveräne Gewalt ausübt und ihren nominellen Inhaber, den Vater, mittels eines ihm verabreichten Giftes dem Tod überantwortet, ist das Ergebnis eines spezifisch diskursiven Vorgangs, in dem zwei in Trümmern liegende Institutionen, die familiale und die schulische, einander in ihrer fatalen Wirksamkeit verstärken.

germania anno zero ist ein Film über die Zeit des Todes und des Tötens als eines parastaatlichen Aktes, über das Übertragen, das Annehmen wie Ablehnen nicht mehr staatlich kodifizierter souveräner Gewalt (Henning etwa leugnet sofort seine Lektion bzw. ihren Verfügungscharakter, nachdem er von der Tat des «Ungeheuers» Edmund erfahren hat). Zugleich präsentiert Germania Anno Zero dieses Problem des von Giorgio Agamben so genannten «fluktuierenden Imperiums», in dem beliebige Individuen wie öffentliche Machtträger agieren bzw. sich zu agieren beauftragt fühlen, als Effekt einer vielfältigen Übertragungsleistung: Übertragungen der Rede durch den Vater (Klage) und den Lehrer (Lektion); die Übertragung der Stimme des vormaligen Führer-Souveräns, verstanden zunächst als Übertragung eines ökonomischen Gutes, in das sich die technisch konservierte Stimme Hitlers verwandelt hat, die auf dem Schwarzmarkt gehandelt werden kann, verstanden aber auch als phonografische Übertragung oder «Sendung» eines Redefragments, das an der alten Wirkungsstätte des «Reichskanzlers» erneut ertönt. Germania Anno Zero erweist sich als ein Film über den Handel mit den Resten eines totalitären Regimes und über die daraus erwachsene residuale Handlungsmacht. Edmunds Suizid am Ende des Films, die zweite ungeheuerliche Tat eines ungeheuerlichen Jungen, ist auch die Unterbrechung jener Kette der Übertragung mörderisch-faschistischer Souveränitätsreste, die in der Geisterstimme Hitlers und im Lehrer Henning ihr Medium fand.

 

roma, città aperta (1945)

© Criterion Collection

 

