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Wasserball und Kommunismus Zuletzt recht medienwirksam verbreiten Philosophen wie Slavoj Žižek und Alain Badiou eine vage «kommunistische Hypothese» – wie sehen die Theoriealternativen zu dieser neokommunistischen Intervention aus, die zugleich eine Abkehr vom Marxismus ist?

Von Robin Celikates

Er ist vernünftig, jeder versteht ihn. Er ist leicht.» Mit dieser Zeile beginnt Brechts «Lob des Kommunismus», und man könnte meinen, auch die allgemeine Begeisterung zumindest eines bestimmten Milieus für die von Alain Badiou und Slavoj Žižek von London bis Berlin propagierte Rehabilitierung der «Idee des Kommunismus» sei vielleicht der Vernünftigkeit und leichten Verständlichkeit dieser Idee zuzuschreiben. Allerdings wird ihr von der neuen Theorie-Internationalen doch eine recht spezielle Auslegung zuteil.

Žižek, der an einer vielhundertseitigen Hegel-Studie arbeitende Diagnostiker der Vereinnahmung der Kapitalismuskritik durch Starbucks et al., gibt immerhin noch zu Protokoll, dass, wer vom Kommunismus rede, auch Kritik der politischen Ökonomie betreiben müsse – nur scheint er zwischen Deutschem Idealismus, Lacan und Popkultur selbst kaum dazu zu kommen. Bei Badiou hingegen wird die «kommunistische Hypothese» gleich ganz von der gesellschaftstheoretischen Analyse – und damit vom Marxismus – entkoppelt, weil damit angeblich doch immer nur zur Reproduktion des Bestehenden beigetragen werde. In einer seltsam platonistisch-existentialistischen Wendung wird die «Treue» zum singulären Ereignis (für das Subjekt Badiou vor allem die Kulturrevolution, 1968 und andere Abenteuer des Klassenkampfes) zum Prüfstein für politische Radikalität. Die Unterwerfung unter den von diesem Ereignis empfangenen Imperativ und die Verpflichtung auf die sich daraus ergebende unbedingte Wahrheit bilden das Gegenprogramm zur Herrschaft der bloßen Meinung im «Kapital-Parlamentarismus». Kommunismus ist dann auch ohne Marxismus eine tolle Sache: warum nicht in einer Gesellschaft leben, in der nicht das Interesse partikularer Gruppen herrscht, sondern in der wir zunächst einmal alle gleich sind? Diese «Hypothese» bleibt freilich etwas unterbestimmt und deshalb muss Badiou auch ab und an auf das emanzipatorische Potenzial von Gruppierungen wie Hisbollah und Hamas verweisen oder (wie auch Žižek) vor Stalin und Mao seinen Hut ziehen, um den verweichlichten Liberalen mit seinem kompromisslosen Rigorismus einen ordentlichen Schrecken einzujagen.

Dem Verzicht auf jede substanzielle Gesellschaftstheorie korrespondiert der Voluntarismus und Purismus einer Position, die den radikalen politischen Akt, den totalen Bruch mit dem Status quo zu einem von jedweden sozialen Ermöglichungsbedingungen unabhängigen Ereignis verklärt («Einbruch des Realen»!). Die Frage «Warum überhaupt Kommunismus?» droht dann aber zur bloßen Glaubensfrage zu werden – man muss sich durch das Ereignis eben zum revolutionären Subjekt bestimmen lassen, es also eigentlich nur wollen. Dass dies aber zu kurz greift, hat Nanni Moretti in seinem Film Wasserball undKommunismus bereits 1989 in das schöne Bild eines Wasserballprofis gefasst, der nach einem sein Gedächtnis in Mitleidenschaft ziehenden Unfall zwar noch weiß, dass er Kommunist ist, dem aber partout nicht mehr einfällt, warum eigentlich. Der Betroffene selbst empfindet das durchaus als Problem (und vergibt ob seiner Desorientierung auch den entscheidenden Freiwurf, der seinem Team die Führung gesichert hätte). Ohne gesellschaftstheoretische Fundierung wird aus der «kommunistischen Hypothese» ein in der Luft hängender politischer bzw. ethischer Imperativ, dessen Geltung dann nur mehr mit subjektiver Gewissheit behauptet werden kann. Tatsächlich betreibt der existentialistische Platoniker Badiou (wie in geringerem Maße auch Žižek) eine Reinigung von Politik und Philosophie, die daraus alles Soziale entfernt, in ihrer ausgestellten Gestenhaftigkeit aber selbst apolitisch und damit leer zu werden droht.

