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Not Everything was John Wayne, Baby Zu Spike Lees revisionistischer Geschichtsschreibung The Miracle of St. Anna

Von Simon Rothöhler

© Touchstone Pictures

 

Der Soldat, Angehöriger der US-Militärpolizei, ist schwer betrunken. Er sitzt am helllichten Tag auf einem Schutthaufen in Neapel, einer zerstörten Stadt, deren Bewohner sich am 1. Oktober 1943 noch selbst von den deutschen Besatzern befreien konnten, kurz bevor die Alliierten einmarschierten. Der afroamerikanische MP erzählt einem kleinen italienischen Jungen – der es auf seine Schuhe abgesehen hat – wie er sich seine Rückkehr in die USA vorstellt: Broadwayparade, Bürgermeisterrede, Konfettiregen, jubelnde Menschenmenge. Dann bricht das fabulierte Coming Home plötzlich in sich zusammen: Kein Rausch kann verdrängen, dass ein Teil der Befreier Europas als Bürger zweiter Klasse in ihr eigenes Land zurückkehren werden.

Die Szene stammt aus der zweiten Episode von Roberto Rossellinis Paisà (1946), einem Film, der eine territoriale Befreiungsbewegung nachzeichnet und dabei en passant die ethnischen, religiösen, klassenpolitischen Differenzen innerhalb der US-Streitkräfte registriert. Rossellinis aufmerksamer Blick für Momente, in denen sich die gesellschaftlichen Konflikte Amerikas innerhalb des Armeekollektivs manifestieren, ist einem sturen WW II-Epos wie der Darryl F. Zanuck-Produktion The Longest Day (1962) weitestgehend verstellt. «We served our country too», lautet der Satz, mit dem Spike Lee seine revisionistische Geschichtsschreibung The Miracle at St. Anna (2008) eröffnet – er gilt dem von John Wayne angeführten weißen Cast von The Longest Day, der zu Beginn von Lees Films auf einem Fernsehschirm in Harlem läuft.

Es hätte dieser expliziten Geste nicht bedurft, um The Miracle at St. Anna als repräsentationspolitische Intervention zu markieren – gerichtet gegen eine fortdauernde filmgeschichtliche wie memorialkulturelle Exklusion. Die Rhetorik des «white man’s war», wie es einmal im Film heißt, hat sich im Lauf der Jahrzehnte immer weiter konsolidiert; schwarze Soldaten als amerikanische Filmhelden der anti-faschistischen Kämpfe der 1940er Jahre gibt es bis heute kaum. Spike Lees Kommentar zu Clint Eastwoods Diptychon Flags of our Fathers / Letters from Iwo Jima (2006) fiel entsprechend aus: «He did two films about Iwo Jima back to back and there was not one black soldier in both of those films.» Als Eastwood in einem Guardian-Interview darauf grenzwertig rustikal entgegnete «A guy like that should shut his face», ging die Auseinandersetzung in die nächste Runde. Lee zeigte sich über die Wortwahl seines Kontrahenten irritiert («We are not on a plantation») und Geschichtsfragen konservativen Altmeister auch über den Beitrag afroamerikanischer Soldaten bei der Eroberung von Iwo Jima: «I know the history of Hollywood and its omission of the one million African-American men and women who contributed to World War II. Not everything was John Wayne, baby.»

The Miracle at St. Anna erzählt die Italien-Kampagne, die am 10. Juli 1943 mit der Invasion Siziliens begann, aus Sicht der 92nd Infantry Division, einer segregierten Einheit, die sich überwiegend aus Afroamerikanern zusammensetzte. Lee macht die «Buffalo Soldiers» – diese inoffizielle und positiv angeeignete Zuschreibung verdankt sich amerikanischen Ureinwohnern, die im 19. Jahrhundert schwarze Kavalleristen so zu nennen pflegten – zu Helden, die keine Sekunde vergessen, dass hinter und vor ihnen eine Heimatfront liegt, die sich nicht zuletzt in den Armee-Hierarchien spiegelt. Die weißen Vorgesetzten fordern einen Gehorsam, der jenseits militärischer Konventionen liegt und unzweideutig rassistisch codiert ist. Dass ein schwarzes Soldatenleben hier weniger gilt als ein weißes, ist kein Geheimnis, sondern offen artikuliertes strategisches Kalkül: Kanonenfutter.

