comic

Der Geschmack von Chlor Bastien Vivès

Von Stefanie Diekmann

© Reprodukt

 

In dem 2002 erschienenen Band Filmfarben aus der sehr schönen Frieda-Grafe-Reihe bei Brinkmann & Bose findet sich ein ebenfalls sehr schönes Gespräch zwischen Grafe und Miklos Gimes, in dem viel über das Verhältnis von Schwarzweiß und Farbe geredet wird. Über die ästhetische Ideologie, die nicht selten das Lob des Schwarzweiß-Bildes im Film grundiert, über Zuschreibungen und falsche Gegenüberstellungen und immer wieder über die Abwertung der Farbe, deren Verwendung stets eine verdächtige Nähe zum Kunterbunten und zum Plakativen herzustellen scheint (was so umstandslos weder von Grafe noch von Gimes affirmiert wird).

Als wäre die Farbe rasch zuviel. Oder genauer: Als bestünde das Zuviel in der Farbe selbst, als wäre die vielerorts «zur Konvention gewordene Farbe» (Grafe) ein Zusatz, aber als Zusatz überflüssig, unrein, so wie eben auch die andere Konvention existiert, das Schwarzweiß mit dem Register des Reinen, Puristischen zu assoziieren. Das betrifft das Kino, die Fotografie (Barthes über Farbe in La chambre claire: kein Spaß) und nicht zuletzt die Welt des Comic, in der die strengen Liebhaber die unkolorierten Bände von Hugo Pratts Corto Maltese den kolorierten vorziehen, in der auf den Websites der teuren Galerien viel mehr schwarzweiß gehaltene Seiten gehandelt werden als farbige, und in der die Graphic Novel eine neue Kultur der farbfreien Gestaltung etabliert hat, von den Erzählungen Will Eisners bis zu Ben Katchor, Adrian Tomine, Alison Bechdel, den meisten Bänden der Bros Hernandez uvm. Erzählen und Farbe, auch das ist ein Thema des Gesprächs zwischen Grafe/Gimes, vertragen sich angeblich nicht gut. Die Farbe kommt dem Erzählen nicht selten in die Quere; das Erzählen tendiert dazu, die Farbe zu instrumentalisieren; man kann von solchen Ideen halten, was man will, aber sie sind durchaus geeignet, den Verzicht auf Kolorierung in der neueren Graphic Novel zu erklären.

Vor dem Hintergrund der langen Tradition der Farbskepsis ist es nicht uninteressant zu beobachten, dass neben der gegenwärtigen Kultur der Farbfreiheit zwar auch eine Kultur der Farbverwendung existiert, dass aber diese Kultur, in ihren verschiedenen Spielarten, sehr darauf bedacht ist, die Farbe nicht leichtfertig (das heißt: nicht zu reichlich, und vor allem: nicht «naiv») zu gebrauchen. Vielmehr geht es darum, mit der Verwendung auch ein Verständnis von und eine Haltung zur Farbe zu kommunizieren, was, je nach Comic-Künstler, ein Bekenntnis zu ihrer schmuddeligen Vorgeschichte sein kann («Heftchenkultur»: Alan Moore, Warren Ellis, Frank Miller) oder ein ironisches Wissen um ihre blitzblanke Parallelgeschichte («Ligne Claire»: Benoît Peeters, Joost Swarte, Floc’h) oder eine Farbe, die gleichsam in Anführungszeichen gesetzt wird (Loustal) oder offensiv mobilisiert (Lorenzo Mattotti) oder nur noch im Modus der extremen Ausdünnung gebraucht (Hannah Berry) oder …

Der Geschmack von Chlor, der sechste oder siebte der erstaunlich zahlreichen Comics, die der junge Zeichner Bastien Vivès unter verschiedenen Namen seit seinem Abschluss der École des Gobelins publiziert hat, bereichert dieses Spektrum um einen Farbeinsatz, den man zugleich reduktionistisch und über bordend nennen kann. Reduktionistisch, weil die Palette bis auf wenige Seiten am Anfang und eine am Ende selten mehr als drei, vier Farbtöne umfasst, unter denen der dominante ein blaugrau abgetöntes Grün ist. Überbordend, weil Der Geschmack von Chlor (Prix Essentiel Révélation des Festivals von Angoulême) letztlich in nichts anderem besteht als in der Zurschaustellung dieses ebenso gedeckten wie insistenten Grüns, das auf etwa 135 Seiten immer wieder etwas abgewandelt wird, ohne dass diese Abwandlung als Abwechslung («Variation») wahrgenommen würde.

Tatsächlich ist Abwechslung nicht das Thema. Nicht im Farbgebrauch von Vivès und nicht in der Geschichte seiner beiden Protagonisten, die sich im Becken einer Schwimmhalle kennen lernen und dann einige (viele) Wochen dort begegnen und verfehlen. «Am folgenden Mittwoch» ist die invariable Formel, die die jeweils nächste Episode dieser repetitiven Zusammentreffen einleitet, und man könnte dagegen einwenden (ein Standardeinwand, wann immer es um Repetition als Prinzip und ästhetische Erfahrung geht), dass die Wiederholung die Variation doch umso sichtbarer macht. An einem Mittwoch ist das Becken voll, an einem anderen ist es leer, an einem der ersten Abende sitzt eine sehr dicke Dame am Beckenrand, an einem anderen steht ein alter Spanner in der Herrendusche etc., aber diese Einzelheiten sind nur Marginalien neben dem Hin und Her, das die Bewegung durch das Becken bestimmt, und erst recht neben der Repetition, die durch die Besuche in der Halle etabliert wird. Mittwoch für Mittwoch, nie öfter, nie anders. Am Mittwoch sieht er sie, am Mittwoch trägt sie den schwarzen Badeanzug und wird ein paar Bahnen mit ihm schwimmen, jeden Mittwoch, wie immer sie dazwischen ihre Zeit verbringt, immer ein paar Bahnen und ein paar Worte dazu, bis zu jenem Abend («am folgenden Mittwoch»), an dem sie nicht in der Halle auftaucht.

Zurück bleibt, wie eine Einsamkeit, aber auch wie ein Geschenk, das blasse Grün, das hier wohl als die Farbe von Chlor vorzustellen ist und, irgendwie, als die Farbe der verlorenen Liebe. Die Panels sind darin gebadet, die Figuren schwimmen darin, der Blick auch, selbst wenn Vivès seine Bilder oft durch eine blassblaue Kachelbordüre oder durch ein paar Linien und andere Farbfelder strukturiert oder die Konturen (blassgrau) von Eisenkonstruktionen und Deckenfenstern darin einzeichnet. Es gibt viele Raumaufteilungen in diesem Comic: Blick von der Galerie, Blick vom Beckenrand, vom Beckenboden, aus der Beckentiefe etc.; es gibt Auf- und Untersichten, eine klare Unterscheidung der Sphären über und unter Wasser und einige mehr oder weniger konventionelle Spielereien mit der Abbildung von Schwimmbad- auf Panelarchitektur (und vice versa). Indes hat Der Geschmack von Chlor seine geheime Agenda in der Aufhebung und punktuellen Löschung aller dieser Linien, die immer dann eintritt, wenn in den Panels (leicht verzogen, wie Kacheln unter Wasser) nichts übrig bleibt als die Farbe und die Schwimmer. Das ist dann das Bild des Glücks, an dem nie länger als eine Seite festgehalten wird.

 

Bastien Vivès: Der Geschmack von Chlor (Reprodukt 2009)