filmwissenschaft

Das andere Afghanistan Über Afghanistan in the Cinema von Mark Graham

Von Sandra Schäfer

The Horsemen (1971)

© Columbia

 

Das 2010 erschienene Buch Afghanistan in the Cinema von Mark Graham analysiert die Repräsentation von Afghanistan in Hollywood-Spielfilmen und internationalen sowie lokalen Arthouse-Produktionen. Er beginnt seine Analyse mit dem ersten und bisher einzigen in Afghanistan gedrehten Hollywood-Film The Horsemen von John Frankenheimer in 1971. Graham liest die Filme vor der Folie internationaler und historischer Ereignisse, und verwebt seine Betrachtung mit einer postkolonialen Repräsentationskritik.

Ein wesentlicher Faden in Grahams Analyse ist die Konstruktion des Anderen im Verhältnis zum zivilisierten Selbst. John Frankenheimer verlegt hierfür seine Filmhandlung in die machistische Arena des afghanischen Buzkashi-Spiels (Buzkashi ist ein Nationalsport in Afghanistan, bei dem zwei gegnerische Mannschaften um die Wette reiten, um den Körper einer enthaupteten Ziege von einer markierten Stelle zu einer anderen zu bringen). Das Andere wird hiernach vor allem von dem Pferd Jahil (der Wilde) repräsentiert, das seinen Reiter Uraz abgeworfen hat. Am Ende des Films gelingt es Uraz das Pferd Jahil zu bezähmen. In John Hustons The man who would be king (1975) nimmt die Zuschauer/in Indien und Afghanistan durch den rassistischen Blickwinkel der Kolonisatoren wahr. Im «dominanten Jammern» (privileged whine) über die Verluste, wie Graham Tom Engelhardt zitiert, maskiert sich der imperialistische Eindringling als Opfer. Beide Filme liest Graham vor der Folie des Vietnam-Kriegs, wobei er im ersten in der Figur des Invaliden Uraz den Vietnam-Veteranen verkörpert sieht und im zweiten den Versuch, eine «kulturelle Amnesie» gegenüber den Lehren aus dem Vietnam-Krieg zu erzeugen: Krieg soll endlich wieder Spaß machen.

Mit Peter Mac Donalds Rambo 3 (1987) ist ein Kriegsfilm für die breite Masse gedreht worden. Der Vietnamveteran Rambo, der sich in ein buddhistisches Mönchskloster zurückgezogen hat, muss noch einmal losziehen, um als Einzelkämpfermaschine seinen Freund und Vorgesetzten Oberst Trautman aus den Fängen sowjetischer «Barbaren» zu befreien. Rambo verbündet sich mit den Mudschaheddin und geht in seinem kämpferischen Handeln eine enge Verbindung zum «Barbarentum» ein. Der Krieg der Sowjetunion gegen Afghanistan gibt hier die Legitimation, endlich wieder einen gerechten Krieg im Dienst der Zivilisation führen zu können. Amerika kann sein Selbst-Image als Militärmacht im Auftrag der Gerechtigkeit rehabilitieren. Bei Kevin Reynolds The Beast (1988) wiederum stellt Graham fest, dass mit dem afghanischen Intellektuellen Samat die orientalistische Darstellung des primitiven Anderen gestört wird. Zudem ist der Hauptdarsteller ein sowjetischer Soldat, der im Gegensatz zu Rambo auf die Hilfe und Freundschaft von Afghanen angewiesen ist, um zu überleben. Zu Zeiten von Glasnost und dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan war die Entscheidung für einen sowjetischen Hauptdarsteller möglich, auch wenn der Film später ein Flop war.

 

The terrible Turkish executioner (1904)

 

