spielfilm

9. Oktober 2012

Nieder mit dem Onkel! Sichtung: Abbasso il zio (Marco Bellocchio, 1961)

Von Bert Rebhandl

Zwischen zwei Friedhöfen bewegt sich der viertelstündige Abasso il zio aus dem Jahr 1961. Es handelt sich dabei um einen von drei Kurzfilmen, die Marco Bellocchio vor I Pugni in Tasca fertiggestellt hat. Das Thema ist wohl der Tod, allerdings auf eine spielerische Weise, die aber etwas von frühem Ernst hat. Das auffälligste Element ist die Stimme aus dem Off. Ein nicht mehr ganz junger Mann spricht hier über die vier Jungen, die ihre Sommertage im ländlichen Einzugsgebiet von Piacenza damit zubringen, dass sie auf den Friedhöfen herumlungern. Die erste Einstellung zeigt verwitterte Steinfiguren, schartige Engel. Dann bewegt sich die Kamera einmal im Kreis innerhalb eines Gevierts weißer Mauern, von denen der Erzähler weiß, dass nur Eidechsen sich auf ihnen in der Senkrechten bewegen können.

Ein Junge steht an einem Grab (es ist der neue Friedhof, wie wir gleich begreifen werden), seine Freunde kommen über die Mauer geklettert, nehmen ihn mit beim schmiedeeisernen Tor hinaus. Dann laufen sie, und die Kamera fährt hinter ihnen her, in einem tollen Travelling hinein in ein Dorf und nach einer Kreuzung am anderen Ende wieder hinaus; einer der Jungen hat die anderen verloren, er läuft allein, das Tappen seiner Schuhe akzentuiert seine Einsamkeit; die Freunde tauchen weiter hinten wieder auf, da sind sie beim zweiten, alten Friedhof, von dem schon einige Leichen umgebettet wurden - beziehungsweise das, was von ihnen übrig war.

Die Jungen wühlen in der Erde, graben Zähne aus, geben sich unbekümmert. War die Musik davor während der Fahrt Jazz, so ist sie nun, in einer versunkenen, langen Szene, in der die Jungen rauchen, ein melancholischer Loungetrack avant le remix. Es wird Abend, die Jungen brechen auf, einer ist barfuß und kehrt um, um seine Schuhe zu holen. «Die Zähne hätten sie besser nicht aufgehoben», sagt der Erzähler, er spricht an der Stelle der Jungen, er spricht für sie, und dann in dem aus großer Distanz aufgenommenen Schlussbild der über die Landstraße nach Hause stapfenden Jungen spricht er (väterlich, erwachsen) über sie: Ich kann ihn nicht paraphrasieren, nur interpretieren, aber aus ihm spricht nun die schützende Macht, die sich über den Schlaf der Jungen beugt, die ein wenig vom Tod angerührt wurden in diesem Film, in dem der Regisseur keine eindeutige Erzählerposition erkennen lässt. Und in dem er solcherart die Abgründigkeit eines Sommertages wunderbar zum Ausdruck bringt.