filmwissenschaft

Filmzeitschriften ohne Film Über den Sammelband Star Attractions. Twentieth-Century Movie Magazines and Global Fandom

Von Theodor Frisorger

Henrietta Castello arbeitet als Bedienung in Schwab’s Pharmacy, dem Hotspot für aufstrebende Starlets am Sunset Boulevard. Sie ehelicht den mittellosen Statisten Jack, mit dem sie Zwillinge und den (finanziellen) Durchbruch in der Traumfabrik erwartet. Ihre Freizeit verbringt Henrietta mit dem Lesen von Klatschmagazinen und Trivialliteratur. Selbst nach einem Krankenhausaufenthalt ist sie nicht von ihrem Lesefieber kuriert und hält nach ihrer Entbindung kein Neugeborenes, sondern ein abgegriffenes Filmmagazin in den Händen. Doch die Pointe besteht darin, dass Henriettas Traumfabrik eigentlich ein Baumarkt in Indiana ist und sie Filmmagazine liest, ohne sich sonderlich für Film zu interessieren. An Henrietta wiederum, einer relativ belanglosen Nebenfigur, hat Ryan Murphy in seiner neuesten Serie hollywood (2020) genauso wenig Interesse wie an der Wiedergabe straighter Fakten. Stattdessen reimaginiert er das Studiosystem Hollywoods um 1947 als eine Utopie mit queeren / PoC-Figuren. Murphy schreibt filmhistorische Tatsachen um. Ironischerweise adaptiert er aber pedantisch halbseidene Beschreibungen und Gerüchte um Stars, wie sie in Fanmagazinen und der Regenbogenpresse jener Zeit fabriziert worden sind. In hollywoodtritt etwa der junge Rock Hudson als ein schwules Landei mit glatter Haut und milchenem Duft in Erscheinung: «You’re wholesome, you don’t perspire. No pimples. I mean, you smell like milk» heißt es dort sehr eigenwillig. Damit zitiert die Serie sorgsam den Artikel «Rock Hudson: Why He’s No. 1» (1958) der Zeitschrift Look. Die Lektüre von Zeitschriften und ihre fundierte Kenntnis des Star-Gossips haben Ryan Murphy und Henrietta also gemein.

Abseits von hollywoodsind belesene Frauen wie Henrietta und beschriebene Stars wie Rock, und insbesondere deren Verdichtung im Medium der Filmzeitschrift, das Sujet des jüngst erschienenen und von Tamar J. McDonald und Lies Lanckman herausgegebenen Sammelbands Star Attractions. Twentieth-Century Movie Magazines and Global Fandom. Genauer noch, geht es hier um die Gattung des Fanmagazins, welche die Herausgeberinnen, in Referenz auf Anthony Slide, minimal definieren: «A fan magazine was fundamentally a film-and entertainment-related periodical aimed at a general fan, an average member of the moviegoing public who more often than not was female» (S. 1). Fanmagazine müssen als verlängerter Arm der Filmstudios verstanden werden. Gleichwohl strukturell unabhängig, sind sie auf die Zufuhr von neuesten Filmmaterialien und auf den Zugang zu Filmstars durch die Studios angewiesen und entlohnen diese im Gegenzug mit Publicity. Üblicherweise setzt sich ein Fanmagazin aus Filmberichten, glamourösen Bildstrecken und Hintergrundinformationen zu Stars, Ratgeberkolumnen, Annoncen zu Tie-Ins, Comics, Fanbriefen und dem neusten Tratsch zusammen. Abseits des Kinosaals verspricht das Magazin damit eine Erdung und Enthüllung von Filmstars, deren Gefolgschaft sich ihnen, etwa über den Erwerb der im Heft beworbenen Kosmetika, weiter annähern kann. Und so sind in dieser populären Verschränkung von Kino-und Konsumkultur gerade Frauen die primären Adressatinnen des Fanmagazins.

