spielfilm

2. März 2009

Die Alltäglichkeit der Störung Trouble Every Day

Von Daniel Eschkötter

© Inconnu

 

Ein Euphemismus ist dieser Titel, der den alltäglichen Ärger, eine Verstörung und ihre Alltäglichkeit anzeigt: Trouble Every Day: Er markiert sich diskret, als der Alltagsfilm, der er auch ist: als Film über Leben, über Arbeit, Handgriffe und Haptik eines Zimmermädchens etwa. Und als Film der Störung und Verstörung: über den Aufriss, in Blut-Bildern, Bildern der Gewalt. Kurz: ein Monstrum ist Trouble Every Day, dem es um die Monstration und ihre Abgründe zu tun ist. Er ist vielleicht die konsequenteste filmische Version des unreinen Küsse-Bisse-Reims, den sich Kleists Penthesilea auf Liebe und Begehren gemacht hatte, eine Horrorfilmparaphrase, die sich diskursiv wie zitativ in das Genre ein- und wieder aus ihm herausschreibt, über wenige Re-enactments aus dem Gestenrepertoire des Vampir- und Zombiefilms, über eine Engführung von Begehrens- & Infektionslogik. Diese Rahmensetzung bewegt den Film, bewegt seine Protagonisten nach und durch Paris, das frisch verheiratete amerikanische Paar Shane und June Brown, den Wissenschaftler Léo Sémenau und seine Frau Coré. Suchbewegungen sind dies: Suchen nach einem Mittel gegen das Blutbegehren (Shane und Léo), nach Liebesobjekten, die zu -opfern werden (Coré und Shane), nach Gründen für das mysteriöse Verhalten des Mannes (June), nach der Frau, die ihrem Begehren folgt und im Begriff ist, jemanden zu Tode zu lieben (Léo).

Auch auf der Verfahrensebene zeichnen sich Claire Denis’ Filme durch solche Suchbilder aus. In ihnen scheint es mitunter weder einen großen Unterschied zu machen, ob eine organische oder anorganische Textur, noch ob ein Liebesakt oder ein Gewaltakt, hier: ob eine unversehrte oder eine aufgerissene Haut gefilmt werden. Claire Denis’ Kino ist darin stets auch Probe auf die Gleichung und Polysemie von pellicule (als Film und Haut/Häutchen), an die der französische Philosoph Jean-Luc Nancy in seinem kleinen Buch über den iranischen Regisseur Abbas Kiarostami, Evidenz des Films, und in seinem Aufsatz «Icône de l’acharnement» eben zu Trouble Every Day erinnert – und Trouble Every Day ist vielleicht der Film, der diese Doppelung am weitesten führt.

Die Haut, die Beatrice Dalles Coré und Vincent Gallos Shane, die zwei auf eine unbestimmte, lediglich angedeutete Weise kranken, infizierten Protagonisten des Films, und letztlich auch der Film selbst aufreißen, wird dabei zärtlich photographiert, gleichsam abgetastet. In Agnes Godards Kinematographie, die Trouble Every Day wie fast allen Filmen Claire Denis’ seine visuelle Signatur gibt, manifestiert sich ein Bild vom Körper als das Gegenteil eines Geschlossenen, Abgeschlossenen: Die Kamera gleitet über die Körper, über ihre Teile, ohne sie zu vermessen, vielmehr scheint sie oft die Orientierung zu verlieren, wo auf der Haut sie sich gerade befindet, wessen Körper sie gerade filmt. Die alltägliche Störung der Welt in Trouble Every Day, sie erweist sich darin als konsequente Störung der Konfiguration von Blick und Bezugnahme auf die Welt. Sie manifestiert sich filmisch auch und vor allem in ostentativen Point-of-View-Imitationen, in Perspektiven und Steadycam-Trackings, die vorher eingenommene Subjektpositionen (wie den Blut-Begehrensblick von Vincent Gallos Shane) simulieren.

Diese Operationen bedingen dadurch, dass sie nicht mehr über eine Subjekt-Objekt-Differenz einzuholen, zu domestizieren ist, einen strukturellen Horror, den strukturellen Vampirismus des gesamten Films, in dem eine monströse Begehrensstruktur und soziale, sinnliche Beobachtungsstrukturen sich als mitunter schnittlos ineinander überführbar erweisen. Das Unheimliche des Films, in dem jeder Kuss zum Biss, jede Berührung zum Riss zu werden droht, liegt vor allem auch darin, dass die unterschiedlichen Blickregister gleichsam eben nur wenige Buchstaben voneinander entfernt sind, dass man oft nicht wissen kann, wann & wo der Kuss aufhört und der Biss anfängt, wo der Film eine Logik des Sozialen oder des Begehrens ausmisst und wo er selbst von dieser mitgerissen wird. Dieser strukturellen Gefährdung begegnet Trouble Every Day mit Fragmenten einer diegetischen Verankerung – als gäbe es an der mit Medikamenten bekämpften Blutgier diskursiv etwas zu begreifen, als sei er ein Film über einen zumindest noch narrativ einzuhegenden Schrecken, über ein missglücktes Experiment, mad scientists, naturwissenschaftliche Hybris, Kolonialerbe etwa. Was L’intrus ins Globale getrieben haben wird, es ist in Trouble Every Day reines Kino der Latenz und Immanenz.

In Laborszenarien mit zerlegten Gehirnen, präparierten Hirnsträngen, botanischen Versuchsanordnungen, die diskret Murnaus Nosferatu zitieren, mit implantierten Erinnerungsbildern wird eine Krankheit oder Infektion suggeriert, eine Folge von medizinischen Forschungen, ein Import aus dem restkolonialen Überseedépartment Französisch-Guyana; eine dem Blutbegehren vorgängige Geldgier klingt an («You like money, don’t you?» wird Shane Brown im Labor adressiert: – «So what.»). Trouble Every Day scheint hier ein hybrides Universalwissen vom biologischen Leben zu installieren – Universal Pharmakon ist der Name der Firma, in deren Auftrag Dr. Shane Brown agierte, für die er die Arbeit Léo Sémenaus gestohlen zu haben scheint, und universal ist auch das Feld der pharmazeutischen, botanischen, neurowissenschaftlichen Forschungen, der bioprospections Léo Sémenaus: «nervous diseases, pain, mental diseases and problems of libido…» (problems of libido: noch so ein Euphemismus). Jenseits dieser Spurenstreuung kennt Trouble Every Day keine Pathogenese, keine Ätiologie (auch keine des Begehrens), mithin auch keine Gefahr für einen Volkskörper: Man weiß nicht, ob Shane Brown, der noch subjektivieren, sublimieren, medikamentieren, masturbieren kann, und Coré die einzigen ihrer Art sind, also eben keine Art bilden. So auch Trouble Every Day: keine Art oder gar Gattung waren und sind mit ihm, einem Film, den seine Logik der Monstrosität bis in Grammatik und Bilddenken erfasst, zu begründen.

 

© Inconnu