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Explodierende Träume Zwischenbilanz einer Karriere: Tom Tykwers The International

Von Bert Rebhandl

The International

© Sony Pictures

 

Wenn ein Killer einen Auftraggeber treffen muss, findet die Begegnung fast immer an einem öffentlichen Ort statt. Warum das so sein muss, ist nicht schwer zu durchschauen. Der gekaufte Anschlag auf ein Menschenleben, der Tod aus dem Hinterhalt professionalisierter Anonymität, soll zumindest in seiner Anbahnung etwas von der Zufälligkeit erkennen lassen, die dem Vollzug nicht mehr eignen wird, weil das Opfer dann schon Objekt langwieriger Vorbereitungen und umsichtiger Einkreisung geworden ist. So sitzen also in vielen Filmen zwei ­Männer auf einer Parkbank, schauen auf irgendeine Skyline oder das Meer, und tauschen die notwendigen Informationen aus.

In The International, Tom Tykwers neuem Film, gibt es eine ebenso geringfügige wie spektakuläre Verschiebung dieser Situation. Der «consultant», der hier von der Luxemburger Bank IBBC mit einem Mord beauftragt wird, trifft seinen Mittelsmann zweimal an einem Ort der Kunst. Das erste Gespräch in der Alten Nationalgalerie in Berlin nimmt einen professionellen Verlauf, die philosophischen Zwischentöne sind wohlfeile Zulage, das Werk eines alten Meisters ist Ewigkeitshintergrund. Die zweite Begegnung im weltberühmten Guggenheim Museum am Central Park in New York aber wird drastisch gestört. Der Killer und sein Mittelsmann sind nicht mehr allein, zwischen die gemächlich über die berühmten Rotunden schlendernden Menschen haben sich auch drei Polizisten gemischt, und bald geben sich auch noch eine ganze Reihe von Schergen mit Schnellfeuerwaffen als Beteiligte zu erkennen. Das diskrete Stelldichein endet in einem Feuergefecht, in dessen Verlauf nicht nur wichtige ­Personen der Handlung zu Tode kommen, sondern auch eine ganze Reihe prominenter Videokunstwerke zerschossen wird.

In der Inbrunst, mit der Tom Tykwer hier zum Beispiel Julian Rosefeldts Installation Stunned Men in Trümmer legt, kehrt sich das Verhältnis zwischen ­Bildender Kunst und Kino aus den vergangenen ­Jahren um. Es ist nun nicht mehr länger das populäre Medium, das mit seinen Erzählungen und Genreformen die Gegenstände für künstlerische Bearbeitung abgibt. Die Kunst ist hier das zerbrechliche Medium, das in den Machinationen eines internationalen Thrillers zu Schanden geht.

Im Werk von Tom Tykwer, dessen ganze Karriere sich zunehmend als groß­angelegter Übertragungsversuch persönlicher Cinephilie in die Formate des internationalen Mainstreamkinos begreifen lässt, ist dieser «showcase shootout» eine Schlüssel­szene. Er zeugt von einer Kompetenz der mise en scène, die anonym geworden ist. Die Sequenz könnte direkt vom ­Reißbrett übernommen worden sein, so konsequent entspricht sie den Vorgaben aus verwandten Filmen. Rund um einen Moment der Stasis, in dem die Opponenten einander kurz in die Augen sehen, entfesselt Tykwer eine chaotische Auseinandersetzung, in der noch die Zwischenschnitte auf eine hysterisch zitternde asiatische Frau und (als «comic relief») auf einen Jungen, dessen Mobiltelefon im falschen Moment und mit einem unpassend passenden Rufton läutet, standardisiert sind. Der individuelle Gestaltungswille, den der Regisseur ­Tykwer bezeugt, äußert sich allenfalls in der Wahl des Schauplatzes und in der Auswahl der Videokunst, die mit ihren Screens attraktive Achsen zwischen die Bahnen der Projektile wirft.

