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Körperfresser, Mimesis

Von Peter Praschl

Vincent Pianina und Lorenzo Papace, die sich P & P nennen, sind grandiose Imitatoren. In ihrem Weblog «Le Petit Écho Malade» stellen sie Fotos bekannter Fashion-Weblogger nach, indem sie deren Selbstinszenierungen, Gesichtsausdrücke, Posen kopieren. Ihr Meisterstück aber ist ein vier Minuten langes Video mit dem Titel «A Monster Invasion». Darin simulieren sie Scott Schuman («Sartorialist») und Garance Doré, die beiden einflussreichsten Style-Blogger der Welt, sitzen wie sie in Brasserien und Bars, fliegen von Modewoche zu Modewoche, werfen Luftküsse, schauen müde, bedeutungsvoll, interessant, kostbar, halten den Arm für ein Taxi raus, es ist, als wäre ein fremdes Leben ins sie gekrochen und zwänge sie nun dazu, fortan als alberne Modemenschen weiterzuexistieren. Man muss ständig lachen dabei, weil P & P so virtuos das Pompöse, Angestrengte und Strunzdumme der von ihnen Imitierten treffen, ihre ewigen Selbstvergewisserungszeremonien und ihren Irrtum, bedeutsam zu sein. Natürlich ist das eine grausame Verhöhnung, aber je länger man die beiden synchron ablaufenden Videos miteinander vergleicht, jenes von Scott Schuman/Garance Doré und das von P & P, desto unwiderstehlicher beginnt in einem der Verdacht zu rumoren, dass die beiden Imitierten vielleicht selbst nur so tun, als wären sie bescheuerte Style-Poser. Möglicherweise sind sie ja gar nicht so unerträglich, wie sie einem vorkommen, sondern ihrerseits Mimikry-Artisten, die Modewelt-Menschen spielen. Und vielleicht hat das alles überhaupt nichts mit Parodie zu tun. Sondern ist so etwas wie ein Kinderspiel, allerdings aus der Zeit, als es noch keine Spielkonsolen gab, sondern Holzschwerter und Papierkronen, Spielzeugmusikinstrumente und eine Truhe voller alter Kleider auf einem spinnwebigen Dachboden.

Lorenzo Papace betreibt auch eine Band namens «Ödland», zusammen mit den beiden fabelhaften Bingöllü-Schwestern und Isabelle Royet-Journoud. Die Musik Ödlands, gespeist von Salonmusik, Ragtimes und romantischen Chansons und angereichert unter anderem mit Tierlauten, wirkt wie völlig aus jeder Zeit gefallen, und die Videos, die es dazu gibt, sind wie manche Träume, an die man sich erst ein paar Stunden nach dem Aufwachen wieder vage erinnern kann: Man weiß, dass sie völlig logisch waren, versteht aber die Logik nicht im Geringsten. Der schönste dieser Träume ist ein zwölf Minuten langer Film zum «Chanson du parasite» und erzählt von einem Mädchen und ihrer Liebesgeschichte mit einem Bandwurm, der sie aus ihrer Einsakeit errettet hat. In diesem Film fahren Lorenzo und Alizée ans Meer, was sehr lange dauert, weil die Züge immerzu Verspätung haben, dann sitzen die beiden am Strand, Lorenzo mäkelt, dass er die Côte d’Azur nicht leiden mag und dass das Meer nicht zum Schwimmen, sondern zum Denken geschaffen wurde, Alizée schlägt mit einem Stock auf den Sand ein, nach ihrer Rückkehr ist sie zur Sklavin eines Parasiten geworden, der ihr den Befehl erteilt, Pasta zu essen, iss, iss, iss endlich, schneller, schneller, schneller. Ein schöner somnambuler Film ist das, von dem man nicht zu sagen wüsste, ob es sich um Unsinn handelt oder um etwas, das sich selbst, wie ein Bandwurm, mit dem eigenen Körper verkoppelt, irgendwelchen Libido-Adern nach, die dem Wachbewusstsein unzugänglich sind – wieder so eine Mimikry-Performance über Liebe, Körpereroberung, Besessenheit, eine symbiotische Beziehung. Und während mir das ein paar Tage lang immer wieder nachging, wie ein Rätsel, dessen Lösung einem auf der Zunge liegt, aber einem partout nicht einfällt, habe ich mich wieder gefragt, warum mir Mimesis, Mimikry, das Nachstellen, Nachmachen, so viel besser vorkommen als das Machen, Stellen, Nicht-Mimetische. Aber auch das ist ein Rätsel, dessen Lösung mir auf der Zunge liegt, von ihr aber nicht ausgesprochen wird. Nur das Zungenreden könnte sie lösen, doch was sie dann sagt: daran erinnert man sich bekanntlich nicht.