Büffelsoldaten statt Basterds

Plakativ und didaktisch ist dieser zugegebenermaßen ästhetisch inkohärente Film genannt worden, der in den USA lediglich ein Viertel seines Produktionsbudgets von 45 Millionen Dollar einspielte und in Ländern wie Deutschland oder Großbritannien erst gar nicht in die Kinos kam. Filme mit afroamerikanischem Cast müssen offenbar nach wie vor depravierte Verhältnisse dramatisieren und schwarze Klischees ventilieren, um an der Kinokasse zu reüssieren – Lee Daniels schwer erträgliches Sozialdrama Precious (2009) ist der jüngste Beleg für die auf diesen Film gemünzte These des New Yorker Kritikers Armond White: «Black pathology sells».

Es lohnt sich nicht nur im Kontext des verschiedentlich befürchteten Obama Backlashs dennoch, Spike Lees Geschichtsstunde auf DVD nachzuholen, auch wenn der Film weder den Drive von Inside Man (2006) noch die polemische Prägnanz von Bamboozled (2000) hat und als politisches Manifest Lees herausragenden dokumentarischen Arbeiten When the Levees Broke: A Requiem in Four Acts (2006, eine New Orleans Oral History post-Katrina) und 4 Little Girls (1997, über das 16th Street Baptist Church Bombing durch Mitglieder des Ku Klux Klans in Birmingham 1963) nicht ebenbürtig ist.

The Miracle at St. Anna konstruiert sein historisches Narrativ über den Umweg einer kriminaljournalistisch motivierten Rückblende aus dem Jahr 1983, legt also Wert darauf, dass viel (US-Nachkriegs-)Zeit vergehen musste, um die Geschichte der Buffalo Soldiers aufschreibbar werden zu lassen. Der Veteran, der sie erzählt, ist selbst puertoricanischer Abstammung und berichtet im Kern von den militärstrategischen wie zwischenmenschlichen Ereignissen in einem toskanischen Dorf, in das sich die schwarzen US-Soldaten, nachdem sie die deutsche Verteidigungslinie heimlich (und ohne Rückendeckung ihrer weißen Offiziere) durchbrochen hatten, zurückzogen.

Neben den Konflikten innerhalb der Buffalo Soldiers, die durchaus uneins darüber sind, ob es sich lohnt, für ein Land zu kämpfen, das sie mit rassistischen Plakaten begrüßt (Italien), bzw. als nachrangig zu schützende Soldaten behandelt (USA), widmet Spike Lee seinen Film fast zur Hälfte inneritalienischen Auseinandersetzungen zwischen Partisanen und Faschisten. Wie bei Rossellini ist es die Freundschaft zwischen einem GI und einem kleinen Jungen, der Zeuge eines durch Kollaborationsakte vorbereiteten Massakers deutscher Truppen ist, die eine Verbindung zwischen beiden Handlungssträngen herstellt. Generell entsteht hier aber der Eindruck, dass Lee weniger zwei Manifestationen rechter Politik gezielt aufeinander bezieht, sondern eher zwei filmische Traditionen des Weltkriegfilms ungebremst ineinanderschiebt: einen über die Resistenza und einen über (afro-)amerikanischen Heroismus (auch wenn das Wunder, von dem der Titel spricht, letztlich ausbleibt).

Subtil und differenziert in seiner politischen Durchsage ist The Miracle at St. Anna vor allem deshalb nicht, weil Lee offenkundig einen Film drehen wollte, den es zu einem früheren filmgeschichtlichen Zeitpunkt hätte geben sollen: Ein durchschnittlich budgetiertes Combat Movie, The Longest Day als WW II-B-Movie, mit schwarzem Cast und Sizilien anstelle der Normandie als historischer Kulisse. Diesen Film gibt es jetzt: Realisiert mit (Co-Produktions-)Mitteln der Radiotelevisione Italiana (RAI), ohne ästhetische Sophistication, ohne ironiebewusste Basterds, angemessen humorlos auf einen blinden Fleck Hollywoods zielend.

 

The Miracle at St. Anna (erschienen auf DVD und Blu-ray (RC1) 2009 bei Touchstone/Disney)