Dagegen ist eine marxistische Position, die unter «Kommunismus» mehr verstehen muss als eine Idee oder Hypothese, auf jene Einheit von Analyse und Kritik verpflichtet, die Theorie, politische Praxis und soziale Erfahrung in ein wechselseitiges Bestimmungsverhältnis bringt. In der jüngeren französischen Diskussion ist eine solche Position (trotz unterschiedlicher Akzente und natürlich mit stark heterodoxen Tendenzen) insbesondere von Miguel Abensour, Étienne Balibar, Franck Fischbach und Emmanuel Renault entwickelt worden. Dabei vertreten alle diese Autoren eine dezidiert politische Herangehensweise, die ohne ökonomistischen Reduktionismus, Sozialdeterminismus oder messianische Überhöhung des Proletariats auskommt und deshalb die Autonomie des Politischen sowie die politische Handlungsfähigkeit der sozialen Akteure auch nicht negieren muss, wie die neo-kommunistische Abwendung vom Marxismus letzterem zu unterstellen scheint.

Insurrektion gegen den Staat

Zwei Perspektiven lassen sich hier unterscheiden, deren erste eher politiktheoretisch und deren zweite eher sozialphilosophisch ausgerichtet ist, auch wenn beide stets als miteinander verschränkt gedacht werden. In der ersten Perspektive versuchen sich insbesondere Abensour, Herausgeber der einflussreichen Reihe «Critique de la politique» und Autor wichtiger Studien zum utopischen Denken, sowie der auch in Deutschland für seine theoretische wie politische Neuausrichtung des Marxismus bekannt gewordene Balibar an einer Reformulierung der Idee und Praxis der Demokratie. Anders als die recht platte Polemik gegen den «liberal-demokratisch-kapitalistischen» Komplex à la Badiou, der seine «kommunistische Hypothese» für unvereinbar hält mit jedweder «demokratischen Hypothese», wenden sich beide gegen die Identifikation von Demokratie und repräsentativer Staatsdemokratie. Vielmehr insistieren sie auf dem emanzipatorischen Gehalt dessen, was Marx 1843 die «wahre Demokratie» genannt hatte – die Demokratie als die Wahrheit aller Staatsformen und als «das aufgelöste Rätsel aller Verfassungen».

In diesem Sinn ist die Demokratie Abensour zufolge eine notwendig anti-etatistische Form der politischen Praxis, die sich der staatlichen Organisation – ihrer Organisation in der Form des Staates – gerade entzieht und entgegenstellt und damit wesentlich anarchisch ist. Die Demokratisierung der gesellschaftlichen Zusammenhänge muss stets auch gegen den Staat erkämpft werden, da sie die Unterscheidung von Herrschenden und Beherrschten zu überwinden anstrebt, die diesem zugrunde liegt. Demokratie ist deshalb potenziell immer Insurrektion gegen den Staat. In jeder Revolution reklamiert das Volk die Fähigkeit politischen Handelns, die ihm vom Staat (und anderen Instanzen) enteignet worden ist. Entgegen gängigen Vorwürfen an die Adresse des Marxismus, dass er Emanzipation als Befreiung von der Politik fasse, ist Abensour zufolge darunter im Anschluss an Marx gerade eine Emanzipation zur Politik im Sinne kollektiver Selbstbestimmung zu verstehen. Kollektive Selbstbestimmung wiederum zielt auf die Etablierung einer politischen Gemeinschaft der Freien und Gleichen – oder eben «einer Assoziation (= freien Vereinigung)» bzw. eines «Vereins freier Menschen» (Marx), in denen es die Trennung zwischen Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden nicht mehr gibt.

Égaliberté

Auch das politische Denken Balibars hat eine staatskritische Pointe. Das politische und kollektive Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Selbstbestimmung muss oft genug gerade gegen staatliche Instanzen erkämpft werden, die Inklusion stets mit Exklusion verkoppeln. Daher weist die politische Praxis die beiden Aspekte einer Politik des Aufstands und einer Politik der Konstitution auf. Der Begriff der Politik selbst ist Balibar zufolge gespalten zwischen diesen beiden Momenten einer Politik der Revolution und einer Politik der Institutionalisierung. Politik als Emanzipation umfasst für Balibar paradigmatisch den Kampf etwa der Arbeiter, der Frauen und der Kolonisierten gegen die Vorenthaltung des Rechts auf Politik, also den Kampf für Selbstbestimmung und égaliberté, der sich in die Tradition von 1789 stellt und der Marx und Engels im Manifest der kommunistischen Partei von der «Erkämpfung der Demokratie» sprechen lässt: Das Volk – im doppelten Sinne von plebs und populus – «macht» sich zum politischen Subjekt, indem es sich seine Rechte nimmt. Mit dem Neologismus égaliberté bezeichnet Balibar dabei die unauflösbare Verschränkung, ja (praktische) Identität von Gleichheit und Freiheit. So lässt die bloß formelle Gleichheit der Vertragsparteien unter kapitalistischen Bedingungen, die ihre faktische Ungleichheit kaschiert, die Freiheit der Arbeiter nicht intakt (sondern legt diese in Ketten); genauso wenig lässt die Missachtung der Freiheit im real existierenden Sozialismus die Gleichheit intakt (sondern schafft eine Ordnung der Privilegien).

