spielfilm

28. Juli 2009

Dillinger & Glauco 2 x Filmgeschichte: John Milius und Marco Ferreri

Von Simon Rothöhler

Dillinger (John Milius) USA 1973

Warren Oates ist Dillinger und versteht nicht, dass Billie Frechette ihn mit Douglas Fairbanks verwechselt. Auch sonst gibt sie ihm Saures: «I’m half indian, the other half is french. And that side drinks.» Aus der Screwball Komödie wird dann aber doch nichts, weil der alte NRA-Haudegen John Frederick Milius in seinem Debütfilm, der neben Big Wednesday (1978) immer noch sein bester ist, den Gangsterfilm vom Western her liest, wie das nur im New Hollywood möglich war. Roh und bis zu 12 Minuten lang ist das gunplay, Harry Dean Stanton schießt an einer Stelle sehr konzentriert einen Kaugummiautomaten auseinander, um seinen angekratzten Ruf als Hardliner wiederherzustellen und Ben Johnsons Melvin Purvis' ist großartig low key. Der Rest steckt in den fröhlichen Credits – zu Walker Evans-Imitaten, der Gold Diggers’ Song (Al Dubin/Harry Warren): «We’re in the money / We’re in the money / We’ve got a lot of what it takes to get along! / We’re in the money / The sky is sunny / Old Man Depression, you are through / You done us wrong! / We never see a headline / ’Bout breadline, today / And when we see the landlord / We can look that guy right in the eye / We’re in the money / Come on, my honey / Let’s spend it, lend it / Send it rolling around!» Mit anderen Worten: «What Depression?» (Oates schief grinsend beim Geldzählen).

 

Dillinger

© American International Pictures

 

Mit Warren Oates (John Dillinger), Ben Johnson (Melvin Purvis), Richard Dreyfuss (Baby Face Nelson), Harry Dean Stanton (Homer Van Meter) und Michelle Phillips (Billie Frechette).

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Dillinger è morto (Marco Ferreri) I 1969

Regieanweisung: Herr Piccoli, bitte lassen Sie die Panacotta erzittern! Überhaupt ein Film, in dem viele Lebensmittel mitspielen. Missmutig mustert Piccoli das bereitgestellte Abendbrot (kalte Platte, käselastig), bevor er sich entschließt, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und ein ordentliches Kotelett zuzubereiten. Bei der Suche nach Zutaten (jedenfalls irrt er im Küchenschurz umher; Olivenöl aus der Gießkanne, ein Schneebesen, der Verdruss bereitet) stößt Piccoli auf eine Pistole, die in historischem Zeitungspapier eingewickelt ist, das den Tod Dillingers verkündet. Der Film springt daraufhin ins Newsreel; die bekannte Szene von Dillingers «Pressekonferenz» nach seiner Verhaftung (bestens gelaunt, also anders als Piccoli). Irgendetwas scheint in Piccoli vorzugehen, vermutlich hat es mit dem kulturkritischen Essay zu tun, den einer seiner Mitarbeiter (Piccoli spielt einen Industriellen, der sich anscheinend atomzeitaltergemäß auf Gasmasken spezialisiert hat) in der Eröffnungsszene unvermittelt auf ihn einspricht. Da geht es um den heutigen Menschen, die Gleichschaltung der Medien und darum, dass wir alle Masken tragen, wegen den Zumutungen der Moderne. Piccoli kehrt dann aber erst mal in die Küche zurück, fragt nach Salz und unterhält sich mit einer Frau, die nicht seine Ehefrau ist, die aber später noch in durchsichtiger Nylonwäsche tanzen wird, über Stockfisch. Ein Song im Radio, Travelin’ Man von Rick Nelson, eine Ode an den polygamen Handlungsreisenden: «I’m a travelin’ man / I’ve made a lot of stops all over the world / And in every part I own the heart /  Of at least one lovely girl.» Von Dillinger ist dann im weiteren Verlauf nicht mehr die Rede. Aber die Knarre wird noch wichtig. Lässiger Panflöten-Soundtrack, eindrucksvolle Antik-Goldkette auf ungetrimmtem 60er Jahre-Brusthaar. Am Ende wird ein anderer Koch seebestattet und eine Frau in grünem Bikini nimmt Piccoli erst die Goldkette ab und weist ihn dann mit freundlicher Autorität an, Mousse au chocolat zuzubereiten. Darauf Piccoli: «Grazie, grazie infinite.»

Mit Michel Piccoli (Glauco), Anita Pallenberg (Ginette), Annie Giradot (Sabina).

 

Dillinger è morto

© Pegaso S.r.l.