Welche Rolle Filme als Meinungslieferanten im Rahmen internationaler Ereignisse spielen können, zeigt Graham am Beispiel von Mohsen Makhmalbafs Film Kandahar (2001). Der im iranischen Grenzgebiet gedrehte Film fand nach dem 11. September seinen Weg bis ins Pentagon. In dem als «ultimativer Burka-Film» von Graham und anderen titulierten Film ästhetisiert Makhmalbaf die Burka in den verschiedensten Facetten. Graham kritisiert hierbei die mangelnde historische Kontextualiserung: «Makhmalbaf ästhetisierte das islamische Andere seines Irans in eine Burka aus Bildern, die negative Stereotypen über Afghanistan nur verstärkten.» Orientalismus ist laut Graham also nicht mehr nur ein westliches Phänomen, sondern wird ebenso gut im Mittleren Osten praktiziert: «Orientalismus ist nun ein frei schwebender Signifikant im Markt der Ideen.» Dem Western stellt er den von dem Islamwissenschaftler Eisele geprägten Begriff «Eastern» gegenüber, der sich mindestens bis zu Georges Méliès’ Film The terrible Turkish executioner zurückverfolgen lässt und bekannte Klischees wie Entführung und Versklavung, sowie den Osten als Ort des Terrors und der Erlösung von Sünden darstellt. In dem begleitend zu Kandahar erschienenen Essay «Der Buddha wurde nicht in Afghanistan zerstört; er zerfiel aus Scham» liefert Makhmalbaf den in seinem Film fehlenden historischen Kontext. Er führt die derzeitige Situation Afghanistans auf dessen geografische Lage und den Tribalismus zurück. In einer etwas paternalistischen Geste spekuliert er, wenn Afghanistan nicht versucht hätte sich seit der Trennung von der modernen islamischen Republik Iran als unabhängigen Staat zu behaupten, ginge es ihm heute wahrscheinlich besser.

Ebenso wie Kandahar prangert Siddiq Barmaks Osama (2003) den Fundamentalismus unter dem Taliban-Regime an und propagiert die Befreiung der Frauen. Beide folgen mit der Wahl der Hauptdarstellerin einer ähnlichen narrativen Struktur, in der die Zuschauer/innen sich mit der Hauptdarstellerin identifizieren können. Graham bezieht sich in seiner Analyse dieses narrativen Musters auf David Spurrs Affirmation des kolonialen Diskurses, laut dem die Hauptdarsteller/innen zu einer von uns werden, die es dann zu retten gilt, um unserer selbst willen, die wir die Zivilisation repräsentieren. Im Unterschied zu Makhmalbaf dient der surreale Horror mancher Szenen in Barmaks Osama jedoch nicht der reinen Ästhetisierung. Der Demonstrationszug von Frauen gegen das von den Taliban eingeführte Arbeitsverbot, der sich wie eine blaue Woge den Hang runterzieht, löst sich bald schon in real demonstrierende Frauen auf. Diese wie auch andere Szenen zeigen, wie Frauen und Männer sich im Alltag organisieren und Widerstand leisten. Zudem nimmt die als Junge verkleidete Hauptdarstellerin an der male-bonding Szene des Waschrituals teil und entlarvt durch ihren beobachtenden Blick den pädophilen Voyeurismus des Mullahs. Für diese Überschreitung wird sie schließlich hart bestraft.

Momente des Widerstands

Die Hauptdarstellerin Marina repräsentiert zwar das Leiden einer ganzen Nation, aber immer wieder reißen Momente des Widerstands auf – zuletzt in der fiktiven traumhaften Szene des Seilspringens. Barmak öffnet hiermit einen Raum in der Erzählstruktur, in dem ein dominanter Diskurs bzw. Blickweisen sich durchkreuzen. Graham weist zudem darauf hin, dass Barmak im Prolog in der lokalen Version ein Zitat des Intellektuellen Ali Shariati verwendet, der als Architekt der iranischen Revolution gilt, wohingegen er in der englischen Fassung ein Zitat mit einer völlig anderen Bedeutung von Nelson Mandela wählt. Durch die Verweigerung der Übersetzung markiert er eine kulturelle Differenz und das – durchaus wohlgefällige – Adressieren zwei verschiedener Öffentlichkeiten.

Die einzigen Filme, die laut Graham die Konstruktion des Anderen komplett unterlaufen, sind Roya Sadats Se Noqta (2004) und Michael Winterbottoms In this world (2002). Winterbottom widmet sich in seinem Film den Lücken im ansonsten rigiden und entwürdigenden transnationalen Migrationsregime. Etwa fünf Millionen Afghanen lebten 2002 in den Nachbarländern Pakistan und Iran. In this world begleitet die beiden Jungen Jamat und Enayat bei der Flucht aus dem Flüchtlingslager Shamshatoo am Rande Peschawars, in dem globalisierte Technologien wie Mobiltelefone zum Alltag gehören, auf ihrem Weg über Iran, die Türkei und Belgien nach Grossbritannien. Auch wenn ihre Reise beschwerlich ist, und für Enayat schließlich zum Tod führt, gibt es immer wieder Momente des Glücks und der Solidarität, wenn sie beispielsweise in einem kurdischen Dorf mit anderen Jungen Fußball spielen.