Auch eine auf Gleichheit und Freiheit zielende Politik hat allerdings soziale Voraussetzungen, die Balibar im Anschluss an Marx’ Kritik der bürgerlichen Revolutionen in der, freilich wieder politischen, Herstellung von Machtverhältnissen sieht, die Emanzipation allererst auf Dauer erlauben. Zugleich betont Balibar die für emanzipatorische Bewegungen notwendige Zivilisierung jener Formen der Gewalt, die mit den Mechanismen der Identitätsbildung unter Bedingungen des gewaltsamen Austragens von Konflikten einhergehen. Dabei geht es um die Herstellung der Bedingungen politischen Handelns und damit eines genuin politischen Konflikts, der sich vom Krieg, der auf Vernichtung des Gegners zielt, unterscheiden lassen muss.

Dass die Emanzipationskämpfe selbst nicht vor den Formen der Barbarei gefeit sind, gegen die sie sich richten, und dass auch sie in diesem Sinne zivilisiert werden müssen, kann man sich an zahlreichen Beispielen aus Vergangenheit und Gegenwart schnell vor Augen führen. Nur in dieser radikal-emanzipatorischen und zugleich anti-etatistischen Deutung vermag die Praxis der Demokratie Abensour und Balibar zufolge die Dialektik von Konstitution und Insurrektion offen zu halten, die es auch verbietet, den Kommunismus als mit sich versöhnte Gemeinschaft jenseits politischer Auseinandersetzungen zu denken.

Marxistische Gegenwartsanalyse

Die zweite Perspektive plädiert für eine sozialphilosophische Erweiterung der ersten und geht einher mit einer Rehabilitierung der Sozialphilosophie als eigenständiger Disziplin. Hierzu muss man wissen, dass im französischen Kontext die so genannte Rückkehr der Politischen Philosophie seit den 1980er Jahren gerade der groß angelegte restaurative (und politisch gesehen reaktionäre) Versuch war, den Einfluss der Sozialwissenschaften – und genauer: des Marxismus – zurückzudrängen und die Politische Philosophie zu «normalisieren», also mit dem politischen Status quo des liberalen Rechtsstaates zu versöhnen, ein letztlich nicht rein akademisches, sondern zutiefst politisches Projekt, das bis heute andauert und dem sich auch Badiou wortmächtig entgegenstellt. Anders als Badiou sind der in Nizza lehrende Fischbach, der unter anderem auch Hegel, Marx und zeitgenössische Theoretiker wie Axel Honneth übersetzt hat, sowie der ebenfalls auf die deutschsprachige Philosophie spezialisierte Renault, der Herausgeber der wichtigen Zeitschrift Actuel Marx ist (deren nächste Nummer im Übrigen ein Dossier zur Frage «Pourquoi le communisme?» enthalten wird), allerdings der Auffassung, dass sich die Fragen der politischen Philosophie eben nicht unabhängig von denen der Gesellschaftstheorie diskutieren lassen. Die politische Praxis, also die politischen Kämpfe und ihre Akteure sind nämlich gesellschaftlich verankert. Diese doppelte Perspektive kommt nicht zuletzt in der Marx’schen Konzeption des Proletariats als sozialer Klasse und politischem Akteur zum Ausdruck. Will man diese doppelte Perspektive beibehalten, muss die Gesellschaftstheorie, über die sozialphilosophische Herangehensweise hinaus, auch die Analyse und Kritik der ökonomischen Verhältnisse, also des globalisierten und neoliberalen Kapitalismus, seiner Reproduktionsmechanismen und seiner Krisentendenzen umfassen, ohne dabei allerdings einen Automatismus anzunehmen, der aus bestimmten ökonomischen Entwicklungen politische Folgen ableitet. Sicher, die gegenwärtigen Verhältnisse schaffen in der Marx’schen Perspektive die Bedingungen für eine andere (kommunistische) Gesellschaftsordnung – diese stellt sich aber nicht von allein ein, sondern muss gegen die gegenwärtigen (globalen) Verhältnisse (auf globaler Ebene) erkämpft werden.

