berlinale 2009

Gebrochene Welle Im Forum: Fünf Filme aus Südkorea

Von Olaf Möller

Land of Scarecrows (2008)

© Studio2.0

 

Die Republik Korea, allgemein Südkorea genannt, um sie vom kommunistischen Norden des Landes abzugrenzen, ist in diesen Tagen kein naheliegender Schwerpunkt für ein Filmfestival. Nach Jahren großer Steigerungsraten und Publikums- wie Kritikererfolge gilt sie inzwischen eher als Filmland in der Krise. Das ­Forum der Berlinale aber hat fast unvermutet einen solchen Schwerpunkt geschaffen. Fünf aktuelle Produktionen sind zu ­sehen, eine davon als Weltpremiere, alle anderen ­wurden schon auf diversen Festivals des vergangenen Herbsts abgesegnet. Vier dieser Arbeiten, zwei davon Produktionen der KAFA (Korean Academy of Film Arts), sind kleiner budgetierte Spielfilme von konventioneller Gestalt. Nur das einzige herausragende Werk dieser Auswahl, Roh Gyeong-taehs Land of Scarecrows (2008), entspricht in seiner verwegen-eigenen Vision der Dinge jener Art von Kino, die man sich bis vor einiger Zeit noch vom Internationalen Forum des Jungen Films in Berlin erwartete.

Land of Scarecrows sorgt mit einer weitestgehend gewaltfrei-surrealistischen, sozial engagierten, gern verschwurbelten, zum Fragmentarischen wie Symbolischen strebenden Bildgewaltigkeit für Eindruck. Wie schon in seinem betörenden Langfilmdebüt Majimak babsang (The Last ­Dining Table, 2006) entwickeln sich auch in Land of Scarecrows mehrere Geschichten schrittweise aufeinander zu, allen voran die von Rain, einer Filipina, die nach Südkorea will, und von Jang Ji-young, ­einem koreanischen Transsexuellen, die als Mann lebt – und auf den Philippinen nach einer Gattin sucht. Dass sich Rain und Ji-young finden, ist nicht sonderlich überraschend – die zarte Ernsthaftigkeit, mit der Roh ihr Miteinander erzählt, dafür umso ergreifender.

Von den restlichen vier Arbeiten, die das Forum in Korea entdeckt hat, ist zumindest eine relativ bemerkenswert: Baek Seung-bins Langfilmdebüt Jangresigui Members (Members of the Funeral, 2008). Die Geschichte, vor allem ihre Konstruktion, mag Widerspruch provozieren, wenn jemand Probleme mit überspannten Plot-Konstrukten hat. Während der Beerdigung eines Jugendlichen finden die drei Mitglieder einer Familie – Vater Jun-gi, Mutter Jung-hee und Tochter A-mi – heraus, dass sie alle auf die eine oder andere Art und Weise mit dem Toten, Hee-jun, liiert waren. Interessant wird der Film durch die aseptische Kühle, entomologische Ungerührtheit, mit der Baek seinen Figuren bei ihrer gegenseitigen, eigentlich ja: Selbstzerstörung, zuschaut, als blickte man demonstrativ desinteressiert an den Dingen durch Panzerglas in einen Eisschrank. Anders als zu viele vergleichbare Werke wirkt ­Members of the Funeral dabei nicht wie vom Drehbuch, sondern vom Bild, von einer Sichtweise auf die Welt heraus entwickelt, so als hätte Baek sich gefragt, wie man eine Geschichte aus dieser teilnahmslosen Übersicht heraus erzählen kann.

Die inszenatorischen Qualitäten von Members of the Funeral lassen sich wohl auch auf Baeks KAFA-Ausbildung zurückführen. Zumindest interessieren und überzeugen viele KAFA-Studentenfilme durch ihren Sinn für das Visuelle, der vergleichbaren Arbeiten etwa der KNUA (Korean National University of Arts) viel zu oft abgeht. KAFA und die Filmabteilung der Sejong Universität (wo Whang Cheol-mean eine Zeitlang unterrichtete) haben in den letzten Jahren sicherlich die bemerkenswerten südkoreanische Studentenfilme hervorgebracht. Über deren Originalität sagt das aber alles noch nichts aus: Members of the Funeral – wie auch die zweite, in einem etwas realistisch-ruhig-anteilnehmenderen Register erzählten KAFA-Produktion im Forum, Lee Suk-gyungs The Day ­After (2008) – ist insgesamt problemlos mit dem Mainstream vermittelbar, in einer randständigen Art. Beide entstanden denn auch als Teil eines von dem Industrie-Giganten CJ Entertainment unterstützten Förder­programms.

