filmwissenschaft

Dauerhaft ist nur, was in Rhythmen gefaßt ist Zu Raymond Bellours Le corps du cinéma

Von Helmut Färber

Bringing Up Baby (Howard Hawks, 1938)

© RKO Pictures

 

1

Über dies Buch wird ausführlich berichtet, weil es Eigenschaften der wahren Filme wieder ins Bewußtsein bringt, die vergessen waren, und entscheidende sind.

Es soll zuerst der Autor selbst sein Werk anzeigen, das hat eine gute Tradition.

«Dies Buch», schreibt Bellour in seiner programmatischen Vorrede, «sucht besser zu begreifen, was das ist: ein Filmzuschauer, ein Filmzuschauer in seiner Körperlichkeit, und in eins genommen mit der Körperlichkeit des Films.

Zuerst wird ein Vergleich unternommen, der klassisch ist, aber nie recht klar geworden: der Vergleich von Film und Hypnose, jenem rätselhaften Zustand zwischen Wachen, Traum und Schlaf (Teil I, Kapitel 1–4). Verstanden aus der Geschichte der Bilderzeugungsverfahren seit dem späten 18. Jahrhundert (dh Laterna magica und ähnliche Vorrichtungen zum Erzeugen von Projektions- und Schein-Bildern), an welchen die Hypnose teilhat, ergibt sich auf den Film als Hypnose eine dreifache Sicht: Analogie der Verfahren; metapsychologische Interpretation; gegenwärtige Neubewertung der Hypnose, von der neurobiologischen Forschung angeregt.

Es ist der Hauptgedanke dieses Buches, eine Entsprechung anzunehmen zwischen dem Kino-Zustand als einer leichten Hypnose und der Fülle der während der Projektion des Filmes empfundenen Emotionen (Teil II, Kapitel 5–11). Mehr aber als um Emotionen allgemeiner psychischer Natur handelt es sich um jene frühen Emotionen, die Daniel Stern als Vitalitätseffekte bezeichnet hat: die Sinnesreaktionen des Kleinkindes, das pyhsisch und psychisch seine Erfahrung aufbaut, und die zugleich Vorformen des Stiles in der Kunst sind. Diesen Emotionen, stets veränderlich und von neuem ansetzend, scheint das Kino, der Film, der Ort par excellence zu sein – Film, der sich, in den wahren Filmen, als aus Wirklichkeit gebildete Kunst zu verstehen gibt.

Und dann ist diese Körperlichkeit der Hypnose und der Emotionen auch jene der Tiere (Teil III, Kapitel 12–14). Der animalische Anteil im Menschen, in der Bewegung, in der elementarsten körperlichen Erregung. Von den Anfängen seiner Geschichte an hat der Film sich Tierdarstellungen gewidmet. Man sieht es im amerikanischen Film, in dem das Tier, zwischen Pastorale und «wilderness», von größter anthropologischer Bedeutung ist (Kapitel 13, das längste des Buches); in den Werken des modernen europäischen Films ist es mehr eine ontologische Sicht.

 

2

Dieses Buch, ein Buch wie dieses hätte hierzuland nicht gedacht und nicht geschrieben werden können, in München oder Frankfurt/M. oder Leipzig oder Berlin. (Eher vielleicht, anders, in Wien.)

Es konnte nur geschrieben werden – d. h. aus vielfältigen Erlebnissen und Erfahrungen erahnt, im ständigen Begegnen und Wiederbegegnen mit vielem Einzelnen kritisch entwickelt, in Partien erprobend geschrieben und so nach und nach als ein Ganzes realisiert – es konnte nur geschrieben werden, wo die Filmgeschichte als ein Reichtum immer neu gegenwärtig ist und wird, und dies inmitten von allem Jetzigen; wo die Filmwissenschaft aus der Cinephilie entstanden und ihr verbündet geblieben ist; wo an einem Kino am Werktagnachmittag Leute anstehen für einen Mizoguchi, der schon seit mehreren Wochen läuft; wo das Schreiben über Filme von einer langen Tradition des Schreibens über Malerei herkommt –: ein Buch wie dieses konnte nur geschrieben werden in einem Land mit einer Filmkultur, wie im Land Deutschland es sie kaum gegeben hat und jetzt nirgendwo gibt.

