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Musik/Video Annihilation

Von Daniel Eschkötter

Gelegentlich höre ich die Musik zu Filmen vor, zu Filmen also, die ich erst später sehe. Wenn überhaupt. Kein echtes Äquivalent der (zumindest meiner) Gewohnheit, den Plot von Filmen, Serien vorher aus dem Weg zu räumen, indem man Zusammenfassungen liest; eher eine Wette auf die vielen Synchronisationen, die den Film bei dem, vor dem, nach dem Schauen durchkreuzen. Manche Scores bauen etwa schon akustisch vor, wenn der Film noch in der Postproduktion ist – zu der die Scores ja fast immer gehören. inception, klar  Braaam!», siehe Adrian Daub). Alex Garlands direct-to-Netflix (jedenfalls in Europa) stalker-Mutation annihilation (2018) war auch so ein Fall.

«Can you describe its form?» Das war der erste Satz in einem Trailer, der eine knappe Minute lang konventionell akustisch herumwabert, hier ein Klangzitat, ein Effekt, da eine moody Brücke ohne Ufer und, ja, auch ein Braam!, random «trailer stuff» aus den Klangbibliotheken eben (so Ben Salisbury, zusammen mit Portisheads Geoff Barrow Komponist des Scores) – bis Jennifer Jason Leigh zu Natalie Portman von der Zone spricht, die im Film Shimmer heißt. Direkt darauf eine schnelle synthetische tiefe Tonfolge, 5 Töne vielleicht. Wahwahwahwahwah. Melodie möchte ich, soviel zur Form, das eigentlich nicht nennen, obwohl es natürlich eine ist und «kleine Weise» irgendwie auch treffend wäre. Eher aber: Ein einziger Sound, der aus einigen Tönen besteht (falls es so etwas geben kann). Das also war der Sound zur Auslöschung. Bei vielen im Netz schien diese Tonfolge hängengeblieben zu sein. Im Score von annihilation – im Film selbst natürlich auch – ist dieser Sound isoliert und vielfach kontextualisiert zugleich: Das Stück, in dem sie erscheint, heißt spoilernd «The Alien» und steht fast am Ende.

Das Stück ist klimaktisch schon in dem Sinn, dass hier mit den Scorepattern zuvor gebrochen wird. Davor waren analoge Klänge, viel Waterphone, etwas Chor und Streicher, viel genuin Scoriges, das im isolierten Hören unterartikuliert bleibt, dazu aber auch ein echtes Thema, auch aus wenigen Tönen, mit einer gezupften Gitarre, die mit dem Forscherinnen-Team des Films in die Zone und ins Herz der Finsternis will. Grüße von der Apocalypse der Doors. Und von Crosby, Stills & Nash, deren Helplessly Hoping für die sentimentale Klangfarbe des Films zuständig ist. «The Alien» ist, nunja, anders: wird im Film (im Album nicht, Rechteprobleme nehme ich an) anmoderiert von loopigen Streichern und einer elektronischen Einfügung, «The Mark», einem kurzen Interlude-Stück von Moderat von 2013, und macht elektronisch weiter, mit der kleinen (außerirdischen) Weise als Fluchtpunkt für die (nicht notwendigerweise) feindliche DNA-Übernahme der Zone des Films, für das Titelereignis, das die Spezies kreuzt, ein buntes Wuchern der Flora und Fauna in Gang bringt, den Menschen fragmentiert und in einer neuen Biomasse aufgehen lässt.

Mit dem Stück ist das Ereignis bei Natalie Portmans Biologin angekommen und mit ihr bei einem Spiegelungsvorgang, der nicht nur eine Doppelgängerin im Film, sondern eben auch komplexe akustische mirrorings oder mises en abyme produziert. Aufgabe fürs nächste Mal, das nächste Vor- und Nachhören: Das Hören diesen ‹Anreicherungen› (Michel Chion) oder Spiegelungen – die man auch böser ‹Illustrationen› nennen kann – wieder zu entreißen.