Das Guggenheim Museum, das im Studio Babelsberg nachgebaut wurde, ist eine «landmark location» und erinnert gleichzeitig als aufwendige Kulisse an eine Zeit, in der das deutsche Kino ein Studio­system war. Tom Tykwer ist nun aber gerade nicht ein neuer Fritz Lang, der nach einer sehr erfolgreichen nationalen Karriere eine amerikanische folgen lässt (Hitlers Machtergreifung, wäre dieser Gedanke nicht prinzipiell unzulässig, erwiese sich mit Blick auf Langs spätere Filme ein einziges Mal als List der Vernunft). Tykwers Weg verläuft vielmehr vom Autorenkino klassischen (also auch: nationalen) Typs in ein internationales Koproduktions- und Patchwork-Kino, für das The International ein beispiel­haftes Produkt ist. Der Interpol-Agent Louis Salinger (Clive Owen), der hier nahezu im Alleingang gegen eine internationale Bank mit Sitz in ­Luxemburg und Geschäftskontakten zu italienischen und türkischen Waffenhändlern antritt, hetzt «ex machina» von Schauplatz zu Schauplatz (Berlin, ­Mailand, New York, Istanbul), verliert dabei aber zunehmend den Bezugsrahmen des Gesetzes. Er begreift, dass sich das Recht in einer inter­nationalen Welt der Korruption und des Arrangements nicht mit legalen Mitteln allein durchsetzen lässt. Salinger muss ein «rogue agent» werden, ein Mann zwischen den Systemen, ein Denker, der bereit ist, zur Waffe zu greifen.

Der Riss, der durch diese Figur geht, bleibt allerdings nahezu unsichtbar, denn Clive Owen spielt Salinger als ungebrochen attraktive, eindimensional rechtschaffene Figur, die selbst im entscheidenden Moment von dem moralischen Dilemma, vor dem sie steht, nichts so richtig zu berühren scheint. Diese pragmatische Leblosigkeit lässt sich unschwer aus der Konstruktion des Films selbst herleiten, der ebenfalls beides sein möchte: professionell und moralisch, effizient und reflexiv, beeindruckend und unbeeindruckt. Mit seinen establishing shots, mit den Stationen seines investigativen Plots, mit seiner panoramatischen Erzählanlage wirkt The International wie die Blaupause eines globalen Thrillers, der sich über die Probleme der Erzählperspektive auktorial erhebt und nur das kleine Maß Ungewissheit zulässt, das er braucht, um gelegentlich eine halbwegs überraschende Wendung zu finden. Eine Autorenhaltung (als Verfasser des Drehbuchs wird Eric Warren Singer genannt) wird nur in ein, zwei markanten Dialogen erkennbar, an denen jeweils Armin Mueller-Stahl beteiligt ist. Er spielt den ehemaligen Stasi-Agenten Wexler, der sich nun als Handlanger für die internationale Geschäftswelt verdingt hat und allmählich so etwas wie das nur anfänglich zynische Gewissen des Films wird.

Das zentrale Verhör zwischen Salinger und Wexler wirkt wie die Parodie eines sokratischen Dialogs. «Only fiction has to make sense», sagt Wexler, ganz so, als müsste er die plane Übersichtlichkeit des Films selbst noch rechtfertigen. Diese prominenteste Dialogzeile, in der The International über das bloße Funktionieren hinausgeht, dient also noch der Rechtfertigung der Effizienzformel gegen die Unübersichtlichkeit der Paranoia. Es ist nicht übertrieben, die Bewegung des Regisseurs Tom ­Tykwer durch das Kino auf diesen Moment festzulegen. Denn das Autorenmoment ist bei ihm zunehmend auf die Seite der Form gewechselt. Die klassische Autorentheorie ging davon aus, dass ein Regisseur im Lauf seines Werks und durch die Genres und Formen hindurch eine persönliche Beschäftigung, eine subjektive Note durchhielt. Ein Mann wie Howard Hawks konnte Western, Komödien, Fliegerfilme und Kolonialabenteuer drehen, es kam dabei doch immer ein Film von Howard Hawks heraus. Worin genau die Hawks-Qualität bestand, war nicht immer leicht zu ermitteln, häufig musste der Hinweis auf eine Männergruppe genügen. Je länger eine Karriere dauerte, desto komplizierter – und komischer – wurde häufig der Bestemm der Kritik auf eine einmal gewonnene Autorenessenz.

Tom Tykwer ist in diesem Zusammen­hang ein besonderer Fall. Denn bei ihm ist das Autoreninteresse inzwischen nicht mehr so sehr an Inhalt und Stil, an Ethos, Moral oder vielleicht sogar Politik geknüpft, und schon gar nicht an ein postmodernes Spiel mit universalen oder einschlägigen Kenntnissen der Filmgeschichte, sondern auf die Bewegung von Formaten. Seine Weise, sich im Kino treu zu bleiben (also ein Auteur zu bleiben), ist gerade diese Bewegung: Die tödliche Maria (Antritt eines gebrochenen Erbes: neuer deutscher Film, Melodram, Psychothriller), Winterschläfer (Generationenporträt), Lola rennt (Zeitgeisthit), Der Krieger und die ­Kaiserin (große cinephile Konfession), ­Heaven (europäisches Kunstkino auf der Suche nach der Spannungsform), Das ­Parfüm (Bestselleradaption), The ­International (internationaler Thriller). Dabei ist gar nicht so sehr von Belang, ob diese Bewegung einer inneren Konsequenz gehorcht, oder vielleicht von einer traumatischen Verfehlung herrührt, die in seiner Karriere einen scheinbaren Bruch anzeigt und vermutlich auf den Film Der Krieger und die Kaiserin zu datieren wäre. In beiden Fällen lässt sich die Bewegung als auteuristische lesen.