 

3

«Was ist der Film?» Daß diese Frage sich gestellt hat und sich stellt, wie nie jetzt eine Frage sich stellte «Was ist Malerei?», «Was ist Musik?» – daß diese Frage sich stellt, eine Antwort gleichsam einfordernd: ein Grund davon mag sein, daß das Erscheinen des Films als einer neuen, unbekannten, unentdeckten Kunstform noch oder fast noch miterlebt worden ist; daß sogleich die Industrie – «nicht Kommunikations-, sondern Kosmetik-, Lügen-Industrie» – diese neue Form fast gänzlich sich angeeignet hat, es also galt im Widerstand dagegen die Möglichkeiten dieser Form, sie erforschend, zu verteidigen, ja erst sie zu entdecken.

«Was ist der Film?» / «Qu’est-ce que le cinéma?»: als in den 50er Jahren André Bazin seiner Sammlung von Filmkritiken und -aufsätzen diesen Titel gab, war der Film, das Kino eine mächtige «halb mythische» Institution inmitten der Lebenswirklichkeit; Bazins Antworten, ganz aus der Wahrnehmung einzelner Filme entwickelt, waren von einer Energie des Anfangs und von Hoffnungen erfüllt, und von der einen: «das Leben selbst, in diesem reinen Spiegel, zu sehen sich gebend als Poesie.»

Jetzt ein halbes Jahrhundert später ist die Frage zu einer veränderten und einer anderen geworden: «Was war der Film?», und «Was hätte werden können mit ihm, was wäre er gewesen?»

Der Film eine gänzlich unverhoffte Möglichkeit: indem durch ihn von neuem sich verbinden konnte, was in der westlichen Kultur durch die Jahrhunderte zuvor mehr und mehr sich voneinander entfernt hatte: philosophisch abstrahierendes Denken der Welt und sinnliches Wahrnehmen der Welt.

Wie es mit dieser Möglichkeit dann gegangen ist, davon handeln Godards Histoire(s).

(Es besteht im übrigen zwischen westlicher Abstraktion und westlichem Kapitalismus ein Zusammenhang; das Produkt davon ist die Digitalisierung als totalitäre Herrschaft.)

«Was ist der Film?» Raymond Bellour in seinem Buch folgt dieser Frage, indem er fragt: «Wie ist der Film? Was ist das, was da geschieht als Film im Kino?» Das heißt es ist, zuerst und zuletzt, der Film als Film im Kino, von welchem dieses Buch handelt. Kein anderer Autor könnte mit mehr Recht und Wissen sich auf diese Frage konzentrieren als Bellour, der über Jahre die Vielfalt all der suchenden, nach Formen und nach Geldmitteln, der umherirrenden elektronisch zahlentechnischen Bild- und Bildkunst-Expeditionen und -Installationen wahrgenommen hat, beschrieben, bedacht, weitergedacht, alles das, was nach dem Kino gekommen ist – diese Studien gesammelt in zwei Bänden L’entre-images (1990, wieder 2002) und L’entre-images 2 (1999).

Der Film als der Film im Kino, im dunklen Saal auf der Leinwand, und mit ihm zusammen die Zuschauer, «in einem Zustand leichter Hypnose», zufällige und einander fremde Gemeinschaft, und Gemeinschaft doch wirklich und körperlich, wie einstmals im antiken Theater, und dies vielleicht ein letztes Mal; denn bei allem, was nach dem Kino kommt, ist die Gemeinschaft zerstreut, und ist versetzt in eine Körperlosigkeit.

Woraus sich ergibt: die Filme der Filmgeschichte, soweit sie erhalten sind, und falls welche davon noch weiter erhalten werden: sobald die Erfahrung jenes körperlich gemeinschaftlichen Erlebens der Filme im Kino verschwunden ist, und auch die Erinnerung daran, sie werden andere Filme geworden sein. Und es werden dann auch ganz andere Filme entstehen, vielmehr: es wird etwas ganz anderes entstehen, vielleicht, oder entsteht schon.

(Filme in einem Filmmuseum, können sein: eine Galerie ausgestopfter Vögel, ein am Himmel vorbeifliegender Vogelschwarm.)