Diese weit zirkulierenden, da erschwinglichen Fanmagazine will Star Attractions nun trotz ihres anrüchigen Informationsgehalts als Diskurse verstanden wissen. Über die im Magazin propagierte Beziehung zwischen Star und Fan und zwischen Kino und Konsum sollen spezifische Rollen, Begehren und Handlungen der Leser*innen zur Disposition gestellt werden. Ein Schwerpunkt des Bandes liegt dabei auf den in Fanmagazinen zum Ausdruck gebrachten Fragen von Klasse und Geschlecht. Damit arbeitet Star Attractions sehr gelungen einer Historisierung des Kinos als soziokultureller Praxis zu, die neben dem Gang ins Kino auch ganz wesentlich die Lektüre von Magazinen einschließt. In üblicher Sammelband-Rhetorik wird dabei eingeräumt, dass die einzelnen Buchbeiträge sich in ihrer zeitlich-geografischen Reichweite, Methodologie und ihren Schlussfolgerungen unterscheiden und auf keinen gemeinsamen Nenner hinauslaufen (sollen).

Diese zwölf Beiträge des Sammelbands sind lose gruppiert: Vorne stehen Studien zum US-amerikanischen Fanmagazin und dessen Repertoire an Formaten im Zentrum. Diskutiert werden hier von Stars wie Bette Davis oder Claudette Colbert verfasste (oder ihnen zumindest zugeschriebene) Ratgeberkolumnen zu Hauswirtschaft, Inneneinrichtung oder Liebesbelangen genauso wie Fanbriefe und deren Absenderinnen oder das Verhältnis zwischen reißerischen Schlagzeilen und gezähmten Artikeln. Demgegenüber eröffnen die darauffolgenden Aufsätze eine globale Perspektive auf die dominante, US-amerikanische Form des Fanmagazins und diskutieren Filmzeitschriften aus Frankreich, Rumänien, Malaysia und Großbritannien. Den Abschluss des Buchs bilden Fallstudien zur medialen Konstruktion von Stars und deren Relation zu ihren Fans. Die Bandbreite reicht von den Sexdiskursen einer immerzu auf Schlafmöbeln drapierten Mae West bis hin zu Kollektivierungs-und Disziplinierungspraxen durch Elvis Monthly gegenüber britischen Anhänger*innen.

Die Zusammenstellung dieser disparaten Beiträge hängt damit zusammen, dass es sich bei Star Attractions um eine Dokumentation ausgewählter Tagungsvorträge an den Universitäten Kent und Gent im Kontext des Forschungsnetzwerks Movies, Magazines and Audiences handelt. Daneben verdankt sich ein Großteil der Beiträge – und das gegenwärtig gestiegene Interesse an historischen Filmmagazinen per se – neuesten Möglichkeiten, die Schmutzwäsche der Stars auch ohne Archivhandschuhe zu waschen: Allen voran die Media History Digital Library (MHDL), welche lizenzfreie Filmzeitschriften digitalisiert und diese über ihre Webseite kostenfrei einsehbar und durchsuchbar macht. Recherchieren kann man hier in über zwei Millionen digitalisierten Seiten (Stand: 2015), die neben US-amerikanischen Fan-und Branchenmagazinen auch einzelne Jahrgänge europäischer Filmzeitschriften wie Cinéa oder Der Kinematograph umfassen. Die Rechercheergebnisse können indes direkt quantifiziert und in Form von Graphen visualisiert werden, um mittels statistischer Analyse großer Textmengen einen Makroblick auf Tendenzen und Trends in Fanmagazinen zu generieren. Dass solche Instrumente der Digital Humanities nicht nur das Korpus an Filmmagazinen, sondern auch das daran gerichtete Erkenntnisinteresse maßgeblich mitgestalten, ist eine Binsenweisheit. Sie bewahrheitet sich auch für Star Attractions.