Kennzeichnend für den sozialphilosophischen Ansatz ist dabei die Verbindung von philosophischer Reflexion und empirischer Sozialforschung und die Rückbindung der Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen an die realen Erfahrungen der Akteure und ihre sozialen Kämpfe. Es kann daher kaum erstaunen, dass sich Fischbach und Renault (ebenso wie Abensour übrigens) in die Tradition der kritischen Theorie einordnen, zu deren Verbreitung sie in Frankreich auf unterschiedlichste Weise beitragen.

Wesentlich für diesen gesellschaftstheoretischen Zugang ist die Erfahrung der betroffenen Subjekte selbst. Aus diesem Grund stehen nicht zuletzt deren Leidenserfahrungen und die Formen der Subjektivierung, der Fabrikation nur vermeintlich autonomer und souveräner, eigentlich aber weltloser, entfremdeter, ohnmächtiger Subjekte durch den Kapitalismus im Zentrum der Gegenwartsanalyse. Die Aufgabe der Theorie besteht in dieser Perspektive in der Analyse und Kritik jener sozialen Bedingungen, die die Fähigkeiten der Individuen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, unterminieren. Wie der französische Arbeitssoziologe und -psychologe Christophe Dejours, auf den sich insbesondere Renault beruft, in seinen Arbeiten zeigt, spielen hierfür die Auswirkungen der unter neoliberalen Vorzeichen dereglementierten Arbeitsbedingungen auf die psychische Verfasstheit und das Selbstverständnis der Beschäftigten eine besonders zentrale Rolle. Dies gilt umso mehr, als die spezifische Funktionsweise der Arbeitswelt das sozial produzierte Leiden unsichtbar werden lässt, indem sie es den Subjekten als Versagen vor veränderten Anforderungen zuschreibt, was die öffentliche Thematisierung der Probleme verhindert oder zumindest äußerst unwahrscheinlich macht. Der Gedanke, dass die Organisation der Arbeitswelt und die Formen der Subjektivität, die der Kapitalismus produziert, genau jene Handlungsformen und Fähigkeiten unterminieren, die für die Praxis der Demokratie – selbst im für den Liberalismus charakteristischen minimalistischen Verständnis – wesentlich sind, ist eine der marxistischen Grundintuitionen, die Fischbach und Renault aufgreifen und auf den aktuellen Stand der sozialwissenschaftlichen und theoretischen Diskussion bringen.

Die so verstandene Analyse und Kritik der sozialen Reflexions- und Handlungsblockaden steht letztlich im Dienst eines empowerment der Akteure. Was aber, so könnte man fragen, hat das mit Kommunismus zu tun? Nun, dieser wird von Marx nicht zuletzt als Bewegung bestimmt, die die sozialen Verhältnisse «ihrer Naturwüchsigkeit entkleidet und der Macht der vereinigten Individuen unterwirft». Eine der Gestalten dieser Bewegung mag man in den aktuellen politischen und sozialen Kämpfen um eine Gemeinschaft der Freien und Gleichen erkennen – bleibt natürlich die Frage, inwiefern es sich dabei tatsächlich um eine «wirkliche Bewegung» handelt, die, wie es in der Deutschen Ideologie heißt, «den jetzigen Zustand aufhebt». Welche Formen politischen Handelns und welche (durchaus auch utopischen) Aspirationen korrespondieren dieser Bewegung (oder sind es Bewegungen?) heute? Wie man von diesen gesellschafts- und politiktheoretischen Überlegungen zum Kommunismus kommt und was diesen letztlich genau ausmacht, ist also noch immer nicht klar. Aber schließlich endet auch Brechts «Lob des Kommunismus» mit den Zeilen «Er ist das Einfache || Das schwer zu machen ist.»

 

Miguel Abensour: La Démocratie contre l’État. Marx et le moment machiavélien (Le Félin 2004) (Democracy Against the State: Marx and the Machiavellian Moment, Polity 2010, i.E.) | Pour une philosophie politique critique (Sens & Tonka 2009) 

Étienne, Balibar: La proposition de l’égaliberté (PUF 2010) | Violence et civilité. Wellek Library Lectures et autres essais de philosophie politique, Galilée 2010

Franck Fischbach: Manifeste pour une philosophie sociale (La Découverte 2009) | Sans objet. Capitalisme, subjectivité, aliénation (Vrin 2009)

Emmanuel Renault: L’expérience de l’injustice (La Découverte 2004) | Souffrances sociales (La Découverte 2008)