spielfilm

Phantom der Oper Über Frederick Wisemans La Danse. Le ballet de l’Opéra de Paris

Von Gertrud Koch

© Frederick Wiseman

 

Ein Choreograph zitiert einen anderen mit den Worten: «Eine Tänzerin ist Nonne und Boxer zugleich.» Frederick Wiseman hat konsequenterweise gleich nach seinem Film über den Tanz einen weiteren angeschlossen, in dem ein selbstverliebter Boxer auch einmal mit sich selber tanzt (Boxing Gym, 2010). Beide Tätigkeiten verbinden die physische Arbeit am und mit dem Körper mit der Interaktion mit anderen Körpern. In La Danse geht es tatsächlich auch – aber nicht entscheidend – um die Institution Ballett in ihrer Einbettung in ein Opernhaus und hinsichtlich der Anbindung an eine Ballettschule – ja, das wunderschöne Palais Garnier, in dem die Pariser Oper und ihr Ballett zu Hause sind, nimmt Platz ein in diesem Film, der es vorwiegend vom Dach her zeigt, so als schließe seine Kuppel das hell schimmernde Häusermeer von Paris nach oben ab. Obwohl auch die Institution mit ihren eigenen sozialen Regeln einbezogen wird – von der ebenso minutiösen wie opulent zu planenden Gala für amerikanische Sponsoren bis zur Diskussion der allfälligen Reform der Rentenregelung, die Tänzer mit 40 in die Pension entlässt – steht dennoch nicht so sehr das soziale Gefüge im Mittelpunkt des Films, sondern die Eigenheiten des Tanzes selbst, seine künstlerische Praxis.

Die Herstellung einer Welt, die ganz aus Klang und Bewegung zu bestehen scheint, wird bei Wiseman so in Szene gesetzt, dass die Körper selbst die absolute Zentralität behalten. Zwar wird dramaturgisch eine Linie gezogen von den verschiedenen Stadien der Einstudierung, von der Probebühne bis zur fertigen, ausgeleuchteten Aufführung, aber es geht nicht um die Dokumentation des langen Weges von der Probe bis zur Premiere, auch wenn die Ateliers der Masken- und Kostümherstellung, der Paillettensticker und Ballettschuhfärber genau gezeigt werden.

Die manufakturelle Produktion von Sachen wird wie die architektonischen Anteile des Gebäudes in einen Schwebezustand versetzt, der nie ganz auf dem Boden anzukommen scheint; wo das Gebäude vorkommt, ist es selbst glänzende Fläche und hat einen ganz und gar fluiden Akzent. Nicht zufällig montiert Wiseman Einstellungen aus dem Keller der Oper ein, der in einem Wasserbecken mit Fischen und Pflanzen mündet und auf eine Welt verweist, die das Feste aufgekündigt hat und die harte Materie verflüssigt und geradezu magisch dematerialisiert. Die gesamte Produktion von festen Dingen wird von Wiseman in ein eigenes Ballett versetzt: Die Maskenpuppen haben auf dem Weg zur Bühne einen Auftritt als bewegliches Schattentheater auf Wand und Türen, was an die Verfilmung des «Phantoms der Oper» erinnert. Kostüme und Kulissen werden von Scheinwerfern kinetisch aufgeladen und auch die Spiegelwände im Probenraum lassen in ihren aufeinanderstoßenden Kanten Tänzer wie im Kaleidoskop aus sich selbst heraustreten. Mit ein wenig rhetorischer Übertreibung könnte man sagen, dass Wiseman seinen Film aus der Position des Phantoms gefilmt hat. Er nimmt weder die frontale Position des Publikums ein, noch die der Tänzer, sondern bewegt sich quasi auf einer Zwischenposition, mal in den Kulissen, mal hinter den Tänzern, mal vor den Spiegeln; oft in Halbtotalen, die es erlauben, eine szenische Figuration und Interaktion komplett zu filmen. Er gehört ganz zur Pariser Oper, die das Objekt der filmischen Begierde ist.

Wiseman zeigt die Probe als permanente Repetition, aber die Wiederholung selbst ist in eine Rhythmisierung eingebaut, die dem Film sein eigenes Tempo einschreibt. Das Summen, das phatische Modulieren der Stimmen von Ballettmeistern und Choreographen wird zum eigenen Medium der Steuerung von Körperbewegungen. Der Übergang von einer bloß korrekt ausgeführten Bewegung zu einer tänzerischen Fließbewegung ist das Ziel der Wiederholung, und viele solcher Sequenzen enden mit einer zufriedenen Bestätigung, am Ende das erreicht zu haben, was man angestrebt hat. Kontrapunktisch sind hierzu fast emblematisch wirkende Einstellungen montiert, in denen das Gebäude selbst inszeniert wird: Fenster, vor denen die schmiedeeisernen Ornamente als Schattenriss zu schweben scheinen, lange leere Flure, in denen bunt gestrichene Rohre Vertikalen setzen, ein leerer Zuschauerraum, in dem die Reihen wie festliche Rüschen im Raum drapiert sind u.v.m.

La Danse ist vielleicht Wisemans poetischster Film: Er zeigt eine Institution, die nicht einfach eine Welt für sich ist, sondern zugleich imaginäre Welten hervorbringt. Tanz und Film dokumentieren sich hier unauffällig gegenseitig.