Im besten Fall resultiert daraus ein Aufsatz wie jener von Lies Lanckman: Methodisch innovativ durchsucht sie die Leserinnenbriefe verschiedener Fanmagazine nach abgedruckten Informationen zu den meist weiblichen Absenderinnen (Name, Wohnort, teilweise die genaue Anschrift) und verifiziert diese über einen Abgleich mit den Daten des United States Census. Damit relativiert sie nicht nur den vielfach geäußerten Vorbehalt, dass diese Fanbriefe von den Redaktionen der Magazine selbst lanciert wurden, sondern konturiert historische Kinogängerinnen mit biografischen Details und Kontexten. Weniger innovativ erscheinen dagegen jene Aufsätze, bei denen man den Eindruck gewinnt, die Autor*innen haben einzelne Namen (z. B. Alla Nazimova) oder Schlagworte (z. B. Pygmalionismus) durch die Suche der MHDL gejagt und die textuellen Ergebnisse – gleichwohl sorgsam – zu Starporträts zusammengetragen. Ein (heiteres) Korrektiv dazu bildet Jonathan Driskells Analyse des malaysischen Magazins Majallah Filem, die auf die Zentralität von Bild-Text-Verhältnissen innerhalb von Filmzeitschriften aufmerksam macht, welche nicht ohne weiteres digital kartografiert werden können. So ist ein zentraler Diskurs in Majallah Filem die propagierte Ebenbürtigkeit von Hollywood und der lokalen Filmindustrie Malaysias. Diese Aussagen werden dabei von Fotografien begleitet, auf denen Rock Hudson (wie wir wissen zwar ein Milchbubi, aber 1,93 m groß) den malaysischen Schauspieler Ibrahim Pendek (1,30 m) auf seinen Schultern trägt. Die textuell in Aussicht gestellte Begegnung der beiden Filmkulturen auf Augenhöhe offenbart sich somit als im Magazin ironisch gebrochenes und mindestens 63 cm großes Missverhältnis.

Mehr noch als die Serie hollywoodtangieren aktuelle Berichte zur Situation von Filmzeitschriften, wie der Redaktionsrücktritt bei den Cahiers du Cinéma oder der durch das Coronavirus bedingte Hiatus des Film Comment, meine Textlektüre und werfen die Frage nach dem im Untertitel des Buchs veranschlagten Begriff der «Twentieth-Century Movie Magazines» auf. Intuitiv denkt man bei dieser Beschreibung doch eher an Cinéthique und Filmkritik als an Cowboy Movie Thrillers und Celebrity Hairdo. Selbstredend weiß man um die ökonomischen, politischen und nicht zuletzt ‹qualitativen»› Unterschiede zwischen derartig ‹kritischen› Filmzeitschriften und den im Sammelband besprochenen Fanmagazinen. Doch werden weder diese Unterschiede noch mögliche medial-ästhetische Gemeinsamkeiten in Star Attractions ausdrücklich adressiert. Etwas verstohlen werden hier Filmzeitschriften des 20. Jahrhunderts mit Fanmagazinen gleichgesetzt und treten in ausschließliche Abgrenzung zu Branchenzeitschriften wie Variety, das übrigens auch ein Cameo in hollywoodhat. Dabei ist dieses Verhältnis keine schlichte Frage der Nomenklatur, sondern birgt reichhaltiges Erkenntnispotenzial: Der luzide Beitrag von Oana-Maria Mazilu verwischt beispielsweise en passant jene intuitiven Grenzlinien zwischen Fanmagazin und einer der Filmkritik verpflichteten Zeitschrift. Das von ihr untersuchte Cinema ist nämlich das einzige (in diesem Fall auch staatseigene) Filmmagazin der Sozialistischen Republik Rumänien (1965–1989) und muss als solches zwangsläufig kritischen (gleichwohl kommunistisch überformten) Filmjournalismus mit Industrie-und Starnachrichten zusammenbringen. Als Beispiel wird die in Cinema vertretene Ablehnung gegenüber Literaturadaptionen und Historienfilmen angeführt, die seinerzeit auch von François Truffaut als «gewisse Tendenz» im französischen Film innerhalb der Cahiers diskreditiert wurde, worauf in Cinema ausdrücklich rekurriert wird.