Freisetzung der Kinder: Roma, città aperta

Schaut man von germania anno zero zurück auf roma, città aperta (1945) und paisà (1946), die beiden anderen Filme der (Nach-)Kriegstrilogie, dann zeigen auch sie sich als Filme, die Haupt- und Staatsaktionen von den Ausmaßen eines Weltkrieges in lauter «kleine Geschichten» oder Episoden zerlegen, in denen sich zwischen die politischen und militärischen Akteure Handlungsträger, Tauschverhältnisse keinen Ort haben. Der Sache nach geht es beiden Filmen um das Verhältnis dieses offiziellen Kriegstheaters, das sich in Kategorien von klaren Frontverläufen und kriegerischen Zusammenstößen entfaltet, zum Kampf der Partisanen, der ja nicht zufällig in den militärwissenschaftlichen Traktaten von jeher als der «kleine Krieg» apostrophiert wird. Dieser Krieg ignoriert die Unterscheidung von Kombattanten und Zivilisten und setzt der totalitären Kriegsführung des faschistischen Deutschlands und seiner italienischen Verbündeten die Handlungsmacht einer Bevölkerung entgegen, die aus der Perspektive des Gestapochefs Bergmann ausschließlich Gegenstand einer «planmäßigen Erfassung» ist, wie er zu Beginn von roma, città aperta in seinem Dienstzimmer vor einer Karte Roms dem römischen Polizeichef erläutert. Neben den konspirierenden Männern kommt daher in Rossellinis Kriegstrilogie eine zentrale Rolle nicht nur Frauen, sondern vor allem auch den Kindern zu, die einem doppelten Ausschluss unterliegen: Während die im politischen Widerstand aktiven Erwachsenen von den deutschen Besatzern als «Verräter» und «Vogelfreie» behandelt werden, mit denen man kurzen Prozess macht, werden die Kinder von der Beteiligung am Kampf ferngehalten. Der Fall der Kinder interessiert Rossellini in roma, città aperta aus dem gleichen Grund, aus dem sie auch in germania anno zero ins Zentrum rücken: Sie mischen sich in das politische Spiel der Erwachsenen ein oder üben eine wie auch immer geartete residuale öffentliche Macht aus, zu der sie aufgrund der konventionellen Vorstellung darüber, was Kinder dürfen und was nicht, am wenigsten geeignet und autorisiert zu sein scheinen. Rossellini entwirft ein Bild der Kindheit, das kulturgeschichtlich jener von Philippe Ariès in seiner Geschichte der Kindheit beschriebenen historischen Phase entspricht, in der das Kind, sobald es sich physisch zurechtfinden konnte, «übergangslos zu den Erwachsenen gezählt» wurde, mit denen es seine «Arbeit und ihre Spiele teilte». Die «alte traditionale Gesellschaft» kehrt in den politischen Ausnahmezuständen des 20. Jahrhunderts zurück. Die Mauern der Schule, die das Kind «in einer Art Quarantäne» halten, «ehe es in die Welt entlassen wird», dieser lange Prozess der «Einsperrung der Kinder, der bis in unsere Tage nicht zum Stillstand kommen sollte», haben bei Rossellini ihre Macht über die Kinder verloren. In roma, città aperta horten die Kinder ohne Wissen der Erwachsenen Sprengstoff und lassen einen Waggon mit Benzin hochgehen; eine erfolgreiche Aktion, die dem Überfall der Erwachsenen auf einen deutschen Gefangenentransport nicht nachsteht. Deleuze hatte vom neorealistischen Kino gesagt, dass es mit Akteuren arbeite, die nicht wirklich begreifen, was ihnen zustößt, weil es sie nur «zur Hälfte angeht», weil sie einem Impuls zu handeln gehorchen, dem kein für die Handelnden durchsichtiges Motiv zugrunde liegt. Weil die Familie, zumal im Krieg, sich nicht mehr in der Weise um das Kind herum organisiert, wie es eine Geschichte der Kindheit für unsere Zeit beschreibt, weil die Erwachsenen mit Kämpfen beschäftigt sind oder mit dem vergeblichen Wiederzusammenfügen einer Familienstruktur, büßt auch hier die Familie ihre «hegende» Wirkung ein und gibt die Elemente, aus denen sie besteht, mehr oder weniger freiwillig für die Bildung von Aktionsgruppen frei. Dass insbesondere das italienische Kino des Kriegsendes und des Nachkriegs (am prominentesten bei De Sica, aber eben auch bei Rossellini) immer wieder den Komplex der Handlungsmacht der Kinder angeht, ist auch selbst ein Effekt dieser Freisetzung.

Auch Don Pietro, der Priester, der mit den Kindern Fußball spielt und in der Rolle einer väterlichen Ersatzautorität agiert, muss sich von ihnen sagen lassen, wann Schluss ist mit dem Spiel, und der Ernst der politischen Aktion, in die er nicht eingeweiht ist, beginnt. Umgekehrt werden die Kinder mit der Rückkehr in die elterlichen Häuser kurzzeitig wieder infantilisiert, scheinen sich vor der elterlichen Tracht Prügel fürs späte Heimkehren mehr zu fürchten als vor Konsequenzen ihrer Bombenanschläge. Ihnen gehört auch die letzte Einstellung von roma, città aperta: Nach der Hinrichtung von Don Pietro vor den Toren der Stadt verlassen sie deprimiert den Schauplatz des Verbrechens. Arm in Arm «marschieren» sie dabei zu auf die offene Stadt, in die offene Zukunft. Vor der Hinrichtung machen sie Don Pietro mit einem Pfeifen auf sich aufmerksam. Dieses Pfeifen ist nicht nur ein Signal an den Pater, ein Zeichen ihrer Nähe und Solidarität; es indiziert auch, dass die Handlungsmacht längst auf sie übertragen wurde.

 

Paisà (1946)

© Criterion Collection

 