Auf eine eher konventionelle Weise auf die Arthaus-Kategorie beziehbar ist Kim So-yongs Treeless Mountain (2008): Zwei kleine Kinder, das eine gerade erst grundschulreif, werden von ihrer Mutter Verwandten überlassen, die sich um sie kümmern sollen, während sie ihren Ex, den Vater der beiden Kinder, sucht. Zuerst warten sie noch auf die Mutter, dann lernen sie, auf sich selbst gestellt zu leben, unterstützt von einer geduldig-guten Großmutter. Was ja alles sehr ergreifend wäre, hätte man nicht die ganze Zeit das Gefühl, dass man beeindruckt sein soll von der diffizil-delikaten Sensibilität der Inszenierung und deren Bemühungen um einen Blick auf die Welt, der eben dem eines Kindes entspricht.

Nach der plump prätentiösen Bescheidenheit von Treeless Mountain bräuchte man eigentlich für die innere Balance ein Stück nihilistische Skepsis, wie sie etwa die Kim-Zwillinge Gok & Sun zu bieten haben. Gerade das aber fehlt im Programm des Forums, das in seiner Auswahl die Bruchlinien des koreanischen Filmschaffens weitgehend unbeachtet lässt.

Denn wenn man zurückblickt auf rund zehn Jahre dessen, was man mittlerweile Neues Koreanisches Kino nennt, dann fühlt man sich leer, so wenig von Bestand und Substanz scheint das allseitige ­Gehype wie das ständige Antichambrieren vor den Hinterzimmern der Filmkulturmächte gebracht zu haben. Wobei man sich fragen muss, ob je mehr für die Filmkultur Südkoreas zu erwarten war oder ob nicht letzten Endes alles erreicht wurde, was unter den gegebenen Umständen realistisch machbar war. Die interessanten Fälle sind jedenfalls weitgehend auf anderen Festivals zu sehen. In Rotterdam lief zum Beispiel ein neuer Kurzfilm der erwähnten Kim-Zwillinge, Suicidal Variations (2008), sowie eine abendfüllende Solo-Arbeit von Kim Gok, Gogal (Exhausted). Zudem mit Cheonggyecheonui gae (Cheonggyecheon Dog, 2008) das aktuelle Werk von Kim Kyung-mook, dessen Eolgul eopnum geotdul (Faceless Things, 2005) sich vor einigen Jahren zu einem succès de scandale entwickelte. Ihr erstes Hauptwerk, Jabondang seoneon: Mangukul nodongjayeo, chukcheothara! (Capitalist Manifesto: Working Men of All Countries, Accumulate!, 2003), präsentierten Kim Gok & Sun noch auf der Berlinale. Whang ­Cheol-mean (­Frakchi, Spying Cam, 2004), dffb-Absolvent und mehrjähriger Vorsitzender der Vereinigung unabhängiger Filmschaffender und damit ein Filmemacher, von dem man annehmen sollte, dass sich das Forum um seine Werke bemühen würde, hat mittlerweile sein Heim in Rotter­dam gefunden. Was einen beim Sehen der Filme auch nicht weiter überrascht angesichts des neuen, arg sozialdemokratischen Selbstverständnisses des Forums als Experimentierfeld für den Mainstream.