Apropos Cahiers du Cinéma: Diese tauchen noch in einem weiteren Beitrag prominenter auf, aber in klar antagonistischer Funktion. Geneviève Sellier rekapituliert in einem inspirierten Aufsatz ihre Forschung zu Filmmagazinen und dem populären Kino im Nachkriegsfrankreich. Aufbauend auf Lektüren der Journale Cinémonde und Film complet konstatiert sie unter anderem, dass in populären Zeitschriften ambivalente und polysemantische Männlichkeitskonzepte entworfen wurden (darunter Jean Marais, der Liebhaber von Jean Cocteau), die eine weibliche oder schwule Begehrensartikulation mobilisierten. Dies stelle eine Alternative zu hegemonialen Männlichkeitsbildern, wie etwa dem Lieblingsstar der Cahiers (Humphrey Bogart), dar. Wenn Sellier sich sehr überzeugend für eine durch populäre Fanmagazine kanalisierte «weibliche Cinephilie» (S. 91) ausspricht, lässt sich damit im Anschluss an Star Attractions das Konzept der Cinephilie als solches produktiv perspektivieren: nicht als eine vorgängige Liebe zum Kino, sondern als ein durch Filmzeitschriften und Fanmagazine geschulter Modus der Filmwahrnehmung, -verschriftlichung und -kommentierung.

Damit ist auch eine letzte Frage, nämlich jene nach den medialen Beziehungen zwischen Filmzeitschrift und Film, angesprochen. Die Beiträge aus Star Attractions positionieren das Fanmagazin sehr klar als ein zentrales Element historischer Kinokulturen. In ihren Analysen zu Starimages, Zeitschriftenartikeln, Zirkulationszahlen und deren Interferenzen verzichten sie jedoch weitestgehend auf komplementäre, filmanalytische Zugriffe. Das mag mit der Setzung der Herausgeberinnen zusammenhängen, Fanmagazine nicht als Randerscheinungen (des Films), sondern als eigenständige Primärquellen zu studieren. Innerhalb eines so ausgerichteten Projekts der soziokulturellen Kinogeschichtsschreibung treten die ästhetischen Konfigurationen der Filmerfahrung und die intermedialen Arrangements der Filmzeitschrift, die das bewegte Bild mittels unterschiedlicher Text-und Bildformen aufbereiten, leider in den Hintergrund. Dabei zeigt doch Emily Chow-Kambitschs Beitrag, wie produktiv ein synthetisierender Blick sein kann, der Fanzeitschrift und Filmästhetik zusammendenkt und damit die historischen Möglichkeitsräume nonkonformistischer Filmlektüren innerhalb dieses Medienverbunds beleuchtet.

Insgesamt gelingt es Star Attractions, das Fanmagazin als materielle Filmgeschichtserfahrung in Stellung zu bringen und die darin eingelassenen Vorstellungen von Stars, Fans und deren Positionierung innerhalb filmindustrieller Anordnungen greifbar zu machen. Das zentrale Plädoyer dieses Buchs – Filmzeitschriften als Gegenstände und Zugänge der Filmwissenschaft weiter zu verfolgen – kann nicht unterschätzt werden. Solche Studien müssen das Filmmagazin nun noch stärker als Medienkomplex begreifen und die ästhetischen Transformationen des Films auf den gedruckten Journalseiten präzisieren. Dies demonstriert nicht zuletzt auch hollywood, wenn hier Zeitschriftendiskurse wieder zurück in den Bereich des audiovisuellen Bewegtbildes überführt werden.

 

Tamar Jeffers McDonald & Lies Lanckman (Hg.): Star Attractions: Twentieth-Century Movie Magazines and Global Fandom (University of Iowa Press 2019)