Ethnografien im Kriegsende: Paisà

paisà, ein Jahr nach roma, città aperta entstanden, fächert das Agieren und Besorgen im großen Krieg und den kleinen Kriegen auf, geografisch, auch stilistisch. Als erste filmische Entsprechung einer Sammlung von short stories hat André Bazin paisà und seine narrative Technik charakterisiert, mit den knappen, mitunter ambivalent pointierten Enden der Episoden, mit ihren Ellipsen, ihrer Konfrontation von Lakonie und Tragik. Die sechs «Kurzgeschichten», aus denen paisà besteht, vollziehen eine Bewegung von Sizilien, dem Ort der ersten Landung der Alliierten, über Neapel, Rom und Florenz zum Po-Delta. Die Teile werden jeweils durch Wochenschaumaterial über den Gang der offiziellen Kriegshandlungen eingeleitet. Der Krieg ist mit der Landung der Alliierten für die Deutschen auch in Italien verloren, aber er wird sich noch monatelang hinschleppen. Ähnlich wie germania anno zero spielt damit auch paisà in einer Art «Zwischenzeit», in der die Schlacht längst geschlagen ist, aber die Kämpfe weitergehen. Eine Zeit, in der sich der Krieg selbst nur noch mitmacht (was ihm freilich nichts von seiner Grausamkeit nimmt). Und auch in paisà geht es sehr grundsätzlich um Fragen der Übersetzung und Übertragung, des Austausches von Wörtern und Gütern gleichermaßen; um die Grenzen und Verwerfungen dieser prekären Tauschordnung, die zwischen Befreiern und Befreiten besteht; um das sprachliche, überhaupt hermeneutische Problem von Besatzung. In allen Episoden konfrontiert paisà die Kultur der Befreier mit derjenigen der Befreiten und zeigt sich so auch als ein ethnografischer Film, der von beiden Seiten operiert, der Sphären des Gemeinsamen, der Übereinkunft, der Begegnung genauso ausmisst, wie er die Zonen des Missverstehens, der Ungleichheit kartografiert. Er beschreibt die sozialen Mischzustände und Gemengelagen, die Krieg und Besatzung hervorbringen, und verdichtet sie. Im Wechsel folgen die Episoden den Mischverhältnissen in Kriegshandlungen und Widerstandsaktionen und an den Rändern des Kriegsgeschehens, in den Existenzen von Prostituierten, Straßenjungen, Mönchen und ihren Aufeinandertreffen mit Soldaten der Befreier.

Die berühmte Schlussepisode, der sich Bazin in seinem epochalen Text «Der filmische Realismus und die italienische Schule nach der Befreiung» ausführlich widmet, öffnet so exemplarisch wie eindringlich die Abgründe einer Kriegsführung, die «nicht in den Berichten auftaucht» und an deren Ende italienische Partisanen von deutschen Soldaten entweder schlicht aufgehängt oder an Händen und Beinen gefesselt in den Po gestürzt werden, während man den alliierten Kriegsgefangenen Drinks anbietet. Aber die diskreteste, so subtilste wie vielleicht programmatischste Episode des Films spielt abseits von allen Kriegshandlungen in der Zeitkapsel eines Klosters, das zugleich die Synchronie der Ereignisse durchstößt und den Tiefenraum der italienischen Geschichte öffnet. Es ist eine scheinbar marginale, scheinbar dem Krieg und seinen Ordnungen abgewandte Episode an einem marginalen Ort, der vielleicht einzigen stabilen Heterotopie und Institution in der «Zwischenzeit» der drei Filme Rossellinis. Weniger was der Krieg den Akteuren an Leid und Elend zugefügt hat und in welche Konstellationen er sie verwickelt, wird hier zum Gegenstand, sondern vielmehr, welche Auswirkungen er auf eine anachronistisch anmutende Lebensform hat, die hochgradig ritualisiert und vollständig der religiösen Spiritualität verschrieben ist. An den Franziskanermönchen (die vier Jahre später in Francesco, giullare didio nochmal auftreten werden; wie viele der in Paisà Mitwirkenden, stellen sie Variationen und Typen ihrer selbst dar) und ihrem Kloster zieht der Krieg vorbei, ist aber hörbar, erfahrbar auch in der materiellen Not. Zu Beginn der Episode versammeln sich die Mönche zum Gebet, um Gott für die Rettung aus der Gefahr zu danken. Drei amerikanische Militärgeistliche, «Kaplane», wie es heißt, besuchen das Kloster, ein katholischer, ein protestantischer, ein jüdischer – wie in einem Witz. Der Katholik spricht ein wenig Italienisch, die anderen beiden nicht; der Katholik wird von einem professionellen Schauspieler gegeben, die anderen beiden nicht. Sie werden freundlich aufgenommen, nehmen teil am klösterlichen Leben und lassen den Mönchen, die unter dem Mangel an Nahrungsmitteln leiden, ihre reichlich vorhandenen Lebensmittelkonserven zukommen. Besonders der katholische Geistliche begeistert sich für die klösterliche Kultur, ihr Alter und ihre ungebrochene historische Kontinuität. Das Kloster, so erläutert er seinen Kameraden, wurde zu einer Zeit gegründet, als Amerika noch nicht einmal entdeckt, mithin eine «Wildnis» war (sein protestantischer Kollege entgegnet darauf, die Mönche seien hoffentlich «more up to date»); und die Episode untermauert diesen Befund noch, indem sie die Mönche mehrerer vor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung verstorbener Ordensbrüder gedenken lässt.