 

4

«Das Buch ist insgesamt von Filmanalysen aus konzipiert»: Analysen von Sequenzen, oder Folgen von Einstellungen. Am stärksten davon im Gedächtnis sind:

Marienbad von Resnais; Tokyo Monogatari von Ozu; Oyusama und Shin heike monogatari von Mizoguchi; The Old Place von Godard / Miéville; Sunrise von Murnau; Toni von Renoir; Ordet von Dreyer; Pickup on South Street von Fuller; Il Messia von Rossellini; Moe no suzaku von Naomi Kawase; Vale abraáo von de Oliveira; Mabuse von Fritz Lang, der, als von Hypnose handelnd und bei Bellours Zuneigung für Lang, eine eigene Stelle einnimmt; Bringing Up Baby von Hawks, hier ist es der Film im ganzen; Duel in the Sun von King Vidor; Umberto D. von de Sica; Au hasard Balthazar von Bresson – über das Ende dieses Films erzählen die letzten Seiten des letzten Kapitels in diesem Buch. Im Epilog-Kapitel The Lady Vanishes von Hitchcock und Café Lumière von Hou Hsiao-hsien. (Zu bemerken, daß die Filme aus Hollywood hier einzelne unter anderen einzelnen sind.)

Diese Analysen, sie finden sich durch das ganze Buch hin, an je verschiedenen Stellen von dessen theoretischem und Gesamtzusammenhang.

Ihnen ist aber gemeinsam – und dies die Singularität dieses Buches – daß sie von Qualitäten, Eigenschaften der Filmen handeln, bis an welche das Schreiben über Filme nur aufs äußerste selten gelangt, die aus dem sich als wissenschaftlich verstehenden ausgeschlossen bleiben – und dabei doch die entscheidendsten sind.

Es ist dies freilich kein Zufall; denn hier handelt es sich um Eigenschaften, die ihrer Mitteilung durch die Sprache die größten

Widerstände entgegensetzen, sich ihr nahezu völlig entziehen, «eigentlich nicht beschreibbar» sind, «proprement indéscriptible» (S. 197).

Bellour versucht es – «diese Worte, die ein wenig verzweifelt die Sache in ihrer Konkretheit zu erfassen versuchen … eine Kraft ohne Namen» (S. 145f.) – und es gelingt ihm, jene Materie und Körperlichkeit und Form der Filme erfahrbar werden zu lassen, an welchen sich entscheidet, ob ein Film ein wahrer Film ist, «vrai film» (S. 122), ob er existiert oder nicht. So nahezu unerreichbar der Sprache sind diese Qualitäten, weil es in ihnen sich um vorsprachliche, gleichsam unterhalb der Sprachlichkeit liegende Qualitäten handelt, «Formen, Figuren, Kräfte, ein Sich- Ereignen von Massen und Licht, Schock der Bewegungen und der Zeit» (S. 122); «im Bildausschnitt gefaßter Schock, in dessen beständiger Neuformulierung die ganze Größe des Kinos liegt» (S. 160, zu Mizoguchis Oyusama).

Es sind Qualitäten, die nicht – nicht! – zeichenhaft sind, es auch nicht werden. Würde der Beschreibende der Versuchung nachgeben, es gar für eine Aufgabe halten, diese vorsprachlichen Qualitäten in die sprachlichen, dh in die Rede des Films hineinzuziehen – er hätte sie schon verloren.

Zu Bellours großartigsten Beschreibungen, Evozierungen gehören jene einer ganz kurzen Stelle in Godard / Miévilles The Old Place (S. 194–197) und jene zu Oyusama von Mizoguchi (S. 249–251 und 254–256); sie gelangen, will es scheinen, bis an die Grenze dessen was möglich ist. Einzig und eben dadurch, daß Bellour bei The Old Place diese Einstellungen von Mohnblumen, die er aufs allersubtilste beschreibt, nicht – nicht! – in einen umgebenden Sinnzusammenhang Rot-Mohnblumen-Blut-rote Fahne auflöst; einzig und eben dadurch, daß er bei Oyusama diese Bewegungen von Kamera und Personen in einem Wald nicht – nicht! – auf Schicksal- Zerbrechlichkeit hin deutet: einzig und eben dadurch, daß er erkennt und zu erkennen gibt, wie diese vorsprachlichen Qualitäten bestehen kraft ihrer Eigenbeständigkeit und eben kraft dieser erst Rede, Erzählung, Gehalt des Filmes hervorbringen und beglaubigen, eben damit rührt Bellour wirklich an das Herz des Films, «le coeur du cinéma».