Kims Gok & Sun wie Kyung-mook machen Kinos der Konfrontation und Verstörung, der Tabubrüche und AV-Injurien, Kinos, aus denen sich nichts zur Mitte hin entwickeln will und wird; und auch was Whang Cheol-mean macht, hat eine Kantig­keit, die nur bedingt konstruktiv ist. Es sind Kinos der Beunruhigung, und damit das, was die Berlinale dieser Jahre um jeden Preis verhindern will (dass das Festival in Rotterdam sich daraus eine manchmal doch recht schwiemelige Identität gestrickt hat, ist eine andere Geschichte …). Die Auswahl in Berlin wie in Rotterdam dokumentiert aber zumindest eines: Südkorea hat, bis auf weiteres, einen Platz in der internationalen Filmkultur unserer Zeit gefunden – will sagen: aus dem anfänglichen Hype von vor etwa zehn Jahren hat sich eine vielfältige Szene entwickelt. Südkorea ist keine Welle mehr, sondern ein ganzes Gewässer, vor allem, da man sich auf sämtlichen Ebenen, Kunst wie Kommerz, etablierte (im Gegensatz etwa zum Iran, dessen filmkulturelle ­Position dieser Tage prekärer wirkt, als man das noch zum Millenniumsbeginn wohl für möglich hielt). Mit Lee Chang-dong (Miryang, Secret Sunshine; 2007), Hong Sang-soo (Bam gua nat, Night and Day, 2008), Park Chan-wook (Old Boy, 2003) und Kim Ki-duk (Bin-jip, 3-Iron; 2004) konnten auf verschiedenen filmkulturellen wie -industriellen Ebenen auteurs (zum Teil zweifelhafter Qualität) strategisch platziert werden.

Im Fall von Bong Joon-ho, der erst durch Guemool, The Host (2006) weiteren Kreisen ein Begriff wurde, wird man abwarten müssen, wie sich die Dinge für ihn entwickeln. Im Sang-soo wiederum ist der schlagende Beweis dafür, dass Qualität und Anerkennung einander nicht unbedingt bedingen – der neben Lee Chang-dong herausragende südkoreanische Filmemacher der letzten Dekade, ein veritabler agent provocateur, politischer Freigeist, wurde außerhalb seines Landes weitestgehend ignoriert – Cannes hin, Venedig her.

Als Marke konnte sich Südkorea zumindest in Ostasien etablieren und Wurzeln vor allem im Populärkino schlagen. In ­Japan wurden südkoreanische Gangster– und Horrorfilme während der frühen 2000er vorübergehend zu Kultphänomenen. Inzwischen ist die Euphorie abgeklungen, die Zahlen sind runtergegangen, die Filme dabei aber Genre-Alltag geworden, entsprechend interessierte Handwerker wie Ryoo Seung-wan oder Jang Jin ziehen auf (mehr oder weniger) dieselbe Weise Publikum wie etwa Nakata Hideo.

Das Neue Koreanische Kino ist daneben nur ein Teil dessen, was für so viele die Faszination des kontemporären südkoreanischen Kinos ausmacht. Ein anderer ist der unabhängige Film, eine opake Ka­tegorie, zu der sowohl undergroundig-experimentelle Arbeiten zählen wie auch mehr oder weniger konventionelle Spielfilme, die mit vergleichsweise kleinen Budgets neben der Industrie realisiert werden (Kim Ki-duk ist wahrscheinlich der bekannteste Vertreter dieser Produktionskultur). Man sollte hier strikter trennen: insofern als sich letztere eher zur Industrie hin bewegen – siehe etwa die Entwicklung der durchaus interessanten Lim Soon-rye (Uri saengae choego-ui sun-gan, Forever the Moment, 2008) –, erstere aber von ihr weg. In irgend­einer erkennbaren Krise – jenseits jenen des eigenen Geistes – stecken weder die einen noch die anderen.

Die Krise, in der sich Südkoreas Industrie seit circa 2007 befindet – die zweite, nach den Fiaskojahren 2002 /3 –, ist vor allem ein Ausdruck eklatanter Selbstüberschätzung. Gagen und Budgets rasten viel zu schnell zu hoch, basierend meist auf wenig mehr als vagen Konjunkturen. Eine Weile konnten südkoreanische Produktionen ihre Waren zu teilweise astronomischen Summen nach Japan verkaufen, was zwei, drei Jahre gut ging und dann nicht mehr. Da waren dann aber schon die Gagen gestiegen. Eine konservative, auf Fortsetzungen, Imitationen und Variationen bauende Produktionspolitik machte das einheimische, seit den späten 90ern allem Eigenen im Kino gegenüber ja mehr als nur gutwillige Publikum misstrauisch bis müde. Zum Teil fatale Börsengangsexperimente taten in den letzten Jahren ein übriges. Diese Politik kostete zudem einige der brillantesten älteren Regisseure des Landes ihre Karrieren, allen voran Jang Sun-woo, der nach Seongnyangpari sonyeo-ui jaerim (Resurrection of the Little Match Girl, 2002) – eines der Werke, das die 2002/3er-Krise eskalieren ließ – keinen weiteren Film mehr produziert bekam.