crush

Crush Vincent Lindon

Von Stefanie Diekmann

Am besten, um das gleich zu sagen, ist er nicht bei Claude Lelouch, in dessen Filmen er in den 80ern und 90ern ständig mitzuspielen scheint, sondern in Filmen von Frauen, vor allem Vendredi Soir (2002) von Claire Denis und Ceux qui restent (2007) von Anne Le Ny, was damit zu tun hat, dass beide das gleiche affirmative und zugleich sehr ironische Verhältnis zu Lindons Rollenfächern dokumentieren. Diese Rollenfächer: der Liebhaber und der Melancholiker, wobei es in Lindons Filmografie meist eher darum ging, den Liebhaber gegen den Melancholiker auszuspielen und umgekehrt: den Melancholiker gegen den Liebhaber, der liebt, was er glaubt, nicht lieben zu dürfen, und also beschließt, sich die Liebe zu verbieten.

In den letzten Jahren haben sie ihn als Besetzung für Durchschnittstypen entdeckt, mal diesseits, mal jenseits der Grenze zum Verlierer, die durch eine unerwartete Erfahrung (Liebe, Tod, Unrecht, Liebe, Tod) zu unerwarteter Form auflaufen. Als Entwicklung ist das ein wenig schade, weil dem aufgestörten Melancholiker immer etwas von seiner Melancholie und damit von seiner Attraktivität abhandenkommt, vor allem aber, weil an Lindon eigentlich nichts verbessert oder entwickelt werden muss, wenn man ihn tun lässt, wofür er eigentlich gemacht scheint, das heißt: aufzutreten und als Objekt weiblichen Begehrens zu figurieren.

Nichts anderes tut er bei Claire Denis in Vendredi Soir. Da kommt er aus dem Nichts und setzt sich auf den freien Sitz im Auto, und da er schon einmal da ist, verbringt man die Nacht mit ihm; das ist die ganze Handlung des Films, der sehr schön ist und eine bezaubernde Hauptdarstellerin hat. In der IMDB steht, dass Lindon hier «Jean» spielt: eine überraschende Auskunft, da ich mich an «Jean» wirklich nicht erinnern kann, und Lindons ganze Anwesenheit viel mehr der Idee des geheimnisvoll-geheimnislosen Fremden entspricht, der seinen Namen nicht nennt, und dem man nach dieser Nacht kein zweites Mal begegnen wird. Manchmal geht das, in manchen Erzählungen und manchen Filmen. In jedem Fall ist Vendredi Soir immer, seit der ersten Sichtung in Marseille im Sommer 2002, einer meiner Lieblingsfilme geblieben.