Es war oder ist die Einzigkeit des Films, nach seiner Möglichkeit sowohl musikalische als auch philosophische Form zu sein. Es sind diese musikalischen Qualitäten – und ohne sie keine philosophischen – von denen es Bellour gelingt, in diesen Passagen seines Buches zu handeln: «Musik, ideales inneres Modell aller Künste» (S. 199), und mit Serge Daney: «die Emotion entsteht aus dem Rhythmus, den verschiedensten Rhythmen, sie agiert wie die Musik, und diese Musik ist die der Einstellungen, «et cette musique est celle des plans» (S. 148). (Der deutsche Begriff «Einstellung» hat seine Verdienste, aber nicht den Klang des französischen «plan».)

Ob es, wie es gelingt, im Schreiben zu erreichen, was «eigentlich nicht beschreibbar» ist, liegt einzig im Sprachvermögen des Autors. Es ist «oft einzig die Wortwahl, die glauben macht» (S. 173). Beschreiben und Charakterisieren müssen dabei in eins sich verbinden, und werden glaubhaft, wenn in ihnen von der Emotion, die der Schreibende beim Sehen des Films empfunden hat und jetzt im Schreiben wiederempfindet, in seinem Schreiben etwas wiedererscheint und es zum Leuchten bringt.

Das ist nicht möglich ohne, wie Bellour es sehr schön, «mit Demut, mit Stolz», benennt und bekennt, «ohne die Dimension der Erfindung im Gedanken (la dimension de fiction de la pensée)» (S. 200). Aber noch weiter, und mehr: ohne das poetische Vermögen in der Sprache.

Der Schreibende hofft sehr wohl, daß seine Darlegung einsichtig sei, prüfbar – und weiß dabei zugleich, daß seine Gegenstände ihm etwas abverlangen: daß, wer von Kunstdingen handelt, dafür mit seiner Person einstehen muß, andernfalls ist sein Tun nicht viel wert. Daß Bellour dies weiß, gibt seinem Buch eine kostbare Eigenschaft hinzu, die der Verletzlichkeit.

Die rhythmisch musikalische Grundbeschaffenheit der wahren Filme, die Bellour mit seinen Analysen, oder doch besser: Evozierungen neu ins Bewußtsein bringt – die Cineasten und ihre Verbündeten haben stets davon gewußt. Wohl erst die Filmwissenschaft, nach und nach sich formierend, hat sie weggedrängt, oder verloren: des «Eigentlich nicht beschreibbar» wegen und weil sie, ganz an Linguistik/Semiotik sich orientierend, nur sehen und zulassen konnte oder wollte, was zeichenartig war. Damit hat es nun, durch dies Buch, ein Ende.

So ist die rhythmisch musikalische Grundbeschaffenheit der wahren Filme am ehesten mitgegenwärtig, miterinnert geblieben in jenem kritischen, erzählend philosophisch beweglichen Schreiben über Filme, für welches bei Bellour Serge Daney steht, der deshalb auch zu mancher intrikat theoretischen Darlegung das treffend klärende Schlußwort beitragen kann (S. 147f., S. 176f.).

 

5

Bellours Gesamt- und Idealkonstruktion ist etwa die folgende:

jenem Zustand einer leichten Hypnose, wie die Kino-Situation ihn von sich aus vorgibt, jenem Durchlässigwerden, beim Zuschauer, der Grenze zwischen Bewußtem und Unbewußten – ihm entsprechen jene vorsprachlichen Qualitäten des Films, die, eigenständig gegenüber den sprachlichen, doch zugleich diese erst bilden und hervorbringen, aus welchem Zusammenwirken das besondere emotionale Filmerleben entsteht, in jener, nach Daniel Stern, spezifisch ungeschiedenen, körperlich psychischen Erfahrungsweise, mit welcher der Film von den anderen Künsten verschieden ist. Es ist dieser Weg oder Umweg, auf welchem Bellour dahin gelangt, die rhythmisch musikalische Konstitution der wahren Filme neu zu erkennen.

(Beiseite gesprochen: diese Konstruktion erweist sich auch als eine Konstruktion recht genau dessen, was Eisenstein, der bei Bellour ausgeschlossen bleibt, immer von neuem als die «emotional-intellektuelle» Wirkungsweise des Films beschworen hat.)

Daraus ergibt sich nun in Bellours Buch eine irritierende Merkwürdigkeit: die Existenz des Films ist verlegt in das, was dieser im Betrachter erweckt, das heißt daß durchgängig die Phänomene «Film» und «Filmwirkung» gegeneinander oszillieren.

