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Ego-Shooter Zu Brian de Palmas Redacted und Nick Broomfields Battle For Haditha

Von Verena Mund

Redacted

© Magnolia Pictures

 

Wenn einer eine Reise tut, dann er kann er was erzählen. Wenn viele reisen, gibts viel zu erzählen. Postkarten, Diashows, bewegte Bilder. Die Demokratisierung des Filmemachens, seit langem Vision engagierter Filmemacher, geht mit der ‹Digitalen Revolution› nun tatsächlich los: «The medium as it is now has become very simple and accessible due to DV cameras, and so there is no reason why people shouldn’t communicate their stories.»1 Und das tun sie auch. «Aug 26, 2006, Haditha, Iraq– One of our firefights erupts while on a roof top (I’m on the far left),»2 notiert ein Filmemacher in seiner einleitenden Texteinblendung – und erinnert, Medien-Revolution hin oder her, an eine Feldpostkarte von damals: «Unsere Wege sind von Blutspuren und Toten gesäumt. Wir grüßen Euch ganz herzlich.»3 Anders als damals geht jetzt alles ruckzuck. Schneller noch als die Feldpost des 1. Weltkrieges, die erste Editionen bereits zu Kriegszeiten als Propagandamaterial veröffentlichte, kommen heute dank des Internets Dokumente, Trophäen, also Geschichten des Krieges unter die Leute. Je nachdem, «das alte Stadttor von Verdun», der Eiffelturm oder «der Kölner Dom» (Les Carabinieri). «Deshalb führen wir Krieg»: Scharping mit Leichen-Fotos. Ein Marine in Saddams Sessel: ‹Krieg ist gewonnen›. Alles wird mobilisiert, um die Leute in den Krieg zu schicken. Sie sollen glauben zu wissen warum.

Brian De Palma will dem Krieg im Irak ein Ende machen. Deshalb macht er einen Film. «Basically, we want to end this war by showing what the reality of this war is.»4 Um das zu bewerkstelligen will er zeigen, was an Bildern aus dem Irak-Krieg von Regierungsseite und ‹den Medien› ansonsten zensiert wird: ‹redacted› nennt man das und De Palma so seinen Film. Redacted-Mund tut Wahrheit kund. Damit kommen auch die anderen Filmemacher. Der Ort, wo zu sehen ist, was Fernsehen und Zeitung nicht mehr zeigen. «I found it all on the Internet. All these ideas come from the Internet, they all exist on the internet. So I said, this is the way they try to tell us the story. So if I can tell it through their particular formats, that’s what it is». Redacted erzählt nicht in einem durchgängigen Stil, sondern wechselt fortwährend sein Outfit. Alles ist dabei, wenn es nur dokumentarisch aussieht: ein Soldaten-Video-Tagebuch, alle reden mit der subjektive Kamera und die mit ihnen; dann klassische Musik plus Off-Kommentar, vor der Kamera versperrt die französische Journalistin mit Mikrophon die Sicht auf die Jungs von eben. Zwischendurch streift die Kamera einen Surveillance-Schleier über und stellt sich starr in eine Ecke. Zur Abwechslung, könnte man meinen. Aber De Palma braucht die Surveillance-Kamera wie auch alle anderen Formate nicht nur, um eine Vielfalt von Erzählformaten zu präsentieren, sondern vor allem um seine Geschichte jeweils weiterzuerzählen. Denn so sehr sich der Film auch anstrengt, ein Potpourri von unterschiedlichen Filmen zu versammeln und damit zu suggerieren, es gebe keine Meta-Ebene, nur eine Pluralität von Stimmen: sie alle erzählen an derselben Geschichte. Eine Geschichte zudem, die sich weitgehend klassisch-linear hintereinander hangelt. Alle Videos passen zusammen wie geschmiert: als wären sie wie füreinander gemacht. (Kunststück!) Material aus dem Internet hätte De Palma nie in der Weise zusammenstellen können, auch ohne juristische Probleme nicht, die angeblich dafür verantwortlich sind, warum er nicht mit Found Footage gearbeitet hat.5

