provinzkinos unserer jugendzeit

Universum (Rheydt)

Von Ulla Lenze

Mein erster Kinobesuch fand wohl 1979 statt, denn sofort sehe ich Superman vor mir, der in jenem Jahr ins Kino kam, das enganliegende Leichtathleten-Trikot und das wehende rote Cape. Mir fällt mein drei Jahre älterer Bruder ein, der mich in diesen Film mitnahm, und in meiner Erinnerung entsteht dieses Dreigestirn Superman, mein Bruder und ich – eingebettet in das Universum, so unbescheiden hieß das Provinzkino.

Ich war mit sechs Jahren gerade alt genug für die Altersfreigabe des Films, wobei ich mich, gemessen an dem ungeheuren Eindruck, den er hinterließ, für zu jung halte (bis heute habe ich Träume, in denen ich durch Straßen fliege, auch entfaltet die Idee von geheimer Doppelidentität stets ihren zuverlässigen Reiz). Wir waren damals aus der Innenstadt Mönchengladbachs in einen kleinen Vorort gezogen, der kein Kino hatte, dafür viel Natur. Direkt an unser Haus schloss sich flache niederrheinische Landschaft an, Felder und Wälder, die wir mit den Nachbarskindern zu unserem ausgedehnten Spielplatz machten, ungestört von den Erwachsenen. Die Weite und auch Eigengesetzlichkeit unserer jungen Leben schuf womöglich beste Voraussetzungen für unsere tiefe Aufnahmefähigkeit des außerirdischen Findelkindes, das von seinen Eltern vom Planeten Krypton aus in einer Raumsonde zur Erde geschossen wird, und dort zunächst in einer ähnlichen Provinzlandschaft landet wie wir.

Das Universum befand sich im nächsten Vorort und es schien mit seinem protzigen Namen den logischen Rahmen für Superman zu bilden. Selbst der Standort schien mit dem Film verknüpft; das Kino war in den Fünfzigern direkt in den breitgezogenen Bahnhof gebaut worden, ein Vorbau mit großen Glasfenstern diente als Eingang, links davon befand sich die Empfangshalle mit Durchgangsbereich zu den Gleisen. Das hat vermutlich meinen frühen Eindruck von Kino als Ort von Reise, Bewegung, von Euphorie, aber auch Gefahr initiiert.

Nach der Werbung kauften wir in der Pause Eiskonfekt, dann tauchten wir in eine Welt ein, die unheimlich war, verstörend, auch deshalb, weil hier ein anderer Weltretter und Erlöser als der uns vertraute aus der Sonntagsmesse gezeigt wurde, es gab also Konkurrenz. Ganz einordnen konnte ich das alles damals nicht. Ich erinnere mich an eine gewisse Nachdenklichkeit, als wir anschließend mit dem Bus nach Hause fuhren.

Eine Weile tauchten bei den Jungs um meinen Bruder herum (und auch bei ihm, meine ich jedenfalls) rote Superman-Umhänge auf, man sah sie mit wehenden Capes auf ihren Rädern im Wald, vielleicht aber auch nur an Karneval, vielleicht übertreibt meine Erinnerung hier. Jedenfalls verschmolz dieses Supermanhafte dann mit meinem Bruder und seinen Freunden, und nur in meinen Träumen wagte auch ich, Superman zu sein und zu fliegen.

Noch heute wacht der gelbe Schriftzug Universum über den tristen Bahnhofsvorplatz. Doch 2008 lief hier die letzte Vorstellung, das Kino meldete Insolvenz an.