modernes ereignis

12. Juni 2009 Über die Präsidenschaftswahlen in der Islamischen Republik Iran

Letters to the President (2009) | Secret Ballot (2001)

© Petr Lom | Babak Payami

 

Am 12. Juni finden in der Islamischen Republik Iran Präsidentschaftswahlen statt. Nach derzeitigem Stand tritt Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad gegen den vormaligen Ministerpräsidenten Mir Hossein Moussavi und Mohsen Resai an, der von 1981 bis 1997 Oberbefehlshaber der Revolutionsgarden war und als einer der Mitbegründer der libanesischen Hisbollah-Miliz gilt. Inwiefern handelt es sich bei diesem Volksentscheid um eine demokratische Wahl? Wir haben uns zwei Filme angesehen: Babak Payamis Secret Ballot (2001) und der Dokumentarfilm Letters to the President (2009) geben Aufschlüsse über die inneren Grenzen der iranischen Demokratie.

In Secret Ballot (2001) schwebt in der Morgendämmerung eine Holzkiste an einem Fallschirm zu Boden. Sie landet in einem unwirtlichen Landstrich am Meer, und die beiden Soldaten, die sie in ihrem Küstenabschnitt vorfinden, wissen vorerst einmal nichts damit anzufangen. Erst als einige Zeit später eine junge Frau von einem Boot an Land gesetzt wird (sie ist, den Vorschriften der Islamischen Republik entsprechend, vollkommen verschleiert, zieht sich aber gleich einmal die Schuhe und die Socken aus und wischt den Staub von den nackten Füßen), wird die Sache klar: Heute ist Wahltag, die Frau ist die zuständige mobile Wahlbehörde, der Soldat ist dazu angehalten, sie zu den Bewohnern der dünn besiedelten Insel im Persischen Golf zu bringen. Sie ist voll Enthusiasmus, in ihren Augen ist die Stimmabgabe mit allen möglichen Früchten des Fortschritts verbunden – aber der Mann, dem sie eine neue Wasserleitung verspricht, versteht nicht einmal Farsi. Secret Ballot erzählt von den Hindernissen, auf die jede Wahl stößt: Ein formaler Akt, für den man sich durch Lebensalter und nachweisbare Identität qualifiziert, konstituiert das Gemeinwesen als Interessensgemeinschaft, aber der Akt dieser Konstitution funktioniert nur insofern, als persönliche Interessen verallgemeinerbar sind. Secret Ballot zeigt in ebenso konkreter wie allegorischer Form, dass (repräsentative) Demokratie immer schon auf Voraussetzungen ruht, die nicht notwendigerweise demokratisch sind: Wer hat die Kandidaten ausgesucht? Warum dürfen Frauen mit 12 Jahren verheiratet werden, aber erst mit 16 Jahren wählen? Vor allem aber spart Babak Payami so dezidiert den nationalen Kontext der Wahl aus, dass er damit gerade die Aufmerksamkeit darauf lenkt, dass im Iran die Demokratie nicht mit dem Gemeinwesen identisch, sondern der Islamischen Revolution untergeordnet ist. Der klerikale Wächterrat, der über die Auswahl der Kandidaten wacht, steht außerhalb der Ordnung, die er garantiert. Die allegorische Form von Secret Ballot wird zu einem Zeugnis eben dieses Vorbehalts.

Aus einer anderen Perspektive akzentuiert Petr Loms Dokumentarfilm Letters to the President weitere Grenzen der iranischen Demokratie. Die Verehrung, die hier dem Präsidenten Ahmadinedschad vor allem in den ländlichen Regionen entgegenschlägt, findet in der Stimmabgabe nur ein Medium. Der Brief, in dem ganz konkrete Bitten und Anliegen direkt an den formell höchsten Mann im Staat gerichtet werden, ist vielfach noch von einem traditionellen Autoritätsverständnis geprägt, das in dem Präsidenten einen großen Ermöglicher und Wohltäter sieht und nicht so sehr eine Person, die den Institutionen vorsitzt, die eine Verteilung der gesellschaftlichen Güter ohne Ansehen der Person gewährleisten sollen. Der spezifische Populismus Ahmadinedschads unterscheidet sich nicht prinzipiell von den Versprechungen populistischer Politiker in anderen Regionen der Welt, bekommt aber in der Islamischen Republik eine «theologische» Note. Wo die Politik eigentlich zu strukturellem Handeln verpflichtet wäre, setzt der permanent wahlkämpfende Politiker auf Werke der Barmherzigkeit. Was in der europäischen Geschichte die «wundertätigen Könige» waren, ist in der von Konflikten zwischen der klerikalen und der politischen Ebene geprägten Islamischen Republik der «wundertätige ­Präsident», auf den sich viele persönliche Hoffnungen richten, die in der Demokratie schon aus Verfahrensgründen enttäuscht werden müssten.