De Palma interessiert sich nicht dafür Realität zu zeigen. Was er will, ist sie glauben zu machen. Wenn es der Dramatik dient, wird die Erzähllogik des Dokumentarfilms über den Haufen geworfen: Die Kamera sitzt dann kurz mal im Zivilistenauto, wo sie logischerweise gar nicht sein kann. Aber das ist ja nicht so wichtig, das kriegt man als Zuschauer sowieso nicht so schnell mit. Nur als Filmemacher könne man erkennen, wie die Bildproduktion der Medien funktioniert, erklärt De Palma in einem Bonus-Interview auf der DVD von Redacted. Und weil der normale Zuschauer alles nicht richtig kapieren kann, ist die Hauptsache: er ist zornig und empört. So wie über Scharpings Bilder?

Zu Beginn von Nick Broomfield’s Battle for Haditha sieht man einen Soldaten, der in die Kamera spricht. Er will erklären, warum sein ätzender Alltag trotzdem lohnend ist, kann aber die Bilder, mit denen er mal in den Krieg gezogen war, nicht mehr aufrufen. Beim Sprechen beginnt er zu stolpern, mehrfach setzt er neu an: «Yeah, … I don’t know why I’m here.» Er ist nicht allein, nützen wird ihm das nichts. (Im Gegenteil.) Den Marines heute geht es nicht anders als den Soldaten in Godards Les Carabinieri. Auch ihnen bleibt nichts von den Verheißungen der Bilder, mit denen sie für den Krieg geworben wurden: Ehre, Dabei-Sein, Reisen, die Welt sehen und sich in die Tasche stecken.6 Bei der Bescherung sieht es dann anders aus: "«So fuckers, it’s Christmas Eve, we just got into a firefight – what are your thoughts?’ ‹I shit myself. I piss myself›.»7

Unmengen solcher Ansichtskarten sind im Umlauf, und normalerweise kann man dafür auch nichts. Now thats fucked up (NTFU): so der Name der Webseite, die das ändern wollte. Chris Wilson, der Betreiber dieser «Amateur Adult Site», hat ein Herz für Soldatenmänner8, und da die Kreditgesellschaften Zahlungsaufträge aus Afghanistan und dem Irak blockieren, hatte er sich speziell für die Kameraden vorort eine andere Zahlungsweise für den Zugang zur «catégorie à part» (Les Carabinieri) ausgedacht. Um die Porno-Fotos mit Freundinnen und Ehefrauen anderer anschauen zu können, zahlten sie statt der üblichen Gebühr mit ihrer Feldpost (Fotos oder Videos, beides möglich). In einem freizugänglichen Bereich von NTFU gab es neben chat-Bereichen eine Bühne für ihre ID-Nachweise: Schaut her, ich bin wirklich hier! Schaut, was ich alles hier habe! Einen abgesprengten Fuß zum Beispiel. Nach anfangs eher «normalen» (Wilson) Fotos, die für den Zugang zu den Pornos völlig ausreichten, wurden mehr und mehr «gory pictures» geschickt, bald musste Wilson eine eigene Rubrik einrichten.