 

Der Krieger und die Kaiserin (2000)

© X-Filme

 

Der Krieger und die Kaiserin (der Film nach dem großen Erfolg von Lola rennt) enthält zahlreiche Anzeichen dafür, dass es sich dabei um ein persönliches Projekt gehandelt hat: der Schauplatz Wuppertal ist Tykwers Geburtsort, das Drehbuch stammt von ihm selbst, die Hauptdarstellerin Franka Potente war zum Zeitpunkt der Dreh­arbeiten seine Lebensgefährtin. Das Problem des Films ist, dass seine grandios überhöhte Idee von Schicksal in modernen Gesellschaften allenfalls in den trivialen Genres (Groschenromane, Fotoromanzen, Telenovelas) oder im philosophierenden Kunstfilm einen Ort haben. Tykwer wollte damit aber, noch in der Form des Autoren­films, schon auf eine Spannungsform, zu der andere Sujets und Figuren als eine Krankenschwester und ein zielloser junger Mann gehören. Sein ausgeprägter Sinn für Thrills und sein «metaphysisches» Interesse lagen in Der Krieger und die Kaiserin in einem Streit, für den nur Thea von Harbou vor achtzig Jahren unbefangene Lösungen finden konnte.

Die Plötzlichkeit, mit der sich der Polizist Filippo (Giovanni Ribisi) in Heaven in die gescheiterte Attentäterin Philippa (Cate Blanchett) verliebt, ist ein prekäres Echo auf die Unbedingtheit, von der die Figuren in Der Krieger und die Kaiserin bestimmt sind. Filippo schlägt sich ohne ein richtiges persönliches Motiv auf die Seite der «heiligen» Rächerin. Ihre Heilig­keit stiftet diesen Bund auf kurze Zeit. Gemeinsam verlassen Filippo und Philippa, die schon durch ihre komplementären Namen für einander bestimmt sind, die Stadt, flüchten in eine unwirklich schöne Landschaft, scheren sich die Köpfe kahl, kleiden sich unisex und warten auf ihr Schicksal. Die Unmöglichkeit jeder innerweltlichen Lösung in Heaven wirkt auf die Getaway-Geschichte zurück. Es geht hier niemals darum, davonzukommen. Immer schon wirken die Körper eher wie drapiert als in Bewegung.

Die Kameraeinstellung in den blauen Himmel, in den das von vornherein nicht richtig irdische Paar schließlich entschwebt, hat in The International nun eine Entsprechung in der ebenfalls nach oben gerichteten Einstellung, mit der Tykwer in die Kuppel des Guggenheim Museums blickt – sie ist von Kunst leergeräumt und bleibt als profanierter Sakralraum zurück, ein Monument nun nicht mehr für persönliche künstlerische Invention, sondern für die Durchsetzung einer konventionalisierten Spannungsform, die hier stattgefunden hat. Mit dem Dreischritt dieser Filme (Das Parfüm übergehe ich mit Absicht) hat Tykwer konsequent die Seite gewechselt, und ist sich dabei gerade treu geblieben. Er hat, über den Zwischenschritt eines adaptierten Drehbuchs von Krzysztof Kieslowski für Heaven, das deutsche, dann das europäische Autoren­kino aus seinen nationalen Bezugssystemen herausgelöst und mit The International auch die Zufallsmetaphysik aufgegeben und das verbliebene Motiv der Fremdbestimmung ganz auf die Undurchschaubarkeit des Profitsystems übertragen.

Einzig der Standpunkt der Identifikation für das Publikum bleibt unangetastet: Der Einzelne gegen das System, das ist nicht weniger als die Konzession der systemischen Form an das ältere System der individualisierten kulturellen Produktion, zu dem das Kino eine Weile gehört hat und mit einem großen Teil immer noch gehört. Der Einzelne gegen das System, das war auch der Mythos der Politik der Autoren, die Schwundstufe dieser Theorie. The International setzt den Abgesang auf diesen Mythos noch einmal in Szene und lässt die Identifikationsfigur Louis Salinger in eine Sackgasse über den Dächern von Istanbul laufen: die filmhistorische ­Referenz, der Tribut an die Cinephilie, wird für Tom Tykwer zum Residuum individuellen Ausdrucks in einer allgemeinen Form. Der Film erzählt sich wie von selbst, aber die Anspielungen sind ganz persönlich.