 

Kandahar (2001)

© Avatar Films

 

Aktive Rolle

Laut Graham lassen sich Filme wie Kandahar und Osama auf Grund der enthistorisierten Darstellung der Unterdrückung von Frauen vergleichsweise leicht zur Legitimation der US-Kriegsführung instrumentalisieren. Roya Sadats Debut-Film Se Noqta (2004), der sich ebenfalls der misslichen Lage afghanischer Frauen widmet, ist hierin wesentlich sperriger und widersetzt sich dem essenzialistischen orientalischen Blick, der Frauen zum Opfer stilisiert. Die Witwe Gul Afrooz übernimmt eine aktive Rolle und versucht alles, um sich und ihre Kinder zu ernähren und der Heirat mit Shir und damit dem Verlust ihrer Kinder zu entkommen. Sadat reflektiert die dominante Rolle des Khans, der Gul Afroozs Situation auszunutzen weiß und lässt die Darstellung patriarchaler Strukturen komplexer erscheinen, indem sie ebenso die weibliche Komplizenschaft von Shirs Mutter zeigt. Sadat folgt in langen Kameraeinstellungen den alltäglichen Handlungen ihrer von Laiendarstellern gespielten Protagonisten. Sadat ist eine der ersten afghanischen Regisseurinnen, die seit 2001 in Afghanistan Filme drehen. Seit 2007 führt sie zudem Regie in der populären, vom privaten Sender TOLO-TV produzierten Serie Razhaie en Khaneh (The Secret of this house).

Dass die «authentische» afghanische Herkunft nicht notwendig vor ethnografischen oder orientalistischen Fallstricken schützt, zeigt Graham am Beispiel des Bestseller-Romans Kite Runner (2003) von Khaled Hosseini und dessen Hollywood-Verfilmung von Marc Forster. Der Film beginnt mit dem modernen Leben der bürgerlichen Mittelschicht Kabuls in den 70er Jahren und thematisiert Rassismus gegen die ethnische Gruppe der Hazara. Mit der Migration der beiden Hauptprotagonisten in die USAnimmt die Handlung einen Verlauf, der aus den anfangs beschriebenen Hollywood-Filmen bekannt ist. Wie Graham analysiert, ist die Integration des jungen Amir in die multikulturelle Gesellschaft der USAerfolgreich. Mit seiner Rückkehr nach Afghanistan blicken wir aus seiner zivilisierten Perspektive auf die unzivilisierten Verhältnisse dort. So stellt Graham fest: «… der Film verwendet Multikulturalismus ziemlich genauso, wie das die Kriegsfilme der vorangegangenen Ära getan hatten: der Zorn über innere Ungleichheiten in Hinsicht auf Rasse und Wohlstand wird auf ein dämonisiertes und externalisiertes Äußeres umgelenkt (…) Zur gleichen Zeit bietet der Krieg gegen den fundamentalistischen Islam denen einen verallgemeinernde Alternative, die der globale Markt nicht freier gemacht hat.»

Selektiver Blick

Bis auf Roya Sadats Se Noqta (Three Dots), der von Graham mit dem schönen Titel Ellipsies übersetzt wurde, konzentriert er sich in seiner Auswahl auf im Westen bekannte und über DVD-Vertrieb vergleichsweise leicht zugängliche Produktionen. Weder Filme selbst aus dem indischen Mainstream noch sowjetische bzw. russische Produktionen finden Eingang in sein Buch. Filme aus der kurzen Geschichte des afghanischen Kinos selbst werden gar nur am Rande erwähnt. Ebenso wenig werden aktuelle lokale Produktionen berücksichtigt, noch finden Dokumentar- oder Kurzfilme sein Interesse. Dennoch lohnt sich die Lektüre, weil Graham eine komplexe Analyse der Repräsentation von Afghanistan in Hollywood- und Arthouse-Filmen liefert. Er untersucht verschiedene Erzählmuster, zeigt die Brüche in dominanten Perspektiven auf, reflektiert die Produktionsbedingungen und verweist auf die gesellschaftspolitische Instrumentalisierung der Filme.

 

Mark Graham: Afghanistan in the Cinema (University of Illinois Press 2010)