Die gesamte Geschichte um NFTU, das Verbot, selbst das Nachleben ist interessant9.(Auch dass Wilson die Veröffentlichung der Feldpost ähnlich begründet wie De Palma Redacted.) Interessant ist darüberhinaus die Eigendynamik, die sich auf NFTU entwickelte, insbesondere deren strukturellen Bedingungen: Man hat einen Kontext liefernden Rahmen (Porno-Seite) und eine thematische Vorgabe (Feldpost) für einen Spielraum sich kreativ einzubringen.10 Und hierin liegt eine Parallele zu Broomfields Battle for Haditha. Broomfield wählte für seinen Rahmen, einen Spielfilm über das Massaka in Haditha, nicht einfach Amateure als Darsteller. Schon bei den Castings gehörten nicht nur Probeszenen dazu, die Bewerber brachten auch ihre Feld- bzw. Vertriebenenpost mit. Das Erzählen von Kriegserlebnissen war Teil der Sitzungen. Bei den Dreharbeiten ging es Broomfield darum, «to recreate something to bring the reality actually back to the people, so that they were back in that bubble of being in Iraq again.»11 Manchmal ist es ein fast müdes, dabei aber gesellschaftsspielartiges Sprücheklopfen der die Marines darstellenden ehemaligen Marines, wenn sie auf ihren Pritschen abhängen. Oder das Wehklagen der trauernden irakischen Frauen, von denen manche diese Tänze und Rituale nicht lang zuvor noch für ihre eigenen Kinder oder Männer ausgeführt hatten. Es gibt Momente in Haditha, wo es plötzlich nicht mehr um die Geschichte des Films geht, wo diese wie ausgesetzt scheint und etwas anders die Darstellenden umgibt. Es ist schade, dass der Film nicht mehr Möglichkeiten nutzt, diese Eigendynamik deutlich werden zu lassen. Vielleicht hätte man die ein oder andere Szene über die Klappe hinaus laufen lassen können. Oder neben den Interviews mit den Marines zu Beginn des Film noch mehr Interviews, und auch mit den irakischen Flüchlingen, in den Film integrieren können. Als DVD-Edition ist dem Film eine zweite Disk mit u.a. Interviews, Casting-Mitschnitten und einem ‹Making of› beigefügt, Material, das Broomfields Projekt klarer werden läßt und wovon interessante Ergänzungen auch für den Film denkbar wären. Ein Casting-Mitschnitt hätte sich zum Beispiel hervorragend als Vorspann gemacht.

 

 

1 Nick Broomfield, Nick Broomfield. Documenting Icons, 2005, 239.
2 US Marines get ambushed on a rooftop in Iraq, posted by m16music, 8.8.2007, YouTube, letzter Zugriff 18.12.08.
Les Carabinieri, CH/F 1962, Jean-Luc Godard. «Godard’s [a]mbivalent [h]omage to [e]arly [c]inema», Wanda Strauven, «Re-diclipining the Audience. Godar’s Rube-Carabinier», Marijke De Valck/Malte Hagener (Hg.): Cinephilia. Movies, Love and Memory, Amsterdam University Pres 2005,125-135, hier: 127, 127-130.
4 Brian De Palma Talks About Redacted
5 DePalma sagt, er wollte urspruenglich auch Material aus dem Internet nutzen. vgl. auch hier
6 Why I joined the Marines (Marine-Werbeclip), posted by TellTheMarines, 30.12.2007
7 «FUNNY! Life as a Marine Grunt in Afghanistan», posted by m16music, 8.8.2007, Vgl. auch What really happens when you join the Marine Corps, posted by m16music, 13.5.2007. Ungeheurlichkeiten sind auch dabei: Soldiers taunt kids with water, posted by mcfazza, 17.12.2006; auf Beschwerden hin gibt es Kommentare u.a.: «think before u say u fukin cunt ive been there u have to amuse urself» (ebd.).
8 Soldatinnen waren aufgerufen Nacktfotos von sich zu schicken; Pornos lesbischer Paare kündigt die beim Zugriff am 18.12.2008 noch existierende Deckseite http://web.archive.org/web/2006020904026/www.nowthatsfuckedup.com/bbs/index.phb an. Inzwischen ist sie auch aus dem Web Archive verschwunden.
9 David Kushner, «Casualty of Porn», Rolling Stone, 5.12.2005; Thom Shanker, «Army Investigates Photos of Iraqi War Dead on Web», New York Times, 28.9.2005. http://www.wikipedia.org/wiki/Nowthatsfuckedup.com, Eintrag von Wilson, documentingreality.com.
10 Sicherlich liegt die Frage nahe, ob sich sich die Dynamik anders als in sich überbietenden Greuelbildern entwickelte hätte, wenn es anstatt um Pornos um z.B. freie Software gegangen wäre.
11Nick Broomfield and Sami Ramadani discuss Battle for Haditha, posted by respectcoalition, 20.1.2008.