Nun versteht es sich, daß niemand von einem Werk anderes mitzuteilen vermag, als was er selbst davon wahrgenommen und so das Werk in ihm hervorgebracht hat. Gegenstand aber aller Betrachtung und Kritik bleibt dabei das Werk, der Film selbst, ist nicht dessen Wirkung; denn wie jedes künstlerische Werk hat der Film seine Existenz unabhängig von jeglicher Wirkung. Zu erinnern das Mahnwort Walter Benjamins: «Kein Gedicht gilt dem Leser, kein Bild dem Beschauer, keine Symphonie der Hörerschaft.»

Auch jene rhythmisch musikalische Grundkonstitution, die nur den wahren Filmen eignet, entsteht nicht in deren Zusammenwirken mit leichter Hypnose und ungeschiedener ganzheitlicher Wahrnehmung: sie eignet, vor allem Wahrgenommenwerden, den Filmen selbst.

 

6

Noch einmal: «Was ist der Film?»

Aus dem Zurückerinnern an die vielen Versuche, zu dieser Frage die richtige, die gültigste Antwort zu finden, können zwei Eindrücke sich bilden.

Zum einen: daß es stets weitergewirkt habe, wenn von bestimmten Filmen aus bedacht wurde, was insgesamt der Film vermag, ihm möglich, von ihm zu erhoffen, zu erwarten, also zu fordern ist – wenn da eine Vision war: wie in den Schriften der sowjetischen und insgesamt der Avantgarde nach dem Ersten Weltkrieg, auf andere Weise nach 1945 bei Bazin, wieder anders in der Nouvelle Vague, im New American Cinema.

Zum anderen: daß die Versuche, alle die Filme die es gegeben hat und gibt, in Kategorien zu ordnen, aus ihnen ein geschichtlich Ganzes zu bilden, zuletzt nichts erbracht hätten – nicht als Gedankenbau, nichts für ein besseres Verständnis der je konkreten Filme selbst. Und es konnte anders nicht kommen: denn mit solchem Unternehmen ist die Eigenart der Filme, samit ihrer eigenen Geschichte in der Geschichte, von Grund an verfehlt; die Masse ihrer Geschichte hat keinen gesetzmäßigen Zusammenhang, das Ganze keine Einheit. Es gibt für die Filme keine Hegelsche Ästhetik. Die Gründe liegen zutage. «Das Ganze ist das Unwahre.» Das einzige nicht verfehlte Unternehmen sind die Histoire(s) von Godard.

Auch das, was in den beiden Filmbüchern von Deleuze an Treffendem zu einzelnen Filmen und Œuvres gesagt ist, dankt den Klassifikationen nichts oder wenig, und der Doppelbegriff und -gedanke «Bewegungs-Bild /Zeit-Bild» ist ähnlich wie «naiv/sentimentalisch» von jener paradoxen Beschaffenheit, daß ihm sein höchster Erkenntnisgehalt eignet in der Form aphoristischer Pointierung, als Impuls, wonach er, mit zunehmender Menge beigebrachter Belege und Beweise, eher abnimmt.

Die von Bellour evozierten Filme bleiben einzeln für sich, und sind evoziert ja sehr bedacht fast immer nur aus kurzen Sequenzen – Filme, vergegenwärtigt, anwesend abwesend, den Wunsch weckend, sie wiederzusehen. Ihnen allen gemeinsam aber, daß sie als Filme im Kino erinnert werden; und daß sie mitwirken an der Elegie, die dieses Buch auch ist.

 

Raymond Bellour: Le Corps du cinéma. Hypnoses, émotions, animalités, P.O.L. 2009 | Aus Vorabdrucken sind ins Deutsche übersetzt worden: Kapitel 2 in Gertrud Koch (Hg.) … kraft der Illusionen, München: Fink 2006; Kapitel 4 in: Ludwig Nagl u. a. (Hg.) Film denken, Film thinking, Synema 2004; Kapitel 5 und 6 in M. Brütsch u. a. (Hg.) Kinogefühle. Fiktionalität und Film (Schüren 2005) | Die beiden definitiven Aufsätze zur Filmanalyse, «Der unauffindbare Text» (1975) und «Die Analyse in Flammen» (1985) deutsch in: montage/av. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation (Schüren) Nummer 8/1/1999

Keines der Bücher von Bellour ist bisher in deutscher Ausgabe erschienen