Als die Mönche erfahren, dass nur einer der drei Soldaten katholischer Seelsorger ist, sind sie entsetzt – und es wird nicht recht klar, ob die Aufregung im Kloster, dass ein Jude unter ihnen ist, sie nun eine besondere spirituelle oder auch eine physische Gefahr fürchten lässt. Ihre Frage an den Rechtgläubigen, warum er seine beiden Kollegen nicht bekehre und so ihre Seelen rette, wird von dem katholischen Militärgeistlichen denkbar nüchtern beantwortet: Weil es Freunde sind, weil ich nicht ihr Richter bin. In der Schlussszene spitzt sich diese Konfrontation einer demokratischen, pragmatisch-pluralistischen Religiosität und einer gleichsam totalitären Glaubensstrenge noch zu und kulminiert in einer ambivalenten Wortergreifung: Während die Mönche das gemeinsame Mahl mit den drei amerikanischen Soldaten, gekocht mit deren Lebensmittelgaben, verweigern und sich dazu entschließen, ihm fastend beizuwohnen, um dabei für die «beiden Seelen» zu beten, erhebt sich der katholische Soldat und hält eine Rede, in der er seine Bewunderung für die Gastfreundschaft, die Einfachheit der mönchischen Lebensführung sowie ihre spirituelle Ruhe ausspricht, ohne mit einem Wort auf die Anmaßung einzugehen, die in dem Wunsch der Mönche liegt, die «ungläubigen» Soldaten zum rechten Glauben zu bekehren. Die italienische Katholizität, die sich in roma, città aperta in widerständiger Allianz mit den Kommunisten arrangiert, kann nicht als dieselbe aus einem Krieg hervorgehen, in dessen Verlauf sie einzig dadurch gerettet werden konnte, dass sich der politische Widerstand mit einer Demokratie verbündete, deren Bürger und Soldaten aus «Gläubigen» und «Ungläubigen» zugleich bestehen. Die Aufteilung zwischen den fastenden Mönchen und denen, die unter ihren Augen essen dürfen, kann daher nicht unwidersprochen bleiben. Der Widerspruch nimmt die Form einer Wortnahme durch den katholischen Militärgeistlichen an, der zugleich zur kämpfenden Truppe gehört und daher nicht nur als Priester spricht. Er hält inne, als er den Löffel zum Mund führt, und wendet sich an die fastenden Mönche. Die kurze Rede, mit der die Episode schließt, verletzt die klösterliche Regel, derzufolge die Mahlzeit schweigend einzunehmen ist. Ihr Inhalt ist zwar reiner Dank, aber die liturgische Formel pax hominibus bonae voluntatis, mit der sie endet, enthält eine kaum versteckte Mahnung: Friede den Menschen, die guten Willens sind. Die Formel ist um das vorausgehende Gloria in excelsis Deo, Ehre sei Gott in der Höhe gekürzt, ihr Bezug ist ausschließlich die terra, die Erde, für die gilt, das auf ihr der Friede nur herzustellen ist, wenn der alte Glaube darauf verzichtet, weiterhin als politische Theologie aufzutreten, die den Glauben an den richtigen Gott als ein Instrument der Unterscheidung von und der Entscheidung über Menschen einsetzt. Wo die weniger oder anders ambivalent katholisch endenden späteren Rossellini-Bergman-Filme ihre Spiritualität gerade in filmischen Ablösungen vom Erdhorizont der Figuren, vom Figurativen überhaupt denken und agieren, ist es hier ein zwar zauderndes, aber doch gewichtiges Wort, das diese Spiritualität gleichsam erdet, auch politisch. Was sich in dieser Predigt, die keine ist, in diesem Tischgebet, das keines ist (in diesem Schlusswort, das keines ist, denn anschließend folgt noch die Partisanenepisode im Po-Delta) in Rossellinis Film artikuliert, ist die Stimme einer demokratischen Spiritualität, einer Spiritualität der Demokratie. Aber ihre Vernehmbarkeit, auch dies weiß paisà, wissen Rossellinis Filme aus dem Nachkrieg, ihre Transmission ist keinesfalls gesichert.

 

Roberto Rossellini’s War Trilogy (Criterion Collection, 3 DVDs, RC-1)